Đurđevića Tara Bridge nach Canyon Matka, Oraovec, Nordmazedonien – Google Maps
Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit. Wie so oft auf dieser Reise, so auch jetzt. Während ich hinter meinem Onkel und Tomek her hechte und trotzig hier und da mal für ein Foto stehen bleibe, schwöre ich mir, wieder zu kommen. Für eine Wanderung zum Beispiel. Oder um von diesem besonderen Ort, einem der schönsten im Land, mehr zu sehen als nur kurz eine Landschaft aus dem Augenwinkel. Ich weiß, wie es sein wird. Ich werde nach Hause kommen, meine Bilder betrachten und denken: es war doch eigentlich schön. Aber nein. Es war nicht schön. Es war zu kurz, zu hektisch. Die Vorzüge einer familiengeführten Gruppenreise einiger Polen mit japanischen Genen.
Als ich am äußersten Punkt der Schlucht ankomme, kommen mir Onkel und Tomek bereits entgegen. „Wir gehen zurück zum Auto.“ Sagen sie. Viel Freude, sage ich. Ich bleibe, seien es nur fünf Minuten. Und das tue ich auch. Auch wenn es bei weitem nicht reicht.
Bevor wir uns aber aufmachen, einen der mit Abstand schönsten Orte Nordmazedoniens zu sehen, füllen wir erstmal die Vorräte an einem der örtlichen Supermärkte auf. Solchen Besuche in den Lebensmittelversorgungsläden des jeweiligen Landes offenbaren vieles über die Kultur und über die Gesellschaft, über die Traditionen und das Zusammenleben. So waren in saudischen Lebensmittelgeschäften an den Benzinstellen die riesigen Töpfe, in denen man einen ganzen Hammel für eine Großfamilie kochen könnte, der Hingucker. In Georgien waren es die Fünfliterkanister Wein und hier, wie auch in Bosnien, ist es der Kaffee. Ich sammle Kaffee aus aller Welt. Ach was, ich sammle ihn nicht nur, ich trinke ihn auch. So kann ich mich bereits beim Trinken am frühen Morgen in die weite Ferne versetzen.
Die Fahrt zum Canyon ist unspektakulär. Wenn ich nicht Sorge hätte, doch noch etwas in diesem Land zu verpassen, so hätte ich vermutlich ein Nickerchen gemacht. Wenn man ausreichend lange in einer Gegend unterwegs ist, ist das Lokalkolorit nichts Besonderes mehr. Man gewöhnt sich auch an Spezielles: an die Bücherstände mit gebrauchten Büchern in den Städten, an die hin und wieder vorbei stolzierten Kühe auf der Straße. An die Menschen, an die Landschaft. Deswegen muss immer wieder etwas Neues her. Damit der Geist nicht auf Autopilot schaltet. Und das geschieht schneller als man denkt.
Doch die Umgebung ist schön und grün, sie lohnt es, wach zu bleiben. Alte, klappernde Autos kommen uns entgegen oder stehen gar ausgemustert und ausgeschlachtet in jemandes Vorgärten, wie der kleine, beige und verrostete Käfer, der plättchenweise den Lack verliert. Ein noch funktionsfähiger Laster aus den Neunzigern (?) fährt vorbei. Überhaupt erinnert mich der ganze Balkan an das Polen der Neunziger, an die sozialistische Zeit. Blaue Bergketten schimmern dunstig am Horizont und steile Zypressen schießen in die Höhe. Die Regenwolken sind noch da, ausgefranst und dünn vermögen sie jedoch die Sonne nicht fernzuhalten. Sie hängen drohend und schwach über ziegelroten Dächern, bereit, sich jederzeit wieder neu zu versammeln.
Das Neue kommt, als wir uns in die Berge begeben. Eine schöne Landschaft, Felsen türmen sich auf links und rechts eines klaren Baches. Der Canyon ist ein beliebtes Ziel, so fahren wir langsam hin und zurück entlang geparkter Autoreihen, bis wir selbst etwas finden. Aussteigen, strecken, die ersten, schüchternen Aufnahmen, obwohl es noch nicht so viel zu sehen gibt. Doch der Hunger zwickt, besonders nach einem ganzen Sightseeing Tag in Skopje.
Ein Restaurant schafft Abhilfe. Innern in den Fels gehauen, wirkt es wie eine gemütliche Höhle. Gedeckte Tische und Stühle in einem Ambiente, das die Jesuskrippe in den Schatten gestellt hätte. Der Raum besteht aus einem Eingang und rohem Fels, nichts weiter. Die hölzernen Türen und Fensterläden sind Teil einer angebauten Außenwand. In einer Mische befindet sich ein Maria-Altar. Die kalkhaltigen Felsen hier in der Umgebung sind voller solcher Naturhöhlen; rund zehn davon wurden inzwischen entdeckt.
