Kürzlich ging bei Facebook eine Anfrage durch die Menge, die sich genau um das Thema drehte: „Sollte man Reiseziele/länder boykottieren, in denen beispielsweise Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Was haltet ihr davon?“
Ich muss sagen; ich stand einer solchen Problematik über eine längere Zeit ziemlich ratlos gegenüber. Natürlich zog es mich zu manchen Orten überhaupt nicht. China beispielsweise mit seiner über lange Zeit praktizierten Ein-Kind-Politik oder Dubai, ein Paradebeispiel an Vergeudung der Ressourcen. Länder, die die Vollverschleierung der Frau zur Pflicht erklärt haben. Diktaturen. Ihr seht, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Doch da fängt das Grübeln aber auch schon an. Nehmen wir die Türkei als Beispiel. Seit längerem hatte ich nicht die geringste Lust, dieses Land als Reiseziel zu erwägen. Es ängstigte mich, zu sehen, was aus dieser offenen, modernen Nation hätte werden können – und in welche Richtung sich die allgemeine Stimmung jetzt entwickelt. Massenent- und Massenverhaftungen, die Beschneidung der Presserechte, die Willkür. Im Namen einer Demokratie? Und der Berliner Flughafen ist ein fertiger Flughafen oder wie?
Doch das Umdenken kam neulich… im Reisebüro.
Mallorca. Es bleiben momentan nur noch wenige als sicher erachteten Ziele in unmittelbarer Nähe, die dem Durchschnittsbürger attraktiv genug erscheinen. Eines davon ist Spanien. Der Tourismus boomt, die Urlauber stapeln sich am Strand, alle sind zufrieden. Aus Saisonarbeitern werden Festangestellte. Die Preise für Anreise und Unterkunft steigen. Angebot und Nachfrage.
In den türkischen Urlaubsressorts herrscht gähnende Leere. Weil sich keiner hintraut. „Sie sind sehr bemüht.“ Sagte der Mitarbeiter des Reisebüros zu mir. „Sie sind froh, wenn überhaupt einer kommt.“
Sie sind froh, wenn überhaupt einer kommt.
Ich weiß, ich weiß… im Falle der Türkei, die eigentlich nur ein Stellvertretendes Beispiel für die Thematik werden sollte, ist es kein Boykott – es ist vielmehr einfach nur die Angst. Es ist einiges geschehen in den letzten Wochen. Doch auch wenn man hoffen möchte, dass das Fernbleiben von Touristen den einen oder anderen Machthaber zum Umdenken zwingen wird – nein, das wird es nicht. Das hat es noch nie getan. Es schadet der Bevölkerung. Von solchen Veränderungen sind die kleinen Schicksale abhängig, nicht die großen.
Und geht es denn nicht um den interkulturellen Austausch? Geht es nicht darum, seinen Horizont zu erweitern? Um zu lernen? Einander zu zeigen, dass es auch anders geht?
Das Schlimmste, was man tun kann, ist es; aufhören, miteinander zu reden. Sei es nun in der Familie, in einer Freundschaft, einer Beziehung – innerhalb der Nationen. Innerhalb der Kulturen. Sich abzuwenden, sich zurückzuziehen kann niemals eine Lösung sein. Denn wollte man sich Länder herauspicken, in welchen etwas in unseren Augen nicht rund läuft, so blieben am Schluss nicht wirklich viele übrig.
Ich sage nicht, dass man sich in vollem Bewusstsein der Gefahr in Gebiete begeben sollte, die nachweislich unruhig sind oder kürzlich Anschläge erlitten haben. Doch wer glaubt, mit seinem (Reise)verhalten ein Land „bestrafen“ zu können – ja, man straft tatsächlich – doch nicht unbedingt die „Großen“, nicht die, die man treffen möchte. Es ist meistens die Verkäuferin um die Ecke, der der Umsatz wegbricht; es ist das Zimmermädchen, es ist der Portier, der Restaurantbesitzer.
Daher wird die Türkei, insofern die politische Lage es zulässt und es keine weiteren Anschläge gibt, weiterhin auf meiner Reiseliste stehen, daher werde ich mich vielleicht sogar nach China trauen, daher werde ich Länder besuchen, die nicht ganz oben auf den Mainstream-Empfehlungslisten stehen, daher habe ich kürzlich Paris besucht.
Denn wirklich sicher ist man nirgends, das ist das traurige Fazit der Geschichte. Und die Menschen, jeder einzelne, können tatsächlich etwas verändern, einwirken – doch nicht, indem sie sich voneinander zurückziehen. Nicht so.
(Einen interessanten Artikel gibt es dazu auch auf Weltreiseforum.com)
Gib mir Kontra!
