Am Samstag, den 24 August 2019, packe ich meinen Rucksack und lasse alles hinter mir. Für die nächsten zwei Wochen werde ich alleine durch Nepal reisen. Was sicherlich machbar ist, mir nun aber einiges Kopfzerbrechen bereitet. Noch nie war ich so weit weg von Zuhause – allein. Nicht, dass ich nicht zurecht käme.
Es ist nicht so, als sei ich es nicht gewohnt, viel allein unterwegs zu sein. Im Gegenteil. Das bringt ein Job im Außendienst so mit sich. Und nein, auch fühle ich mich dabei nicht komisch oder habe irgendwelche Hemmungen, mich in ein voll besetztes Restaurant zu setzen und am Essen oder Wein zu meckern. Das ist es nicht. Doch Nepal ist eine ganz andere Nummer. Und wie ich schon in meinem Beitrag Things to do – in Kathmandu erwähnte, war alles so nicht geplant.
Zunächst einmal hätte diese Reise alles Mögliche werden können. Die Reisepläne wechselten wie Blätter im Wind je nach Jahreszeit und Kasias Laune (siehe auch: meine Wunschliste). Aus Interesse am Westjordanland, welches während meiner Jordanien-Reise erwachte, wurde Irland, als ich ein irisches Mädchen in Jordanien traf und eine Einladung nach Dublin bekam.
Zwischendrin liebäugelte ich mit diversen Karibik-Inseln, Indien (wiederum auf die Einladung einer Reisebegleiterin aus Jordanien) und auch ein Segeltörn stand zur Debatte. Doch dann wurde es Nepal, und meine Begleitung sprang ab.
Der Flug
Nun blieb ich da, mit den Flugtickets in der Hand und einem nervösen Gefühl im Bauch. Doch ich wusste gleichzeitig: diese Erfahrung wird mich wachsen lassen. Im Grunde war es gut so, wie es gekommen ist. Denn all die Eindrücke, die Nepal mit sich brachte, hätte ich so intensiv mit einem Mitmenschen nicht erleben können. Und ohne die Anregung meiner Reisebegleiterin hätte es Nepal wohl nicht auf meine To-see-Liste geschafft. Ja, so ist es manchmal: wir kommen nicht dort an, wo wir hin wollen, doch wir kommen dort an, wo wir ankommen sollten… Doch noch ist es nicht soweit, noch bin ich dabei, mir meine Reise zu organisieren und mir ins Hemd zu machen. Kasia, übertreib nicht so!
Es gibt keine direkten Flüge von Deutschland nach Nepal (Stand 2019). Du kannst dich entweder für Qatar Airways mit Zwischenlandung in Doha oder für Türkish Airlines mit Stopp in Istanbul entscheiden. Ich wähle Qatar Airways, da ich mit dieser Airline bereits gute Erfahrungen gemacht habe und sie einen überaus komfortablen Standard hat.
Am Frankfurter Flughafen dann, mit meinem neuen, schwarzen Rucksack gerüstet, winke ich Stefan kurz zu, der mich wohl am liebsten gar nicht losgelassen hätte, und laufe schnell weiter zur Sicherheitskontrolle. Ich habe zu viel Nervosität in mir, ich will das alles, die Kontrolle, den Flug, das Ankommen, so schnell wie möglich hinter mich bringen. Auch wenn ich weiß, dass die Anspannung während des langen Fluges buchstäblich – verfliegt.
Die bunt blinkenden Lichter von Doha
Immerzu dieses bohrende Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Mehrmals kontrolliere ich, ob der Reisepass wirklich dort steckt, wo ich ihn vermute. Doch die Kontrollen gehen schnell und schon kurze Zeit später sitze ich in der Maschine der Qatar Airways auf dem Weg zum ersten Zwischenstopp in Doha.
