Europa, Polen

Ostermontag und der Śmigus-dyngus

Swingus-Dyngus

Ostern zu Hause fängt bei uns traditionell mit einem an: mit viel Fleisch. Und Eiern. Doch an Ostermontag beginnt – wenn man Pech hat – für einen unbeteiligten Dritten der Tag mit etwas anderem, und zwar mit einem Eimer Wasser über seinem Kopf. So geschehen in vielen Dörfern in Polen und im slawisch-kulturellem Raum.

Für meinen Onkel startet der Tag unvermittelt mit einem Spritzer Wasser in den Nacken. Hochgeschreckt aus dem noch seligen „erstmal ein Kaffee“-Zustand guckt er empört zu, wie ich um die Ecke flüchte, dann setzt er seinen Weg in die Küche fort. Mein Onkel ist weder unschuldig noch unbeteiligt; mein Onkel hat einiges auf dem Kerbholz.

Doch der Spaß beginnt nicht sofort. Zunächst sind wir noch friedlich damit beschäftigt, das Frühstück herzurichten. Ich habe eigens ein paar Drei-Euro-Wasserpistolen gekauft, die bereit und geladen auf der Ablage ruhen. Darüber kann die erfahrene Jugend nur müde lächeln. „Nimm eine Flasche.“ Erklärt mir Gosia später. Und was dann, frage ich: ein Loch in den Verschluss bohren? Nein, sagt sie, den Verschluss ganz abnehmen. „Und dann gib-ihm.“

Nach dem Frühstück breitet sich eine träge Stimmung aus. Am liebsten würde ich wieder in mein Bett kriechen, und schon gar nicht ist mir danach, mich auf dem Hof von Wasserfanatikern jagen zu lassen. Auch die Family ist müde. Dennoch spüre ich eine gewisse Vorbereitungshaltung in der Luft. Flaschen werden befüllt. Es wird sich umgezogen. Ein jeder schlüpft in ein bequemes, sportliches Outfit. „Zieh dich um.“ Ich stupse Stefan an, der noch in aller Seelenruhe durch die Wohnung schlendert. „Glaub mir, ist besser.“ Ich hatte meinen Liebsten bereits darüber aufgeklärt, was es mit polnischen Bräuchen an Ostermontag auf sich hat, und mein Liebster hatte den Gedanken, sich wie Kinder mit Wasser zu begießen, für unter seiner Würde befunden. Doch nun kleidet er sich brav in seine Jogginghose.

In Polen glaubte man früher, dass es demjenigen, der mit Wasser übergossen wurde, Glück für das kommende Jahr brächte. Und mit Vorliebe wurden junge Mädels von ihren Verehrern mit Wassereimern durchs Dorf gejagt. Dieser Brauch ist keine neumodische Erfindung, es gibt ihn schon seit Jahrhunderten bei uns und im slawischen Raum. Der „Swingus-Dingus“ wird auch in Tschechien und der Ukraine praktiziert. Vor allem Jugendliche überspannen oft den Bogen und kippen eimerweise Wasser über unachtsame Mitbürger.

Doch wer wie wir glaubt, dass man, sobald man die Haustüre verlässt, sofort mit literweise Wasser „getauft“ wird, der irrt. Vor allem in Städten gibt es den Brauch nur noch, wenn überhaupt, in kleinem Rahmen. Gosia und Jacob beruhigen uns dahingehend und ermuntern uns, an unserem Plan festzuhalten und nach Warschau zu fahren. Wir werden später höchstens Mini-Wasserpistolen bei kleinen Kindern sehen, und kein Passant wird belästigt.

Doch vorher werden wir noch von der lieben Family über den Hof gejagt. Und ich muss neidlos die Überlegenheit primitiver Einsatzmittel gegenüber ausgefeilten Waffensystemen anerkennen. Schon bald werfe ich mein schickes Pistölchen in die Ecke. Das ist der Moment, um Gosias Tipps einzusetzen. Wie war das nochmal? Die Zweiliter-Flasche befüllen, Verschluss gleich offen lassen… Ach warte, da ist mein Onkel. Auf ihn mit Gebrüll.

Die für Ende März ungewöhnlich heißen Temperaturen machen die unfreiwilligen Duscheinheiten gleich viel angenehmer. Später trocknen wir uns im Bad ab und schlüpfen wieder in unsere Sonntagskleidung.

 

Der Lazienki-Park

Der Park befindet sich nahe des Botschaftsviertels. „Heute wird wenig los sein.“ Sagten mir zu Hause meine lieben. „An den Feiertagen geht kaum jemand hin.“ Das dachten sich wohl auch andere, und die treffen wir dann genau hier, kreisend wie die Habichte am Himmel auf der Suche nach einer freien Parklücke.

