Der Rückweg hält, obwohl wir mit nichts weiter rechnen, doch noch eine Überraschung für uns bereit… Ein geheimnisvolles Kloster, ein Garten voller Stille , die Quelle des Lebens und… und eine gute Fee.Es ist heiß. Richtig heiß. Und obwohl wir auf dem Weg von Würzburg nach Hause ein wenig Abkühlung in Form von Fahrtwind bekommen, ist es trotzdem wie auf einer heißen Platte, sobald wir irgendwo anhalten. In solchen Momenten weiß ich meine Funktionswäsche zu schätzen – wenigstens transpiriere ich nicht. Doch wir wünschen uns beide, einfach mal nach Hause zu kommen – oder in irgend einen dieser glitzernden Bächlein zu springen, an denen wir vorbeifahren.
Wir fahren bergab, mitten auf eine Ortschaft zu, die uns mit ausgebreiteten Armen zu empfangen scheint. Der verschlafene, kleine Ort besteht aus nicht viel mehr als ein paar Häusern, doch lockt er sogleich mit einer interessanten Ansicht zu unserer linken: Die große Kuppel der Rundkirche von Balthasar Neumann überragt alle anderen um sie herum, die kleinen, zierlichen Fenster sind efeuumrankt und zwischen Bäumen und blühenden Büschen teilweise verborgen rauscht ein kleiner Bach. Wir sind angekommen – im Benediktushof in Holzkirchen.
Spontan biegt Stefan dorthin ein; die Straße macht an dieser Stelle einen scharfen Bogen, über einen Parkplatz und einen kleineren Schotterweg geht es dann nach rechts – die schöne Oase ist durch eine steinerne Brücke erreichbar, die eine Bach umspannt. Wir überqueren die Brücke, wenden auf dem Parkplatz direkt vor dem Klostergebäude und bleiben wieder auf der Brücke stehen.
Riesige Bäume senken ihre Äste über dem Bach und verschließen den Himmel. Im Schatten steigt eine angenehme Kühle vom Wasser auf und wir ziehen sofort unsere schweren Jacken aus. An die niedrige Steinmauer gelehnt, die zu beiden Seiten der Brücke verläuft, schauen wir hinunter ins plätschernde Nass. Kleine Insekten schwirren im wechselndem Licht in kleinen Wolken umher. Jetzt ist die Zeit für ein Zigarillo. Ich hole die Packung raus. „Willst du auch eine, Schatz?“
Wir rauchen. Doch zuvor lasse ich es mir nicht nehmen, die kurvige Straße nochmal empor zu steigen und ein Bild von der Anlage zu machen; die imposante, überragende Kuppel, die so schön verwunschene Gemäuer – wunderbar.
Ich klettere wieder die steile Abfahrt zu Stefan hinunter. Wir trinken, nein – wir verschlingen eine weitere Capri Sonne, die in der Hitze des Tages wie eine Erlösung wirkt. Ein großer, gelber Hund kommt, rennt mit viel Getöse in den Bach hinein und schaut, nachdem er sich ausgiebig geschüttelt hatte, schwanzwedelnd und ungeduldig zu seinem Herrchen hoch; na komm schon, es ist wunderbar hier! Worauf wartest du noch, spring rein! Das Herrchen, ein junger Mann um die dreißig, bleibt geduldig mit seinem Fahrrad am Ufer stehen und sieht seinem vierbeinigen Schützling beim Toben zu. Das kann dieser nun gar nicht verstehen: Er wedelt noch einmal mit dem Schwanz und rennt wieder die Böschung hoch. Ich glaube, ich muss meinem Herrchen mal zeigen wie das geht… Auffordernd stupst er mit feuchter Schnauze die Hand vom Herrchen an – nu mach schon! – und rennt dann wieder durch das hohe Gras mitten in den Bach hinein. Dort bleibt er stehen und schaut irritiert zurück. Er versteht offensichtlich nicht, warum sich jemand diese herrlichen Freuden entgehen lassen will.
Ich ziehe den Rauch meiner Zigarre tief ein und drücke den Stummel an der Mauer aus. Stefan schaut mich fragend an: „Wollen wir weiterfahren?“
„Ja…“ Sage ich und schaue nochmal auf die Bäume und das Wechselspiel des Licht. Wie gerne würde ich es dem Hund gleichtun und im Bach verschwinden! „Noch fünf Minuten…“
Als wir ankamen und auf dem begrünten Parkplatz unter den Bäumen wendeten, die erstaunten Blicke der Spaziergänger auf sich ziehend, hatte ich die leise Befürchtung, dass wir als Motorradfahrer mit unseren lauten Maschinen hier an diesem ruhigen Ort nicht so willkommen seien. Doch niemand sagt irgend etwas und als wir nun so auf der Brücke stehen, schauen die Menschen mehr als freundlich zu uns herüber.
