Polen, Dezember 2015
Goldene Wandverzierungen, Ikonen und Schnörkel. Ein prachtvoll geschmückter Altar. Alles ist getaucht in Kerzenlicht. Die Weihnachtsbeleuchtung tut ihr Übriges, und so bleiben wir zunächst sprachlos stehen. Stefan zieht andächtig seine Mütze vom Kopf.
Wir entdeckten die wunderbare romanische Kirche aus dem 11 Jhd., mehr oder weniger durch Zufall, denn im Grunde fuhren wir zunächst etwas planlos, dafür aber mit einer aufgeladenen Kamera (toi toi toi) durch die Gegend.
Wir erkunden die nähere Umgebung. Gut, also… Stefan erkundet die nähere Umgebung, ich sitze nebendran. Wie schon gesagt, es ist Polen, das meiste hier kenne ich ja schon. Nebenbei kommuniziere ich per Sms mit meiner Freundin Jola. Wir sehen uns alle Jubeljahre einmal, wenn ich im Lande bin, was selten genug der Fall ist. Für morgen haben wir ein Treffen geplant, ihr Mann ist den ganzen Tag außer Haus, also haben wir viel Zeit für uns.
Mein Schatz kommentiert die Gegend. Wie die Häuser aussehen, wie der Zustand der Straßen ist, der Verkehr… Klar, es ist für ihn alles neu und spannend hier. Ich gähne in meinen Schal.
Das Haus meiner Kindheit
Heute morgen zeige ich Stefan das Haus meiner Großeltern in Milecin, dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Bei der Gelegenheit kommt auch meine Mutter mit, sie will ein paar ihrer Sachen holen.
Es ist befremdlich für mich, wieder hier zu sein. Wir kommen nur in den Hof hinein, das Haus ist verschlossen. Die Fenster sind dunkel, kein Hund, der bellend umherspringt. Viele der Obstbäume wurden gefällt und durch Thujen ersetzt. Der Rasen im Innenhof ist voller Maulwurfshügel. Mich fröstelt es. Es kommen keine Erinnerungsfetzen hoch. Der Ort hatte sich zu sehr verändert, er strahlt keine Wärme mehr aus. Es hatte sich alles verändert, die Vergangenheit ist nun tot.
Czerwinsk an der Weichsel
So heißt der Ort, der die bereits erwähnte, wunderbare Basilika beherbergt. Schon von außen beeindruckend, bietet sie innen ein atemberaubendes Bild. Farbenfrohe Decken und Waldmalereien – in Dunkel getaucht- kommen erst im Blitzlicht der Kamera zum Vorschein. Das Innere der Kirche ist opulent, in barocken Stil ausgestattet. Goldene Wandverzierungen, Ikonen und Verschnörkeltes, ein prachtvoll geschmückter Altar, getaucht in Kerzenlicht. Die Weihnachtsbeleuchtung tut ihr Übriges, und so bleiben wir zunächst sprachlos stehen. Stefan zieht andächtig seine Mütze vom Kopf.
Ein kurzer Moment der besinnlichen Stille, dann beginnt das Fotografieren. Altar, Kirchenschiff, Deckengemälde, alles wird aufgenommen, alles muss drauf, wir wollen, wenn es irgendwie geht, so viel wie möglich von diesem Ort hier einfangen. Hast du das Licht drauf bekommen, Schatz? Und die bemalte Decke? Mit Blitz… ja, mit Blitz ist es besser. Oh ja, ich hab alles… aber nein, schau mal, dieses und jenes Detail noch…
Hm… ich hätte auch gerne ein Bild von mir hier an diesem Ort… ich setze mich mal da vorne hin, vielleicht fotografiert mich Stefan ja… Oh ja, er hebt schon seine Kamera. Jetzt ja ganz unbeteiligt schauen, nur nicht so wirken, als hätte ich bloß darauf gewartet… zack, im Kasten. Jetzt einmal aufstehen, nach vorne laufen… Schatz, machst du noch ein Bild von mir? Danke!
Als wir hinaustreten, hatte es schon wieder aufgehört zu regnen. Dafür setzte die Dämmerung ein. Sechszehn Uhr. Winter. Wir fahren zurück, noch immer tief beeindruckt. Dunkelheit, Nieselregen. Ein Straßenschild leuchtet kurz im Licht der Scheinwerfer auf. Vorsicht, Hund auf der Straße.
Hund auf der Straße?
Doch wir sind zufrieden. Allein für diese Kirche hatte es sich gelohnt, loszufahren. Morgen früh steht der Marktbesuch auf dem Plan. Danach – meine Freundin wiedersehen. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen.