Sri-Lanka, Mai 2018
Ich hänge schief im Plastikstuhl und mein Kopf versucht sich irgendwie auf der harten Lehne zu positionieren. Vor meinen Augen geht ein „auf und ab“, und die zweite Walsichtung, die soeben stattgefunden hatte, habe ich nur nebenbei zur Kenntnis genommen. Denn im Moment bin ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, damit, mich hier mitten auf dem Indischen Ozean, etwa zehn Seemeilen vom Land entfernt irgendwo zwischen Indien und Bangladesch weitestgehend zusammenzureißen und meinen schmerzenden Magen zu ignorieren, der beschlossen hatte, mir den Tag zu verderben. Doch als die Chinesin neben mir laut würgend ihre nächste Tüte füllt, ist es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung.
Selber Tag, am Morgen:
Es ist sechs Uhr und wir sitzen in der Morgendämmerung auf der Terrasse unseres Hotels. Links von uns der Dschungel, rechts von uns die Straße. Die aufgehende Sonne ergießt ihre Strahlen auf die Bäume und den langsam aufsteigenden Nebel. Auch Soliya ist schon wach und läuft breit strahlend unten an unserer Terrasse vorbei. „Wollt ihr Kaffee?“
Es ist also noch ein bisschen Zeit, also sagen wir ja. Nachdem wir um fünf wach geworden sind, können wir eine starke Tasse gut gebrauchen. Wale-Watching beginnt früh, und unser Fahrer ist da gnadenlos. Unsere Lunchpakete mit geschnittenem Obst, die wir gestern Abend in die Hand gedrückt bekamen, hatten wir bereits gefrühstückt. Als wir später im Auto sitzen und uns anschnallen, fragt mich Soliya: „Habt ihr eure Lunchpakete dabei?“ Wir sagen ihm, dass wir sie schon aufgegessen haben. „Nein, ich sagte doch, erst am Schiff.“ Er lächelt nachsichtig.
Am Bay werden wir einem Tuk Tuk Fahrer übergeben und so komme ich doch noch unerwartet zu der Möglichkeit, einmal kurz in einem Tuk tuk zu sitzen. Wie Schmidts Katze heizt das kleine Gefährt durch die Straßen, an anderen Tuk tuks, Fahrrädern, Fußgängern und Hunden vorbei. Innern ist das Vehikel mit kleinen Bildchen beklebt und die Gurte fehlen ganz, also halten wir uns an den Sitzen fest. Vor jeder Kreuzung hupt der Fahrer zweimal – Achtung, ich komme! Wir jagen einen engen, unbefestigten Weg entlang, der bei uns nicht mal als Fahrradweg getaugt hätte. Links und rechts des Weges haben Fischer ihren Fang ausgelegt, silbrig glänzende Fische liegen in der Sonne und verbreiten den bereits erwähnten Duft.
Das Wale Watching kostet um die vierzig Euro. Die Tickets fest in der Hand betreten wir das kleine Boot. Fast alle Passagiere sind schon da und es werden heißer Kaffee und Schwimmwesten verteilt. Wir und noch ein dänisches Pärchen sind die einzigen Weißen, ansonsten ist noch eine indische Familie da. Die restlichen Sitze sind gefüllt mit chinesischen Reisenden.
Ein leichter Hauch von Diesel vermischt sich mit dem allgegenwärtigen Geruch von Fisch, als wir den Motor starten und unser kleines Boot aus dem Hafen raus und an all den kleinen, bunt bemalten, hölzernen Fischerbooten vorbeifährt, die auf dem Wasser festgemacht sind und ein malerisches Bild ergeben. Einzelne Fischerboote kommen uns entgegen, manche der Fischer winken uns zu. Einige Passagiere stehen auf und beginnen, herumzulaufen. Ich sehe zu, wie sich links von uns die Küste entfernt, immer weiter, und sich das Wasser in hohen Wellen an den Felsen bricht. Ein Grünstreifen ist über dem Stück Land zu sehen: die üppige Vegetation der Insel mit Bäumen und gekrümmten Palmen und die Sonne bringt die Wasseroberfläche zum Schimmern. Ab und zu weht mir inmitten der frischen Meeresbrise ein wenig Dieselrauch um die Ohren, leicht, jedoch unvermeidlich.
Der Wellengang ist nicht ohne. Es ist Anfang der Monsunzeit und das Meer, obwohl nicht stürmisch, ist mächtig in Bewegung. Schon als wir den Hafen verlassen, merke ich: huh, das ist ja seltsam. Irgendwas ist anders, mein Inneres fühlt sich so komisch an. Doch noch bin ich fröhlich, laufe herum und freue mich auf das bevorstehende Ereignis.
