Asien, Nepal

Die Tiefebenen Chitwans – Zur Besuch im Dorf der Tharu

Sommer 2019, Nepal

In der Ferne inmitten grüner Reisfelder brennt ein Feuer. Davon zu sehen ist nur der Rauch. Er qualmt taubengrau bis zum Himmel, ein dichter Vorhang, der über der Landschaft wandert und das Sonnenlicht in einen Nebel hüllt. Die Sonne steht bereits tief, doch es ist noch immer heiß. Schritt für Schritt stampfen wir über die Felder, setzen einen Fuß vor den anderen. Es ist keine anstrengende Wanderung, doch die hohe Luftfeuchtigkeit erweckt den Anschein unbändiger Hitze und Schwüle. Ab und zu summt eine Mücke in meiner Nähe. Wenn ich sie kriegen kann, schlage ich sie tot.

Der Besuch der Tharu ist Programm. Und das darf man ruhig wortwörtlich verstehen. Der Kontakt und das Kennenlernen der ethnischen Volksgruppen gehört zum Aufenthalt in einem Community Homestay einfach dazu, sind sie doch darauf ausgerichtet, dem Reisenden das traditionelle Leben und den Alltag der Tharu zu zeigen.

Nach dem Mittagessen habe ich ein paar Stunden Ruhezeit, ehe es am späten Nachmittag losgeht. Mit mir dabei sind noch vier weitere Personen; es sind die drei Jugendlichen, denen ich im Hauptgebäude begegnet bin, und ihr Vater. Die Familie kommt aus den Niederlanden. Der Vater ist augenscheinlich darum bemüht, den Jungs die kulturelle Diversität des Landes zu zeigen. Es scheint nicht der erste Ausflug dieser Art für das Trio zu sein, denn die drei verstehen es durchaus, sich zu benehmen.

Während ich das hier schreibe, surren draußen vor meinem Fenster tausende Insekten, Vögel machen seltsame Geräusche, es klingt wie im dichten Busch am Abend. Die ganzen Felder, das ganze Gras da draußen atmet und lebt. Längst habe ich mich an die Geräuschkulisse gewöhnt.

Das Tharu-Dorf

Wunderschöne, saftig grüne Reisfelder im Sonnenuntergang.

Unser Guide führt uns über die Felder und erzählt uns Einzelheiten aus dem Leben und dem Alltag der Tharu. Wilde Elefanten sind noch immer ein großes Problem für die Dorfbewohner, die vorrangig von der Landwirtschaft leben. So sehr wir sie auch mögen und unter Schutz stellen, für die Bauern sind sie eine Plage. Sie brechen ein auf der Suche nach Futter, zertrampeln und zerstören die Felder, weil sie die Bananenplantagen erreichen wollen. So kommen sich Mensch und Tier in die Quere und für die Bevölkerung sind die Tiere keine Sympathieträger. Wenn sie sich nicht abrichten lassen, um bei der Feldarbeit zu helfen, werden sie verjagt, früher wurden sie auch getötet.

Da das Töten der Tiere heute verboten ist, haben sich die Bauern andere Möglichkeiten einfallen lassen, um die Tiere von ihrer Ernte fern zu halten: sie errichten Zäune, auf denen sie Gegenstände wie Eimer und Flaschen platzieren. Alles, wovon sie hoffen, dass es den Elefanten abschreckt. Ob es was nützt – das weiß der Bauer allein.

Angebaut werden unter anderem Reis und Bananen. Der Guide zeigt uns die verschiedenen Pflanzen. Auch kommen wir an einem leer stehenden Haus vorbei, das in der typischen Tharu-Bauweise errichtet wurde, aus Bambus und Lehm, vermischt mit Dung, Sand und Stroh. Gedeckt werden sie mit Schilfgras. Bereits auf meinem Fußmarsch zum Homestay konnte ich Menschen beobachten, die in den Feldern und am Straßenrand kauern und körbeweise Schilfgras sammeln. Solche Häuser sind für das feuchtheiße Klima der subtropischen Tiefebenen perfekt geeignet, da sie im Innern für ein angenehmes, kühles Mikroklima sorgen.

Die Tharu seien ein Volk, das ursprünglich aus Indien kommt. Sie haben sich vor Hunderten von Jahren in den Sumpfgebieten niedergelassen und ihre eigene Kultur entwickelt, die sich stark von der der Sherpa-Völker im Himalaja unterscheidet. Nepal ist kulturell ein sehr vielfältiges Land, hier werden allein über hundert verschiedene Sprachen gesprochen (die keine Dialekte sind).

