Marienthal, Namibia – Kalahari Anib Lodge
8 September 2017
Die Straßen des Landes führen geradeaus, einfach nur kerzengeradeaus. Links von uns sind Schienen zu sehen. „Es gibt hier diese Nostalgie-Züge, die von Südafrika nach Namibia fahren.“ Sagt Stefan.
Das helle Gras leuchtet regelrecht im Sonnenlicht. Immer wieder hängen runde, kunstvoll wirkende Vogelnester auf den Bäumen. Manche sind rund und klein, manche bedecken wie ein großer Teppich die Äste des Baumes und erinnern an Reetdächer an den ostfriesischen Inseln. Oder an ein Ufo, das gerade andockt.
Die einzelnen Felsplateaus in der Ferne der kargen Landschaft erinnern mich an Nevada, auch die Straßen, die sich unendlich weit bis hin zum Horizont ziehen.
Paviane lungern hinter Windhoek am Straßenrand herum, warten auf Essensreste. Kinder und Jugendliche lungern am Straßenrand herum, warten darauf, mitgenommen zu werden. Doch Stefan fährt weiter. Ich schaue ihn von der Seite an.
„Keine Kinder heute?“
„Nein.“ Sagt er. „Keine Kinder.“
Straßenschilder, die vor Wildtieren warnen, ziehen an uns vorbei. Vorsicht, Antilope. Vorsicht, Warzenschwein.
Vorsicht, Pavian, sollten sie auf die Schilder mal schreiben, denn die Tiere haben anscheinend jegliche Scheu vor den heranfahrenden Autos verloren.
Weitere Tiere tauchen auf. Manchmal springt eine erschrockene Antilope über die sonst leere Fahrbahn, manchmal laufen Springböcke am Straßenrand entlang. Eine Hyäne trottet eilig davon. Und immer wieder sehen wir am Straßenrand stehende Menschen, die darauf warten, mitgenommen zu werden. Männer, Frauen, eine große Schar Schulkinder. Irgendwo habe ich gelesen, dass es in Namibia üblich sei, sich auf diese Weise fortzubewegen. Doch die Touristen sind natürlich unsicher, möchten nicht überfallen und ausgeraubt im Straßengraben enden (was natürlich Unsinn ist – in Namibia gibt es, bedingt durch die meist trockene Witterung, kaum Straßengräben…). Also halten wir für niemanden. Wieder verspüre ich, wie sich mein schlechtes Gewissen meldet. Arrogante Westler.
Lange Zeit hängen wir uns an ein Auto mit südafrikanischem Kennzeichen dran. Der Wagen hat eine angenehme Geschwindigkeit und Überholfrequenz. Denn die Überholmanöver der ortsansässigen Fahrer ringen uns Respekt ab.
Zwei- oder dreimal kommen wir an einer Polizeikontrolle vorbei; die Männer suchen allen Anschein nach nach etwas oder jemanden, doch uns winken sie sofort wieder weiter. Worauf auch immer sie heute Abend Jagd machen – Touris sind es nicht.
Mariental erreichen wir im Dunkeln. Es war uns von vorne herein klar, dass wir es nicht rechtzeitig schaffen werden, nachdem der Flieger mit Verspätung gelandet war. Doch angekommen sind wir damit noch lange nicht, denn von Mariental bis hin zur Anib Lodge sind es immer noch 30 km. Das ist der Grund, weshalb ich sagte, dass Entfernungen hier keine Rolle spielen. Und Zeit. Auch diese spielt hier so gar keine Rolle.
Die Anib Lodge
Ein einsamer Pförtner sitzt im Häuschen neben dem Tor. Stefan hält den Wagen an. „Ob er uns das Tor aufmacht?“ Als sich der Pförtner dem Auto nähert, lächelt er breit.
„Hello! How are you?“
Wir fahren hinein, passieren flaches Land und hohe Termitenhügel. Bis zur Lodge sind es noch ein paar Minuten Fahrzeit. In der Dunkelheit huschen Tiere im Lichtkegel der Scheinwerfer an uns vorbei und ich meine, einen Kojoten oder Fuchs zu erkennen.
An der Rezeption füllen wir unseren Antrag aus. Es scheinen noch nicht viele Gäste da zu sein. Doch das soll sich bald ändern…
Ein junger Mitarbeiter (Lorenzo?) mit einer hohen, etwas femininem Stimme führt uns zu unserer Lodge, vorbei an der offenen Bar, dem Lagerfeuer, dem blau schwimmenden Swimming Pool und den zahmen, weidenden Tieren, von denen wir zunächst vermuten, dass es sich um eine Art Rehe handelt. Sie laufen nicht weg, flüchten nicht, als wir stehen bleiben und sie bestaunen. Als wir an einem großen Vogelnest vorbei kommen, das sich wie ein Teppich über die Äste des Baumes legt, dringt aufgeregtes Gezwitscher an unsere Ohren.
Dann sind wir da.
Nun sitzen wir hier, gemeinsam am prasselnden Lagerfeuer, dessen Flammen langsam wieder aufsteigen, nachdem wir ein paar Holzscheite dazu gelegt haben. Außer uns ist noch ein anderes Pärchen da, das sich jedoch schnell wieder verabschiedet. Ich rieche den Rauch des Holzes, schaue in die Flammen, schaue in die Nacht, schaue zu der Bar, die sich erleuchtet vor uns erstreckt. Und bin doch nicht wirklich da. Eine Afrika-Romantik für Luxus-Reisende.
„Jetzt sind wir endlich hier.“ Stefans Stimme unterbricht meine Gedanken.
Bin ich das? Hier, meine ich?
Mein Körper ist da, ich spüre die Wärme der Flammen, rieche das Holz und höre die Geräusche der Nacht um mich herum. Doch mein Kopf kommt irgendwie nicht nach, mein Kopf ist immer noch in Doha, an der feuchtwarmen Küste des Persischen Golf. Mein Kopf ist auf dem geschäftigen Souk Waqif stehen geblieben, schaut den stolzen katarischen Männern zu und ihren Frauen mit den geheimnisvollen, großen Augen.
Man sagte früher: Die Seele reist mit der Geschwindigkeit eines Kamels. Und da ist etwas Wahres dran, denn erst so kann der Geist all die Veränderungen, die um ihn herum passieren, aufnehmen, verarbeiten, verstauen und sich neuen widmen.
Und mein Kamel trottet noch irgendwo auf der Arabischen Halbinsel hinterher.
Start: Hosea Kutako International Airport
Ziel: Kalahari Anib Lodge
(S 24°25’47.464″E 18°06’3.731″)
Distanz: 321,3 km
Reisezeit: 3:10 Stunden
[…] Es ist noch nicht so wie zur Beginn, als noch vor Jahren mein Kopf kaum den Spagat zwischen der arabischen Halbinsel und Namibia schaffte. Zwischen zwei Kleideranproben nehme ich mir den einen Augenblick. Die Dunkelheit des […]