Eine Dame in weißer Kleidung und langem, silbergrauen Haar, das sie offen trägt, kommt lächelnd mit hinten verschränkten Händen auf uns zu. „Gefällt es Ihnen hier? Woher kommen Sie denn?“ Wir antworten brav wahrheitsgemäß, da sagt sie: „Haben Sie schon den Zen-Garten gesehen?“ Den Zen-Garten? Auf meiner Stirn sind scheinbar ganz viele Fragezeichen zu sehen, denn sie erklärt sogleich: „Das ist ein sehr schöner japanischer Garten, den sollten Sie sich unbedingt anschauen; in diese Richtung, und dann gleich nach rechts, hinter dem Kloster ist es. Man kann nicht den Benediktushof besucht und den Zen-Garten nicht gesehen haben. Da verpassen Sie ja das Beste!“
„Wenn wir beide dürfen…?“ Sagt ich schüchtern in Anspielung darauf, dass Stefan und ich, als Pärchen, mit Händchen halten und so… hier, in einem Kloster…
„Aber ja doch, natürlich!“ Ruft sie jovial aus und lacht mit ihrer sanften Stimme dabei. „Na hören Sie, die Liebe…! Die Liebe ist doch das Schönste, was es gibt auf der Welt! Da freut sich…“ – Sie tätschelt meinen Arm – „…der Heilige Benediktus im Himmel, wenn er euch beide sieht!“ Damit wandelt sie davon.
Eigentlich wollten wir weiter fahren, doch ich bin neugierig geworden. „Wollen wir es uns ansehen?“ Er nickt. Wir platzieren all unsere Sachen samt den Rucksäcken beim Motorrad und laufen los in die angezeigte Richtung. Ausgerechnet hier im Kloster wird uns schon niemand beklauen.
Wir laufen am Klostergebäude vorbei in den hinteren Winkel der Anlage. Dort, genau an einer Wegesbiegung, wartet ein plätschernder, steinender Brunnen auf uns, der kristallklares Wasser führt. Ich tauche die Hände ein. Eiskalt, wie aus einer Quelle. Im Gestein ist ein Leitungsrohr angebracht wie manchmal an Waldbrunnen der Fall ist, und um ans Wasser zu kommen, steigt man ein paar Stufen hinunter. Seitlich des kalten Wasserstrahls steht ein steinerner, betender Buddha im Schneidersitz; eine Kerze, die in einem roten Glasgefäß flackert und eine Granatapfelfrucht daneben. Wir gehen weiter.
Den Eingang zum Garten bildet eine Pforte, die in einem niedrigen Zaun aus Holz eingelassen ist. Die Pforte lässt sich interessanterweise automatisch über ein Gegengewicht schließen – einen Stein, an einem Drahtseil befestigt, der, langsam zum Boden gleitend das Tor zugehen lässt. Die Eintrittspforte ist mit einem neu angebrachten Schriftzug versehen: Das Betreten ist für Unbefugte nicht gestattet. Stefan zögert. „Wir sind ausdrücklich eingeladen worden.“ Sage ich. „Wir sind befugt.“ Dann mache ich die Pforte auf.
Der Zen-Garten ist ein steinerner Berggarten, unterteilt in viele Ebenen; die Ebenen führen den waldbewachsenen Berghang hinauf. Nach japanischem Vorbild wurden Miniaturbaum-Arten gepflanzt. Ansonsten sind viele Pflanzenarten zu sehen, die bergiges, steiniges Gelände mögen; Kletterpflanzen, Bergblumen… ein japanisch anmutender Steingarten eben.
Der Pfad, auf dem wir wandern, ist wie ein Steg aus Holz erstellt und ein hüfthohes Holzgeländer zeigt deutlicher als jedes Schild es vermocht hätte, dass man sich wünschenswerterweise an die gekennzeichneten Wege bitte halten sollte.
Im Innenbereich des Gartens, hinter einen Sichtschutz, den ein Holzpavillon bildet, findet eine Teezeremonie statt. Ein Mann sitzt davor und betrachtet uns; seine Anwesenheit bestärkt die Mitteilung auf einer vor dem Pavillon aufgehängten Tafel, dass jegliche Störung momentan unerwünscht ist. Wir unterlassen es also unter seinem strengen Blick, neugierig um die Ecke zu spähen; stattdessen setzen wir uns auf eine niedrige Steinmauer.
„Capri-Sonne?“
„Ja.“ Strohhalm im Mund, ein neugieriger Rundumblick. Ein anderes Pärchen schlendert an uns vorbei und verschwindet in den weitläufigen Anlagen des Klostergartens. „Du, da geht es weiter.“ Ich zeige mit einem Kopfnicken auf die beiden. „Man kann das ganze Kloster besichtigen.“ Stefan schaut auf die Uhr. „Das wird sonst aber zu spät.“ Wir gehen zurück.
Zum letzten Mal tauche ich meine Hände in die eiskalte Quelle am Eingang des Zen-Gartens und lasse das Wasser über meinen Rücken laufen. Irgendwann ist mein Funktionsoberteil komplett durchnässt und speichert die erfrischende Kühle auf meiner Haut. Auf dem Weg zum Motorrad halte ich Ausschau nach der Frau mit den langen, weißen Haaren; doch die Fee lässt sich nicht mehr blicken.