Deutschland, Europa

Die schlaflosen Nächte der Gräfin – Geisterführung auf Schloss Gamburg

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Meine Freundin wirkt recht nervös. „Dort im Saal gab es Klopfgeräusche.“ Sie blinzelt. „Hast du das auch gehört?“ Ich muss verneinen, ebenso wie die Umstehenden. Doch sie lässt sich nicht beirren. „Und das Licht hat geflackert. Ist das normal? Und es hat jemand geklopft. Hast du das Klopfen wirklich nicht gehört?“ Eine Dame hinter mir grinst amüsiert und auch ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. „Wir haben nichts gehört.“ Sage ich. „Keiner hier hat die Geräusche gehört außer dir…“ Sie seufzt, keineswegs beruhigt. „Vielleicht waren es ja Kinder…“

Doch wie ist es dazu gekommen?

Spulen wir doch mal ein paar Stunden zurück. Ja, hier an dieser Stelle halten wir den Film an. Was ist zu sehen? Zwei Mädels jagen in einem Auto bei Dämmerung eine enge Serpentinenstraße hoch. Gut, perfekt. Hier lassen wir den Film weiter laufen. Die Geschichte beginnt.

Die Burg Gamburg liegt im lieblichen Taubertal und, obwohl die fränkische Gegend an sich ein frequentiertes touristisches Ziel ist, ist die Burganlage sowie Gamburg, der Stadtteil Werbach, recht unbekannt. Und trotz dass ich schon seit längerem immer mal wieder beruflich entlang der Tauber fahre, ist mir die Burg als solche erst neulich in Form eines Infoflyers untergekommen, deren kleine Stapeln im Tauberbischhofsheimer Rathaus auslagen. „Geisterführung auf Burg Gamburg.“ Lese ich bei Blättern mit. Eine Geisterführung? Perfekt!

Kurz überlege ich hin und her, wen ich zu diesem Ereignis mitnehmen könnte. Meine Freundin Janine interessiert sich durchaus für Veranstaltungen, die irgendwie mit dem Okkulten zu tun haben (oder auch nur daran erinnern…) und, obwohl sie sehr empfänglich und leicht zu beeindrucken ist, hatten wir bereits bei der Geisterseance in Karlsruhe und auch bei diversen Gruselfilmen im Kino sehr viel Spaß. Händchen halten zum Trost inklusive.

 

Das Hotel

Wir checken zunächst im Hotel ein, einem gemütlichen Gasthaus in Werbach, Tauberfranken. Das Hotel ist liebevoll eingerichtet und die Zimmer tragen nebst Nummern schnuckelige Namen wie „Honigsüß“ oder „Hopfenspaß“. Wir residieren im „Glückspilz“.

Zum Gasthaus gehört ein uriges Restaurant mit einem Bier- und Weingarten draußen im Hof. Das Abendessen wird vorverlegt und nach einem Sekt-Sherry-Cocktail sitzen wir wieder im Auto. Es ist Abend. Die Veranstaltung beginnt um neun, doch wir wollen früher da sein. Die Landschaft zieht vorbei und die Straßen wirken vereinsamt. Dunkelgrün wellen sich die Felder hinter den Autoscheiben. Nach circa acht Kilometern erreichen wir Gamburg.

 

Die Gamburg

Zur Burg geht es über eine steinerne Brücke, die von Heiligenskulpturen bewacht wird. Und dann kommt die besagte Serpentinenstraße. Bei solchen Anlässen hoffe ich jedes Mal inständig auf das Ausblieben jeglichen Gegenverkehrs. Die sog. Straße ist so eng; wie da noch ein Fahrzeug passen sollte, übersteigt meine Vorstellung.

Oben ist gerade Sonnenuntergangsszenario – nur leider auf der uns abgewandten Seite der Burg. Ein paar einsame Strahlen verirren sich auf einem der Felder, wo ein Traktor seine Runden zieht. Einige Teilnehmer warten bereits. „Oh, schau mal, da ist bereits ein Geist!“ Sagt Janine und zeigt auf ein weißes „Casper“-Verschnitt, dass jemand an das massive Holztor der Burg genagelt hatte. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Ich grinse. „Da ist nichts.“ Sie verdreht die Augen und ich lache.