Was hältst Du davon? Sollte man bestimmte Reiseziele meiden oder hat das keinen Sinn? Was wären Deine Gründe dafür?
Nachtrag, Juli 2016
In meinem Beitrag zu Reiseboykotts habe ich stellvertretend die Türkei als Beispiel genommen.
Seitdem ist viel passiert.
Heute, ein Jahr später, würde ich einiges von dem, was ich damals geschrieben habe, nicht mehr so stehen lassen bzw. nicht mehr so vertreten.
Die Türkei galt bis vor kurzem noch als ein (relativ) sicheres Reiseland, doch das stimmt für mich heute so nicht mehr. Nachdem die Anschläge im Zentrum von Istanbul verstummt sind, geraten Deutsche immer mehr ins Visier der dortigen Justiz (oder Politik…?). Die Verhaftungen deutscher Staatsangehörigen häufen sich in einem ungesunden Maß, und derer Gründe erscheinen sowohl mir als auch vielen anderen Menschen willkürlich und ohne jeglichen Bezug zur Realität. Und obwohl ich immer noch die Meinung vertrete, dass die Menschen vor Ort nicht für die politischen oder auch juristischen Entscheidungen der Obrigkeit bestraft werden sollen, so würde ich heute niemandem mehr ruhigen Gewissens eine Reise in die Türkei anraten: Zu unübersichtlich sind mir dort die derzeitigen Verhältnisse. Ich muss dabei stark an Nordkorea denken, wo solche Verhaftungen schon lange an der Tagesordnung sind, um die entsprechenden Regierungen unter Druck setzen zu können. Meine Hoffnung, dass sich die Situation in diesem Land entspannen wird, schwindet immer mehr, denn seit dem Referendum sieht es düster aus.
Reiseboykotts, nein, das kann immer noch nicht die Lösung sein: Doch die eigene Sicherheit steht nach wie vor an erster Stelle. Denn niemand möchte sich als Spielball der politischen Mächte plötzlich in einem der türkischen Gefängnisse wiederfinden…
Ich würde die Türkei boykottieren! Es ist nicht Angst, die mich davon abhält, in dieses Land zu reisen. Es sind die Menschen, die durch die Wahlen dafür gesorgt haben, dass dort ein Despot regiert. Warum sollte ich das wohl unterstützen?!
Hallo Hans-Georg! Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich kann Deine Meinung teilweise nachvollziehen, doch man darf auch nicht vergessen, dass in etwa die Hälfte der Bevölkerung gegen das Referendum in der Türkei gestimmt hatte. Wären die Wahlzettel auf korrekte Art und Weise ausgezählt worden, wie es die Opposition gewollt hat, dann wäre es nicht zu einer Machterweiterung Erdogans gekommen. Es ist sehr schwierig, sich gegen einen Menschen zu stellen, der mit eiserner Hand regiert. Wenn zudem noch die Pressefreiheit massiv eingeschränkt wird, glaubt die Bevölkerung irgendwann das, was sie glauben soll, siehe beispielsweise Russland. Vieles, was die Menschen in solchen Ländern für ihre eigene Meinung halten, ist im Grunde das, was ihnen vermittelt wird. Und wenn es an anderen Informationsquellen mangelt, wird es schwierig, eine gewisse Objektivität herzustellen.
Auch ich tue es mir manchmal schwer mit der Situation in der Türkei, doch dann sage ich mir: Die Regierung dort spiegelt nicht zwangsläufig den Willen der Bevölkerung wieder. Das wäre zu einfach…
Ich möchte noch eine Sache anschließen:
Wir haben im November 2015 unser diesjährige Kreuzfahrt auf Mein Schiff 6 gebucht, die Transreise von Hamburg nach NY. Unter der heutigen Präsidentschaft des Herrn Trump würde ich diese Reise nicht gebucht haben, d.h. für uns kommt derzeit eine Kreuzfahrt ab/bis NY, wie sie von TUICruises angeboten wird, nicht in Frage.
So geht es auch vielen Bekannten von mir; einige wollen mit ihren Reisen keine Regierung unterstützen, die dabei ist, ihre Auffassung von Demokratie dermaßen zu verändern, und manche haben einfach Angst, dass ihnen als Deutsche etwas passieren könnte, es sitzen bereits neun Deutsche in türkischen Gefängnissen, soviel ich weiß, haben alle von ihnen einen türkischen Hintergrund. Ich hoffe wirklich für die Türkei, dass sich die momentan aufgeladene politische Situation zum Besseren ändert, aber so wie es im Moment aussieht, wird es vermutlich nicht so bald passieren… Euch noch alles Gute und viele tolle Reise-Erfahrungen 😉
Danke für die Verlinkung. Ich habe mich sehr gefreut. Wir sind uns ja im grossen und ganzen einig. Nur noch drei kleine Ergänzungen zu deinen Beispielen.
