Mai 2017
Ich höre das Gemecker und mache noch einen Schritt zurück in Richtung Wasser. Würde ich gar ganz ins Wasser gehen, wenn es sein müsste? – überlege ich und komme mir dabei übertrieben panisch vor. Ja, es sind Ziegen und ja, sie sind harmlos, und doch muss ich an die Geschichte denken, wie mein Onkel in seiner Jugend von einem wütendem Ziegenbock quer durch den Hof gejagt worden war…
Mai 2017
Draußen sind es 28 Grad. Unerwartet warme Frühsommertage für Ende Mai, denke ich mir, während ich in dem wohltemperierten Auto die engen Kurven der Vulkaneifel hinunterjage. Ab und zu dringt durch das spaltweit geöffnete Autofenster das ferne Geräusch eines quietschenden Reifens zu mir herein, was mir tatsächlich ein aufrichtiges Erstaunen entlockt. War ich das etwa? Und obgleich ich zu Anfang über die ortsansässigen Fahrer, die einfach durch die Berge heizen, mit Unverständnis reagierte, schleicht sich mit zunehmender Sicherheit auf solchen Strecken auch bei mir immer mehr Können ein.
Jetzt links abbiegen. Der Straße folgen.
Brav mache ich, was sie möchte. Sie, das ist die ewig nörgelnde Gefährtin, die mich auf langen, einsamen Autofahrten begleitet. Ich könnte sie auch Siri nennen, oder Alexa, und unser Verhältnis zueinander ist höchst zwiespältiger Natur. Manchmal ist sie unzufrieden mit dem, was ich tue und versucht, mich um jeden Preis zu korrigieren. Manchmal schickt sie mich unnötig durch die Pampa. Und manchmal… ja, manchmal, da möchte sie mitten auf der Autobahn von mir…: Jetzt bitte wenden!
Doch in den meisten Fällen weiß sie, wo es langgeht und ebenfalls in den meisten Fällen bin ich froh, sie zu haben. Gerade führt sie mich nach Schalkenmehren, zu dem Ort, der laut der Routenbeschreibung von Google der beste Startpunkt für eine Maaren-Wanderung sein soll.
Augen der Eifel werden sie genannt, geheimnisvoll und verhext sollen sie sein, die kullerrunden und einzigartigen Überbleibsel der vulkanischen Aktivität des Eifelgebirges. So wie die Landschaft, die ich jetzt passiere – auch diese ist weitestgehend etwas Besonderes. Die kleineren und größeren Hügel haben die ganz spezielle, runde Form; wie kleine – entschuldigt jetzt diesen Vergleich – aufragende Furunkel sehen sie teilweise aus, man kann regelrecht erkennen, das etwas sie seinerzeit tief aus dem Erdreich emporgehoben hatte.
Und die Maare, die grün-schwarzen Seen, in denen sich Hexen und Wassernymphen tummeln sollen – die will ich heute sehen – nach Möglichkeit will ich sie von oben sehen, wo ihre kreisrunde Form erst richtig zur Geltung kommt.
Die Maare bei Daun – das Schalkenmehrener, Gemündener und Weinfelder Maar – sind die wohl bekanntesten des Eifelgebirges, was sicherlich an ihrer extrem runden Form und ihrer Nähe zueinander liegen mag. Kein Postkartenstand, an dem sie nicht wie drei dunkelblaue Augen dem Besucher wiederum in seine Augen springen. Ja, die drei Maare bei Daun sind ein Muss.
Also düst Kasia nach Schalkenmehren. Doch schon vorher bremse ich ab und rolle gemütlich auf einen Parkplatz, der an der L64 gelegen ist. Denn weiter zu fahren brauche ich nicht, der Parkplatz liegt genau zwischen dem Weinfelder-Maar und dem Schalkenmehrener-Maar, etwas oberhalb der beiden Seen, so, dass man von oben einen guten Blick auf die Wasseraugen hat.