Die Sonne ist fast gesunken, es ist Abend. Der Rauch legt sich wie ein Tuch über die Reisfelder und bildet eine unwirkliche Szenerie. Wir nähern uns dem ersten Dorf der Tharu.

Das Dorf scheint leer zu stehen. Die Menschen sind in ihren Häusern, nur wenige gehen draußen ihren Aufgaben nach. Ab und zu schauen sie auf und uns nach. Ich grüße jeden, den ich sehe. „Namaste!“ Sofort erhellen sich die Gesichter. Ich weiß nicht, weshalb meine holländischen Begleiter den Gruß zunächst vergessen, das ist schließlich ein lebendiger Ort und kein Museum, die Menschen sind Bewohner und keine Sehenswürdigkeiten, die nach Belieben bestaunt werden können.

Die Häuser sind mit Stroh bedeckt. Sie wirken einfach, doch ich sehe hier und da Solarzellen; ja, sogar Satelitschüsseln sind an ein paar der Häuser zu sehen. In abgetrennten bereichen draußen vor dem Haus werden Tiere gehalten. Es sind in erster Linie Ziegen, die aufgeregt vor sich hin meckern, doch auch Enten und Gänse sind zu sehen.

Die Menschen leben hier sehr nah mit ihren Tieren zusammen. So manche Tharu-Frau führt eine Ziege am Strick spazieren, wie wir einen Hund Gassi führen würden. Die Ziegen sind ein wertvoller Besitz, auf den immer geachtet wird.

Hunde wiederum folgen uns auf Schritt und Tritt, passiv-aggressiv, immer darauf wartend, dass eines der Jungs aus unserer Gruppe panisch zu rennen beginnt, um sich dann an seine Fersen zu heften. Doch den Gefallen tun wir ihnen nicht und so bleiben auch die Tiere vorsichtig-friedlich.

Einige der Häuser tragen bunte Bemalung, geometrische Formen, weiße Handabdrücke und farbige Blumenmuster. Wir passieren das Dorf. Auf der rückwärtigen Seite steht angebunden eine Herde Ziecklein. Die Feuchtigkeit der Luft lässt über den Feldern in der Sonne einen Regenbogen erscheinen.

Eine Gruppe Kinder turnen auf einer Baustelle herum; sie klettern auf die obere Etage eines halb fertigen Hauses. Ganz ohne Absicherung rennen sie herum, singen, winken und rufen uns von oben zu. „Namaste! Namaste!“ Sie lachen, freuen sich über den Besuch. Wir winken zurück. Sie freuen sich offen und ehrlich, uns zu sehen, wohingegen sich die Erwachsenen eher verhalten geben. Aber so ist es im Leben.

Hier hinten, inmitten der Reisfelder, die sich extrem grün und dunstig in der Abendsonne erstrecken, reitet ein Mann auf einem Elefanten. Ein Bild für einen Reisekalender. Wir bleiben stehen, jeder möchte ein Foto. Der Tharu-Reiter hält still und posiert für unsere Fotos. Doch der Elefant wird ungeduldig, fühlt sich bedroht von so vielen fremden Menschen. Er fächert mit den Ohren und macht sich größer.  Der Guide dirigiert uns weg; es ist Zeit zu gehen.

 

Das Hilfsprojekt für Erdbebenopfer

Wir verlassen das traditionelle Dorf und wandern zum nächsten größeren Ort. Die Häuser in einem der Ortsteile sind nagelneu, sie wurden mit Unterstützung von Spenden und durch Sponsoring aus verschiedenen Ländern gebaut. Die Häuser wirken sehr modern, allerdings sehen wir sie nur von außen. Auf den Häusern stehen die Namen der Unterstützer und ihre Herkunftsländer. Es ist ein Hilfsprojekt für Menschen, die bedingt durch das Erdbeben 2015 obdachlos geworden sind.

Hier sehen wir viele Menschen draußen, in erster Linie Frauen. Sie verrichten Arbeiten, kümmern sich um die Kinder, sitzen da und reden. Eine von ihnen sitzt draußen vor dem Haus und wäscht ihre langen Haare in einem großen Eimer. Fließend Wasser scheint es trotz allem nicht zu geben. Ein Mann duscht sich verstohlen mit einem Wassereimer in seiner provisorischen Außendusche. Das abendliche Leben spielt sich draußen ab.

