Europa, Italien

Begegnungen

Florenz, Juli 2012

Der schöne Mann

Ich weiß nicht mehr, wo wir wieder einmal in Florenz unterwegs waren – waren wir essen? Die Stadt ansehen? Shoppen? Sicher weiß ich nur eines – dass es uns auf dem Weg zurück ins Hotel mitten während der Unterhaltung buchstäblich die Sprache verschlagen hatte.

Denn da saß er.

Nina stotterte plötzlich mitten im Satz. Ich fiel beinahe über meine Schuhe. Da saß gerade der schönste Mann, den unsere Augen je erblickten (bis wir unsere jetzigen Partner erblickt hatten, versteht sich 🙂 ). Sitzt einfach so da, in einer der stylisch-rustikalen Bars, und liest ein Buch. Einfach so. Als wenn nicht gerade der Himmel aufgebrochen wäre, als wenn er nicht, wie wir, den lauten Knall des Donners gehört hätte, der uns soeben getroffen hat.

Nina und ich bleiben stehen.

Ich muss dazu sagen, dass die Toskana insgesamt die schönsten Männer beherbergt; die schicken Polizisten, von denen man sich wünscht, verhaftet zu werden, hätten an sich schon ein Kapitel verdient – insofern waren wir hier schon mal abgehärtet.

Doch damit hatten wir nicht gerechnet; mit diesem flüchtigen Blick, mit diesem flüchtigen Eindruck und damit, was er mit uns macht. Alles an ihm war perfekt, die großen, braunen Augen, die uns den Bruchteil einer Sekunde melancholisch ansahen, die stilvolle Kleidung, das grau melierte Haar…

„Hast du ihn gesehen?“

Wir standen unentschlossen da.

„Komm, Kasia, wir müssen weiter.“

Ich gehe zwei Schritte weiter, bleibe wieder stehen. „Ich will ein Foto von ihm machen.“ Nina lacht, schaut mich ungläubig an. „Na, er hat bestimmt schon gesehen, dass ich mich eben fast hingelegt hätte, jetzt ist es eh egal. Ich frage ihn nach einem Foto.“

Ich pirsche los. Du bist ja verrückt, höre ich Nina noch sagen. Der Mann sieht verwundert auf, schmunzelt ob meiner Frage, posiert dann jedoch brav für das Bild, das ich von ihm mache. Ich hatte ihn noch nicht mal nach seinem Namen gefragt; nervös laufe ich schnellen Schrittes zurück zu Nina, die ein Stück weiter auf mich wartet. Als wir uns entfernen, kichern wir wie blöde.

Später im Hotel studieren wir sein Foto eingehend und stellen fest, dass es ihm nicht ansatzweise gerecht wird.

Jetzt, Jahre später, wenn ich es betrachte, frage ich mich: Wo zum Teufel ist der Blitz, der uns traf? Wo auf dem Bild sind bitte die Engelein, die damals gesungen hatten, die himmlischen Chöre? Wo sind die rosaroten Wolken, all die Herzchen, die um uns herum schwebten? Nichts davon sehe ich auf diesem Bild.

Da sitzt einfach nur ein Mann.

 

Jonny & Ale*

Keine Ahnung, wo wir sie aufgetrieben haben. Oder sie uns? Ich glaube, es war im Hardrock-Café, als Nina und ich mal ausgegangen sind. Wie auch immer, plötzlich sind wir mit den beiden unterwegs und sie zeigen uns die Nacht von Florenz.

Lag es an der Hitze? An dem Rauschen des Wassers? Den leisen Schritten anderer Fußgänger, die über das Steinpflaster flanierten? Vermutlich lag es wieder einmal an Nina; an ihrer Ausstrahlung, die Menschen jeglicher Nationalzugehörigkeit, Geschlechts und Kultur für sich einzunehmen vermag. Wir wandeln zu viert durch das nächtliche Florenz.