Ja, wir fallen wie eine laute Heuschreckenschaar in die ruhig wartende Gruppe ein. Hier ein Foto, da ein Foto, schnatter schnatter… bis auch wir uns endlich beruhigt haben. Zwei Mädels auf einer Burgmauer. Bereits hier leuchtet das Licht von Kerzen, die in kleinen Laternen auf der Mauer stehen. Das Publikum ist bunt durchmischt: Ältere, Kinder, ein paar um die Fünfzig. Weitere Gäste tröpfeln ein. Endlich gehen die Burgtore auf und eine kleine, ältere, sehr fein wirkende Dame tritt lächelnd heraus. „Oh, die Burgdame!“ Sage ich flüsternd zu meiner Freundin.

Wir werden hereingelassen, es gibt einen kleinen Umtrunk. Der „Geistertrunk“ besteht aus einer Mischung aus Säften und Hochprozentigem und wird vom Burgherren selbst ausgeschenkt. Die alkoholfreie Alternative besteht aus Wasser und O-Saft, aber wer will die denn schon haben, der eine Wahl hat?

Als wir an der Reihe sind, schaut uns der Burgherr kurz an. „Ihr wollt Alkohol.“ Sagt er entschlossen und füllt die Gläser. Wer kann dazu schon nein sagen?

Es mundet.

Die Gäste verteilen sich in der Burganlage. Die Gamburg wirkt wie aus einem Märchen. Außen massiv und robust anzusehen, unterscheidet sie sich kaum von anderen Anlagen dieser Art. Aus massivem Stein gemacht schmiegen sich die schützenden Mauern um den Kern.

Dieser allerdings erinnert an ein Schloss. Hier verbergen sich Gärten, steinerne Skulpturen; Monster, Kobolde und Dämonenfratzen werden vom Kerzenlicht erhellt und Fachwerk vermengt sich mit feinen Türmen, um die sich wild die Pflanzen schlingen. Palmen und Blumen lassen den Garten mediterran wirken.

Die vielen Skulpturen haben es uns angetan. Sie zeigen Gnome und musizierende Zwerge. „Es ist eine Schnecke! Es ist eine Schnecke!“ Ruft meine Freundin vernehmlich nach mir und nachdem ich mich einen kurzen Moment lang frage, was denn jetzt kaputt sei, entdecke ich, was sie meint: eine der Skulpturen zeigt einen kleinen Jungen, der auf einer Gartenschnecke reitet.

Als der kleine Garten erkundet ist (es ist nicht der einzige schöne Garten der Burg…), ist der Burghof dran. Auch hier sind unzählige Lichter drapiert. Obelisken bewachen die Mauern und Treppen, viele Sitzmöglichkeiten laden zum Entspannen ein. Einige der Räume sind geöffnet, unter anderem die Kapelle, eine Wendeltreppe und ein Speisesaal. Das Fotografierverbot untersagt es leider, an dieser Stelle eine Aufnahme des Saals zu veröffentlichen, aber seid versichert, das Äußere wie das Innere der Burg ist unbedingt sehenswert!

Die Burgkapelle

Da ich noch etwas Zeit habe, gehe ich zur Kapelle. Sie enthält katholische Elemente, Gemälde und Ikonen schmücken Altar und Wände. Ich versuche immer, solche Orte zu „erspüren“, doch so viel Zeit habe ich nicht. Von draußen höre ich Janine rufen: „Es geht los!“

Der Burgherr, der zwischenzeitlich verschwunden war, steht nun gewandet vor uns. Er gleicht einem Geschichtenerzähler aus der alten Zeit. Ein einfacher Umhang verbirgt sein Haupt und in der Hand hält er einen hölzernen Stab und eine Laterne, in der eine einzelne Kerze flackert. Inzwischen ist die Sonne längst unten und die Dämmerung legt sich über der Burg. Es ist warm, eine sehr warme Nacht Ende Juli, und die Wände scheinen die Wärme gespeichert zu haben.

