„Om mani padme hum… Om mani padme hum…“
Die Klänge des Mantra dringen aus einem Shop am Rande des Weges. Besucher füttern begeistert eine Schar Tauben, die sich laut flatternd um die besten Körner streiten. Zwei Mönche schlendern langsam am Geschehen vorbei. Auch ich schlendere immer weiter, immer im Urzeigersinn um das buddhistische Heiligtum herum, immer im Takt des Mantras. Die Worte dringen in meinen Kopf und bohren sich in mein Herz hinein. Das Mantra des Mitgefühls wird mich noch oft auf dieser Reise begleiten.
Kathmandu – Nepal und die VIPs
Inzwischen ist es Nachmittag und in der Stadt ist es so dunstig geworden wie während eines Sandsturms in der Wüste. Man sieht kaum etwas inmitten vom aufgewirbeltem Staub, Schmutz und Abgasen. Ja, Leutchen, liebe Leutchen, solltet ihr mal nach Kathmandu kommen, dann macht nicht denselben Fehler wie ich mit weißer oder heller Kleidung: die sieht nach kürzester Zeit nicht mehr so weiß aus. Am dichtesten ist der Staub am frühen Nachmittag, kleine, graue Wirbel tanzen über der Fahrbahn im dichter werdendem Verkehr. Kathmandu wartet auf den reinigenden Regen.
Die Fahrkünste der anwesenden Verkehrsteilnehmer erstaunen mich. Dass es keinen einzigen Kratzer an den Spiegeln und Flanken der Fahrzeuge gibt, ist stellenweise pures Glück, wie mir scheint, denn so genau kann niemand steuern. Aber das Chaos hat System, wie damals in Sri Lanka auch. Die
einen achten darauf, nicht überfahren zu werden, und die anderen achten darauf, niemanden zu überfahren.
Am Ende passt es. Der Grund, weshalb es hier funktioniert, ist einfach und schön zugleich: jeder versucht zwar, sein Recht zu bekommen, aber keiner besteht auf sein Recht. Und wo liegt nun der Unterschied? Jeder versucht, sich in eine freie Lücke zu drängen, aber wenn der andere schneller war, wird abgebremst, um keines der Fahrzeuge zu beschädigen. Und es läuft. Irgendwie.
Große Kreuzungen werden noch immer von Polizisten reguliert, doch das Zeichen für „Stop!“ wird gerne man geflissentlich „übersehen“. Einmal sehen wir eine längere Fahrzeugkolonne an uns vorbei fahren; ein paar Limousinen, vom Militär eskortiert. Ich frage Batsu danach, doch er meint nur: „Ach nein, das ist kein Militär, die eskortieren nur einen VIP. Wir haben so viele VIPs hier in der Stadt, dass wir schon total konfus sind; wir wissen gar nicht mehr, wer kommt und wer geht.“ Er lacht, doch schwingt in diesem Lachen auch eine leise, ironische Kritik mit, die nicht zu überhören ist. Jeder ist ein VIP, sage ich. Batsu nickt. „Das kann man so sagen.“
Ich bin wirklich hier, in Kathmandu. Jetzt, am zweiten Tag beginnt es, mich zu erreichen. In einer ruhigen Minute öffne ich das Maps.me und fahre mit dem Finger über die Karte. Ja, tatsächlich, es ist Kathmandu, dieser blaue Punkt, der da blinkt und der ich bin. Kathmandu. Allein schon der Name der Stadt, so geheimnisvoll, so verheißungsvoll in meinem Kopf. Ich habe bisher nur darüber gelesen, in Abenteuergeschichten voller Ferne, Sehnsucht und Exotik. Jetzt bin ich hier.
Doch jeder Ort ist auch nur aus Sand und Stein gemacht, das zeigt sich spätestens dann, wenn er sich aus dem Dunst der Gedanken schält und in der Wirklichkeit wiederfindet. Das habe ich auf den Malediven bereits festgestellt. Die Malediven – ein Traum, in einem Bild gefangen. Doch auch da ist die Wirklichkeit sehr schnell zugegen. Es gibt kein Paradies. Wer bereits einige Zeit gereist ist, stellt irgendwann fest: das Glück muss man in sich finden, denn es gibt keinen perfekten Ort, den man irgendwie finden könnte. Man kann neugierig sein auf die Welt, doch wohl kaum seine Sehnsüchte erreichen.
Wir entzaubern die Träume, indem wir sie wahr werden lassen. Vielleicht deshalb, anstatt ihnen zu folgen, träumen manche Menschen lieber weiter.
