Bonaire, September 2016
Heute ziehen wir einfach los ins Blaue, um die Insel zu erkunden. Da sowohl die Verwaltung von Coco Palms Garden wie auch die Banken in der Stadt geschlossen haben und es somit momentan nichts zu erledigen gibt, fahren wir weiter die Umgehungsstraße entlang. Wir wollen den Weg noch einmal am Tag fahren, den wir gestern Nacht entlang sind – bis hin zu den Sternen 🙂
Wir verlaßen die Ortschaften und lassen irgendwann auch die letzten Häuser hinter uns. Die Landschaft, die wir jetzt durchqueren, ist trocken und malerisch zugleich. Sie verändert sich auch stets, so dass immer neue Eindrücke entstehen. Viel dorniges Gebüsch und Kakteen – diese sind riesig, sie ragen ganz hoch aus der restlichen Vegetation empor und bilden richtige Wälder. Wirr verdrehte, von der Meeresluft gebleichte Äste liegen herum und der Boden ist staubtrocken und bildet eine Kruste voller Sprünge und Rillen.
Gesteinsbrocken liegen verstreut in der Landschaft herum und man wähnt sich in einer Steinwüste. Doch dieser Eindruck täuscht, denn schon im nächsten Moment tauchen rechts von uns weitläufige, flache Gewässer und Mangrovenwälder auf – und zwischen den Mangrovenbäumen mit ihren bogenförmigen Wurzeln sind rosarote Flamingos zu sehen. Unglaublich! Wir kommen näher. Die Tiere scheinen sich nicht im Geringsten an uns zu stören, sie zucken nicht einmal. Es sieht so aus, als seien sie bereits an Besucher gewöhnt. Dies ist das erste Mal, dass ich Flamingos in freier Wildbahn und dazu noch aus solcher Nähe bewundern kann – ich bin hin und weg. Ein paar obligatorische Bilder (wir sind ja Touristen, ne? 😉 ) und dann fahren wir weiter; bis ich wieder einmal rufe: Stooopp!
Links von uns taucht zwischen trockenem Geäst und ausgedörrten Zweigen ein See auf. Die Besonderheit: der See ist von einem silbrig-rosa Farbton und hebt sich komplett ab von der ansonsten staubig grauen Landschaft.
Am Ufer des rosa Sees steht einsam ein Esel. Hat man denn irgendwann einmal so etwas irres gesehen? Ich springe aus dem Pick-up und renne in diese Richtung. Ich will den See, den Esel… jetzt! Ich will ein Bild davon – nein, tausend!
Schon beim Aussteigen bemerke ich, dass sich unserem Auto ein ungebetener Gast nähert – ein weiterer Esel (hey, laufen die hier in Gangs rum?), schwarz und neugierig, der anscheinend wissen will, was wir hier so treiben… Und während ich meine Bilder mache, kommt das Vieh immer näher.
Nun habe ich nicht direkt Angst vor Eseln, doch diese hier sind Wildtiere – und entsprechend unberechenbar. Sie sind zwar alle markiert und so weiter, das ist auch schön und gut, aber… So ganz aus der Nähe Hallo sagen will ich ihm nun auch nicht.
Doch nun war es zu spät, das Tier hatte das Auto erreicht und begab sich zur Beifahrerseite, so dass ich nicht mehr einsteigen konnte. Man stelle sich vor – der wilde Esel kommt auf mich zu – und ich flüchte einmal um das ganze Auto herum bis hin zur Fahrerseite. Stefan, der im Auto geblieben war, lacht sich halb tot. Und ich bete nur, es möge kein zweiter Esel auftauchen, zum Beispiel der, welchen ich am Seeufer soeben fotografiert habe und sie mich dann von beiden Seiten einkreisen (und auffressen).
Was mich nicht davon abbringt, während ich einerseits versuche, mein Leben zu retten, noch das eine oder andere Foto vom rosa See zu schießen.
Stefan lässt die Scheibe herunter und ruft mir zu: „Ich fahre ein Stück vor!“
„Was?“ Rufe ich panisch zurück. „Dann habe ich den Esel ja vor mir!“
„Dann lauf mit!“ Stefan fährt an, lässt das Auto ein paar Meter rollen und bleibt wieder stehen. Doch der Esel gibt sich die Hufe und steht gleich darauf wieder auf der Beifahrerseite des Pick-up.
„Du musst schneller einsteigen!“
Er hat leicht reden. „Ja wie denn!?“
Vom Esel gefressen. Überreste einer deutschen Urlauberin im Mangrovenwald gefunden. Der Fluch der Karibik beginnt – genau hier.
Stefan fährt wieder an. Diesmal legt er ein größeres Stück zurück und ich laufe schnellen Schrittes neben dem Auto her. Der Esel steht etwas bedröppelt da und schaut uns nach. Schnell renne ich ums Auto herum und springe in den Pick-up.
Wir fahren los. Mutig geworden winke ich dem Esel nach.
Er winkt nicht zurück. Nicht einmal mit den Ohren wackelt er.