An der Ponte Vecchio bleiben wir stehen und schauen ins Wasser. Es ist so lange her, dass ich nicht einmal mehr weiß, was die beiden hier machen – studieren sie in der Stadt? Wir erfahren, wie unerschwinglich teuer die Mieten hier sind, in diesen schicken, alten Häusern nahe des Touristenviertels auf beiden Seiten entlang des Arno. Wir besuchen ein Eiscafé, von dem es heißt, es hätte das beste Eis in ganz Florenz. Und wir landen in einem Pub, abseits der von Touristen frequentierten Lokale, wo nur Einheimische sich verirren (ja, Florenz konnte nämlich auch hip sein!). Wir sitzen in dem kleinen Raum und trinken und die beiden scheinen hier jeden zu kennen. Doch, so viel Spaß wir auch haben, stets ist da ein unterschwelliges Bauchgefühl, welches uns sagt, dass Jonny und Ale weit mehr mit uns „unternehmen“ wollen als uns einfach nur die Stadt zu zeigen (manch einer würde dies Bauchgefühl auch den gesunden Menschenverstand nennen…). Und stets bleiben wir wachsam, kennen wir die beiden glatt erst einen Abend und sind darauf bedacht, heute Nacht unversehrt in unseren eigenen Hotelzimmer einzuschlafen.

Jonny fährt Motorrad. Das lässt ihn, so schüchtern er auch aussehen mag, etwas cooler wirken und ich bin hellauf begeistert, auch wenn es sich nur um einen Chopper handelt. Doch insgesamt machten beide einen sehr jungen Eindruck und auf eine Nachfrage hin stellte sich heraus, dass sie erst Mitte zwanzig sind.
Ich könnte eure Urgroßmutter sein; denke ich und nippe an meinem Drink.

Die Neonlichter des Pub wirken kitschig, trotzdem scheint das Lokal ein beliebter Szenetreff zu sein. Niemals hätten wir das hier alleine entdeckt.

Die beiden bringen uns zum Hotel und wir verabreden uns für den nächsten Tag, inclusive einer geplanten Motorradtour. Doch dieses unterschwellige Bauchgefühl bleibt. Als wir uns am nächsten Tag ausgehfertig machen, versichern wir uns noch gegenseitig der Gedanken der jeweils anderen. Willst du? Ja, klar, warum; willst du denn? Klar, warum nicht…?

„Du weißt schon, worauf das höchstwahrscheinlich hinausläuft?“ Sage ich schließlich. Eine freundschaftliche Begegnung mit Einheimischen würde dieses Treffen mit den beiden wohl nicht werden. Und das ahnend, schleichen wir zwei Mädels nun umeinander herum und versuchen, herauszufinden, was die andere jeweils denkt.

Nina ist sehr erleichtert. Sie will auch nicht so richtig hin, hegt die gleichen Befürchtungen wie ich. Wir entscheiden uns dafür, die Sache abzublasen und diesen Tag ohne die Jungs zu verbringen.

Und wir sind glücklich ob dieser Entscheidung.

* Beide Jungs hatten schöne, italienische Namen – an die ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann… Ich hätte sie hier auch „Giuseppe und Frederico“ o. ä. nennen können… 🙂 

 

Peppe, der Museumswächter

Bekanntschaften zu schließen ist in Florenz kein Problem. Insbesondere dann nicht, wenn man das Glück hat, als zwei junge, quasi alleinstehende Frauen durch die Gegend zu laufen. Es möchte uns jeder einmal mehr die Stadt zeigen. An sich ist das gar nicht so verkehrt.

Und so erfahren wir auch beim Besichtigen der Räume und Gemälde in Palazzo Pitti eine ungewöhnliche Hilfsbereitschaft. Palazzo Pitti, ein Renaissance Schloss aus dem Jahre 1458, ist umgeben von einer großen Gartenanlage. Sowohl diese wie auch die Innenräume können besucht werden. Und da wir am Vortag schon den königlichen Garten mit seinem kleinen See und dem Wasserspeier sahen, war heute das kunst- und geschichtsträchtige Innenleben des Schlosses dran.

Es gibt unglaublich viel zu sehen. Zusammen mit anderen Besuchern wandern wir von Gemach zu Gemach, von Zimmer zu Zimmer. In jedem Raum stehen Wärter, die strengstens darauf achten, dass man nichts verbotenes tut. Trotzdem gelingt es mir, hier und da mal ein Bild von den Gemälden zu schießen. Auch andere Besucher fotografieren heimlich. Und man hat so das Gefühl, die Wärter drückten beide Augen zu.

