Sri-Lanka, Mai 2018
In Galle am Dutch Fort machen wir den für heute letzten Halt.
Wir fahren die Church Street entlang, an der sich eine Kirche nach der anderen reiht. Die gut erhaltenen, evangelischen Kirchen sind, ebenso wie das Fort selbst, ein Überbleibsel aus der holländisch-portugiesischen Kolonialzeit; das um 17 Jahrhundert errichtete Fort gehört heute zum Weltkulturerbe. Galle kann darüber hinaus mit der schönsten Sri-Lankischen kolonialen Altstadt aufwarten, aber (Achtung, Gehässigkeit…!) da die Sri Lankschen Städte an sich nicht gerade zu den schönsten der Welt gehören, ist dieser Titel auch nicht sonderlich schwer erkämpft…
Das Fort und umfasst mit seinen dicken, unbezwingbar erscheinenden Mauern die ganze Stadt von Meeresseite aus. Im 17 und 18 Jahrhundert war der Hafen der wichtigste Warenumschlagplatz des Landes. Selbst der Tsunami konnte die Festung nicht zerstören.
Bereits unterhalb der dicken Mauern im Schatten der Bäume warten Verkäufer auf uns, Händler und Tuk Tuk Fahrer, alte Frauen, die gehäkelte Kleider anpreisen. „Madame! A dress for you, Madame? Dress for a baby?“ Hat man sich mit einem Lächeln und einem höflichen, aber entschlossenem „No, thank you“ lösen können, betritt man die mächtigen Mauern und schaut hinaus auf das türkisblaue, stürmische See.
Galle ist ein touristischer Ort und somit sind außer uns viele andere Besucher hier unterwegs. Ich wundere mich über die zur Schau gestellte, viele nackte Haut, doch die Anwohner scheinen sich nicht mehr zu wundern. Oben auf dem Aussichtspunkt haben wir ein Rundumpanorama über die See, die riesigen, rund geschliffenen Felsen im Ozean und natürlich die Stadt selbst. Ein junger Student verteilt an Touristen Umfragebögen. Dass es sich um einen Studenten und um eine harmlose Umfrage handelt, registriere ich freilich erst ein wenig später, denn zunächst habe ich die berechtigte Angst vor einem Trick oder dem Kauf der sprichwörtlichen Waschmaschine.
Doch dann nehme ich an der Umfrage teil und fülle den Bogen aus. Stefan wartet indessen bereits unten auf mich. Es handelt sich dabei um Fragen, die speziell an Touristen gerichtet sind und die eigene Reiseart betreffen: Wie reise ich in Sri Lanka? Wie bewege ich mich fort? Bin ich dafür, die lokale Bevölkerung und ökologisch geführte Unterkünfte zu unterschützen? Bin ich der Meinung, dass man die lokalen Sitten achten sollte? Und schließlich: Wie viel davon ist es mir gelungen, während meiner Reise umzusetzen?
Die Umfrage ist anonym gehalten, abgefragt wird lediglich die Reisedauer und Reiseart. Und zudem gibt es eine kostenlose Lektion für mich: nicht alle Einheimischen sind aufdringlich und wollen etwas verkaufen.
Wir laufen an der Mauer entlang, vorbei an Händlern mit kleinen Modellschiffen und geschnitzten Souvenirs, am Leuchtturm vorbei biegen wir um die Ecke und sehen einen Strand. Im Schatten der Bäume haben sich ganze Familien versammelt, die Kinder und die Männer baden im flachen Wasser und auch die Frauen gehen vollbekleidet hinein. Ein Obsthändler liegt faul, die Füße von sich gestreckt, an seinem Stand und schaut ab und zu zu der neugierigen Touristin hoch. Gerne würde ich ins Wasser gehen, in Jeans und Bluse von mir aus, aber ich will Soliyas Auto mit der nassen Kleidung nicht einsauen. So bleibt es nur bei sehnsüchtigen Blicken in Richtung Meer.