Wir jedoch lassen uns draußen nieder, mit Blick auf die uns umgebenden, bewachsenen Hänge. Verkaufsstände in Gestalt süßer Holzhäuschen reihen sich entlang des Weges. Hier gibt es Honig, Sonnenblumenkerne und diverse Mitbringsel zu erstehen. Die Beliebtheit des Ortes unterstreichen die Reisebusse, derer gleich zwei hintereinander hier parken, und diverse monströs große Camper direkt am Wasser. Um unsere Beine streichen schüchtern kleine, gefleckte Kätzchen mit irre großen Augen. Nordmazedonien ist ein Katzenland.
Mit grobem Schnitzel und Pommes gestärkt marschieren wir los. Der Canyon beginnt mit einer Talsperre. Etwa eine Stunde haben wir beim Essen verloren und nun geht es zügig im Gänsemarsch einmal kurz in den Canyon hinein und wieder retour. Unsere Zeitplanung erlaubt nichts anderes, denn wir wollen am selben Tag noch in Ohrid sein. Die Stadt am See im Südwesten Mazedoniens ist 180 Kilometer oder drei Fahrtstunden entfernt.
Der Canyon ist ideal zum Wandern. Das erkennt sofort mein fachkundiges Auge. Der Weg entlang des Canyons zieht sich schier endlos weiter und wer will, kann sich mit Leichtigkeit in die Berge vertiefen. Er liegt etwa 17 km nach Südwesten von der Hauptstadt Skopje entfernt. Der hohe Staudamm, mit dem unser Spaziergang beginnt, wurde 1938 erbaut und staut den Fluss Treska auf. Dadurch entstand ein grün-türkisener See und die langgezogene Schlucht. Es gibt hier, auf einer Fläche von 5000 Hektar, mittelalterliche Klöster. Die schwierige, unzugängliche Umgebung bot den Klöstern Schutz. Das gleiche gilt für viele Pflanzenarten, von denen 20 Prozent nur hier, an diesem Ort vorkommt. Kajaks warten still auf Touristen; Kajakfahrten sind hier sehr beliebt.
Ich schaue weder nach links noch nach rechts, lasse Restaurants und Souvenirshops links liegen. Für einen stillen Augenblick mit mir selber, einen, derer ich viele an solchen Orten hatte, bleibt dieses Mal keine Zeit. Manchmal drehe ich mich um, um das, was um mich herum zu sehen ist, zu bewundern. Und weiß, dass wir nur an der Oberfläche kratzten. Vielleicht ist eine solche Reise nicht dafür geeignet, in die Tiefe eines Landes vorzudringen.
Tomek und mein Onkel warten schon an einer der Buchten, die der Weg bildet. Das Wasser des aufgestauten Sees ist tief und still, die erste Dämmerung des Abends legt sich über der ruhigen Szenerie. „Wir laufen dann mal zurück zum Auto.“ Viel Freude, sage ich und lehne mich an die Brüstung. Ich will noch hier bleiben, will noch schauen. Demonstrativ nehme ich mir noch diese fünf Minuten. Still. Alles ist still.
Dann geht es im Schweinsgalopp wieder zurück. Ich kann geführte Reisen nicht leiden. Da macht eine Family geführte Tour keine Ausnahme…
Die Bunte Moschee
Doch ein kleines Schmuckstück schauen wir uns auf dem Rückweg noch an. Es ist ein ganz besonderer sakraler Bau, eine Moschee aus dem 15 Jahrhundert. Sie steht im Ort Tetovo, 43 Kilometer südwestlich von Skopje entfernt. Sie ist über und über mit Arabesken bemalt, außen wie auch innen. Daher kommt ihr Name, die Bunte – oder bemalte Moschee; ihr mazedonischer Name lautet Šarena Džamija Moschee. Außer den Bemalungen ist noch etwas besonders an dem Bauwerk, denn die Anstifterinnen zum Bau des Gotteshauses sind zwei Frauen gewesen. Ihre Namen sind in den allgemein zugänglichen Aufzeichnungen nicht hinterlassen, wohl aber die Namen späterer Besitzer.
Und noch etwas ist beachtenswert. Das ursprüngliche Bauwerk ist nicht jenes, welches wir nun betrachten. Denn das Haus aus dem 15 Jahrhundert wurde vollständig abgerissen und neu errichtet; insofern ist die Moschee, wenn man es genauer betrachtet, „nur“ etwas um die zweihundert Jahre alt. Der Auftraggeber der Restaurierung, Abdurrahman Pasha, ließ die farbigen Arabesken anbringen.