Hamad International Airport
Nachts um eins landet der Flieger in Katar. Noch mitten in der Nacht ist die Außenluft schwül und stickig, so feuchtigkeitsgesättigt, dass die Scheiben des klimatisierten Buses, der uns über das Rollfeld bringt, vollständig beschlagen. Perlende Tropfen sammeln sich an den Scheiben und rinnen langsam hinunter.
Als ich mit anderen Passagieren nach draußen trete, begreife ich im ersten Moment nicht, was da nicht stimmt. WTF, was ist denn los? Wie eine steile Wand aus Wasserdampf kommt mir die schwüle Luft entgegen und wir wandern wie in einem Dampfbad umher, bis wir die kühlen Innenräume der Maschine erreichen. Das ungeheuer heiße und feuchte Klima am Persischen Golf habe ich von unserem Transit-Aufenthalt 2017 auf dem Weg nach Namibia noch lebhaft in Erinnerung.
Alleine schon die kunst- und geschmackvoll arrangierte Einrichtung des Hamad International Airport ist ein Erlebnis für sich. An jeder Ecke trifft man auf übergroße Kunstwerke und Installationen. Katar hatte sich seinerzeit während unseres zweitägigen Aufenthaltes als ein angenehmes Land erwiesen und das Museum für Islamische Kunst, dessen äußere Form einer aufsteigenden Treppe oder einer Pyramide nachempfunden ist, beinhaltet eine der beeindruckendsten Kunstsammlungen der Islamischen Welt.
Die Durchsagen wecken mich am nächsten Morgen auf.
Wir überfliegen Nepal und ich schaue angestrengt aus dem Fenster, ob ich den Himalaja sehen kann. Es ist wolkig. Einzig die grün bewachsenen Ausläufer in den tieferen Ebenen sind sichtbar und die schlammigen Flüsse durchziehen das Grün wie gelbe Adern. Nach und nach verschiebt sich unter mir die Landschaft. Ich bedaure, keinen Blick auf eines der mächtigen Gebirge werfen zu können, welches sich hinter einer Wolkendecke vor mir versteckt. Wer kommt auch auf die Schnapsidee, seinen Urlaub in die Regenzeit hinein zu verschieben! (Ich weiß es zu dem Zeitpunkt nicht, doch dieser Gedanke wird mir noch des Öfteren durch den Kopf geistern…)
Die quadratischen, bunten Häuschen von Kathmandu kommen immer näher. Es ist ein wahres Häusermeer, das sich da vor meinen Augen auftut. Die Gebäude werden größer und größer. Wir landen.
Welcome to Nepal
Als das Flugzeug landet, bin ich froh, endlich angekommen zu sein. Ein Selfie muss sein.
Da ich nicht erst auf mein Gepäck warten muss, spare ich vermutlich eine Extrastunde, doch die Immigration und der Visa-Antrag fürs Visum on arrival gestaltet sich hier in Nepal ein wenig anders, als man das üblicherweise kennt.
Zuerst muss ein Einreiseantrag ausgefüllt werden. Gut, das kennt man ja. Dann werden Daten und Angaben zur Person und Pass in einen der vielen in der Flughafenhalle aufgestellten Automaten getippt, vor denen sich bereits mittlere Schlangen ratloser Touristen bilden. Doch inzwischen stehen auch Flughafenmitarbeiter an den Automaten, die sofort zur Stelle sind, sobald es bei jemandem länger dauert.
Genauere Infos zur Einreise und Visum werde ich in einem späteren Beitrag für euch zusammenstellen, denn auch mir hat eine recht ausführliche Einleitung geholfen, mich durch den Dschungel der nepalesischen Bürokratie zu kämpfen. Die Beamten hier sind gechillt, sie machen ihre Arbeit langsam und entspannt. Dafür stehen genervte Urlauber da und scharren mit den Hufen. Da braucht man Geduld und stoische Ruhe, denn lautes, unzufriedenes Schnauben hat noch keinen weiter gebracht. Und trotzdem sehe ich immer wieder Menschen, die ihren Unmut deutlich zeigen – natürlich ohne Erfolg.
