Paris, August 2016
„English? Do you speak english?“ Ja, er sprach auch englisch. Ob ich nicht eine Halskette von ihm kaufen möchte, die würde mir bestimmt so gut stehen.
„Ich bin nicht auf der Suche nach einer Kette, sondern nach einer Information.“ Erklärte ich ihm lächelnd und fragte, ob er wüsste, wo hier die nächste Metro-Station sei. Ja, das könne er mir zeigen, und während wir liefen, erzählte er mir, er sei aus Mali, aber ab und zu in Paris mit seiner Familie. Er sprach gutes französisch, aber auch gutes englisch, und auf meine Nachfrage hin erklärte er mir, er sei oft in Ghana gewesen. „In Ghana sprechen die Leute alle englisch.“ Ich fragte ihn, ob sich die Dialekte der Landessprachen in Ghana und Mali ähneln würden. „Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ganz anders. Die ist ganz anders.“
Ich erzählte ihm, dass eine meiner Freundinnen aus Ghana käme. „Ich wollte mit ihr nach Afrika reisen, doch diesen Sommer sei ihre Familie zerstritten gewesen… es sei zu gefährlich.“
An der Metrostation angekommen erklärte er mir am Fahrplan die Verbindungen, und so langsam bekam ich einen Durchblick darüber, wie die einzelnen Linien miteinander interagieren. „Schau, du kannst hier die Linie sechs nehmen, dann hier (er tippte auf die Haltestelle) in die eins umsteigen und dann hier in die acht. Die fährst du ganz zum Schluss durch.“ Ich versuchte, den Erklärungen zu folgen.
„Weißt du was? Ich kann mit dir mitfahren, dann findest du es schneller, wenn es für dich okay ist.“
Ich schaute sehr erstaunt. „Aber… Hast du denn nichts vor? Isst das denn für dich okay?“
Er lachte. „Ich bin frei wie ein Vogel. Es ist zwar nicht immer so, aber im Moment habe ich gar nichts zu tun.“
Und so kam es, dass wir zusammen in die Metro stiegen; ich löste die Fahrkarten für uns ein. In der Metro selbst sprachen wir wenig. Doch nach und nach näherten wir uns den Außenbezirken von Paris. So langsam kapierte ich die Route und lernte, die Fahrpläne und Umsteigepunkte zu lesen. Und ich war froh, dass da jemand war, der alles in die Hand nahm; ich war des Suchens müde, sich zurück zu lehnen und zu folgen tat so gut nach den chaotischen Tagen.
Ob ich Mali kenne würde, fragte er mich. Na, kennen sei da wohl der falsche Ausdruck… mal auf der Karte gesehen, ja… Er erklärte mir genau die Lage. Timbuktu? Ja, natürlich, Timbuktu!
„Kaum jemand weiß, wo genau Mali liegt, aber fast jeder Mensch weißt was von Timbuktu.“ Er lachte und schüttelte den Kopf. „Dabei ist das Land selbst so groß und die Stadt nur ein kleiner Fleck auf der Karte!“
In der Metro kamen wir nochmal auf seine Halsketten zu sprechen. „Wenn ich sie kaufen wollte?“ Fragte ich. Ich wollte ein Andenken an Paris, an die Hilfsbereitschaft. Er nahm die Kette umständlich ab und wickelte sie um mein Handgelenk. Sie würde mir gut stehen. Wieviel ich denn bieten würde.
„Fünfzehn Euro.“ Sagte ich. Er lachte kurz. Er hätte sich fünfzig vorgestellt. Wir erwähnten die Kette nicht mehr. War das Ding etwa aus Gold?
Als uns die Bahn zum Ausgangspunkt gebracht hat, war danach wiederum ich gefragt. Ich hatte mir die Bushaltestelle, an der mich der Bus in Richtung Metro rausließ, fotografiert; die Zielrichtung und auch die Bushaltestelle, an der ich das erste Mal in den Bus gestiegen bin. Und diese Haltestellen galt es nun zu finden.
