„Wie weit noch?“ Frage ich quengelig im Auto sitzend, obwohl ich die Entfernung wohl auf dem Navi vor meiner Nase sehen kann.
„Noch 25 Kilometer.“ Antwortet Stefan geduldig. Da wir seit heute Vormittag um elf im Auto unterwegs sind und es nun bereits halb vier ist, halte ich mein Gemecker für durchaus angebracht. So langsam macht sich mein Hintern bemerkbar (glaubt mir, den kann man sich wirklich platt sitzen!) und ich weiß nicht mehr, in welche Richtung ich ihn drehen soll.
Überhaupt erscheint es mir angesichts dieser wundervollen Landschaft immer unsinniger, den gesamten, wunderschön sonnigen Tag im Auto zu verbringen. Die Sache mit dem Wandern kommt mir in den Sinn. Wandern wäre toll gewesen…
Doch nun haben wir uns dafür entschieden, den Grand Ballon zu erklimmen (lach…) und steuern langsam aber sicher auf den Gipfel zu. Einmal noch steigen wir aus dem Auto, um uns zu orientieren – zufälligerweise handelt es sich dabei um einen Parkplatz mit einer Wahnsinns-Aussicht. Ich bewundere den Blick über die Weiten der Vogesen, die Ortschaften, eingebettet zwischen den Berghängen und der inzwischen sehr tief stehenden Sonne, die kaum noch Wärme spendet. Unter mir höre ich Männer laut auf französisch miteinander sprechen; Stimmen, die immer näher kommen. Ich höre Vieh – ein Stück weiter unten ist ein Bauernhof zu sehen. Die Männer sehen mich nicht, denn ihr Pfad verläuft unter dem Abhang, an dem ich stehe. Unwillkürlich frage ich mich, wie es wohl ist, hier zu leben (Hart? Jenseits von Gut und Böse? Nicht so romantisch wie es mir erscheint?) und fühle mich wie der Tourist, der ich wohl auch bin.
„Weißt du…“ Sage ich zu Stefan, als wir die letzten Meter den steilen Pfad zum Gipfel hinauf fahren: „…wenn ich könnte, würde ich uns hier in den Bergen so ein ausrangiertes, altes Haus kaufen; wir würden Gemüse anbauen und uns selbst versorgen – im Sommer hätten wir eine Herberge für Reisende inmitten der Natur und im Winter würden wir vom Ersparten leben, unser eingemachtes Gemüse und Konserven essen, die im Keller lagern und die ganze Welt ließe uns in Ruhe…“ Stefan lächelt mich an. Nachsichtig? Amüsiert? Verständnisvoll? Keine Ahnung, was dieses Lächeln bedeutet.
Pünktlich zum Sonnenuntergang finden wir uns am Gipfel vom Grand Ballon ein. Es ist kalt, als wir aus dem Auto steigen. Wir sind oberhalb der Baumgrenze und eigentlich hatte ich auf ein bisschen Schnee gehofft, doch der zeigt sich nur stellenweise auf der Nordseite des Berges.
„Die Ski-Saison verschiebt sich auch immer weiter nach hinten.“ Sagt Stefan. Unterwegs kamen wir an einer Ski-Piste vorbei, die inmitten von grünem Gras und frühlingshaftem Wetter mit weißem, künstlichen Schnee lockte. Irgendwie sah das traurig aus.
Der Ausblick hier am Berg ist schön, keine Frage. Doch den ganzen Tag dafür im Auto gesessen zu haben… Wir machen unsere Bilder, packen die Kamera weg und uns wieder ins Auto.
„Wollen wir noch etwas essen? Hier oben ist ein Restaurant.“ Mir schwebte da ein Flammkuchen vor, doch Stefan schwebte es vor, vom Berg wieder hinunter zu kommen, bevor es dunkel wird. Also kein Flammkuchen.
Grummelig sitze ich wieder im Wagen. Die Piste, die wir jetzt stellenweise im Schritttempo runter fahren, ist eng und kurvig, manche der Kehrtwenden sind um die 180 Grad steil. Links von uns erhebt sich der Berg, rechts von uns winkt der Abhang. Die schmale Straße (ist diese Begrifflichkeit denn hier überhaupt angebracht?) schlängelt und windet sich nach unten wie eine Python im Gebüsch. Wenn jetzt Gegenverkehr käme, hätte man verloren, denke ich. Und es kommt Gegenverkehr – recht häufig sogar. Irgendwie kuschelt sich eines der Autos so weit es geht am Berg an, während der andere Fahrer (aufgrund der Gegebenheiten sind das meist wir) sein Auto vorsichtig zwischen Auto eins und dem Abhang hindurch balanciert.
„Nächstes Mal gehen wir wandern!“ Sage ich, als es dunkel ist und wir wieder unten im Tal die sichere Autobahn erreicht hatten.
Stefan neben mir tut so, als hätte er es nicht gehört.