Mit lauter Stimme beginnt er die Geschichte.

 

Die Gräfin

Im Burghof flackern die vielen Lampions und Lichtlein, die in liebevoller Arbeit aufgestellt wurden. Die Stimme des Burgherrn schallt von den Wänden. Er erzählt von einem alten Manuskript aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, welcher von einer ganzen Reihe von Geistern hier auf der Burg zu berichten weiß. Über zwanzig seien es gewesen, und alles begann mit einer jungen Gräfin, die in zartem Alter von sechszehn mit ihrem Gatten aus dem Rheingau nach Tauberfranken, hier auf die Gamburg zog.

„Diese Geschichten“, sagt der Erzähler laut, „haben wir uns nicht ausgedacht. Diese Geschichten sind wahr, die Gräfin selbst hat sie für die Nachwelt niederschreiben lassen. Wir geben sie nur weiter.“

Er berichtet von den Anfangszeiten, als die junge Gräfin die Burg bezog. Des Öfteren sei sie gewarnt worden, gewarnt von den „armen, unerlösten Seelen“, die hier auf der Gambach ihr Unwesen trieben. Doch als junge, pragmatisch denkende Frau konnten ihr solche Schauermärchen keinen Schrecken bergen.

Als ihr Gatte in den Wirren der Napoleonischen Kriege verschwand, da begann der Spuk.

Immer häufiger kam es vor, dass die Gräfin des Nachts von einem Lärm geweckt wurde. Stimmen hörte sie und Rufe und ihr war, als zöge jemand eine alte Kiste über den Boden des Saales. Der Lärm drang vom Obergeschoss der Burg.

Geschirr und Besteck flogen durch die Küche. Die junge Gräfin verbarrikadierte sich in ihrem Gemach in der Überzeugung, dass Räuber in die Burg eingedrungen sein müssen. Eine schwere Holzkiste schien die Treppe hinunter gezogen worden zu sein und mehr als um ihr eigenes Leben, fürchtete die Gräfin um den Zustand der Treppe.

Am nächsten Morgen stand sie auf und hing hin, um den Schaden zu besehen. Doch es gab keinen Schaden, keine Spur der Verwüstung und alle Gegenstände standen an ihrem Platz. Als die Gräfin ihre Bediensteten fragte, ob diese etwas gehört hätten, sagten diese: „Nein, Gräfin. Dies war für euch bestimmt gewesen.“

 

Arnold von Uissigheim

Die Zuhörer haben sich indessen locker im Hof verteilt. Manche ruhen nun auf den bereitgestellten Sitzgelegenheiten, einige auf den niedrigen Treppenstufen. Die Kinder ließen sich einfach auf den warmen Steinboden sinken. Es ist leise bis auf die Rufe der Schwalben, die schwarz wie scharfkantige Messerklingen in hohen Bögen den Abendhimmel durchschneiden. Rundum flackern die Lichter.

Doch nun geht die Geschichte weiter, und dazu müssen wir uns an einen anderen Ort begeben, an einen alten, abgewetzten, steinernen Tisch, der unten in einem der Gärten unter dichtem Geäst verborgen steht. Wir folgen dem Erzähler durch den Burghof. Hier unten, unterhalb der dicken Mauern, verteilen wir uns um den niedrigen Tisch und lauschen. Hin und wieder gleiten die Blicke hinauf zur Burg, und in unserem Rücken plätschert der Brunnen im Garten. Hier, an dieser Stelle, stand seinerzeit auch der Ritter Arnold von Uissigheim. Doch diese Geschichte ist eine sehr grausame…

Es war so, dass über die Jahrhunderte immer mal wieder Juden für Misserfolge, Missernten und diverse andere Ereignisse verantwortlich gemacht wurden. Nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Vernichtungslagern war der Jude der böse Mann, dies zieht sich durch die Geschichte und setzt sich mancherorts bis in die heutige Zeit fort. Der Mensch lernt sehr langsam.