Ebenso wie wir. In der Nähe der koreanischen Botschaft werden wir fündig. Aus dem Auto steigend sehen wir eben noch einen enttäuschten Fahrer, der mit seiner schwarzen Mercedes Limousine an uns vorbei zieht. Von wegen nichts los heute.

Im Park selbst tummeln sich junge Familien. Alles blüht. Ich habe den Lazienki Park vor einigen Jahren einmal im Spätherbst besucht, als Eichhörnchen über Baumstämme flitzten und sich das Laub bunt verfärbte. Jetzt leuchten neongrün frische Blätter in der Sonne, Wärme lässt alles erblühen, was nur blühen kann. Üppige, alte Magnolien biegen sich unter der Pracht. Menschen schlendern, sitzen auf Bänken oder in den parkeigenen Cafés. Fast alle von ihnen sind schick gekleidet, Frauen mit flatternden Sommerkleidern und Männer in Anzügen. Ob dieser Gelegenheit erkläre ich Stefan das Phänomen der Sonntags- und Feiertagskleidung, welches bei uns noch immer auftritt und welches, seit ich mich daran aus meiner Kindheit in den Neunzigern erinnern kann, noch nicht ausgestorben ist. Es ist nicht unüblich, sich an Feiertagen besonders elegant zu kleiden und dann, wenn das obligatorische Essen mit Familie absolviert ist, in eben jener Kleidung spazieren zu gehen. Eine Polin in Blazer und hohen Schuhen, die durch den Stadtpark läuft, ist nicht overdressed. Denn es ist Sonntag, oder, wie in diesem Falle, Ostermontag.

Dieser über Jahrzehnte anhaltende Trend macht auch vor Kindern nicht halt. Belustigt sehen wir kleine Damen und Kavaliere, vielleicht gerade mal drei- oder fünf Jahre alt, mit ihren feinen Sonntagskleidchen. „Das ist es, wovon jedes Kind träumt.“ Sage ich zu Stefan. „Pass auf dein Kleid auf. Geh nicht im Dreck spielen, du machst dich schmutzig.“ Und lauf nur brav neben deinen Eltern her und langweile dich zu Tode.

Es gibt aber auch schöne Szenen zu sehen. Einen Vater, der ausdauernd mit seinen beiden Mädchen spielt. Ältere Menschen, die sich an den Händen halten. Komplett alternative Parkbesucher, ein Gegenteil von der schicken Kleidung der anderen. Polen ist tolerant und mischt sich nicht ein. Wenn jemand seine abgerissenen Jeans und Tattoos möchte, dann möge es so sein. In einer Großstadt, wohlgemerkt. Kleinstädte sind da wieder ein anderes Kaliber, vielleicht gehe ich irgendwann näher darauf ein.

Zu dem Lazienki-Park selbst. Es ist noch zu früh im Jahr, Ende März, und die Boote auf dem künstlich angelegten See vor dem Wasserschloss fahren noch nicht. Uralte Bäume nehmen fantastische Formen an. Forsythien spiegeln sich im Wasser wie Leuchtfeuer. Die zahmen Eichhörnchen, die einem aus der Hand fressen, sind heute etwas scheuer; kein Wunder bei den vielen Smartphones, die bei ihrem Anblick gezückt werden.

Der Lazienki-Park, oder: die Königlichen Bäder. Die weitläufige Parkanlage, die aus zwei Teilen besteht und durch eine Straße getrennt ist, wurde im 18 Jahrhundert von Stanislaw August Poniatowski, polnischen König zw. 1764-1795 angelegt. Der Name leitet sich von einem Bäder-Pavillon ab, der dort errichtet wurde. Ansonsten gibt es neben Gebäuden, die heute in großem Teil Ausstellungsräume und Museen beinhalten, vier Gärten zu bestaunen: den Königlichen, den Romantischen, den Modernistischen und den Chinesischen Garten. An der Chopin-Statue, die wir gegen Abend über viele Treppen erreichen, spielen sich im Sommer an den Wochenenden klassische Konzerte ab.

Der ursprüngliche Plan sieht vor, sich nach der Besichtigung zum Ufer der Weichsel zu begeben, und dort mit anderen Feiertagsspaziergängern entlang zu flanieren. Doch die Hitze wird nicht eben weniger und die Lust vergeht. Wir sitzen viel im Schatten und bestaunen das Geschehen um uns herum. Enten watscheln über den Rasen, kleine Kinder bespritzen sich unter Aufsicht ihrer Eltern mit Mini-Wasserpistolen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass uns niemand mit eimerweise Wasser begießt.