Irgendwann bin ich durch, raus aus der Halle und hinein in die Arme der vielen Taxifahrer, die es anscheinend geschafft haben, sich die Ankunftszeiten der Maschinen in ihr Gedächtnis zu brennen. Die ersten Preisangebote für eine Fahrt in die Stadt beginnen irgendwo bei siebentausend N-Rupien, ich schaffe es jedoch, mir eine Mitfahrgelegenheit auf dem Motorrad für 1000 Rupien zu arrangieren. Vom Regen in die Traufe, denn der Fahrer ist ein Guide. Ich weiß es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch ich werde noch an diesem Tag mit ihm zu Abend essen.
Avalon Hostel
Wuseliger Verkehr in Kathmandu. Und den Abschnitt wollte ich laufen, im ernst? Verschwitzt und glücklich, erleichtert und müde, jedoch aktiv und unter Strom komme ich in meinem Hostel an.
Das Hostel hat einen Portier, einen netten, älteren Herrn in Uniform, der mir jedes Mal mit einem breiten Lächeln im Gesicht die Tore aufmacht. Das Zimmer ist groß und spartanisch, doch es ist privat und es ist meins. Bad ist inne liegend, so dass ich nicht erst mit Schlappen und Handtüchern durch alle Flure zum Duschen laufen muss.
Vom Fenster aus sehe ich Kathmandu von oben.
Zwischen den Häusern befinden sich viele grüne Gemüse-Gärten. Die Häuser haben ausnahmslos große Dachterrassen, das erklärt wohl ihre unansehnliche, quadratische Form. Auf einer der Terrassen hängt eine ältere Frau Wäsche auf. Oben auf den Dächern stehen Wasserboiler, die Regenwasser auffangen – es haben wohl nicht alle Häuser einen Anschluss mit fließendem Wasser oder man spart auf diese Weise Kosten.
Kathmandu ist hässlich. Ich sitze hier oben, betrachte die Stadt. Kinder schreien. Irgendwo plätschert Wasser. Irgendwo bellt ein Hund. Wellblech überspannt eine Scheune. Alles wirkt baufällig. Die Stadt ist hässlich ohne Ende. Doch die Berge um sie herum heben diesen Eindruck ein wenig auf. Und ja, die Stadt hat spannende, wunderschöne Orte. Die Tempel. Den Durbar Square. Die Stadt hat nette, warme Menschen. Sie ist spannend, aufregend. Doch sie ist hässlich. Ich sitze hier, betrachte das Häusermeer und denke mir, bist du hässlich…
Ich dusche und will raus, raus in die wuselige Stadt und in das tobende Leben da draußen. Die Stadt hat andere Pläne und übergießt mich erst einmal zur Begrüßung mit einem heftigen Nachmittagsschauer.
Und nachdem ich eine Ewigkeit durch den Regen in die falsche Richtung laufe, frei nach dem Motto: der Weg ist das Ziel, drehe ich nun um und richte meine Schritte wieder am Hostel vorbei und ins kulturelle Zentrum von Kathmandu, zum Durbar Square.
Mich überrascht all die Spiritualität der Menschen um mich herum. Und mich überrascht ihr Lächeln. Viele lächeln mich an, einfach so und ich fühle mich willkommen. An jeder Ecke gibt es einen kleinen Schrein, wo die Menschen kurz innen halten und beten können, ehe sie weiter gehen, sich wieder dem Alltag zuwenden.
Manchmal sind diese Schreine versteckt, verborgen in einem kleinen Garten hinter Blättern der Bananenpalmen, manchmal stehen sie mitten auf dem Fußgängerweg und müssen umrundet werden, manchmal mitten auf einem Platz. Mal sind sie groß, dann wiederum klein. Und hier und dort ist es einfach nur ein farbiges Bild einer Gottheit, an die Wand geklebt und mit Farbe bestäubt, das die Menschen zum Innehalten bringt. Kurz legen sie die Hand darauf. Die Schreine und Andachtsstätten können buddhistisch oder hinduistisch sein, beides hält sich in Kathmandu die Waage, denn die
beiden Religionen koexistieren friedlich beieinander und viele Nepalesen bekennen sich zu beiden.