Es ist schon fortschreitender Abend. Wir finden dennoch jemanden, der eigens für uns die Türen öffnet. Im Inneren rutscht uns, den Mädels, vor Begeisterung glatt das Kopftuch vom keuschen Haupt. Denn das, was wir sehen, ist wunderschön. Das Bauwerk ist nicht einmal groß, gerade mal zehn auf zehn Quadratmeter misst sein Inneres. Doch es ist voller Schnörkel und floraler Muster, die mit geometrischen Figuren abwechseln. Dazwischen sind Suren aus dem Koran lesbar, wenn man sie denn lesen kann. Stellenweise schon ausgebleicht, sind die Ornamente dennoch beeindruckend. Riesige Kronleuchter tauchen den Raum in warmes, gelbes Licht. Ich sehe alles wie durch ein Prisma. Hebe ich den Kopf gen Decke, so hört die Mosaik aus Arabesken nicht auf, im Gegenteil. Im Inneren der kreisrunden Kuppel sind in weiteren Kreisen Szenen aus alten Zeiten dargestellt, ohne allerdings auch nur ein Abbild einer menschlichen Gestalt. Und im Zentrum dessen ist so etwas wie eine schwarze Sonne sichtbar. Wo man nicht hinschaut, das Wunder hört nicht auf, erfüllt die Augen mit immerwährender Freude. Es ist sicherlich eine großartige Huldigung an den Allmächtigen (oder an den Bauherrn selbst), doch konnte man hier beim Gebet seinen inneren Frieden finden? Oder wanderten die Augen unruhig und abgelenkt immerfort über Wände und Decke? Wie dem auch sei, die Moschee ist ein kleines Meisterwerk.
Entzückt stellen wir einen Fuß vor den anderen, unseren Blick auf die Wände geheftet. Schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, erlösen wir uns selbst, indem wir langsam den Rückzug antreten. Bedanken uns beim Mitarbeiter, der uns die Türen öffnete. Ich bin nicht sicher, ob die Moschee noch für das Gebet genutzt wird, jedenfalls wirkt es so, als würde man sie lediglich zur Besichtigung öffnen.
Im Auto wartet auf uns Tomek, der eine starke Aversion gegenüber jeglichen Arten sakraler Bauten hat. Ungehört verhallen unsere Überredungsversuche, er möge doch eine Ausnahme machen und sich dieses kleine Wunder von Inneren ansehen, denn es ist eine Ausnahme wert. Tomek lächelt nur. „Es reicht, wenn ihr mir davon erzählt.“
Ja, geführte Reisen in einer Gruppe servieren meist nur ein wenig von vielem, auch wenn die Gruppe in deinem Fall überwiegend aus Familie besteht. Tiefgang in ein Land, eine Region, eine Stadt oder eine Landschaft ist nur alleine möglich, bei Seelenverwandtschaft eventuell auch zu zweit 😎👍. Der Canyon sieht wirklich traumhaft aus. Da wäre es mir auch schwergefallen, frühzeitig umzukehren. Aus jedem Land Kaffee mitzubringen ist eine wunderbare Idee! So kann man sich jederzeit schnell und unkompliziert ein wenig Reisefeeling an den heimischen Kaffeetisch holen.
Ach, wenn ich meine japanischen Polen nur nicht lieben würde 😉 Bei solchen Familientouren geht es für mich auch darum, Zeit miteinander zu verbringen. Tiefer eintauchen kann ich ein anderes Mal…
Vor allem habe ich jetzt in Mannheim den gleichen bosnischen Kaffee entdeckt, den ich von der Reise mitgenommen habe. Reise- und Kaffeefeeling for ever! 😉
Wieder ein toller Bericht. Mir hat es die Höhlenkneipe besonders angetan. Aber die Landschaft dort ist echt beeindruckend!
Vielen Dank. Nordmazedonien eignet sich gut für einen ausgiebigen Besuch 🙂
Danke für den Tipp!
Der Canyon und die Moschee sind wunderschön und ich kann verstehen, dass gerade für den Canyon mehr Zeit vielleicht auch zum Wandern schöner gewesen wäre. In der Gruppe zu Reisen ist nicht immer einfach, aber ich genieße es manchmal nicht alles organisieren zu müssen
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag
Liebe Grüße Andrea
Es hat seine Vor- und Nachteile. In der Gruppe ist es lustiger und man erlebt jede Menge Dinge, über die sich später die besten Geschichten erzählen lassen. Andererseits, wenn die Gruppe voraus rennt, bleibt man nicht stehen… 😉
Das Organisieren ist für mich kein Thema, aber wenn die Männer es machen wollen, warum nicht 😉 Nur manchmal versuchen sie, glaube ich, zu viel Action in einen einzigen Tag zu packen. Macht nix, der Canyon wird mich wiedersehen…
In der Gruppe ist es wirklich lustiger, da hast du recht!
Eine wildromantische Schlucht Kasia und an der Schönheit der Moschee besteht kein Zweifel. Vielen Dank, dass Sie diese schöne Reise geteilt haben.
Vielen Dank, sehr gerne