Sorbisches Radio
Mit der Kultur der Sorben hatte ich bislang, hier in Süddeutschland, keine Berührungspunkte. Außer dass ich von ihrer Existenz wusste, wusste ich auch sonst nichts brauchbares. Einzig das sorbischsprachige Radio, welches mir jedes Mal nahe der deutsch-polnischen Grenze beim Wechseln der Sender dazwischen sprang, gab Rätsel auf. Was ist das? Es ist nicht polnisch, nicht ukrainisch oder russisch (für eine der beiden Optionen bin ich noch zu weit weg…), also was? Fragte ich mich. Bis mein Freund eines Tages das Rätsel für mich löste und mich aufklärte.
Das westslawische Volk der Sorben ist in der Lausitz zu Hause. Sie haben ihre eigene Sprache und ihre eigene Kultur und sind bitte nicht als eine Art andere Polen anzusehen. Tatsächlich konnte ich ihre Sprache kaum verstehen, erkannte nur, dass es sich um eine slawische Sprache handelt. Und obwohl sie weder einen eigenen Staat noch eigene Autonomiegebiete haben, sind es geschätzt noch zwischen 20000 und 60000 Menschen, die ihre sorbischen Wurzeln pflegen. Die Sprache wird nicht nur in sorbische Vereinen, sondern tagtäglich gesprochen und die Kultur gelebt. Besonders Ältere tragen teilweise noch täglich ihre Trachten. Es gibt ein eigenes, sorbisches Radio und zweisprachige Ortsschilder.
Hunde
„Die deutschen Hunde wollen mit dir spielen, die polnischen Hunde wollen dich fressen“, so oder so ähnlich habe ich den Stand der Dinge einmal zusammengefasst. Und wieder einmal musste ich daran denken, als mir auf einer meiner Wanderungen durch den Pfälzer Wald ein Vierbeiner schwanzwedelnd am Gartenzaun entlang folgte, in der Hoffnung, ich möge ihn doch streicheln. Doch nix da, denn ich bin bereits seit jüngster Kindheit in Bezug auf Hunde schwerst geprägt. Den letzte „Wauwau“, von dem ich mit fünf Jahren sagte, er sei süß und lieb, hatte ich im nächsten Moment mit seinen Zähnen in meiner Arschbacke hängen. Nein, lacht nicht, das ist nicht witzig. Meine Mutter, die aus dem Haus rennt, Tetanusspritzen, das volle Programm. Seitdem war kein „Wauwau“ mehr süß und lieb. In meinen Augen waren das alles von nun an pelzige Killermaschinen.
Die Schulzeit trug nicht eben dazu bei, diesen Eindruck zu revidieren, ganz im Gegenteil. Es folgte eine Odyssee, ein täglicher Spießroutenlauf mit dem Fahrrad die Dorfstraße entlang. Immer mal wieder fröhlich gejagt durch größere oder kleinere Hofhunde, für die ich wohl eine willkommene Abwechselung für ein fröhliches Jagdspiel darstellen musste. Ich spürte es quasi schon in meinen Waden kribbeln, wo sich als nächstes die kleinen, spitzen Zähnchen hineinbohren würden, und hörte bereits die Hundekiefer klappern. Doch es war immer nur ein „beinahe“. Unbeschadet überstand ich den Schulweg, bis am darauffolgenden Morgen die Spiele von Neuem begannen.
Dörfer, in denen es nichts gibt
Ein Dorf in Deutschland hat Struktur. In einem Dorf in Deutschland, so wie ihr es kennt, sind die Laufwege kurz, die Häuser dicht beieinander. Die Gemeinschaft stärker. Es gibt meist eine Kirche, einen oder zwei Läden und, je nach Größe, vielleicht sogar eine Apotheke, einen Arzt, einen Metzger und einen Bäcker. Die Menschen verkaufen Äpfel und Kartoffel am Straßenrand oder in ihrem Innenhof. Ein deutsches Dorf ist wie ein kleines, funktionierendes Universum.
Sucht man in Polen nach Vergleichbarem, kann man es gleich vergessen. Es gibt keine Geschäfte, keine Dorfkneipen oder Dorffeste. Dörfer in Polen sind vor allem eins: Wohnhäuser. Und Felder. Und das nicht eben strukturiert. Von räumlicher Nähe zu seinen Nachbarn kann man in einem polnischen Dorf nur träumen, die Menschen haben gerne ihre Ruhe und ihre Privatsphäre. Man fährt in einem klassischen, polnischen Dorf manchmal kilometerweit eine Straße entlang, entlang der sich Häuser ziehen. Das sieht meist so aus: eine lange Auffahrt, irgendwo umzäunt ein Haus. Dann lange nichts. Dann wieder Feld (oder gleich mehrere Felder). Dann wieder ein Hof/ein Haus. Und so weiter. Eine Kirche oder ein Laden sind in solchen Strukturen nicht vorgesehen. Eine Dorfverwaltung schon. Meist ist es ein von der Gemeinschaft gewählter Nachbar des Vertrauens, der dieses Amt dann für Jahre bekleidet. Unser „Sołtys“ (offiz. Bezeichnung für den Dorfvorsteher) bekleidet schon, seit ich denken kann, diese Funktion.