Aus dem Plan, zur Weichsel zu fahren, wird freilich nichts. Dafür treibt uns der Hunger aus dem Park. Ich will Stefan unbedingt die russische Botschaft zeigen oder das, was direkt vor ihr entstanden ist. Die russische Botschaft hat es seit dem Februar 2022 nicht leicht, sieht sie sich mit einer geballten Feindseligkeit der polnischen Bevölkerung konfrontiert. Ein Streifenwagen wird tagtäglich zum Schutz am Botschaftsgelände postiert. „Die lieben wohl ihren Job.“ Sage ich zu Stefan und nicke in Richtung der Streife. Ob sie ihn lieben oder nicht, die Polizeibeamten, Sarkasmus hilft nichts. Job ist Job und muss gemacht werden.

Russische Botschaft in Warschau

Vor dem Botschaftsgebäude, so, dass man es von den Fenstern aus sehen kann, steht auf dem Gehweg überlebensgroß und in kyrillisch „Slava Ukraini!„. Und jeglicher Briefverkehr geht nun an die Botschaft in der „Straße zu Ehren der Opfer russischer Aggression“ – die Belwederska 49 wurde kurzerhand umbenannt.

Ebenfalls direkt vor den Toren der Botschaft, auf der gegenüber liegenden Straßenseite, befindet sich ein Restaurant: die Krim (pln. Krym). Vollgespickt mit blaugelben, ukrainischen Flaggen setzt es ein starkes Symbol direkt in das russische Gesicht: die Krim gehört zur Ukraine. Das Restaurant serviert ukrainische und tatarische Spezialitäten wie Kaffee auf Sand, Kräutertee mit Kräutern der Halbinsel, verschiedene Joghurtbeilagen und Fleischgerichte und moldawischen Wein. Im Hintergrund läuft die dazu passende Musik.

 

Hier blieben wir eine Weile und probieren uns durch, denn das Essen ist köstlich. Als wir an diesem Abend nach Hause kommen, haben wir eigentlich nicht allzu viel gemacht – und doch viel erlebt.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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15 Kommentare

  1. Fleischberge verdrücken und sich mit Wasser übergießen lassen: ich weiß nicht, was mich mehr abschrecken würde 😅. Vermutlich dann aber doch das Fleisch. Der anschließende Besuch des schönen Parks wäre dann schon eher nach meinem Geschmack gewesen. Ohne Stöckelschuhe, versteht sich!

    1. Das Fleisch, na ja… von dir würde man den Genuss nicht erwarten, aber ich als Familienmitglied bin da auf verlorenem Posten. Das mit dem Wasser ist schon ein großer Spaß. Vor allem, wenn das Wetter mitspielt. Es waren ja auch diesmal keine Eimer im Spiel… 😉

  2. Schön von solchen Bräuchen zu lesen! Danke!

    1. Bräuche können sehr amüsant sein 🙂

  3. Da kann ich den Stefan aber voll verstehen.

    1. In welcher Hinsicht? 🙂

      1. Na, dass er das giftige Wässerchen wieder ausspuckt spricht für Stefan. So habe ich das auch gemacht.

        1. Ach so, das. Ja, ich habe das heilende Wässerchen schön weiter genippt, aber dann fühlte ich mich so wundersam geheilt, dass keine weitere Kostprobe mehr nötig war 😉

  4. Aber nicht etwa in Karlsbad???? Du erinnerst dich hoffentlich an meinen warnenden Beitrag wegen des Wassers?

    1. Liberec. In Karlsbad war ich schon, dort kann man wunderbar in Bier baden. Und in Marienbad hat Stefan das heilende Wässerchen sofort wieder auf den Bordstein gespuckt. So wird das halt nix mit der Genesung… 😉

  5. Oha! Ganz entspannt, sehr schön.

  6. Ach so, verstehe. Aber Tschechien ist auch nicht übel

    1. Wenn man die Zeit in einem Wellnesstempel verbringt, dann sowieso 😉

  7. Das klingt für mich alles logisch mit dem Wasserspritzen zu Ostern. Zumindest logischer als Eier anzumalen und von Hasen versteckte Nester zu suchen. Aber was mir ein Rätsel bleibt: es ist doch noch gar nicht Ostern. Bist du in einer Zeitschleife rückwärts gelaufen?

    1. Genau. Die Zeitschleife führt uns ins Jahr 2024, wo Ostern noch Ostern war und die Hasen… ach, wie auch immer. In jedem Falle beschreibt der Beitrag das letztjährige Osterfest daheim, weil ich in diesem Jahr nicht feiern werde, wir sind nach Tschechien unterwegs… 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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