Nichtsdestotrotz wollen Nina und ich Bilder von uns beiden haben. Im Schloss. Im Hintergrund die Gemälde. Und so schleichen wir durch die Räume und beraten uns halblaut darüber, wie wir das am besten bewerkstelligen sollen.

„Ihr wollt Bilder von euch machen?“ Wir hören die Frage auf deutsch direkt hinter unseren Rücken. Wir fahren herum und sehen einen älteren, kleinen Mann Mitte fünfzig mit großen, hervortretenden Augen und grauem, abstehenden Haar. So ein Mist! Wir schauen uns beide an, bereit, sofort alles zu leugnen. Bilder machen? Wir? Von uns? Über so etwas Böses haben wir nie gesprochen, komm, hör mir auf!

„Kommt mal mit!“ Sagt der kleine Italiener. „Stellt euch da in die Ecke, da könnt ihr fotografieren, ich passe auf, dass keiner kommt.“

Bitte was?

Hatten wir das gerade richtig verstanden? Hat uns der Museumswärter soeben einen Freifahrschein gegeben?

Kurz überlegen wir, ob das hier nur ein Test sein soll. Ach was solls … Wir nutzen die Gelegenheit und knipsen. Schnell, verstohlen. Dann, nach der gelungenen Foto-Aktion gibt der Wärter uns die Hand. „Hi, ich bin Beppe!“

Giuseppe, auch Peppe genannt, kennt Gott und die Welt in Florenz. Saisonal arbeitet er in einem Museum in Frankfurt, so hat er sich die, zugegebenermaßen ziemlich guten, Deutschkenntnisse angeeignet. Er nimmt uns unter seine Fittiche und führt uns im Palazzo Pitti herum; erklärt uns die Bilder. So bekommen wir eine Privatführung durch die Gemächer. Beim Abschied fragt er uns: „Ihr interessiert euch für Kunst, ja? Ich kann euch morgen, wenn ihr Lust habt, in die Uffizien bringen; es ist normalerweise ziemlich schwer, da hinein zu kommen.“ Und wie wir Lust haben! Sind die berühmten Uffizien, die Verwaltungsräume der Medici, voller weltberühmter Gemälde italienischer Renaissance-Größen wie Botticelli usw. und beherbergen unter anderem Spring (Frühling), die Geburt der Venus und die Mona Lisa. So nicken wir eifrig und verabreden uns für den nächsten Tag vor den Uffizien.

Am Morgen danach vertreiben wir uns die Zeit damit, durch den Markt von Florenz zu schlendern. Der Markt ist im Zentrum von Florenz, nahe der San Lorenzo Kirche; er findet jeden Tag statt. Taschen, Kleidung, Lederwaren; alles kann man da erstehen. Wir holen uns Street Food (damals einfach nur Hot Dog genannt) und eine Cola und begeben uns langsam kauend im Schritttempo in die angegebene Richtung.

Peppe empfängt uns schon ungeduldig. Er hat alle Hände voll zu tun und hat sich soeben ein paar Minuten freigeschaufelt. Die Schlange vor den Uffizien ist riesig; bis zu 7000 Besucher täglich schieben sich hier an den Wärtern vorbei. Er führt uns an den kilometerweit anstehenden Touristen vorbei und so langsam bekomme ich eine Vorstellung davon, was für ein Glück wir gerade haben. Die Menschen blicken neiderfüllt zu uns herüber, während Peppe ein paar Absperrungen öffnet und uns hindurch delegiert. Verlegenheit, aber auch ein angenehmes VIP-Gefühl macht sich breit.

Innen lässt er uns Freikarten geben und verschwindet wieder zu seinen Pflichten; wir haben ca. zwei Stunden Zeit, um uns alles anzuschauen. Nina und ich sehen uns an. Es ist alles so unglaublich, dass wir uns selbst wie im Märchen fühlen. Die Karten in der Hand, beginnen wir, unsere Runden zu drehen. Na dann mal los!