Straßenverkehr in Kathmandu
An einer großen Kreuzung bleibe ich erstmal stehen und beobachte fasziniert den Verkehr. Wahnsinn, so etwas habe ich noch nie gesehen. Es ist zwischen 17 und 18 Uhr, das also, was man bei uns als Rushhour bezeichnen würde. Ein Polizist steht in der Mitte der großen Kreuzung und versucht, den Verkehr mit Handzeichen zu regulieren und dem Chaos Herr zu werden. Und o Wunder… die Fahrer bleiben tatsächlich stehen, wenn auch kreuz und quer, und die andere Straßenseite darf los.
Trotz der Größe der Kreuzung gibt es keinerlei Fahrbahnmarkierungen, die die einzelnen Spuren kenntlich machen würden – wozu auch, wenn ja doch jeder fährt, wie ihm die Nase gewachsen ist.
Und doch hat das Chaos System. Jeder achtet auf den anderen, unvorhersehbare Manöver anderer Fahrer werden weitestgehend vorausgesehen und der Fußgänger, der sich inmitten dieser Fahrzeugkolonnen befindet, wird toleriert. Nein, für den Fußgänger wird nicht angehalten, doch er wird eng und knapp umrundet, bis er sich in eine weitere freie Lücke schiebt und wieder stehen bleibt. Die Fahrzeuge verlangsamen die Fahrt ein wenig, wenn sich betroffene Fußgänger direkt vor ihnen befinden, doch wird erwartet, dass man zügig weiter läuft. Einfach loslaufen und hoffen, dass schon jemand stehen bleibt, würde ich nicht – damit rechnen sie einfach nicht. Hier will wahrlich niemand den anderen Überfahren, doch die Abstände sind knapp bemessen.
Der Gestank der Abgase ist fürchterlich. Nicht zum ersten Mal in Asien frage ich mich, was denn die Menschen hierzulande für ein Problem mit ihren Abgaswerten haben. Die Luft in Deutschland ist kristallklar. Zumindest im direkten Vergleich zu dem hier.
Der Geruch in den Straßen erscheint innerhalb der ersten Stunde nicht so schlimm, doch er wird mit der Zeit immer unangenehmer in der eigenen, subjektiven Wahrnehmung. Und jeder, wirklich jeder entwickelt einen unterschwelligen Reizhusten, der sich bei den Einheimischen in einem regelmäßigen Rotzen auf die Straße entlädt. Jeder macht das, Männer wie Frauen, vermutlich, weil der ständige Staub nach und nach eine Schicht in den Bronchien bildet, die der Körper loszuwerden versucht. Gerotzt wird tief aus der Lunge. Irgendwann hörst du es nicht mehr.
Mit meinem weißen Ärzte- Mundschutz geschützt überquere ich eine große Kreuzung. An einem Kiosk, der Lassi verkauft, setze ich mich auf einen kleinen Hocker. Hier bekomme ich das beste Lassi ever. Es gibt nur die eine Sorte, milchig, leicht säuerlich, mit Rosinen und kleinen, leckeren Stückchen Mürbeteig garniert. Hmm, ein Gedicht für nur achtzig N-Rupien. Ich schnappe mir meinen Plastikbecher (Nepal und Plastik ist wieder ein separates Thema…), setze mich auf einen der bereitstehenden Hocker und beobachte trinkend den Verkehr auf der Kreuzung.
Ich könnte hier nur sitzen und zusehen. Es wird gehupt – es wird andauernd gehupt – doch nicht, um den Mitmenschen aufzuzeigen, dass sie etwas falsch gemacht hätten. Das Gehupe dient dem Zweck, sich beim Überholen bemerkbar zu machen. Auch hupen die Fahrzeuge immer mal kurz, wenn sie, wie immer, sehr knapp an Fußgängern vorbei fahren, um sie zu warnen.