Ich schalte den Motor ab; das Rauschen dröhnt noch einigen Minuten in meinem Kopf nach. Nach einem ganzen Tag mit Hintergrundrauschen weiß man die Stille plötzlich umso mehr zu schätzen. Als ich mich dem Weinfelder-Maar nähere, steigt mir der intensive Duft gelber Blumen in die Nase. Ich stehe da und schaue auf das dunkle, grünliche Wasser hinunter. Es ist warm – die Hitze hat etwas Stickiges, stilles, ganz so, als wenn sich etwas in der Luft zusammen brauen würde. Das dunkle Erscheinungsbild der Wasserfläche liegt am Vulkansand, der sich am Grund der Maare abgesetzt hatte. Schaut man von oben aufs Wasser, ist die dunkle Färbung insbesondere in Ufernähe deutlich zu erkennen.
Das Maar ist mit einem Drehkreuz abgesperrt, was mich zunächst einmal abschreckt. Doch schnell erkenne ich, dass das Drehkreuz unverschlossen und in beide Richtungen begehbar ist. So mache ich mich auf, das Maar zu umrunden.
Gruppen an Schulkindern kommen mir entgegen, begleitet von streng-verständnisvoll wirkenden Lehrerinnen. Es ist Nachmittag an einem Dienstagmorgen, so sind ansonsten trotz des fabelhaft warmen Wetters nur ganz wenige Besucher da. Ich setze mich auf eine Bank, die praktischerweise gleich neben meinem Hintern steht, und warte, bis der bunte und laute Ansturm vorüber geht. Und mit den Kindern kommt mir noch etwas entgegen – eine kleine Herde fröhlich meckernder Ziegen, die, hier und da stehenbleibend, sich auf die Hinterläufe stellen, um junge Bäume abzuknabbern.
So warte ich abseits, bis beides vorüber gelaufen ist – die Ziegen und die Kinder. Dann setze ich meinen Weg fort.
Der enge Pfad führt unter dichten, tief hängenden Baumästen hindurch. Zwischen den Gebüschen am Ufer schimmert verheißungsvoll das Wasser. Es ist kühler geworden und von irgendwoher ziehen Wolken auf. Ein leichter Wind streicht über die Wasseroberfläche. Ich habe irgendwo gelesen, dass einige der Maare in Ufernähe leicht sprudeln, was auf die noch vorhandene vulkanische Aktivität hinweist, also steige ich die Böschung herab und gehe ganz nah ans Wasser heran. Doch an der gekräuselten Oberfläche kann ich nichts erkennen und so lasse ich meinen Blick einfach über die Landschaft schweifen. Zwei Libellen lassen sich auf meinem Handrücken nieder, um sich – ungeachtet der Lebensgefahr – zu paaren.
Als ich nach oben klettere und meinen Pfad wieder aufnehmen will, stelle ich nach ein paar Schritten fest, dass das, was da an Gehörntem vorhin an mir vorbei kam, bei weitem noch nicht alle gewesen sind – vor mir tauchen gerade die Nachzügler auf und trippeln mir fröhlich meckernd entgegen. Mitten auf dem engem Pfad. Und da mich die Aussicht auf Gruppenkuscheln mit Ziegen so gar nicht begeistert, klettere ich wieder meine Böschung hinunter, warte und komme mir dabei total feige vor. Doch da geistert noch die Geschichte von meinem Onkel in meinem Kopf herum…
Während ich ganz leise dastehe, höre ich die Tiere näher kommen. Ganz langsam und gemütlich, es gibt ja schließlich noch genügend Sträucher abzuknabbern. Und als sie schließlich da sind, beachten sie mich in keinster Weise; irgendwie bin ich erleichtert und enttäuscht zugleich. Zuerst sehe ich ein paar gehörnte Jungtiere. Eines von ihnen bleibt kurz stehen, blickt mich an – und gibt einen lauten Furz von sich. Okay, du Ziege; das war deutlich.
