Wiesbaden, Februar 2017
Die Autos rollen los – und auf mich zu.
Sofort als ich einbiege, sehe ich schlagartig, was ich da tue – auf einer größeren Kreuzung nahe der Wiesbadener Innenstadt habe ich gedankenverloren die falsche Lücke erwischt und fahre gerade schön mit Anlauf mitten in den Gegenverkehr hinein. Und der hat soeben grün.
Bist du verrückt geworden? WAS MACHST DU DENN DA??! – Schreit die wohl strengste Beifahrerin der Welt – mein eigener Kopf – mich an. Ich sehe gerade noch den entsetzten Blick des Kleinbusfahrers mir gegenüber. Er hat beschlossen, langsam zu machen – doch noch hupt keiner… ich stelle auf „Warnblinker“ (Achtung, Idiot auf der Straße…?), vollführe ein gewagtes Wendemanöver fast nach US-Manier und ziehe beschämt, mit Schweißtropfen auf der Stirn, von dannen.
Beinahe. Denn an der nächsten roten Ampel muss ich halten – und die Zeugen meiner Aktion alle gleich hinter mir.
Bitte rechts abbiegen. Die nächste rechts… – Flötet die weibliche Stimme in meinem Navi ungerührt weiter. Ich fahre geradeaus. Dann nach links. Ich bin nicht mal ansatzweise imstande, auf die Stimme des Bordcomputers zu hören; nur weiter, immer weiter, irgendwie. Nur langsam beruhigt sich meine Atmung. Was war denn das? Kasia, wie um alles in der Welt bist du denn da hinein geraten?
Nach einer größeren Runde um den Block, nach der ich wieder wie durch ein Wunder am Ausgangspunkt lande, halte ich an der ersten sich bietenden Parkmöglichkeit – dem Kundenparkplatz einer Bank. Obgleich ich weiß, dass ich weiter muss (ich bin sozusagen „auf Arbeit“ und die Objekte, die ich betreue, besuchen sich nicht von alleine…), so ist es mir momentan nicht möglich, wieder den Motor zu starten. Würde ich rauchen, so wäre jetzt sicherlich die Gelegenheit dafür.
So aber steige ich aus und laufe, schon wieder etwas ruhiger, zur Planke, die den Parkplatz abgrenzt. Die Straße und die Bank sind etwas höher gelegen und ich überblicke vor mir ein bebautes Gelände mit einer kleinen Bahnstation und Zuggleisen im Hintergrund. Die Gebäude vornedran scheinen zu einem Jugendtreff zu gehören und, wow…
Ich laufe wieder zum Auto und schnappe mir meine Kamera.
Vielleicht war die Zirkusnummer eben da auf der Straße dazu gut, um genau das hier zu finden?
„Parken nur für Kunden der Bank und nur für die Dauer des Bankbesuches erlaubt. Widerrechtlich parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt.“ Nebendran das unmissverständliche Bild eines Abschleppfahrzeuges mit (m)einem PKW im Schlepptau. Der Parkplatz ist bis auf vier Autos leer.
Ich hoffe nur, dass sie mit dem Abschleppen nicht so schnell bei sind…
Ich schaue mich nochmal kurz um und laufe, die Kamera in der Hand, an der Absperrung vorbei eine kleine Treppe hinunter in Richtung der erspähten Gebäude los.
(Es handelt sich hier um das ehemalige Schlachthof südlich vom Hbf., welches, heute immer noch „Wiesbadener Schlachthof“ genannt, sich zu einem Kulturtreff der Stadt entwickelt hat)
Beim Fotografieren tauche ich tiefer und tiefer ein, immer neue Bilder schieben sich vor meinen Augen nach vorne und überdecken die vorhergehenden. Ich vergesse mein Auto, vergesse mich fast selbst sowie den kalten Wind, der unter bleigrau und schwer bewölktem Himmel an meinen Haaren und meiner Kleidung zerrt. Das Gelände ist weitläufiger als ich zu Anfang gedacht habe und immer mehr entferne ich mich von meinem Parkplatz.
Nach einer halben Stunde jedoch wird der Gedanke an meinen Wagen und das nette Abschleppschild immer dringlicher und ich gehe in großem Bogen wieder zurück Richtung Bank; vor meinem geistigen Auge tanzt so ein gelber Abschleppwagen herum, der den schönen Ford gerade auf seinen unersättlichen Rücken bugsiert. Selbst meine Handtasche und mein Handy ist drin und mir wird bewusst: Im Falle eines Falles hätte ich ein echtes Problem.
Nein, die Geschichte nimmt kein dramatisches Ende und als ich vierzig Minuten später am voller werdenden Parkplatz ankomme, ist mein Auto immer noch da. Und ich mache mich, mit neuen Bildern im Kasten und um eine Erfahrung reicher, auf die ich hätte gerne verzichten können, wieder auf, denn die Pflicht ruft… oder so ähnlich.
Die Deportation
Manche Bilder machen einfach…
…sprachlos.