Vielleicht hätte ich nicht die Toilette aufsuchen sollen. Vielleicht war das ein Fehler. Denn solange ich draußen meinen Blick fest auf den Horizont geheftet hatte, hätte ich noch Bäume ausreißen können. Was man von den anderen Passagieren nicht behaupten kann, denn einige wirken ziemlich blass um die Nase. Die ersten beginnen, ihre Kotztüten zu füllen. Futter für die Fische, denke ich mir. Noch kann ich über sie lachen und halte mein Gesicht fröhlich dem Wind entgegen.
Später dann nicht mehr.
Später sitze ich da und versuche, jede unnötige Bewegung zu vermeiden. Mein Magen hatte sich entschlossen, zu einem Fremdkörper zu werden und fühlt sich nunmehr genauso an. Ich versuche, mich zu entspannen und den schmerzenden Klumpen in meiner Bauchhöhle zu ignorieren. Der Wellengang ist wie eine Schaukel, die Wellen sind etwa drei- bis fünf Meter hoch und unsere kleine Nussschale hebt sich und senkt sich wieder ab. Ich lege meinen Kopf an den Sitz und versuche, zu schlafen, während Stefan hinter mir grinst. „Wenn ich frühstücke, du schläfst und alle kotzen, dann nennt man das Wale-Watching.“ Sagt er. Denn inzwischen hatte das Ganze Boot kollektiv begonnen, sich zu übergeben. Würggeräusche ersetzten die Walgesänge.
Die Besatzung indessen kennt bereits ihre Pappenheimer. So fällt mir auf, dass überall am Bord kleine Tüten zum Abreißen hängen. Sobald ein Passagier den Anschein eines Unwohlseins erweckt, ist sofort jemand da, der fragt, ob alles okay ist, Pfefferminzöl auf die Schläfen massiert und notfalls die vollen Tüten abnimmt. Ich ärgere mich, kein Antiemetikum mitgenommen zu haben.
Etwa zehn Seemeilen von der Küste entfernt hält das Boot an. Weitere Boote stehen im Kreis um etwas, das ich nicht sehen kann. Ich gehe nach vorne zu Stefan, der sich inzwischen vorne eingefunden hat und sich mit einem von der Besatzung unterhält. „Der Wal ist da drüben.“ Sagt er, als ich dazu komme und zeigt auf eine Stelle im Wasser.“ Wir warten ein wenig, denn er kann nur zwanzig Minuten unter Wasser bleiben, dann muss er zum Atmen an die Oberfläche kommen.“ Ich frage mich, was sich so ein Wal dabei denkt. Da kommen jeden Tag kleine Boote, die von ihrer Größe vielleicht ein viertel des Tieres ausmachen, und hängen da an der Wasseroberfläche herum. Ein Blauwal könnte locker beschließen, unter so einem Boot hervorzutauchen um es zum Kentern zu bringen. Doch die Tiere wissen anscheinend genau, wo sie auftauchen müssen. Und zwar in sicherer Entfernung von uns.
„Da, da!“ Erklingen Rufe. Unser Guide zeigt aufgeregt auf eine Stelle im Wasser, wo die Oberfläche nun ein wenig glatter aussieht. Langsam taucht der glänzende, graue Rücken des Tieres auf. Kameras klicken und ich versuche, bei dem Wellengang, der nicht minder stärker geworden ist, ein brauchbares Foto zu bekommen. Nur einen Augenblick dauert die Sichtung. Eine kleine Wasserfontäne ist zu sehen, dann nichts mehr. „He is down.“ Sagt der Skipper. „Wir warten noch, er kommt wieder.“
Insgesamt dreimal hatten wir den Wal gesehen. Beim dritten Mal saß ich im oben erwähnten Zustand bereits wieder im Innenraum des Bootes und kämpfte mit mir und meinem schmerzenden Magen. Kurz hob ich den Kopf, um zu beobachten, wie der Rücken des Blauwals ganz nahe an unserer Bordseite auftaucht, eine Fontäne aufspritzt und die berühmte Flosse beim Untertauchen zu sehen ist. Das war die beste Sichtung bisher, doch die Kamera zu heben war für mich nicht drin.
Circa dreieinhalb Stunden dauert die Tour. Später, als wir wieder an Land sind und ich wieder festen Boden unter der Füßen habe, fühle ich mich schlagartig besser. Und auch die Chinesen sind wieder taufrisch und fangen fröhlich zu plappern an. Ein starker, sehr kräftiger Fischgeruch zieht in der unbewegten Luft am Hafen entlang, doch selbst der kommt mir nach der Fahrt von eben wie eine unwesentliche Brise vor. „So, Stefan, jetzt geht es mir prima: wollen wir nun Wale Watching machen?“ Er lacht.
Soleya wartet an der Anlegestelle auf uns. „Und? War es schön?“