Bonaire, September 2016
„Was sind das denn für Wesen da, über uns? Sollen wir flüchten? Könnten es unsere Fressfeinde sein?“
„Nein, keine Angst, die tun uns nichts. Schau mal: Sie sind sehr langsam und träge, und da, siehst du? Sie bleiben gleich unter der Oberfläche. Sie können hier nicht atmen, im Wasser; sie brauchen ganz spezielle Münder, um sich in unserer Welt aufhalten zu können. Eigentlich gehören sie nach oben.“
„Aber was machen sie dann hier?“
„Sie kommen, schauen und gehen wieder. Manchmal folgen sie uns – wenn mir das dann zu viel wird, schwimme ich einfach weg. Ansonsten – nicht stören lassen, einfach weiter Steine abknabbern.“
„Ja, aber wenn sie uns nicht fressen und wenn sie uns nicht angreifen: Warum kommen sie dann hierher? Wieso folgen sie uns die ganze Zeit auf Schritt und Tritt und strecken die Hände nach uns aus?“
„Das weiß ich auch nicht. Vielleicht sind es nur so eine Art Spanner?“
Das oder ähnliches würden sich vermutlich Fische und andere Lebewesen des Meeres denken, die mich schnorcheln sehen – wenn sie denn denken könnten. Und ja, zugegeben (und da schäme ich mich auch ein bisschen für): Ich bin tatsächlich eine Art Spanner.
Ich erschleiche mir das Vertrauen der Meeresbewohner, lasse mich wie sie im Wasser treiben und sobald sie sich an mich gewöhnen, beobachte ich sie; ich sehe ihnen zu, wie sie fressen, sehe, wie sie jagen, wie sie sich verstecken und wie sie um ihr Revier kämpfen. Ich nehme praktisch am häuslichen Leben teil, bekomme alle Details mit, nichts bleibt mir verborgen (neulich habe ich einen Fisch beim Leichen beobachtet, man stelle sich vor! In der Öffentlichkeit!), und all das nur dank meiner Super-Spanner-Zauberbrille, auch genannt: Schnorchel-Ausrüstung!
Aber jetzt mal im Ernst: Bonaire ist nicht „ein Paradies für Schnorchler und Taucher“, Bonaire ist das Paradies! Und es hat so viel mehr zu bieten: atemberaubende Natur, abwechlungsreiche Landschaften, Buchten, so türkis, wie du es dir in deinen Träumen nicht vorstellen kannst – und natürlich einen Schnorchel-Spot neben dem anderen. Wir haben heute drei ausprobiert (zugegeben, einer davon war eher was für Taucher), und der 1000 Steps ist der atemberaubendste Spot ever! Hier gibt es unzählige Fische, so bunt und schillernd wie ein Regenbogen; Meeresschildkröten, die in Ufernähe im Wasser an flachen Felsen „grasen“. Der Meeresboden ist fest, so dass kein Sand aufgewirbelt wird und nichts, wirklich gar nichts den klaren Blick bis hinein in die Tiefe trüben kann; und nicht zuletzt eine lustige, kleine Bergziege, die immer mal wieder ans Ufer kommt, um Wasser zu trinken (?)…
Die Bucht an sich ist schon eine Wucht; hohe, aufragende Felsen, korallenweiße Ufer, ein flacher Abstieg ins Wasser und ein Türkis, das von oben betrachtet alles in den Schatten stellt, was ich bis dahin gesehen habe. Das ist Karibik, man.
Zugegeben, die „tausend Steps“, die im Namen des Schnorchelspots bereits enthalten sind, haben es in sich – sie stehen nämlich für eine steile Steintreppe, die vom Felsen aus, wo die Straße entlang führt und auch die Parkplätze liegen, hinunter zur Meeresbucht und zum Spot führen. Doch das ist es sowas von wert! Denn dieser Ort ist ein Traum.