1. China ist unter dem Aspekt der Sicherheit vollkommen unproblematisch und deutlich sicherer als viele Städte in Europa. Da Chinesen generell sehr hilfsbereit und gastfreundlich sind, wirst du auch sicherlich nicht verloren gehen. Nur die kulturellen Unterschiede sind teilweise recht stark und können einem ziemlich zusetzen. Ist aber generell gut machbar und eine spannende Herausforderung.
2. Die Ein-Kind-Politik klingt zwar krass, ist aber letztlich eine der besten politischen Entscheidungen gewesen, die ein Land in den letzten 30 Jahren gefällt hat. Sie hievte Millionen von Menschen aus der Armut, da plötzlich das BIP schneller wuchs als die Bevölkerung. Sie sorgte dafür, dass Kinder einen besseren Zugang zu Bildung hatten – also nicht mehr bloss der Älteste. Und letztlich ist es auch für unser ganzes Ökosystem gut, dass es heute nicht eine Milliarde Menschen mehr gibt. Ich finde es schade, dass die Ein-Kind-Politik ausschliesslich auf die Einschränkung von Rechten reduziert wird.
3. Die Türkei halte ich weiterhin für relativ sicher und ich würde persönlich auch jetzt noch in die Türkei. Die Anschläge beschränkten sich bisher auf drei Regionen und es ist anzunehmen, dass das so bleibt. Natürlich könnte es theoretisch auch Antalya oder Kappadokien treffen, aber da ist wohl Paris mit seinen radikalisierten Ghettos deutlich gefährdeter.
Gruss,
Oli
Hallo Oli! Vielen Dank für Deine Gedanken zum Beitrag 🙂 Bezüglich der Ein-Kind-Politik in China ist mir mal ein Artikel sehr unangenehm im Gedächtnis geblieben; dabei ging es um Abtreibungen aufgrund des „falschen“ Geschlechts… sprich: Mädchen. Viele Familien wünschen sich traditionsgemäß einen „Stammhalter“ und da sie nur ein Kind großziehen dürfen und die erste Schwangerschaft zufällig ein Mädchen ist… Neulich habe ich eine Reportage darüber gesehen, dass es den (vielen) jungen Männern in China immer schwieriger fällt, eine Frau zu finden 🙂 Klar, hat alles seine Vorteile und seine Schattenseiten. Ich weiß nicht, inwieweit (und ob) sich das Denken der Menschen diesbezüglich (männliche Kinder bevorzugt) geändert hat, da ich das Thema nicht aktiv verfolge. Aber wie gesagt, jedes Land hat sein „aber“… Und ich bin meistens, wenn ich die Landesgrenzen verlasse, sehr positiv überrascht ob der Menschen und ihrer warmen, freundlichen Art, wie neulich in Paris, als mir ein unbekannter junger Mann kreuz und quer durch die ganze Stadt laufend geholfen hatte, mein Auto wieder zu finden (Beitrag dazu folgt 🙂 ). Ganz ohne irgend etwas als Gegenleistung zu erwarten…! Manchmal denke ich; wieso sind wir denn so überrascht, wenn uns so viel Hilfsbereitschaft begegnet?
Aber ich schweife vom Thema ab. Wie ist es denn zur Zeit in China? Die Regierung schottet ab – aber was sagen die Menschen? Lg Kasia
Ja, das Problem mit der gezielten Abtreibung gibt es natürlich. Allerdings muss man hier auch sagen, dass eine pränatale Geschlechtsbestimmung in China bei einer ziemlich hohen Strafe verboten ist. So weit ich das beurteilen kann, funktioniert die Abschreckung mittlerweile recht gut.
Die derzeitige Regierung schottet meiner Meinung nach wieder verstärkt ab. Stärkere Zensur, strengere Visabestimmungen und Reisekontrollen. Das macht das Reisen abseits der üblichen Pfade sehr viel mühsamer. Aber beim ersten Tripp wirst du wohl eher die klassische Route wählen und von all dem eher nichts merken.
Du sprichst mir aus der Seele.. Ein toller Beitrag!?
Dankeschön, das freut mich. Lange Zeit wusste ich selber nicht, wie ich über dieses Thema denken soll. Doch ich hatte schon zu Stefan gesagt: Wenn in die Türkei fliegen, dann jetzt… wie gesagt, viele Gebiete sind ja ruhig, und ich finde, dass die Menschen nicht dafür bestraft gehören, was „die da oben“ tun…