Wir liefen kreuz und quer über den Platz, an dem uns die Metro gespuckt hatte, und entdeckten dabei wunderschöne Ecken, die mir zur Anfang meiner Reise völlig entgangen sind; einen ruhigen, glasklaren Teich, der die Hochhäuser auf der anderen Seite spiegelte; eine üppig mit Blumen und Rankpflanzen bewachsene Brücke, die ihre Blüten bis unten auf die befahrene Straßen regnen ließ… warte kurz, sagte ich; ich will ein Foto machen, es ist so wunderschön hier. Ich muss unbedingt wiederkommen. Er lachte kurz und blieb stehen.
Ich sagte: „Ich habe einen Deal für dich. Fünfzehn Euro für die Kette und ein Foto von dir.“ Er lachte, nickte leicht und ich drückte den Auslöser. Ich erzählte von von meiner Homepage. „Aber nicht über Google suchen.“ Sagte ich. „Google mag mich noch nicht…“ Nach einigem Suchen also standen wir vor der richtigen Bushaltestelle. Drissa (ich ließ mir den Namen später nochmal aufschreiben) fragte die Wartenden aus, kommunizierte für mich und glich so perfekt meine Unkenntnis der Landessprache aus. Der Bus käme in neun Minuten. „Wollen wir laufen?“
Was? Ich dachte, ich hätte mich verhört.
„Wenn du danach nach Deutschland fährst, wirst du noch viele, viele Stunden im Auto sitzen.“
Ja… stimmt auch wieder. Also gut, laufen wir.
„Ich laufe gerne.“ Sagte er. „Beim Laufen kannst du vieles, ganz, ganz vieles sehen.“ Ja, ich lief auch gerne. Nur nicht heute…
An der nächsten Haltestelle stiegen wir in den Bus. Diesmal löste Drissa die Fahrkarten für uns ein. Endlich hinsetzen.
Und irgendwann, es war eine gefühlte Odyssee, irgendwann am späten Nachmittag stand ich dann vor meinem Auto und war einfach nur dankbar.
„Das ist dein Auto?“ Drissa lachte sich einen ab.
„Ja, was hast du denn erwartet?“ Fragte ich und zeigte auf einen Schwertransporter nebendran. „So etwas? In mein Auto you can only put shoes inside.“ Erklärte ich. Ein Schuhkarton quasi, doch für mich ausreichend.
„Soll ich dich wieder in die Innenstadt bringen?“ Der arme Kerl war jetzt wegen mir eine ganze Ecke vom eigentlichen Paris entfernt.
„Hast du soviel Zeit?“ Fragte er und sah mich einmal an. „…nein, die hast du nicht, du musst jetzt schnell nach Hause fahren, damit du rechtzeitig ankommst. Macht nichts, ich fahre wieder mit der Metro zurück, no problem.“ Wir veranschiedeten uns und er lief davon. Und ich parkte mein Auto aus und gab Gas.
Es war ein fast magischer Augenblick, irgendwann das Grenzschild mit der Aufschrift „Bundesrepublik Deutschland“ und den vielen kleinen Sternchen drumherum passiert zu haben. Deutschland. Und von da an ging es ganz schnell, irgendwann hieß es: 188 km bis nach Mannheim. Das war schon fast wie zu Hause! Wenn ich mir überlege, dass es vor nicht so lange Zeit noch hieß; 200 km bis nach Metz… Abends nach 21 Uhr war ich bei Stefan zu Hause, und gegen halb zehn kam er vom Motorradfahren zurück, so dass ich ihn in die Arme schließen konnte. Doch ich war viel zu müde, um zu erzählen. Ich hatte so viel erlebt, doch das musste warten.
[…] wir uns ein Stück zurück in der Zeit. Es war in Paris im Jahr 2016. Kasia hat die irre Idee, die Metropole ganz alleine über drei Tage zu erkunden. Ich plane nichts, […]
[…] von Paris. Liege auf dem Rasen unter dem Eifelturm (nein, man muss da nicht hinauf krabbeln…) Verlaufe (und verfahre…) mich in den Wirren der Pariser Metro. Suche verzweifelt mein abgestelltes Auto (und den passenden Stadtteil dazu…). Werde […]