Wie oft bin ich durch solch eine „Warnung“ wie ein erschrockener Hase in die Höhe gesprungen. Doch die Einheimischen gehen schlicht weiter, total unbeeindruckt und auch ich werde die Geräuschkulisse mit der Zeit weitestgehend ausblenden. Wenn alles hupt, und das den ganzen Tag lang, fühlt man sich irgendwann nicht mehr angesprochen.
Kathmandu, die geheimnisvolle Stadt
Dann tauche ich ein, in eine dieser vielen kleinen, engen Gassen.
Doch es irrt derjenige, der glaubt, dass er dadurch dem Verkehr, dem Geräusch- und Geruchspegel entkommen kann. Der Verkehr folgt dir überall hin. Ja, selbst in die entferntesten Winkel dieser Stadt quetschen sich noch Autos, Motorräder und Rikschas und fahren dir fast über die Füße. Und hupen, was das Zeug hält. Die wenigen Fahrräder, die es hier gibt, pfeifen durch die Zähne, um auf sich aufmerksam zu machen.
Manchmal haben die Fahrzeuge kein funktionierendes Licht, manchmal sind sie zerbeult. Alles egal. Doch ohne Hupe kannst du dein Vehikel gleich einschmelzen. Ohne Hupe ist dein Fahrzeug hier nichts wert.
Ich las mal in einem Blogbeitrag, dass es seit einiger Zeit Hupverbote in Teilen der Stadt geben solle. Seitdem sei die Stadt wesentlich ruhiger geworden. Ja, diese Verbotsschilder sehe ich ab und zu an Kreuzungen, doch von „ruhiger“ kann keine Rede sein. Ruhiger als was? Ich muss beim Gedanken daran herzlich lachen.
Du läufst am besten auf der linken Straßenseite (Nepal – Linksverkehr), dann brichst du nicht jedes Mal in mittlerer Panik aus, wenn dir ein Auto oder Moped frontal entgegenkommt. Irgendwann läuft man ganz automatisiert vor sich hin, ein Schritt nach dem anderen. Doch es gibt trotzdem noch diese kleinen Schreckensmomente, nachdem du einen Fuß zu sehr nach rechts bewegt hast und plötzlich ein Moped an dir vorbei rauscht.
Kathmandu ist ermüdend. Das Gehupe, der Geräuschpegel, dieses ständige auf Hab Acht sein zu müssen. Es strengt an. Auch Taxis hupen immer mal kurz, um auf sich aufmerksam zu machen und immer wieder sprechen mich Rikscha-Fahrer an. „Madame, Taxi? Rikscha?“ Nein, Madame Füße, danke sehr. Ich will alle Eindrücke hautnah miterleben und das geht nur zu Fuß… Wie die Schulmädchen und -Jungen, die in Gruppen in ihren blau-schwarzen Uniformen durch die Straßen laufen. Menschen, die alle möglichen Lasten auf ihrem Rücken balancieren, mit einem Riemen an der Stirn befestigt. Überall kleinere und größere Shops. Straßenverkäufer.
Gewusel. Am Straßenrand sehe ich Frauen, die auf offenem Feuer etwas grillen. Hier werden gegrillte Maiskolben verkauft, erkenne ich beim Näherkommen. Streetfood, überall, im ursprünglichstem Sinne. An anderen Stellen wiederum gibt es Saftbars voll mit buntem Obst, die für ein paar Rupien frisch gepressten Saft verkaufen.
Gekleidet wird sich traditionell, Frauen tragen leuchtend rote Sari, doch die jüngeren Mädels haben ab und zu auch einen kürzeren Rock an. Alles ist möglich.
Ich laufe sehr langsam, bleibe immer wieder stehen und sehe mich um, hole meine Kamera raus und fotografiere hier und da eine Kleinigkeit. Manchmal gehe ich zur Seite, um den fließenden Verkehr vorbei zu lassen und kurz durchzuatmen, doch schnell stelle ich fest, dass es keinen Sinn macht. Der fließende Verkehr ist, wie schon gesagt, überall und irgendwie stehe ich ja doch nur im Weg.
