Europa, Polen

Die Militärparade in Warschau – und was die Polen so denken

Um das Nationalbewusstsein zu stärken, haben Feiertage wie dieser eine enorme, nicht zu unterschätzende Bedeutung. Heute ist der Feiertag der polnischen Streitkräfte, der jährlich zum 15 August mit einer großen Militärparade begangen wird. Es mag fürs deutsche Ohr vielleicht seltsam anmuten, einen Feiertag eigens für das Militär auszurufen, doch in Polen haben die Soldaten fast schon einen Heldenstatus, es sind die Brüder/Ehemänner/Söhne, die gekämpft und vielleicht auch gefallen sind. Sie sind volksnah, wie man so schön sagt.

Die Parade der Unabhängigkeit beginnt und endet an der Wislostrada Straße.

Es werden die Streitkräfte Polens sowie der militärischen Verbündeten Großbritannien, Rumänien, USA und Kroatien gezeigt, die Luftwaffe und zum Schluss eine Vorführung der militärischen Heere aus nahezu allen Epochen der polnischen Geschichte.

Für die Kinder ist es ein Riesenspaß, denn es gibt… Panzer! 🙂 So sind, als ich an diesem Sonntag im Warschauer Zentrum ankomme, unzählige Familien mit Kindern unterwegs.

Ich stelle das Auto im absoluten Halteverbot auf einer Brücke ab und reihe mich damit zu den anderen, dort parkenden Fahrzeugen ein. Gleich hinter mir bleibt das nächste Auto stehen. Die Polizei, die zwei- bis dreihundert Meter weiter den Verkehr regelt, übersieht die Verkehrswidrigkeit großzügig, also mache ich mir keine Sorgen. An diesem Nationalfeiertag werden sie unsere Fahrzeuge schon nicht einkassieren.

Ich hatte nicht mit diesem Andrang gerechnet. Bereits ab der Brücke drängen sich die Menschen die enge Treppe hinunter zur Straße, der ganze Abhang ist voller Leute. Sie sitzen auf dem Rasen auf eigens mitgebrachten Decken und Campingstühlen, stehen erwartungsvoll da oder hocken in den Bäumen. Ich bleibe unschlüssig stehen und überlege, wo ich mich am geschicktesten platzieren soll, um mehr als nur Köpfe zu sehen.

Weiter unten ist die Promenade voll. Die Straße, die an der Weichsel entlang führt, ist für die Parade gesperrt worden, links von mir erhebt sich die Altstadt. Menschen eilen hin und her, jeder versucht, für sich den besten Platz zu finden. T-shirts und Mützen in Nationalfarben und auch Fahnen sind zu sehen. Kinder werden von ihren Eltern huckepack getragen und ich wünsche mir, während ich mich an den Leuten vorbei quetsche, entweder Mäuschen sein oder auch huckepack zu dürfen.

Am Rande der Straße stehen Sträucher. Und selbst zwischen diesen sind Menschen, hier allerdings nicht ganz so viele. Hoffnungsvoll stelle ich mich dahinter, froh, einen Blick auf die noch leere Straße erhaschen zu können.

Ein Soldat läuft hin und her; auf der anderen Straßenseite macht eine junge Soldatin ein gewichtiges Gesicht. Hinter mir platzieren sich weitere Menschen und ich begreife, welches Glück ich hatte, etwas früher hier gewesen zu sein. Nun stehen wir da, eingequetscht wie die Sardinen, und warten. Die allgegenwärtige Sommerhitze hat gnädigerweise nachgelassen und der Himmel hat sich mit Wolken bedeckt. Große Menschen stehen vorne, kleine Menschen teilweise hinten, keiner weicht, denn hier ist sich jeder selbst der Nächste. Später werde ich auf die Nachfrage meiner Mutter (Und? Hast du die Parade gesehen?) antworten: Hm… ich habe ganz viele Rücken und Hinterköpfe gesehen… und dazwischen hier und da eine Uniform 😉

Zunächst dachte ich noch, dieser Nationalfeiertag wäre nachträglich von der regierenden Partei eingeführt worden, doch eine kurze Recherche beruhigte mich wieder dahingehend, dass es den Feiertag wesentlich länger gibt als die PIS selbst.  

Der Ursprung findet sich im polnisch-sowjetischen Krieg 1920, als die sowjetischen Streitkräfte die polnische Frontlinie so weit zurück drängten, dass eine vollständige Besatzung des Landes drohte. Doch die Schlacht von Warschau brachte die Wendung und in den darauffolgenden Gefechten konnten die Russen zurück hinter die Ukraine vertrieben werden. Diesem Kampf gedenken die Menschen jedes Jahr mit einem Gottesdienst und, seit 2007, auch mit der Militärparade.