Die Stupa von Bodnath
Als wir am Buddha Tempel, an der weißen Stupa von Bodnath ankommen, lässt mich mein Guide Batsu alleine. Es ist viel los, als wir den Eingang passieren; ein einsamer Mann kontrolliert die Tickets. Ich beginne, die Stupa zu umrunden. Bodnath, so nennt sich der Teil von Kathmandu, in dem sich das UNESCO-Welterbe befindet. Die 36 Meter hohe Stupa gehört zu den sieben Weltkulturerbestätten im Kathmandu-Tal.
Ich habe so viel Zeit., wie ich will und brauche. Die Stimmung hier ist irgendwie besonders. Trotz der vielen Geschäfte mit New Age Nippes und trotz der allgegenwärtiger Guides, die sich unglaubliches einfallen lassen, um doch noch an ihre Führung zu kommen. So spricht mich einer von ihnen an, sobald ich alleine bin, und sagt folgendes: „Ja, ich weiß, dass du dich gleich in einer Stunde wieder mit deinem Guide triffst, doch solange du alleine herumläufst, kann ich dir ein paar schöne Plätze zeigen.
Dein Guide weiß darüber bescheid, versprochen!“ Ich grinse nur noch ob so viel Schlitzohrigkeit. Die Konkurrenz unter den Guides ist hart und manchmal, da macht man sich auch unter dem Deckmäntelchen freundschaftlicher Kumpelhaftigkeit gegenseitig die Geschäfte mies. Da lassen sich die cleveren Jungs Unglaubliches einfallen, um sich gegenseitig die Kunden abzuluchsen. Buddhismus hin oder her.
Auch wenn der Buddha Tempel in erster Linie ein spiritueller Ort ist, so ist das Drumherum doch sehr touristisch aufbereitet. Es gibt Lokale, Shops, Rooftop Cafes, Selfie Points… Nepal hat die Zeichen der Zeit erkannt; bereits am Flughafen in Kathmandu habe ich den ersten Selfie Point gesehen.
Ich gehe weiter, immer um die Stupa mit ihren großen, blauen Augen herum. Der Tempel ist geschmückt mit Girlanden aus bunten Fahnen und die Sonne, die die aufkommenden Gewitterwolken stellenweise durchbricht, leuchtet auf und wandert wie ein verirrter Gast auf der schneeweißen Oberfläche der Kuppel umher. Aus einem der New Age Musikgeschäfte dringt dieses Mantra, ein Satz, der sich immer und immer wiederholt. Om mani padme hum. Eine immer wiederkehrende Melodie. Jegliche Anspannung weicht. Schon nach kurzer Zeit fühle ich mich entspannt und friedlich.
Ein Kind rennt in die Taubenschaar hinein; diese stöbern auseinander wie verschreckte Hühner, zur Belustigung der Umherstehenden. Das Kind freut sich. Ein Mönch wandert, ungeachtet der Szene, gleichmütig seiner Wege. Kurz lasse ich mich auf einer der Bänke nieder und beobachte die Szenerie.
Dann reihe ich mich wieder in den niemals abreißenden Strom der Menschen ein. Um die Tempelplatz herum wohnen vor allem Tibeter und Sherpas. Abends, wenn die Touristen verschwinden, kommen die Einheimischen aus ihren Häusern und umrunden die Stupa, jeden Tag, immer von links nach rechts, um Buddha so ihren Respekt zu erweisen. Das Umrunden des Tempels hat etwas mit Achtsamkeit zu tun, mit Langsamkeit und Innehalten.
Wie der König sich selbst opferte – Die Entstehungslegende der weißen Stupa von Bodnath
Als ich nach einer weiteren Umrundung beim Batsu ankomme, fühle ich mich entschleunigt, mein Kopf ist leicht. Und auch mein Guide wartet entspannt auf mich, diese Art der Besichtigung ist vermutlich besser für uns beide. Nun führt er mich die Stufen der weißen Stupa hinauf, dort, wohin sich die Menschen begeben, um zu beten. Zwei weiße Elefanten flankieren den ehemaligen Eingang, der keiner mehr ist. Auch dieses Heiligtum hat während des Erdbebens Schäden davongetragen, die provisorisch behoben wurden. Die Risse hatte man mit weißem Mörtel übertüncht; nun strahlt das Bauwerk wie eh und je. Oben angekommen, erzählt mir Batsu die Überlieferung seiner Entstehung:
Zwei Sagen ranken sich um die Stupa von Bodnath. Die bekanntere ist die Legende des Newar-Volkes. Die Sage kündet von einem König. Im 5 Jahrhundert ließ König Mantev im Hof seines Palastes einen Brunnen bauen. Doch eine Dürreperiode kam übers Land und der Brunnen blieb nach seiner Fertigstellung trocken. Man wartete vergeblich auf Wasser. Also befragte der König seine Astrologen, wo denn die Ursache der andauernden Trockenheit liegen könnte.