Sei es drum. So hat es sich ein Ritter aus dem Umkreis zur Aufgabe gemacht, all die armen Seelen zusammen zu treiben und nach Tauberbischofsheim zu bringen, um sie dort öffentlich hinzurichten. Arnold von Uissigheim war sein Name. Dieser Ritter trieb die Juden vor sich her, bis er dann vor den Toren von Tauberbischofsheim stand. Doch die Einwohner protestierten gegen die Aktion auf die einzige Art, wie sie konnten: sie verbarrikadierten die Tore und ließen ihn nicht herein. Dann brachte der Ritter die Juden auf die Gamburg, um sie hier, an eben jenem steinernen Tisch des Lebens zu berauben.

Zwei Mal geschah dies. Und auch beim zweiten Mal, als der Ritter die armen Menschen wieder zusammen trieb und nach Tauberbischofsheim brachte, verschlossen die Stadtbewohner ihre Tore. Sie sperrten Arnold von Uissigheim mit seinem grausamen Treiben aus und es blieb ihm auch diesmal nichts anderes übrig, als die Menschen auf der Gamburg hinzurichten.

Nun war diese Art der Lynchjustiz, entgegen dem, was man allgemein denken möge, auch in den vergangenen Jahrhunderten nicht einfach so gestattet. Das Treiben des mörderischen Ritters sprach sich herum und so erfuhren auch höhere Stellen davon. Arnold von Uissigheim wurde der Prozess gemacht und ihm der Kopf abgeschlagen.

„Es gibt hier immer noch sein Grab.“ Spricht unser Geschichtenerzähler weiter. „Wenn man einer von euch nach Uissigheim kommt, dann solle er nach einer steinernen Grabplatte ausschau halten. In der Kirchen von Uissigheim steht sie und zeigt einen Ritter mit einem Schwert, das über seiner Kehle liegt. Dies ist, soweit wir wissen, einmalig.

 

Der Burgschatz

Jede Burg, die etwas auf sich hält, hat einen verborgenen Schatz. Auch um die Gamburg kursiert diese Legende, die Legende von einem Schatz, der aus Eroberungen und Raub stammte und den ein grausamer Herrscher auf der versteckte. Jeden, der ihm half, dieses Versteck auszuheben, brachte er zur Tode, damit er das Geheimnis nicht ausplaudern möge. Doch auch der Herrscher vergaß mit der Zeit, wo sich sein Schatz befindet, denn mit dem Alter wird man einsam und mit der Grausamkeit erst recht. Er wurde senil und starb und der Schatz blieb unentdeckt, bis zum heutigen Tage.

„Aber nicht, dass Sie anfange, hier morgen bei Sonnenschein den Garten umzugraben.“ Lächelt uns der Burgherr zu und ich stelle mir die Menschen vor, wie sie eifrig große Löcher in dem schönen Rasen buddeln und Erdhäufchen aufeinander stapeln. Nein, ich schüttle den Kopf. Dies hier ist zu schön, um es zerstören zu wollen.

Inzwischen ist es vollkommen dunkel und die Schwalben mit ihren scharfkantigen Schatten sind vom Himmel verschwunden. Dafür sind die Burgfledermäuse wach und fliegen uns wackeligen Flügelschlagens so dicht über dem Kopf, dass man sie berühren könnte, streckte man die Hand nach oben. Die Burg steht nun erleuchtet da und wirkt von hier unten mächtiger denn je. Trotz der tiefen Nacht ist es keineswegs kühl geworden – oder hält die spannende Erzählung das Blut am Kreisen? Kein Mucks ist zu hören und selbst die Kinder stehen still da und lauschen. Der Wasserbrunnen plätschert im Hintergrund und hin und wieder schaut einer der Umstehenden nach den vielen Schatten im Verborgenen. Der Erzähler währenddessen spricht weiter.

 

Der Zwerg mit Hut

Ein kleines Zwerglein Namens Steinbock suchte die Burg ein ums andere Mal auf, um den Priestern zur Hand zu gehen. Denn es ward so, dass die Geister keineswegs von der armen Gräfin abließen, nein – die Erscheinungen wurden immer häufiger. So fühlten sich auch neben den Priestern diverse seltsamen Gestalten dazu berufen, die Burg aufzusuchen und die armen Seelen in die Erlösung führen zu wollen. Man feierte täglich Messen und die Gräfin erkannte bald ihr eigenes Heim nicht mehr, erinnerte es doch inzwischen mehr an ein Volksfest denn an ein trautes Zuhause.