Das Museum ist sehr groß. Und sehr voll. Angesichts der Fülle an Skulpturen und Gemälden ist ein Rundgang innerhalb der zwei Stunden ein fast unmögliches Unternehmen. Doch wir geben unser Bestes. Wir gehen von Raum zu Raum; wieder einmal ist Fotografieren streng verboten. Vor Berühmtheiten wie der Mona Lisa ist das Gedränge sehr dicht und vor der Geburt der Venus stehen so viele Menschen, dass wir, obwohl es höher hängt, nicht wirklich viel mehr als die Hinterköpfe anderer Menschen erkennen können.
Es ist Hauptsaison.

Wir sind nachhaltig beeindruckt, als wir nach unserer Tour am frühen Abend unten auf Peppe treffen. Oft hatten wir uns gefragt, warum er das alles macht, doch so langsam bekommen wir das Gefühl, das er einfach Gesellschaft sucht. Er fängt hier in Florenz junge Touristen (-innen) ab und führt sie in der Stadt herum. „Ich kenne so viele junge Leute.“ Sagt er. „Die Grüßen mich alle auf der Straße. Hallo Peppe! -sagen sie.“

Wir gehen in eine Pizzeria. Nina und ich beschließen, ihn zum Dank einzuladen. Während des Essens erfahren wir, dass er alleine lebt, keine Frau, keine Kinder. „Das ist das Beste für mich.“ Sagt er optimistisch. „So bin ich frei wie ein Vogel, kann machen, was ich will. Ich bin jeden Abend on tour. Ich kenne hier alle.“ Tatsächlich ist er, als wir durch die Straßen laufen, ständig dabei, jemanden zu grüßen, bleibt stehen für ein Schwätzchen. Doch es ließ sich auch ein gewisses Talent spüren, sich selbst zu belügen. Denn er machte auf uns eine verdammt einsamen Eindruck.

Wir verabredeten uns für den darauffolgenden Abend.

So wurde Peppe unser Begleiter auch für den darauffolgenden Tag. Wieder einmal laufen wir durch das nächtliche Florenz und am belebten Ufer des Arno entlang. An der Ponte Vecchio lauschen wir den Gitarristen, von vielen Menschen umgeben. Ab und zu streift eine Polizeipatrouille durch die Menschenmenge.

Peppe macht mit meiner Kamera ein Erinnerungsbild von uns beiden. Und Nina hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihm einmal auf den Zahn zu fühlen. Ob er denn manchmal jemanden an seiner Seite vermissen würde? Und warum er bislang noch nicht die richtige Frau gefunden hatte? Hätte er gerne Kinder gehabt? Jeden Tag alleine durch die Nächte zu streifen, das kann doch nicht die Erfüllung allen Daseins darstellen?

Peppe wird immer stiller. Irgendwann sieht er sehr traurig aus. Er tut uns leid. Er tut Nina leid, so viel gefragt zu haben. Wir hatten den Deckmantel seiner Selbstlügen brutal hinuntergerissen und ihn mit dem konfrontiert, was darunter war. Und uns wird klar; das war nicht okay. Jeder Mensch hat das Recht auf seine Illusionen.

So versuchen wir nun, ihn abzulenken. An einer der Brücken bleiben wir stehen und schauen hinunter ins schwarze Wasser und die den Horizont erhellenden Lichter der Stadt. In der Ferne ist am Himmel noch der helle Schein des Tages als schmaler werdender Streifen zu sehen. Unter uns, auf einer freien Fläche, die ins Wasser ragt, hatten sich ein paar Jugendliche niedergelassen; auf dem bloßen Beton sitzen sie da und lassen ihre Beine über dem Wasser baumeln.

Doch wir sollen an diesem Abend noch ein ganz anderes Gesicht von Peppe zu sehen bekommen.

Die Stranddisco

Wir folgen Peppe durch die dunklen, abgelegenen Bezirke von Florenz, passieren wenig belebte und schummrig beleuchtete Gassen der Altstadt. Unruhe macht sich breit. Nina und ich wechseln bedeutsame Blicke miteinander. Wo bringt der Alte uns hin? Ist es noch weit, wollen wir wissen. Nein, wir sind gleich da. Er wolle uns was zeigen.