Ein buddhistischer Schrein säumt meinen Weg. Kleine, hinduistische Schreine, die mitten auf dem Bürgersteig stehen. Die Einheimischen laufen einfach weiter, weichen nicht aus und scheren sich kaum um die vielen Motorräder, die an ihnen vorbeizukommen versuchen. Irgendwann bekommt man ein dickes Fell. Und taube Ohren.
Räucherstäbchen. Der Duft kommt von überall her. Ich ziehe mir meine Maske vom Mund, um besser riechen zu können. Die Räucherstäbchen werden in den kleineren Gassen abgebrannt, gleich mehrere auf einmal. Und irgendwie passt dieser Geruch zu Kathmandu, zu den vielen kleinen Straßen, zu den hölzernen, geschnitzten Verzierungen der Häuser, an denen der Zahn der Zeit sichtbar nagt – oder vielleicht ist es einfach nur der allgegenwärtige Staub, der sich überall absetzt und alles etwas älter – antiker? – aussehen lässt. Kunstvoll geschnitzte Türen, die Götter darstellen. Vergessene, wunderschöne Details.
Und erst die Stromkabel. Die ganze Stadt ist voller Kabel, die sich wie schwarze Schlangen durch das Stadtbild winden und in abenteuerlichen großen und kleineren Knäueln, scheinbar ohne Sinn und System, an die Masten geknotet sind. Ich gewöhne mich in den folgenden Tagen an diesen Anblick, doch heute starre ich verständnislos auf die schwarzen Knoten und frage mich, wer da jemals durchblickt und noch weiß, welches Kabel denn was versorgt… Ich kenne diese Kabelwüsten schon von Bukarest, doch hier ist es extremer.
Manche Kabel hängen so tief, dass ich beim Gehen den Kopf einziehe. Manche sind abgerissen und enden in einem zerfledderten Stück genau über den Köpfen der Menschen. Was passiert, wenn es regnet? Gibt es keinen Kurzschluss bei den vielen Kabeln, die da so lose herumhängen? Anscheinend nicht, denn das System scheint seit längerem schon zu funktionieren – und es regnet jeden Tag.
Es gibt Craft-Shops, sie führen hölzerne, geschnitzte, seltsam aussehende Masken. Hier kann sich der Gläubige (und der Tourist) Amulette für jede Lebenslage kaufen. Vieles wird verkauft für „gutes Glück“ oder „gutes Karma“, die Verkäufer lächeln einladend. „Guten Tag, Madame, wollen Sie mal schauen?“
Ehemals sicher reich, heute nur noch staubig. Ich komme zu dem Schluss: Kathmandu ist keine schöne Stadt. Kathmandu ist sogar ungeheuer hässlich. Man kann sie nicht einmal als Moloch bezeichnen – schon im Landeanflug sehe ich die quadratischen Häuser, die vermutlich mehr durch Gebete zusammengehalten werden als durch Ingenieurskunst, doch sie stehen immer noch.
Doch sie hat ein paar wunderschöne Orte und sie hat wunderbare Menschen. Die Stadt ist unglaublich spannend. Kathmandu hält dich wach, an Schlaf ist nicht zu denken. Du willst eintauchen, immer tiefer und immer weiter gehen, willst alles erkunden, denn an jeder Ecke wartet etwas Neues auf dich. Dieses Lebendige, die diese Stadt ausmacht, ist unglaublich.
Und so gehe auch ich weiter, bis…
Dann bin ich da. Links von mir eröffnet sich ein großer Platz. Hölzerne Tempel, Paläste, eine eingestürzte Ruine, von der nur noch Ziegeln übrig sind. Und eine ganze Kolonne Rikscha Fahrer, die auf Kundschaft wartet. Es hat inzwischen aufgehört zu regnen. Ich bin am Durbar Square.