Eines Nachts stand der besagte Zwerg vor den Toren der Burg. Man brauche seine Hilfe, sagte er, als ihm geöffnet wurde. Nach anfänglichen Zögern wurde er hereingelassen und verließ lange Zeit, wie auch die anderen Gestalten, nicht mehr die Burg. Wie auch die Geister selbst: diese trieben über Jahre hinweg ihr Unwesen. Und die einzige, die sie hören konnte, war die arme Gräfin. Selbst als ihr Mann aus den Napoleonischen Kriegen wiederkam und neben ihr im Schlafgemach laut schnarchte, hörte sie einen Höllenlärm über sich im großen Saal. Schränke wurden geöffnet, Kisten über den Boden gezogen, Geschirr zerschlagen – und, man ahnt es bereits, am nächsten Morgen lag alles an seinem Platz. Niemand sonst hatte den Lärm gehört, denn dies war alles für die Gräfin bestimmt gewesen.

Was jenen Zwerg anbelangt, so wurde er nach Jahrhunderten nochmals gesehen. Er erschien einem Freund der Familie, der als Gast auf über Nacht auf der Burg verblieb. Der Zwerg erzählten und erzählte von der guten alten Zeit und beklagte bitterlich die, seiner Ansicht nach, unhaltbaren Zustände, in denen sich das Anwesen nun befand. Dem Zuhörer wurde es Bange, denn langsam erkannte er, dass dies hier nicht mit rechten Dingen zuging. Dann, als es nichts mehr zu sagen gab, lief der Zwerg fort. Und ließ den armen Mann mit seinem Grauen zurück.

 

Liebesgeschichte der Melusine

Im Schein der Kerzen werden weitere Statuen sichtbar. Nymphen, spielende Kinder, alles um den Brunnen und im Garten drapiert. Ein Lustgarten zum Wandeln und besonders in der Nacht reizvoll.

Wir gehen weiter, der Burgherr in seinem Umhang geht voraus. Dann versammeln wir uns um einen der Brunnen, dessen Wasser laut plätschert. In der kalten, schwarzen Oberfläche des Teiches spiegelt sich die Gestalt des Burgherrn wie eine unheimliche Erscheinung. Er berichtet von unheimlichen Begegnungen, Erscheinungen und gruseligen Momenten auf der Burg, doch die spannendste Geschichte, die hatte er sich bis zum Schluß aufgehoben: die Liebesgeschichte der Melusine, eines jungen Mädchens, die ihrerzeit als Magd in der Mühle arbeitete. Diese Geschichte führt uns noch weiter, bis an die rückwärts gewandte Seite der Burg.

Doch wer war dieses Mädchen?

Und unwissentlich, mit eben dieser Frage, beginnt bereits die Erzählung. Denn wer sie wirklich war, das durfte niemand erfahren.

„Dort unten, wo die Lichter sind“, spricht der Burgherr zu uns und zeigt mit seiner Hand hinunter in die Dunkelheit, wo wenige Lichter einzelner Häuser brennen. „Dort befindet sich die Eulschirbenmühle.“

Und eines Tages, weiß der Burgherr zu berichten, sah der Müller ein junges, schönes Mädchen im Dorf und, da des Müllers Tagewerk ein mühsames war, fragte er sie, ob sie denn bei ihm arbeiten möge. Das Mädchen willigte ein, doch machte sie einiges zur Bedingung. „Zum einem“, sagte sie dem Müller, „dürft Ihr mich niemals fragen, wer ich bin und woher ich komme. Sobald ihr danach fragt, muss ich euch verlassen.“ Dann verlangte sie noch einen freien Tag in der Woche, der nur ihr allein zur Verfügung stand. „Ihr dürft nicht fragen, wohin ich an diesem Tage gehe.“ All das verlangte sie und der Müller war einverstanden, und so fragte er, ob er denn ihren Namen erfahren dürfe.