Kleinstadtmentalität
Die Stadt Błonie ist eigentlich ein Dorf. Mental gesehen, meine ich. Die provinzielle Kleinstadtmentalität ist nirgendwo sonst so stark spürbar, noch nicht mal auf dem richtigen „Dorf“, wo die Menschen abgelegen voneinander wohnen und sich doch eher um sich selber kümmern. Doch hier in Blonie wirst du gemustert und auf deine Kleidung und dein Gebaren genauestens gescannt. Das Leben in der Kleinstadt ist langweilig und die Menschen wollen etwas zu reden haben. So errege ich mit meiner Schlaghose (die ist immer mal wieder in, haben das die Pomeranzen hier nicht mitbekommen?), in der ich auf dem Markt bin und mit meinem Rucksack (ist praktisch und belastet den Rücken nicht einseitig wie eine vollbeladene Handtasche) einiges an Aufsehen. Sehen und gesehen werden, das ist hier noch immer das Maß der Dinge. Niemand will so richtig aus der Rolle fallen und wenn es heißt, eine Frau trägt elegantes Schuhwerk und Handtäschchen, dann trägt frau eben elegante Schuhe und Handtäschchen. Ob sie später Rückenschmerzen und einen Hallux bekommt oder nicht. Ich gebe zu, auch ich habe begonnen, temporär darauf zu achten.
In Deutschland, speziell in Mannheim (aber auch in anderen Orten, ob groß oder klein) habe ich nie erlebt, dass meine Kleidung Aufsehen erregt hat. Kam ich mit klobigen Wanderschuhen und meinen Funktionsklamotten aus dem Wald in die Innenstadt, so dachten manche: die ist wohl auf einer Pilgerreise. Andere wiederum dachten, die ist wohl auf Wanderschaft. Aber – und das ist das Schöne daran – die meisten dachten wohl gar nichts. Kleidung war nie ein Thema.
Anders hier. Je ärmer die Gegend, je provinzieller der Ort, umso enger sieht es in den Köpfen aus. Der Mensch will was mit seiner Erscheinung darstellen, will sich präsentieren, sich „zeigen“ – unter anderem auch, weil übereinander geredet wird. Das mag der Grund dafür sein, dass man osteuropäische Frauen häufig total overdressed (für eure Verhältnisse, bei uns ist das normal…) mit Rock und Absatzschuh auf einem Sonntagsspaziergang sieht.
Wobei von „arm“ bei den meisten Polen überhaupt nicht die Rede sein kann. Gut, unsere Sozialleistungen und die staatliche Krankenversicherung kannst du vergessen, doch dass die Menschen kein Geld haben, das kann man so nicht behaupten. Es wird gebaut was das Zeug hält und die Menschen fahren Autos, dass die Ohren schlackern (neein, die sind nicht von euch… Okay, nicht alle 😉 ). Ein Nachbar bei uns auf dem Dorf stellte sich auf seinem Feld einen Hangar hin und nutzt das Feld als Startbahn, um mit seinem Doppeldecker-Kleinflugzeug über dem Dorf zu cruisen. Das Haus ist zwar nicht mehr das neueste und der Zaun rostig, aber man muss Prioritäten setzen. Und mal ehrlich, ich hätte mich wohl auch für den Hangar entschieden.
Und damit kommen wir nahtlos zu den coolen Sachen.
Coole Sachen (Flugplatz, Kat fahren)
So eintönig polnische Dörfer bisher waren, langsam beginnt all das, sich zu wandeln. „Nach deutschem Vorbild“ wäre zu viel gesagt. Vielmehr suchen (und finden) die Leute Möglichkeiten, mit dem, was sie haben, ein Business aufzudrehen und Geld zu verdienen. Bei der Begehung meines Heimatdorfes Milecin entdecke ich lauter interessante Aktivitäten, die es hier vorher nicht gegeben hat. So hat ein Nachbar in seinen Felder ein „Maislabyrinth“ errichtet. Ein anderer hat einen Quad-Verleih eröffnet, und ein dritter hat sich gleich einen Hangar aufs Feld gestellt und ein Leichtflugzeug gekauft, mit dem er bei schönem Wetter über den Häusern cruist. Man sieht Menschen beim Joggen oder beim Nordic Walking. Die Dörfer wandeln sich langsam.