Ich habe schon häufiger beobachten können, dass es auch in den größeren Ortschaften keine Duschen gibt, wie wir sie kennen. In Hotels und Hostels ja, sicher, denn als Reisender bekommt man jeglichen Luxus, den man von zu Hause gewohnt ist. Doch für die einfachen Haushalte gilt es nicht, diese wissen sich anders zu behelfen. Regenwasser wird in großen Bottichen gesammelt. Die Duschvorrichtungen bestehen aus einem aus einem mehr oder weniger blickdicht abgetrenntem Bereich draußen vor dem Haus. Der Mann seift sich ein, seine Frau steht mit einem Wassereimer bereit daneben, um ihm zur Hand zu gehen; das ist Gang und Gäbe. Ein häufiges Bild, welches ich vom fahrenden Bus aus beobachten konnte. Die Menschen entkleiden sich zum Duschen niemals ganz, zumindest nicht draußen.

Aus einer hinteren Ecke stolpert eine frisch gewaschene, barbusige alte Dame heraus. Ich bin seltsam berührt, den Bewohnern bei ihren privaten Tätigkeiten zuzusehen und bin froh, als wir uns wieder entfernen. Natürlich hat das was von einem Freilichtmuseum, doch ich denke, es ist den Guides wichtig, den ausländischen Besuchern zu zeigen, wohin die Gelder fließen.

Weiterführende Links: http://www.tharumuseum.org/

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Liebe Kasia,
    oh ja, das war so etwas mit dieser Elefantenzuchtstation. Eher traurig! Wir waren auch im Nationalpark wandern mit dem Guide. Eigentlich war ich dann froh, auf der Wanderung keinen Nashörner begegnet zu sein. Die sollen ja sehr schlecht sehen aber gut riechen können. Wahrscheinlich wäre ich vor Schreck tot umgefallen.

    Liebe Grüße
    Renate

    1. Liebe Renate,

      vor Schreck zu erstarren wäre kein Problem gewesen, lach… nur panisch davon rennen ist eher schlecht, da die Tiere 40 km/H schnell sind. Man hat keine Chance, wenn sie erstmal Anlauf nehmen. Die Guides haben das Nashorn mit Krach und Geschrei zurück in den Dschungel verscheucht, ich hätte nicht geglaubt, dass das möglich ist…

  2. Liebe Kasia,
    sehr interessanter, in die Tiefe gehender Bericht, bei dem man mehr über die Bevölkerung erfährt.
    Wir waren im Dezember in Nepal und haben auch den Chitwan Nationalpark besucht. Zu den Angeboten im Park gehört auch ein Besuch eines Tharudorfes, das in der Nähe unseres Hotels lag. In der Kürze des Besuchs war die Erfahrung für uns nur oberflächlich, dennoch bin ich froh, das Dorf gesehen zu haben.

    Am Ende des Dorfes war eine kleine Brücke, die zur Elefantenzuchtstation führt. Einer der frei lebenden Elefantenbullen, Ronaldo, soll recht gefährlich sein. Ich vermag es mir sowieso nicht vorstellen, allein zu Fuß vor einem wilden Elefanten oder Nashorn zu stehen.

    Am Abend saßen wir an der Brücke und sahen, wie alle Wasserbüffel von der Wiese gegenüber den Fluß durch schwammen und heimwärts zogen – ein sehr schönes Bild.

    Liebe Grüße
    Renate

    1. Liebe Renate,
      Dankeschön! Ich versuche immer, ein bisschen was über die Hintergründe zu erfahren, nicht immer klappt das vor Ort.
      Die Geschichte mit den Tharu geht noch weiter, später am Abend stand gemeinsames Kochen auf dem Programm. Das war für mich schön und befremdlich zugleich…
      Die Elefantenzuchtstation habe ich auch gesehen, die Tiere werden dort in erster Linie für Safaris gezüchtet. Tja, und im weiteren Verlauf der Reise stand ich tatsächlich vor einer etwas aufgeregten Nashorndame… glücklicherweise war ich nicht alleine, sondern mit zwei Guides, die wussten, was zu tun ist. Heute glaube ich, dass ich nur dank ihnen noch lebe… 😉

      Liebe Grüße
      Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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