Ihr Name war Melusine.

Die schöne Melusine begann ihre tägliche Arbeit. Und da sie fleißig war, fiel der eine Tag, an dem sie fortblieb, nicht weiter ins Gewicht. Der Müller kümmerte sich nicht weiter um ihre Ausflüge und Melusine erwies sich als eine zuverlässige Magd.

Eines Tages kehrte der Graf von der Gamburg nach seiner Jagd in der Mühle ein. Es war Melusines freier Tag und der Graf erblickte sie, wie sie die Mühle verließ und ihre Wege ging. Als er ihr folgte, sah er gerade noch, dass sie sich ihrer Kleider entledigte und ins Wasser glitt. Und als sie im Wasser war, rannte er ans Ufer der Tauber und sah, dass ihre Beine verschwunden waren und an ihrer Stelle ein Fischschwanz trat. Melusine war ein Naturgeist, eine Wasserfrau.

„Na, wollen wir doch mal sehen, wie die Meerjungfrau ohne ihre Kleider auskommt.“ Dachte sich der Ritter und streckte die Hand aus, um die Kleider des Mädchens zu verstecken. Doch wie er die Hand ausstreckte, ertönte vom Fluss her eine liebliche Stimme:

„Du musst das nicht tun, Ritter. Siehst du es denn nicht? Ich war schon immer dein.“ Die Nixe kam ans Ufer und wie sie dem Fluss entstieg und das Wasser an ihr abperlte, verschwand der Fischschwanz und sie wurde zu einer ganz normalen, jungen Frau. Ab diesem Moment war ihr der Ritter verfallen.

Sie trafen sich heimlich an der Mühle und verbrachten lange Stunden zusammen. Aus den heimlichen Treffen wurde schließlich ein offenes Geheimnis, denn eine solche Liebschaft blieb in einem kleinen Dorf unentdeckt. Der liebestolle Ritter richtete für Melusine ein kleines Schloss neben der Mühle ein, mit Erkern und verschnörkelten Verzierungen, damit seine Liebste es so schön wie möglich habe.

Doch dabei vergaß der Ritter eine nicht unwesentliche Kleinigkeit: er war verheiratet.

Seine Gattin erfuhr von dem Treiben und wusch ihm seinen ritterlichen Kopf und als ihm die Nachttöpfe und Pfannen um die Ohren flogen, musste der untreue Ehemann schwören, nie wieder zur Melusine zu gehen.

Doch der Ritter fand einen Weg, um seine Schöne weiterhin zu treffen. Man erzählt sich von einem geheimen Tunnel in der Gamburg, der unter der Erde bis hin zu Eulschirbenmühle führt. Diesen Tunnel nahm er, um zu seiner Liebsten zu gelangen. Und die Treffen gingen ungestört weiter, bis es schließlich dem Müller selbst zu bunt wurde und er Rat beim örtlichen Bischof suchte.

Dieser wies ihn an, Melusine zu folgen, um herauszufinden, wohin sie jede Woche verschwand. Es dürfe nicht angehen, dass das Mädchen Geheimnisse habe. So legte sich der Müller auf die Lauer und sah Melusine im Fluss verschwinden. Stunden später kam sie wieder, und statt ihrer Beine war da ein Fischschwanz an derer Stelle. Doch sobald das Wasser von ihr abperlte, wurde sie wieder zu einem ganz normalen Mädchen. Der Müller rieb sich die Augen. Was sollte er jetzt tun?

Der Bischof hörte sich das an und riet dem Müller, an die letzte der Stufen, die Melusine aus dem Fluss hinauf stieg, ein Kreuz zu legen und zu schauen, was passiert. Es könne sein, so der Bischof, dass es sich dabei um eine Hexe handele. Gesagt, getan: als das Mädchen in der folgenden Woche im Fluss verschwand, sprang der Müller aus seinem Versteck hervor und legte ein Kreuz auf die letzte Stufe der Treppe. Dann zog er sich zurück und wartete.