Leckere Konditoreiwaren
Bei jedem meiner Besuche in der Heimatstadt ist es Tradition, mit meiner Mutter Kuchen essen zu gehen. Normalerweise bin ich ja nicht so für Süßes, aber die polnischen Konditoreien hauen mich einfach aus den Socken. Diese Vielfalt. Und egal, was man wählt, es schmeckt immer alles wie zu Hause; so, wie meine Oma es gebacken hätte. Man braucht kein Konditormeister zu sein. Den Geschmack meiner Kindheit, ja, den suche ich.
Polnische Küche
Wie ihr sicherlich schon einigen meiner Beiträge entnehmen konntet, ist die traditionelle, polnische Küche schwer, süß und deftig. Wie sich „süß“ mit „deftig“ verträgt? Das habe ich mich auch schon gefragt. Das Geheimnis lautet „Zucker“. Dieser wird nämlich oft zu allem hinzu gegeben, sei es Karottensalat oder Suppen. Kartoffelpüree reicht nicht „pur“, es wird regulär mit in Butter gebratenen Röstzwiebeln übergossen. Dazu braucht es ein Schnitzel, eine Frikadelle oder etwas vergleichbares, um den Sättigungseffekt zu erreichen. Doch ein Sättigungseffekt reicht bei weitem nicht aus, denn da beginnen die Spiele gerade erst. Nach dem Mittagessen gibt es Kuchen und Tee mit Zucker…
Ein Wort zu Wodka
Wie ihr sicher bereits feststellen konntet, spielen hochprozentige Getränke eine große Rolle in unserer Kultur. Doch es ist nicht so, dass man zu jedem Mittagessen ein Gläschen Klares hinter die Binde kippt. Vielmehr ist der Wodka ein gesellschaftliches Ereignis und bei solchen häufig zugegen. Es ist nichts für die einsamen Stunden zu Hause (und wenn doch, dann hat derjenige ein Problem), sondern für den fortgeschrittenen, geselligen Abend mit Freunden. Dann im Zusammenspiel mit dem oben bereits erwähnten, deftigen Essen.
Danke für den Einblick hinter die Kulissen der polnischen Dorfseele. Total interessant! Was das Kulinarische betrifft, so haben deine Landsleute durchaus Parallelen zu meinen Saarländern, auch wenn sich die Gerichte und Gertränke unterscheiden mögen. „Hauptsache gudd gess und getrunk“, ist das Motto meiner Heimat. Der französische Einfluss ist da bis heute stärker als der deutsche.
Von den Sorben habe ich schon gehört, habe sie aber noch nie „in echt“ gesehen.
Ich habe die Sorben auch noch nicht bewusst „aus der Nähe betrachtet“ (liest hier ein Sorbe mit?😅), aber das will ich ändern und auf Erkundungstour gehen.
Was das kulinarische angeht, so setzt sich bei den jungen Polen so langsam ein Bewusstsein für „frisch und gesund“ durch: ich habe diesmal bei meinem Onkel im Kühlschrank Hummus und Sprossen entdeckt 🤔
Hallo Kasia,
wieder ein interessanter Bericht. In Deutschland ist es auch nicht immer so, dass in einem Dorf ein Bäcker, Metzger oder sonstiger Laden vorhanden sind. Manchmal gibt es fahrbare Läden die regelmäßig kommen um dort Waren anzubieten. Alte Menschne sind in erster Linie betroffen. Wenn es im Dorf keine Angebote gibt, fahren die Jungen halt zum nächsten Supermarkt. Die Alten müssen immer jemanden bitten, der für sie einkauft. Mit den Geldautomaten ist es genauso. Durch die Sprengung von Geldautomaten wurden viele abgebaut. Die Jungen zahlen entweder mit Karte oder fahren in den nächsten Ort mit einem Geldautomaten. Ich habe gestaunt, was in Polen alles möglich ist. In Deutschland ist alles ganz penibel geregelt, was auch zur Folge hat, dass strittige Sachverhalte vor den Gerichten ausgetragen werden.
Übrigens: Mir ist aufgefallen, dass du, wenn du „uns“ schreibst man von Polen und mal von Deutschland redest. WO gehörst du jetzt hiin?
Liebe Grüße Harald
Hallo Harald,
dennoch finde ich die deutschen Dörfer besser strukturiert, obwohl das, wie du berichtest, inzwischen stark abbaut. Momentan sehe ich hierzulande die große Landflucht: Traditionsbäckereien schließen, die Anbindung ist schlecht, es gibt immer weniger Ärzte, Apotheken auf dem Land. Im Pfälzerwald merke ich das ganz stark, aber auch außerhalb; das Problem gibt es vermutlich bundesweit. Was schade ist.