Es sind kaum Menschen auf der Straße zu sehen und aus den Kneipen dringt lebhaftes Stimmengewirr zu uns rüber. Zwei Mädels folgen einem alten Mann, den sie nicht kennen, bei Nacht, mitten durch eine Stadt, die sie nicht kennen. Wie zum Teufel sind wir bloß in diese Situation geraten?

„Hier.“ Peppe bleibt stehen, zeigt auf eine Wand. „Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt läuft, kann man viel mehr entdecken.“ Wir sehen einen eisernen Ring in einer der dicken steinernen Wände befestigt. „Hier wurden früher Pferde festgemacht.“

Nu sag schon, Peppe, wo geht es denn hin? Wir verlassen die engen Gassen von Florenz und kommen am Ufer des Arno wieder raus. Hier, weit hinter der Altstadt, sehen die Häuser fast schon wie moderne Appartements aus. Junge Leute in Partylaune begegnen uns hier und da. Touristen sind kaum mehr zu sehen, die haben wir im Zentrum weit hinter uns gelassen. Dafür sehen wir eine Menge Studenten.

Wind kommt vom Wasser her und auf den Wellen tanzen silberne Lichtreflexe und Spiegelbilder der Häuser. Hier ist die Stadt nicht mehr hunderte von Jahren alt. Hier ist sie sehr jung, zeigt ihr Antlitz in den Szeneclubs und Bars am Strand. Bunte Lichter sorgen für Gemütlichkeit; wir arbeiten uns zu einem der Tische durch. Die Bar ist nur mit einer Plane überdacht, das Leben findet unter freien Himmel statt. Wir bestellen Drinks, verbleiben. Doch das ist noch nicht, was Peppe uns zeigen will.

Wir laufen weiter, hören lauter werdende Musik. Wir nähern uns einer Stranddisco. Der DJ-Pult und die Tanzfläche sind in einem großen, weißen Zelt untergebracht und draußen am Wasser befinden sich Liegen und kleine Tische. Eine Gruppe junger Spanierinnen grüßt Peppe überschwänglich; er hatte ja schon angekündigt, dass er hier Gott und die Welt kenne. Wir kommen mit den Mädels ins Gespräch. Sie studieren in Florenz und heute feiern sie ihren erfolgreichen Abschluss. Was studieren sie nochmal? Medizin? Woher sie Beppe kennen, vermag keine von ihnen so genau zu sagen. Er ist einfach immer da.

Peppe tanzt mit den Mädels wie jemand junggebliebenes, geradezu in ihrem Alter. Die Spanierinnen sind süß und nett und nur wer aufmerksam hinsieht, kann an ihrem Mienenspiel erkennen, dass sie das mit dem Alter doch ein bisschen anders sehen als Peppe.

Ich hatte schon lange nicht mehr getanzt, entsprechend fühle ich mich befangen; auch in Anbetracht dessen, dass Peppe sich auf der Tanzfläche durchaus wohl zu fühlen scheint. Nach kurzer Zeit setze ich mich draußen zu Nina, die es klugerweise vorgezogen hatte, mit den Mädels zu chillen.

Als wir zurück im Hotel und wieder alleine sind, sage ich zu Nina: „Du, erinnerst du dich an das Gemälde von Himmel und Hölle in Palazzo Pitti? Weißt du noch; der Teufel in der Ecke des Bildes, der mit den Glupschaugen und mit dem runden, roten Gesicht?“

Sie schaut mich an: „Ja, was ist mit ihm?“

„Ist dir nicht aufgefallen, dass er genauso aussah wie Peppe?“

 

Der Moment, ab dem es schräg wurde

Nein, nicht uns passiert es. Doch verstörend ist es allemal. So laufen wir also durch das nächtliche Florenz, vor uns und hinter uns ein paar restlos betrunkene amerikanische Jugendliche.

„Sieht ihr? Die Mädels da, sie kommen aus den USA hierher, besaufen sich ins Koma und dann wackeln sie nach Hause und pinkeln einfach mitten auf die Straße. Hier sieht ihr die da?“

Peppe, der einsame Museumswärter von Florenz, wird zu unserem Begleiter für ganze drei Tage. Er zeigt uns die Stadt, bringt uns an die entlegensten Winkel der Stadt und an Orte, die wir sonst so wahrscheinlich nicht kennengelernt hätten. Mit der Zeit entwickelte er ein paar nervtötende Eigenschaften, die nach diesem Urlaub zu einem Running Gag zwischen Nina und mir werden.

