Schneekönigin, ich komme!

Helsinki, Januar 2017

Vom Auto aus sieht die ganze Welt aus wie ein weißer Märchenwald unter einer grauen Kuscheldecke aus Wolken. Es ist morgens, wir fahren zum Flughafen Frankfurt. Keiner von uns sagt etwas, ich greife die Landschaft auf und versuche, sie zu verinnerlichen, greife meine Gedanken auf, damit sie mir nicht entgleiten. Alles so weiß wie im Märchen von der Schneekönigin. Ein wunderschöner Neuanfang.

Am Flughafen selbst geht alles schnell, schon bald stehe ich am Gate D. Vor dem Flug verschicke ich noch eine einzige SMS. Das ist mir wichtig. Um abschließen zu können. Dann schalte ich mein Handy aus.

Als ich am Schalter stehe und nach meiner Bordkarte krame, höre ich plötzlich finnisch um mich herum – ich sehe kleine, feingliedrige Menschen mit schwarzen Haaren, hellen, flachen Gesichtern und ein wenig schrägstehenden Augen. Ihre Stimmen bilden schnelle, fremde Laute, die ich überhöre, nicht zuordnen kann. Das Abenteuer Finnland kann beginnen!

Wir sind nun oben über der Wolkendecke, haben sie durchbrochen und die trübe Stimmung hinter uns gelassen. Die graue Schicht sieht jetzt aus wie eine weiße Schneelandschaft, auf der man wandern könnte. Die Sonne überstrahlt den „Schnee“ und scheint mir ins Gesicht. An den Fenstern sammeln sich Eiskristalle, kleine leuchtende Diamanten. Meine Ohren gehen ständig auf und zu.

Zu trinken gibt es Kaffee, Wasser und Heidelbeersaft. Heidelbeersaft! Ich passe den Steward ab und greife sofort zu. Pah, Tomatensaft kann jeder!
Das Brötchen muss ich irgendwie verpasst haben. Mit einem seligen Lächeln und Sonnenschein im Gesicht döse ich ein. Bilder fliegen durch meinen Kopf, das Echo von Stimmen, Gesichter. In der Ferne höre ich Durchsagen.

Ein Rütteln weckt mich auf; als ich die Augen wieder öffne, ist es wieder trüb, am Flügel der Maschine brennt ein kleines, orangenes Licht. Wir sind wieder in der Wolkendecke und setzen zum Landeanflug an. Unter mir sehe ich Helsinki, verteilt auf viele kleine Inseln. Das Wasser in den Buchten ist teilweise gefroren. Ein schwacher blassrosa Schein zieht sich entlang am Horizont.
Nachdem wir uns durch eine Wolkendecke geschoben haben, schieben wir uns nun durch eine zweite und sind prompt in dicke Watte eingehüllt. Ein Baby fängt an zu weinen.

An der Landebahn herrscht wieder Abend, alle Lichter sind an. Eine immerwährende Blaue Stunde. Es ist zwei Uhr am Nachmittag, drei Uhr finnischer Zeit. Das Flugzeug steht, vor den kleinen runden Fenstern herrscht reger Betrieb. Wir warten.

Deswegen lieben die Finnen Sauna, denke ich mir – ihnen ist kalt! Feuer und Holz bringen Gemütlichkeit mit sich. Es ist ein Weg, die Seele der Kälte und der Dunkelheit zu entreißen. Und es ist nicht so, wie in meiner Fantasie, denn ich steige nicht aus dem Flieger und bin draußen – durch einen langen Verbindungsgang geht es direkt ins Flughafengebäude.

Und als wir da ankommen, fühle ich mich sogleich mitten in ein gemütliches Restaurant versetzt; im Wartebereich des Gates stehen Tische und Holzstühle, kleine Stände verkaufen Getränke und Snacks, kleine, glückliche Finnen sitzen an den Tischen und vertreiben sich die Zeit mit Essen, Trinken und Plaudern. Irgendwo auf der Seite steht eine schwarze Kreidetafel, an der Kinder spielend ihre Zeit verbringen können. Alles ist warm und einladend. Leichte Holzregale tragen dekorative Einmachgläser; es hätte irgendwo in der Mannheimer Fressgasse sein können.

Der Flughafen wirkt, als hätte sich ein ziemlich guter Designer daran vergriffen; schlicht und doch einladend, stylisch und gemütlich. Kein Schickschnack, überall warme Holzelemente. Wie kalt und steril wirkt dagegen der Frankfurter Airport auf mich!
Ich folge den Menschen mit Handgepäck, bin kurz verloren, orientiere mich dann neu. Irgendwann finde ich mich vor der Gepäckausgabe wieder.
Das Gepäckband ist so angelegt, dass sich drumherum kein Gedränge bildet, es läuft über zwei Spulen verteilt. Aufkleber am Boden, die ich zunächst übersehe, gebieten, Abstand zu halten.