Ich sehe die Parade mit gemischten Gefühlen, versuche aber trotzdem, vorurteilslos zu bleiben. Solche Paraden dienen dazu, den Stolz des Volkes zu stärken und werden als Instrument von verschiedenen Regierungen seit jeher angewendet, so ganz neu ist das Prinzip also nicht. Doch ich habe hier den Eindruck, dass die Menschen hier eher aus Neugierde kommen denn als überschwänglichen Patriotismus. Sie wollen sich den Familiensonntag bei etwas Schönem vertreiben und ihren Sprösslingen eine Freude machen, denn, wie ich festgestellt habe, steht die polnische Bevölkerung der aktuellen Regierung nicht uneingeschränkt unkritisch gegenüber. Langsam bildet sich Widerstand.

So habe ich während meiner Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis vielmehr den Eindruck gewonnen, dass die Politik zur Zeit die Menschen spaltet. Führende Politiker der PIS sind dem Verdacht auf Korruption ausgesetzt und in den Augen vieler Polen, selbst der einstigen Befürworter, bekommt die Fassade langsam Risse. Ein Spalt geht durch die Familien, durch Bekannte und Freunde. Politik ist ein Streitthema geworden.

Im Gespräch mit meiner Friseurin sagte diese, dass man in letzter Zeit aufpassen muss, was man sagt. Wir unterhielten uns bis dato ungezwungen und sie vertraute mir an, dass ich mir Sorgen um die Richtung mache, die das Land einschlägt. Wir waren alleine in ihrem Salon, deshalb war ich überrascht, diesen Satz von ihr zu hören. Und wusste auch nicht – wie reagieren.

Nach einer- bis zwei Minuten bedrückendes Schweigen sagte sie dann: „Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Einmal hatte ich das Thema mit einer Kundin und plötzlich fühlten sich andere, wartende Kunden angegriffen und mischten sich in das Gespräch ein. Es kam beinahe zum Streit.“ Seitdem meide sie sensible Themen wie dieses, wenn sie mit Kunden spricht, sagte sie. Und eines sagte sie noch:

„Es werden Spielplätze gebaut, es wird renoviert, restauriert und es gibt das 500 Plus* – das alles, um die Menschen von anderen Problemen abzulenken.“ Auf meinen Einwand hin, dass ja die Menschen letztendlich das wählen werden, was sie für sich wollen, seufzte sie nur. „Hoffentlich haben sie dann überhaupt noch die Möglichkeit, irgend etwas zu wählen.“

Auch bei meiner Freundin zu Hause machte sich eine gewisse Politik-Verdrossenheit breit. Waren sie und ihr Mann letztes Jahr noch mit der Politik der PIS zufrieden, so kam diesmal Enttäuschung zum Ausdruck. „Weißt du…“ Sagte sie mir später, als der Vater die Küche verlassen hatte. Politik war scheinbar ein Reizthema in der Familie und ihr Vater ein glühender Anhänger der PIS-Partei.

„Eigentlich interessiere ich mich nicht für politische Themen. Ich will mich auch nicht dafür interessieren, denn es ist irgendwie immer das gleiche. Jetzt sollen auch PIS-Politiker korrupt sein, dabei ist die Korruption doch etwas, was sie eigentlich bekämpfen wollten.“

Ihr Bruder, der mit am Tisch saß, lachte nur und meine, er wolle jetzt mal gar nichts dazu sagen. Überhaupt schienen alle das Thema PIS zu meiden, wohl um familiären Zwist aus dem Weg zu gehen.

Der Beginn der Militärparade, der eigentlich für 13 Uhr angekündigt war, verzögert sich. Aus den angebrachten Lautsprechern, die die Menschen über den aktuellen Stand der Vorbereitungen informieren, kommt die Info, dass der Präsident Duda noch nicht erschienen ist. „Klar.“ Sagt jemand neben mir. „Ohne ihn können sie doch nicht starten. Und der Herr lässt sich Zeit…“ Aus den Lautsprechern folgen Militärkommandos an die Soldaten. „AAAch-tung! Stillgestanden!“

Dann ist es soweit, der Präsident ist da und die Parade beginnt pünktlich um zwanzig vor zwei. Die Wolkendecke über unseren Köpfen ist noch dichter geworden: pünktlich zum Beginn der Nationalhymne bricht der Himmel auf und ein Nieselregen begießt die wartende Menge.

Ich habe keinen Schirm dabei, dafür aber einige der Anwesenden. Die kleine Frau neben mir lässt mich mit unter ihren Schirm und ein groß gewachsener Herr hinter uns bietet an, den Schirm für uns zu halten. So haben drei Leute Platz gefunden und somit jeder etwas davon.

Doch der Schauer dauert nicht lange.