Bereits beim Eintauchen ins Wasser fällt auf, wie klar und ungetrübt der Blick dort unten ist. Der weiße, feste Meeresgrund fängt die Sonnenstrahlen auf, die von oben her das helle Blau durchleuchten und bereits hier, zwischen den Steinen und unter den Felsen, werden die ersten Fische sichtbar.
Da sind die flachen, tellerförmigen Kaiserfische, so typisch für die Karibik; elegant bewegen sie sich durch das Wasser wie wunderschöne Schmetterlinge. Meistens sind sie so groß wie ein- bis zwei Handflächen und tiefblau. Manche Fische sind wie ein Stein am Meeresgrund getarnt – durch nichts unterschieden sie sich von ihrer Umgebung. Dann gibt es die, wie ich sie nenne, Regenbogenfische (Papageifische); eigentlich blau bis türkis, doch im Licht in allen Farben schillernd. Diese halten sich meistens damit auf, Felsen und Steine mit einem laut vernehmbaren knarz! knarz! abzukabbern. Ganz kleine, bewegliche Fische, gelb-schwarz getigert, wirken hier unten wie kleine, gestreifte Wespen, die durch die Tiefen fliegen.
Dann sehe ich einen Schatten an mir vorbei schweben. Ich folge diesem Schatten. Es ist eine Meeresschildkröte, die sich zum nächsten flachen Felsen bewegt, um von dort Seetang abzuknabbern. Dann kehrt sie zurück und gleitet mit ihren sanften, dunklen Augen und ihren eleganten Bewegungen an mir vorbei. An der Oberfläche schnappt sie kurz nach Luft, um gleich danach wieder unterzutauchen. Sie ist nur eine Armlänge von mir entfernt, so nah, dass ich die Maserung an ihrem Hals genau erkennen kann. Dann kommt eine zweite dazu und noch eine – es sind drei! Und einige wunderbare Minuten lang schwimme ich mit ihnen.
Bewege ich mich dann von Ufer weg und aufs offene Meer hinaus, so sehe ich zur Anfang nichts weiter als weiße, scheinbar unbelebte Sandflächen. Dahinter fällt der Grund unter mir steil ab und ich tauche ein in zauberhafte Wälder des Meeres: scharf und spitz aufragende Korallen, weite, kissenförmige Schwämme, Röhren, die nach oben ragen, und dazwischen, weit unter mir, ganze Schwärme an winzig kleinen Fischen, die mal im Wasser schweben, mal drehen und in eine Richtung flüchten, den Glanz der Sonnenstrahlen auf ihren Körpern einfangend. Ich beobachte Jadgszenen: Ein Räuber, ein größerer Fisch mit scharfkantigen Flossen umkreist die kleinen Fische und schießt dann unvermittelt mit plötzlicher Brutalität in den Schwarm hinein. Doch er greift nicht einen, sondern den ganzen Knäuel an, und so stoben die Fische auseinander, um sich dann sofort wieder zu sammeln. Der Angriff geht ins Leere. Ich schwimme weiter.
In noch größerer Tiefe sehe ich unter der Wasseroberfläche kleine Braune Chromis in einem riesigen Schwarm. Ich schwimme auf sie zu, und plötzlich bin ich mittendrin, die kleinen Fische sehen aus wie braune Schwalben in der Luft; der Schwarm umschließt mich und durch die Oberfläche des Meeres scheint die Sonne durch.
Bis nachmittags um fünf bleiben wir an dem Spot. Als wir dann nach Hause fahren, bin ich müde und erschöpft – noch am Strand, obwohl ich das Meer bereits verlassen habe, fühle ich mich, als würden mich die Wellen immer noch hin und her tragen.
Wieder zurück in der Ferienwohnung. Vorsichtig cremt Stefan meinen verbrannten Rücken ein. Das kennen wir ebenfalls von Aruba.
Kasia, echt jetzt? Schon wieder?
J-jaaa… grr… Rücken verbrannt, Po verbrannt, Haarscheitel verbrannt… trotz bester Vorsätze. Und das, obwohl ich mich diesmal die ganze Woche so wacker gehalten habe. Aber wisst ihr was? Das war es sowas von wert gewesen…