Als ich mich zum Gehen wende, sehe ich Galle – und eine schneeweiße, islamische Moschee. Es soll wieder ruhig sein zwischen Buddhisten und Muslimen und die Moschee, mitten in der Stadt und nahe christlicher Kirchen, zeugt davon, dass man sehr wohl friedlich nebeneinander (miteinander?) leben kann.
Später gehen wir in einen authentisches (oh wie ich dieses Wort hasse, doch diesmal passt es…), indisches Lokal. Die Authentizität mache ich an der unglaublich schlichten Einrichtung aus (innen: null Schnickschnack, nur Bänke aus Holz und ein Ausblick auf das Fort und das Meer) und an dem subtilen Uringeruch, der sich von den Toiletten ausbreitet, zudem noch an den günstigen Preisen und natürlich an dem völligen Fehlen von Touristen. Dennoch ist das Lokal voll: einige muslimische Familien belegen die meisten Bänke und mustern uns neugierig. Doch sie bleiben nicht lange und so dürfen wir bereits nach kurzer Zeit den Platz neben der Toilette verlassen und uns an die fensterlose Terrasse setzen.
Doch das Essen macht den ersten Eindruck wieder wett, denn es schmeckt ausgezeichnet. Unseren Fahrer, der vorhatte, sich unter irgend einem Vorwand zu verdünnisieren, müssen wir quasi zwingen, sich zu uns zu setzen und mit uns zu essen. Natürlich laden wir ihn ein, keine Frage. Doch erst nach mehrmaligen Bitten und Ablehnen bestellt er sich das günstigste von der Karte – einen kleine Portion Pommes.
Wer also Angst hat, eine Tour mit Fahrer würde diverse Essenseinladungen mit beinhalten, dem sei versichert: der Fahrer setzt sich erst dazu, wenn er darum gebeten wird. Doch das war für uns selbstverständlich, schließlich würden wir sechs Tage am Stück mit diesem Menschen verbringen, da schickt man jemanden während der Essenszeit nicht weg. Und auch so war unser Fahrer sehr zurückhaltend, was unsere Einladungen betrifft. Der Mann besaß eine Art… Schüchternheit und Anstand, die ihn vom ersten Tag an ins Herz schließen lassen.
Der Regen rinnt vom Dach unseres Hotels herunter, prasselt auf die grünen Palmblätter vor uns und auf der Straße hat sich in sehr kurzer Zeit eine große, spiegelglatte Wasserfläche angesammelt. Der Blick wandert zu den Wellen des Indischen Ozeans, der jenseits der Straßen zwischen den Palmblättern zu sehen ist. Oben auf dem Terrassendach raschelt etwas und draußen in den Wellen sind Surfer zu sehen.
Bereits auf unserer Fahrt ins Hotel am Abend beginnt der dunkel und schwer gewordene Himmel, sich über uns zu ergießen. Soliya betätigt die Scheibenwischer. Wir sind müde und die Überholmanöver auf der Straße vor uns rufen in uns nicht einmal mehr eine Regung hervor. Auch unser Fahrer scheint müde zu sein. Er ist schweigsamer geworden. Er erzählt nicht viel über sich und wir fragen auch nicht viel nach. Sicher bekommt er von vielen seiner Gäste neugierige Fragen zu seiner Person gestellt, die er höflicher Weise natürlich beantwortet.
Denn der Urlauber ist neugierig, er ist wissbegierig, möchte am liebsten die Menschen und ihre persönlichen Geschichten in sein Adventure-Fotobuch einreihen, zusammen mit eingeklebten Flugtickets, Eintrittskarten, Fotos und anderen Andenken, die er aus aller Welt gesammelt hatte. Die Geschichte der Menschen ist oft nicht mehr, als ein Souvenir, das der Reisende mit nach Hause nimmt. Doch dafür überschreiten viele, ohne es zu merken, eine feine, unsichtbare Grenze: die Grenze zwischen Professionalität und der Privatsphäre, dem privaten Raum derjenigen, mit denen sie zu tun haben. Denn nicht alle Menschen möchten ihr Leben und ihren Alltag, ihre familiären und finanziellen Verhältnisse den Augen der Touristen preisgeben. Und wenn ich spüre, dass es der Fall ist, dann respektiere ich das.