So schaut er zum Beispiel meine Freundin lange von der Seite an, wiegt irgendwann den Kopf hin und her und sagt teils zu ihr, teils zu sich selbst: „…oj, Nina, Nina…“, was wohl so viel heißen soll wie… Ja, was denn eigentlich? Man kann nur spekulieren; es reicht wohl zu sagen, dass meiner Freundin das „Nina, Nina“ ziemlich schnell auf den Geist zu gehen begann. Eine zweite, nervtötende Angewohnheit kam auch zutage: wenn sie mir wieder einfällt, schreibe ich sie auf.

Zuletzt streifen wir mit Peppe durch den Abend von Florenz, verbleiben auf der Ponte Vecchio und lauschen der Musik. Und nach und nach gewinnen Nina und ich den Eindruck, dass Peppe ein verdammt einsamer, alter Mann ist.

Und noch ein Gedanke schleicht sich klammheimlich in unser Unterbewusstsein ein: dass es mal wieder schön wäre, einige Abende, wie zuvor, nur für uns zu haben. Natürlich sind wir dankbar, aber… Ja, aber? Wir freuen uns darüber, jemanden hier in der Stadt kennengelernt zu haben, doch so ganz wissen wir nicht, was er eigentlich wirklich von uns will. Oder auch nicht will.

So haben wir partout nicht vor, uns spät abends von ihm ins Hotel begleiten zu lassen. Doch er besteht darauf – wie also die Situation diplomatisch umgehen? Wir laufen mit Peppe durch die Straßen und bestehen nun unsererseits darauf, dass wir ihn nach Hause begleiten. Und nach einigem Widerstand lässt er sich darauf ein – und zack! – es stellt sich heraus, dass Peppe in einem der reichsten Viertel der Stadt wohnt.

Wir kommen an einer Disco vorbei; Peppe bleibt stehen und unterhält sich mit einem Bekannten. Ein paar Jungs vor dem Club wollen unbedingt unsere Facebook-Freunde werden. Wir sind froh, als Peppe endlich beikommt und es weiter geht. Und dann passiert etwas, das uns mit einem Schlag an seine Integrität zweifeln lässt. Nein, nicht uns passiert es. Doch verstörend ist es allemal. So laufen wir also durch das nächtliche Florenz, vor uns und hinter uns ein paar restlos betrunkene amerikanische Jugendliche.

„Sieht ihr? Die Mädels da, sie kommen aus den USA hierher, besaufen sich ins Koma und dann wackeln sie nach Hause und pinkeln einfach mitten auf die Straße. Hier sieht ihr die da?“ Das Mädchen vor uns schwankte schon gefährlich. Sie war alleine unterwegs und kaum noch imstande zu laufen. „Da, da… gleich geht sie in die Hocke und macht Pipi… Wartet mal…“ Mit einem wachsenden Interesse und einem seltsamen Ausdruck in den Augen beobachtet er die Kleine und wir denken nur, um Himmels Willen…

Wir holen das Mädchen ein, fragen, wo sie wohnt und bringen Peppe dazu, sie mit uns nach Hause zu begleiten. Im Gewirr der Gassen hier kennt er sich bestens aus und hatte  im nu die richtige Adresse gefunden. Ob alles okay ist, ob sie noch etwas braucht, fragen wir sie an der Tür. Nein, alles gut, sie hätte hier Mitbewohner, die sich um sie kümmern würden. So lassen wir sie hineingehen und gehen unsererseits auch weiter. Doch bleibt dabei ein sehr fader Nachgeschmack in der nächtlichen Luft hängen.

An der Tür zu Peppes Wohnung verabschieden wir uns. Was wir denn morgen machen würden, will er wissen. Morgen unternehmen wir etwas alleine, antworten wir. Er nickt. Wir melden uns, sagt Nina. Er sagt: Alles klar. Alle drei wissen wir nur zu gut, dass wir uns nicht mehr bei ihm melden würden.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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1 Kommentar

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