In polnischen Dörfern hingegen hat es so etwas wie Angebote (Laden, Metzger, Bäcker) nie gegeben und die (älteren) Menschen leben und bestreiten irgendwie ihren Alltag. Meine Großeltern sind mit dem Fahrrad in die nächste Stadt gefahren. Irgendwie scheint man in Deutschland zu denken: kein Auto, keine Fortbewegung.
„WO gehörst du jetzt hin?“
Menschen, die in zwei Welten aufgewachsen sind wie ich, lassen sich ungern zuordnen, auch nicht auf Wunsch oder Aufforderung mit einem groß geschriebenem „WO“. Und wiederum Menschen, die von einem verlangen, sich doch bitte jetzt gefälligst für eine der beiden Identitäten zu entscheiden, verraten damit über sich selbst, dass sie vermutlich ein ruhiges Leben hatten, ohne einschneidende Ortsveränderungen, die über die Grenzen ihres Landes (oder gar ihres Bundeslandes?) hinweg gingen. Und das ist auch okay so. Ich weiß nicht, wie es ist, ein Leben lang am selben Ort gelebt zu haben. Und jemand anders weiß nicht, wie es ist, als Kind emigriert zu sein. Wenn du es wüsstest, würdest du eine auf diese Art formulierte Frage gar nicht stellen, lieber Harald. Ich werde weiterhin „uns“ sagen und schreiben, sowohl wenn ich Deutschland, als auch wenn ich Polen meine. Denn beides ist „uns“.
Hallo Kasia, ich wollte dich mit meiner Frage nicht verärgern. Gerade weil du zwei verschiedenen Welten aufgewachsen bist wollte ich wissen, welche Welt nach deiner Meinung besser zu dir passt. Nicht böse sein. Es war keine Absicht dich zu verärgern.
Liebe Grüße Harald
Lieber Harald, du hast mich keineswegs verärgert. Ich werde öfters, auch seitens von Kunden, mit ähnlichen Fragen konfrontiert und finde es jedes Mal schwierig. Das ist so, als wenn man von mir eine Entscheidung/ein Bekenntnis erwarten würde. Oder als wenn man wissen will, welches meiner (nicht vorhandenen) Kinder ich mehr lieb habe.
Liebe Grüße
Ich nochmal. Dass die Frage „Wo“ groß geschrieben war, war keine Absicht. Ich war heute nicht so gut im Schreiben wie du in meinem letzten Wort sehen kannst.
Alles gut 🙂
Ich musste etwas grinsen, als ich las, was bei euch so alles möglich ist. Mal eben einen Hangar bauen und dann mit einem ULP (Ultra Light Plane) über die Felder zu knattern.. Hier brauchst Du selbst für das fliegen lassen einer piefigen Drohne mehr Papierkram als in anderen Ländern für den Bau eines ganzen Flughafens. Und wehe Du fliegst über von Menschen bewohntem Gebiet – da versteht die deutsche Obrigkeit keinen Spaß. Auch das Maisfeld-Labyrinth wäre hier kaum durchzusetzen – sind genug Notausgänge vorhanden? Genügend Toiletten – getrennt nach Geschlechtern? Also mindestens 4: männlich, weiblich, „Es weiss noch nicht was es werden will“ und Aliens? Mindestens zwei Sanitäter + SanKa vor Ort, falls im Sommer ein Labyrinther bei Hitze kollabiert? Ein seelischer Betreuer, falls das verlaufen im Labyrinth zu einem Nervenzusammenbruch führt? Stehen genug Schilder bzgl. Rauchverbot in den Feldern – und ganz wichtig: ist das als Gewerbe angemeldet???? Das Finanzamt versteht bei solchen Dingen keinen Spaß!
Gib mal „Nordwolle“ bei google ein und erlebe auf YouTube hautnah wie perfekte deutsche Bürokratie funktioniert.. 🙂
Schönes Wochenende!
Ja, cool, ich lese gerade, dass es sogar ein Nordwolle-Festival gibt! Aber das ist vermutlich nicht, worauf du mich hinweisen wolltest 😉 Für mich war der Höchststand der Verwunderung auf „Steuern zahlen bei Pfandflaschensammeln“ erreicht. Dem gemeinen Rentner könnte es sonst zu gut gehen 🙂
Auch wenn es nach außen hin anders aussieht, soll die Bürokratie in Polen noch krasser sein als bei uns. Wobei es anscheinend auch mehr Grauzonen gibt. Vielleicht ist es auch so, dass sich niemand drum kümmert, was der andere macht und manches einfach „durchgeht“. Ich weiß nicht, ob der Hangar eine Genehmigung hat, bei Gelegenheit werde ich mich erkundigen. Meine Mutter ist mit der Frau des besagten Nachbarn befreundet…