Durch die allgegenwärtige Dunkelheit fühlt es sich sehr spät an.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, vom Flughafen weg zu kommen: Mit dem Bus, der Bahn oder dem Taxi. Ich entscheide mich für die wohl teuerste, doch komfortabelste Möglichkeit: Das Taxi. Hätte ich kein schweres Gepäck bei mir, hätte ich mich wohl auf die Bus- bzw. Bahnfahrt eingelassen, doch so ist mir die Sucherei mit dem Koffer in der Hand zu umständlich. Ich beginne, über die Vorzüge der Reise mit Handgepäck zu sinnieren.

Unterschiedliche Taxi-Anbieter stehen am Flughafen zur Auswahl. Die Preise für Fahrtzeiten sind einheitlich geregelt, es gibt teilweise auch Pauschalangebote. Doch es lohnt sich, diese mit den regulären Preisen zu vergleichen, weil sie je nach Entfernung teilweise sogar teurer ausfallen können.

Zunächst kreise ich ein wenig ziellos über den Flughafen, begebe mich nach draußen.

Huh? Was ist das?

Also, kalt ist anders. Verwundert sehe ich mich um und schnuppere die milde Luft. Meine Nasenspitze friert nicht ein, die Fantasie erfüllt sich nicht. Entgegen meinen Vorstellungen ist es hier aktuell wärmer als in Mannheim.

Ein Taxi anzuhalten ist so nicht möglich, finde ich heraus; der erste Taxifahrer schaut mich komisch an und fährt weiter und auch das Sammeltaxi entfernt sich wieder, nachdem es seine Leute rausgelassen hatte. Es gibt im Flughafengebäude Schalter, an denen man buchen kann. Zu so einem Schalter begebe ich mich jetzt. Das Mädchen lächelt nicht. Sie hat eisblaue, klare Augen und dunkelblonde Haare. Sie nennt mir den Preis und ich bezahle. Fünf Minuten später steht der Taxifahrer hinter mir.

Ich sitze hinter der Autoscheibe und schaue auf die dunkle Stadt hinaus, Lichter, die sich spiegeln im kalten Glas. Zum ersten Mal hast du etwas Kluges gemacht, Mädchen, denke ich und lasse mich in das weiche, schwarze Lederpolster fallen. Das Suchen nach der Adresse hätte mich mit Bus und Bahn noch Stunden gekostet.

Leuchtet der Himmel da oben an dieser einen Stelle grünlich oder ist es nur Wunschdenken? Ich verdrehe mir den Hals. Ja, das tut er; aber es ist noch nicht das.

„Zum ersten Mal hier in der Stadt?“ Der Taxifahrer unterbricht die Stille. „Hier auf der linken Seite ist das Stadtzentrum, auf der rechten kommt gleich Ihr Hotel. Willkommen in Helsinki!“ Wir kommen an einem See vorbei, die Bäume blau beleuchtet. Ob ich doch noch heute Abend einen Spaziergang mache? Dass das Hotel stylisch sein würde, das wusste ich bereits. Stylisch und minimalistisch.

In der Hotellobby – reges Treiben. Ein Reisebus steht vor dem Hotelgebäude, ein gestriegelter Page steht vor dem Bus. Menschen kommen und gehen. Zwei Korbsessel aus Treibholz stehen an den Aufzügen. Ein Internet-Café ist eingerichtet. Ich höre eine weibliche Stimme neben mir: Die große, blonde Frau fragt den Hotelangestellten, ob hier jemand russisch spreche.

Im Aufzug wundere ich mich, warum es nicht vorwärts geht. Die Aufzüge funktionieren nur im Zusammenspiel mit der aufgeladenen Zimmerkarte. Eine Sicherheitsmaßnahme – so bekommt kein Unbefugter Zutritt.

Auf dem Zimmer ist mir plötzlich gar nicht mehr nach einem Spaziergang. Ich falle ins Bett. Kann meinen Kopf nicht ausschalten, kann nicht schlafen. Die vergangenen Tage kreisen immer noch darin herum, die gesagten Worte; Menschen, die lieber geschwiegen hätten. Ich verbringe die Zeit mit Schreiben. Funktioniere, Kasia, deine Anliegen sind unwichtig! Aber das ist vorbei. Entspann dich endlich.