Danach trottet ein alter, ehrwürdiger Ziegenbock vorbei, dessen langes Ziegenbärtchen im Takt seiner Schritte mit schaukelt.
Ein paar kleine Zicklein rufen bei mir den ach-wie-süß-Gedanken hervor, während sie unbeholfen versuchen, mit den Großen Schritt zu halten.
Es ist faszinierend zu beobachten, wie die Tiere sich gegenseitig rufen – und wie sie einander antworten. Von der Ferne hören ich ein dumpfes „Meeeh“, das in etwa so klingt wie „komm heeer“, und die Ziecklein rufen: „Nööö… nööö…“, beschleunigen jedoch ihre kleinen Trippelschritte.
Als das letzte Tier der Herde vorbeigezogen ist, klettere ich wieder aus meinen Büschen hervor und schaue mich verstohlen um. Doch weit und breit ist kein Mensch zu sehen, der mich aus den Sträuchern kommen sieht. So setze ich meinen Weg fort. Jetzt ist mir auch der Sinn und Zweck des Drehkreuzes klar – das ganze Gelände ums Weinfelder-Maar herum ist mit Elektrozaun umrandet.
Meine Erleichterung ist indessen nur von kurzer Dauer, denn das Nächste, was ich sehe, ist eine Herde Esel – wiederum mitten auf dem Weg platziert.
Mit Eseln habe ich auf Bonaire bereits einschlägige Erfahrungen gemacht, somit ist meine Freude riesig. Ich kürze das hier mal ein bisschen ab: Nach einer langen Phase des Überlegens und Zauderns, währenddessen ich so tue, als fotografiere ich die Landschaft (inzwischen sind in einiger Entfernung von mir weitere Menschen aufgetaucht), schleiche ich mich irgendwann leise an den I-HAs vorbei und denke die ganze Zeit darüber nach, ob die wohl Fleisch fressen würden…meines zum Beispiel. Ach, die fressen bestimmt alles, wenn sich die Möglichkeit ergibt…! Und wie zur Bestätigung folgt mir eines der Tiere mit plötzlich aufflammenden Interesse, als ich beinahe schon an der Herde vorbei bin und mich fast schon in Sicherheit wiege. Schnell lasse ich das Fotografieren bleiben und sehe zu, dass ich Land gewinne, ein bisschen verärgert darüber, dass nun ein dummer Esel den Sieg davongetragen hatte.
Wandernd erreiche ich den Dronketurm, benannt nach Dr. Adolf Dronke, dem Gründer und Vorsitzenden des Eifelvereins, der eine wunderbare Rundum-Aussicht auf die Eifel-Landschaft und das Totenmaar von oben bietet. Der Aufstieg hat sich gelohnt, oben in luftiger Höhe werden die visuellen Früchte der Mühen geerntet. Und wie nach jeder Anstrengung ist die Belohnung umso süßer, der Blick umso schöner. Nun bin ich angekommen; jeglicher Aktionismus fällt von mir ab, wie immer Hand in Hand mit dem Gefühl, ein Ziel erreicht zu haben.
Tiefenentspannt steige ich den Mäuseberg wieder herunter.
Der Dronketurm liegt zwischen dem Weinfelder und dem Gemündener-Maar und ist mit dem Auto nicht zu erreichen; am besten ist es, den Wagen am Parkplatz unten abzustellen und der Beschilderung der Wanderrouten zu folgen. Keine Angst – der Aufstieg ist nicht hoch und für wirklich jeden geeignet und der Blick auf die umliegende Landschaft lohnt sich auf alle Fälle.
[…] hätte da zwei liebestolle Libellen, bespannert und aufgenommen vor dreieinhalb Jahren am Totenmaar in der Vulkaneifel. Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass es ihnen schnurzegal war, wo sie bei ihrem […]