Zuerst hält der Verteidigungsminister eine Ansprache, die an und für sich schon fast zwanzig Minuten dauert. Immer wieder bedankt er sich bei den Streitkräften und den Verbündeten und lobt sie für ihre Tapferkeit. Ohne diese Tapferkeit hätte man so viele Schlachten nicht gewinnen können… was folgt, ist eine Aufzählung der ruhmreichen Kämpfe der Geschichte. Schön und gut, denke ich mir, aber ich bin ein Freund davon, in der Gegenwart zu leben. Und für diese Gegenwart wäre es besser, sich mit den EU-Partnern nicht allzu sehr zu zerstreiten…

Die Parade eröffnet eine Flugformation, die die Farben weiß und rot in den Himmel sprüht. Danach kommen Fußsoldaten und Panzer der aktuellen Flotte sowie die Streitkräfte der Verbündeten Kroatien, USA, Ungarn und Frankreich. Danach – für mich das meist beeindruckende – die Flugparade. In echt zu sehen, wie die Flieger in Reih und Glied in Formation über den Köpfen der Zuschauer hinweg ziehen, das hat schon was.

Nach der Flugparade verabschiede ich mich aus meinem kuscheligen Gebüsch und laufe weiter entlang der Promenade. Fanmützen und Fähnchen kann man direkt am Straßenrand kaufen, und selbstverständlich auch Zuckerwatte.

Jedes freie Fleckchen Erde wird von Zuschauern bevölkert; sie stehen auf dem Rasen, stehen auf Dächern kleinerer Gebäude, auf Mülleimern und Podesten und jeder halbwegs zu erkletternder Baum wird auch erklettert – alles nur, um einen besseren Blick zu haben. Der Rasen auf dem Abhang vom Rande der Altstadt zur Promenade hinunter ist vor lauter Leiber nicht mehr zu sehen. In den abgesperrten Straßen stehen Limousinen und Security-Mitarbeiter geben sich per Funk Info über die Lage.

Bei ihrem Anblick wird mir bewusst, wie lächerlich einfach es wäre, hier mit etwas Vorsatz ein Unglück geschehen zu lassen. Die Menschenmassen werden keinerlei Kontrollen unterzogen, was bei der schieren Anzahl der Besucher wohl kaum möglich wäre. Die Menschen sind wie auf einem Präsentierteller versammelt; im Zweifelsfalle könnte keiner fliehen, sie würden sich tot trampeln. Die Geschehnisse aus der Vergangenheit, an verschiedenen Orten in und außerhalb Europas, lassen mich die Lage sensibilisiert betrachten. Kein Wunder, dass die Polen eine so panische Angst vor Terrorismus im eigenen Land haben, denn im Fall der Fälle könnten sie wohl kaum Herr der Lage werden.

Nach dem Aufmarsch des polnischen Militärs beginnen die ersten Besucher, ihre Posten zu verlassen und nach Hause zu gehen. „Jetzt gehen sie.“ Höre ich einen der Security-Leute neben mir sagen. „Dabei kommt das beste erst noch.“ Eine andere Zuschauerin, die das ebenfalls mitbekommen hatte, fragt sich selbst laut: „Was ist denn das Beste? Die Pferdchen?“

Fakt ist, dass die geschichtsgetreue Aufführung der Ritter und Soldaten aus vergangenen Jahrhunderten nicht mehr jeden interessiert. Viele Polen sind der Meinung, dass zu einem solchen Anlass moderne militärische Ausrüstung im Vordergrund stehen soll, schließlich lebt man auch im Hier und Jetzt. Andere wiederum halten die ganze Militärparade für eine Verschwendung von Ressourcen, die man besser für Soziales eingesetzt hätte. Den kritischen Stimmen ist durchaus bewusst, dass Veranstaltungen wie diese dem Zweck dienen, die Macht der PIS zu festigen.

Doch die richtige Massenwanderung setzt erst ein, als die Parade offiziell zu ende ist. Ich brauche fast zwanzig Minuten, um wieder am Auto zu sein; ganz vorsichtig rolle ich dann vom Bordstein auf die Straße, an den drängenden Menschen vorbei. Auch hier wird mir die Absurdität der Situation bewusst – Menschen ziehen mit ihren Autos in nur wenigen Metern vorbei an Menschenmassen – keinerlei Sicherheitsmaßnahmen, gar nichts. Doch bislang ist in Polen noch nie etwas passiert, und das macht mich froh.

Erhobene Köpfe, stolze Mienen – die Soldaten werden hier gefeiert

Vor allem die Kleinen fanden die Panzer ganz toll
Wirklich jede Erhöhung wurde genutzt, die Leute kletterten selbst in die Bäume

Noch mehr Panzer 🙂

Menschen. Überall.
Die berühmte Husaria, auch „Flügelhusaren„, aus dem 16 und 17 Jahrhundert. Das Geräusch, das die Flügel beim Galoppieren machten, verwirrten und ängstigten die Pferde der gegnerischen Reiter.

*Familien mit mehr als zwei Kindern werden mit einem Fördergeld von monatlich 500 zl unterstützt. Dadurch sollen Familien dazu ermutigt werden, für mehr Nachwuchs zu sorgen.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

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