Gegen Abend tauchte die Nixe wieder auf und entstieg dem Wasser, doch als sie das Kreuz am Fuße der Treppe liegen sah, gab sie einen Schrei von sich, sprang zurück in die Tauber und verschwand. Sie kehrte nicht zurück und wurde seitdem nicht wieder gesehen. Vergeblich ritt der Graf die Ufer der Tauber ab und rief nach ihr, ganz krank vor Kummer. Und auch der Müller war untröstlich, denn ein so fleißiges Mädchen hatte er noch nie gehabt. Und vergraulen wollte er die schöne Melusine nicht.

 

Es klopft…

Ein langes Schweigen tritt ein, während der Erzähler den Blick über die Gesichter wandern lässt. Wir gehen einer nach dem anderen wieder auf den Burghof zurück, die Erzählung von Melusines Liebe noch im Ohr. Nichts davon ist wahr, und doch sind wir verzaubert. Ich hebe den Kopf in den klaren Sternenhimmel und beobachte die sich bewegenden Objekte. Dies ist die Zeit der Plejadenschauer, die jedes Jahr von Ende Juli bis in den August hinein zu beobachten sind, viele davon als Sternschuppen mit bloßem Auge sichtbar.

Wieder auf dem von vielen Kerzen erleuchteten Hof werden wir in die Tiefen der Burg geführt, über eine schmale, glatte Wendeltreppe in den oberen Saal – dies war der Saal, in dem die Gräfin des Nachts das Gepolter hörte. An manchen Stellen wurde der Putz von den Wänden entfernt und alte Bemalungen, Skulpturen und Reliefs traten zutage. Da auch hier ein Schild das Fotografieren untersagt, müsst ihr mir glauben, wenn ich euch sage, dass der Saal sehenswert ist.

Hier erzählt der Burgherr von den nächtlichen Schreien eines gequälten Tieres, einer armen Seele, die ihre Sünden verbüßte und desse Laute nur die Gräfin hören konnte. Er berichtet auch vom hellen Licht, welches tagelang die Burg in seinen Schein hüllte. Dieses Licht, so sagten sich die Geistlichen, bedeutete wohl, dass all die Seelen, die auf der Gamburg gefangen ihre Missetaten verbüßten, nun auf ewig erlöst waren.

Als wir den Saal verlassen und hinaus auf den Burghof treten, kommt meine Freundin auf mich zu. „Da oben hat es geklopft.“ Erzählt sie ganz aufgeregt. „Es gab Klopfgeräusche, hast du das auch gehört?“ Nun, ich hatte gar nichts gehört, doch vielleicht war dies, was es zu hören gab, auch nur für sie bestimmt gewesen…

Es gibt es noch einen letzten, kleinen Geisterumtrunk und langsam, sehr langsam zerstreuen sich die Gäste. Die Geisterführung war gelungen, was viele zu versichern sich beeilen. Janine und ich gehen langsam zum Auto zurück, den Kopf nach oben gerichtet. Doch wir fahren noch nicht, wir beobachten die vielen, blinkenden Sterne. Hin und wieder zieht ein langsames Objekt am Firmament vorbei. Vielleicht ein Satellit, vielleicht auch etwas anderes. Eines dieser Objekte strahlt so hell, heller als die Venus, und versetzt uns in Staunen, noch Minuten nachdem es hinter den schwarzen Umrissen der Bäume verschwunden ist. Am nächsten Morgen lesen wir in der Zeitung von einem großen Meteoriten, der in jener Nacht gefährlich nahe an der Erde vorbei zog. Ich bin sicher, dass es dieser Moment war, und wir haben ihn gesehen.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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2 Kommentare

  1. da hat sich jemand richtig viel Mühe gegeben mit dem Beitrag ! Mir hat es gefallen die Geschichte und die Fotos in der Dunkelheit sind sehr gut und vor allem passend !!!

    1. Vielen Dank! Es war ein tolles Erlebnis, diese Geisterführung, und ich finde es immer wieder spannend, neue Geschichten zu den Orten, die ich besuche, zu hören 😉
      Liebe Grüße
      Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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