Die Astrologen antworteten dem König, dass ein Menschenopfer nötig sei, um den Brunnen zum sprudeln zu bringen. Es müsse ein Mann geopfert werden, der alle 32 Eigenschaften des Buddha in sich vereint, nur so könne man die Dürreperiode beenden. König Mantev begriff schnell, dass diese Voraussetzungen nur auf ihn selbst und seine beiden Söhne zutrafen, also beschloss er, das Naheliegende zu tun und sich selbst zu
opfern.
König Mantev rief den älteren seiner beiden Söhne zu sich und sprach zu ihm: „Morgen wird ein Mann in den Palast kommen. Er wird ganz in weiß gekleidet sein und eine Haube über seinem Kopf tragen und sein Gesicht wird bedeckt sein. Opfere diesen Mann. Und was auch passiert, entferne nicht die Bedeckung von seinem Gesicht.“
So geschah es auch und tags darauf wurde ein weiß gekleideter, unbekannter Mann in den Palasthof geführt. Der Königssohn tat, wie ihm gehießen und ließ den Mann enthaupten. Als sein abgeschlagener Kopf auf die Erde fiel, verrutschte jedoch die Haube auf seinem Gesicht und der Sohn erkannte seinen eigenen Vater, der tot auf der Erde lag. Von tiefer Traurigkeit ergriffen verließ er tagelang nicht den königlichen Palast, bis ihm eines Nachts eine Gottheit im Traum erschien. Die Gottheit sagte zu ihm:
„Schluss mit der Trauer. Sobald du aufwachst, wirst du eine weiße Taube vor deinem Bett sehen. Folge dieser Taube, wohin sie auch fliegt. Wenn du die Stelle findest, an der sie sich zum Nisten niederlässt und ihre Eier legt, wirst du dort einen Tempel bauen. Dann wird die Seele deines Vaters erlöst sein.“
Wir erkunden langsam den Tempel und kommen dabei an unzähligen, aufgereihten Opferschalen vorbei. Hunderte gelbe und orangene Blumen schwimmen darin. Ein alter Mann spricht mich an. Es scheint, als sei er verärgert, doch ich verstehe nicht, was er sagt. Batsu, der vorausgegangen war, bleibt stehen und schaut sich um. Der alte Mann lässt von mir ab, doch nun fühle ich mich fehl am Platze.
Oben bleiben wir stehen und schauen hinunter auf den Platz und die ihn umgebenden Shops und Cafes. Im Schatten der Stupa zwischen den Blumentöpfen liegen aufgereihte Matratzen. Man hat sie mit Planen abgedeckt und mit Schnüren fixiert, um sie gegen den Regen zu schützen. Der Anblick erscheint mir seltsam. Nach dem Besuch im Pashupatinah Tempel befürchte ich bereits einen weiteren Totenkult, doch Batsu beruhigt mich. Die Bodnath-Stupa ist das größte, buddhistische Heiligtum des Landes, erklärt er mir. Und manchmal kämen die Mönche von sehr weit her, um sie zu besuchen. Sie übernachten dann auf diesen Matratzen unter freiem Himmel, um sich am nächsten Tag wieder ihren Ritualen zu widmen.
Hi Kasia,
ein toller Beitrag, ich konnte innerlich richtig mitreisen. Deine Bilder und Erzählungen erinnern mich an Tibet, vor allem auch das allgegenwärtige „Om mani padme hum“. Eine total spannende Kultur. In Nepal war ich bisher leider noch nicht, jetzt habe ich aber noch mehr Lust, es mal zu bereisen :). Werde mir auch deine anderen Beiträge dazu noch anschauen.
Liebe Grüße,
Ann-Cathrin
Hi Ann-Cathrin,
schön, dass dir der Beitrag gefällt. Nach Tibet wollte ich wiederum, da war ich noch nicht… ich kann mir vorstellen, dass es hier wie auch dort kulturelle Parallelen gibt.
Ich kann dir Nepal nur ans Herz legen. Es ist ein ganz tolles Land. Ich kann es nicht ganz in Worte fassen, auch wenn ich es immer mal wieder versuche… 🙂 Jedenfalls fühlt es sich so an, als wäre ein Stückchen von mir dort geblieben.
Liebe Grüße
Kasia