Asien, Jemen

Sokotra – Stille der Berge

Fahrt ins Unbekannte

 

Allerhand sehen wir auf unserem Weg. Die ersten, rosa blühenden Flaschenbäume tauchen auf. Frauen und Familien beim Picknick am Meer. Die Kinder rennen schreiend hinter unseren Fahrzeugen her und winken. Strahlend helle Sanddünen, die sich an einen Berg schmiegen. Tiefer im Landesinneren wird überall gebaut. Irgendwo am Strand taucht sogar ein alter, ausgemusterter Panzer auf.

Zwei Tage lang werden wir über Bergpfade wandern, die nur ein Kamel begehen kann. Nun bringt uns unser Fahrzeug höher und höher, wir vertiefen uns in die Berge. Die sandige Straße wird immer schlechter, das Auto ruckelt vor sich hin. Rechts von uns öffnet sich das Tal, während wir immer weiter steigen. Langsam verschiebt sich die Landschaft. Wo sind die Drachenblutbäume, der Grund unseres Kommens? Die begehrten Exemplare kommen erst ab fünfhundert Metern Höhe vor. Die erste Sichtung wird ausgiebig fotografiert. Ein armer Drachenbaum, der sich ins Gestein krallt und von uns sofort umringt wird. Davon wird es noch mehr, noch weitaus mehr geben, aber das wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Auf 600 Metern Höhe machen wir Mittagspause. Wir befinden uns im Wadi di Negehen und wollen ins Hajhir-Gebirge, zum Adho-Di-Meleh-Pass. Es ist inzwischen Mittag und weit über dreißig Grad. Keine optimalen Voraussetzungen, um unsere Wanderung zu beginnen, also beschließen wir, die Zeit auszusitzen. Die Fahrzeuge halten an. Das Kamel hält an. Ein jeder sucht sich einen der spärlichen, schattigen Plätze im Schatten eines alten Baumes. So gut wir können, schmiegen wir uns an den Felsvorsprung, der uns etwas von der Sonne abschirmt. Proviant wird ausgepackt, Decken ausgebreitet. Einheimische Hirten, über uns auf den Felsen sitzend, betrachten uns mit ihren tiefdunklen Augen. Sie scheinen mit der Umgebung zu verschmelzen, gehören hierher. Um sie herum turnen Ziegen, die hin und wieder ein neugieriges „Mäh“ von sich geben. Es wird Tee und Datteln gereicht. Wir essen unsere Lunchpakete auf, die aus etwas Brot und Käse, Gurken und Karotten bestehen. Immer wieder schüttle ich kleine, schwarze Kugeln von der Decke, auf der wir essen, bis mir auffällt, dass solange die Ziegen über unseren Köpfen sind, wird es auch diese „Kugeln“ weiterhin geben.

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Ich nutze die Gelegenheit, mich nach dem Lunch ein wenig umzusehen. Schmutzgeier kreisen ganz nahe über uns, ziehen gemächlich ihre Runden. Ahnen sie schon, dass wir die Wanderung nicht überstehen? Ganz falsch liegen sie nicht, die Federviecher, denn der erste Wandertag ist für Ungeübte immer der schlimmste. Ach, ich werde noch ein Klagelied anstimmen.

Die Geier wittern leichte Beute

Jetzt laufe ich einen schmalen Pfad entlang, der mich nach oben führt, am grasenden Kamel vorbei, das gleichgültig Zweige abknabbert, immer höher. Schon bald sehe ich unsere rastende Gruppe unter dem ausladenden Baum weit unter mir, ganz klein. Dafür öffnet sich ein Ausblick auf das Tal. Stellenweise finde ich grüne, abgesplitterte Steine, die wie Kuchen aussehen und die ich so gerne mit nach Hause nehmen würde. Es ist verboten, irgend etwas von Sokotra mit nach Hause zu nehmen. Seufzend mache ich ein Foto und überlasse den Stein wieder seiner Natur.

Diva
Grün und Beige, wie die Landschaft selbst

 

Es tut gut, sich ein wenig von der Gruppe zu entfernen. Ich war schon immer der Mensch mit den leer gehenden, sozialen Batterien, die abseits vom Trubel wieder aufgeladen werden müssen. Bei meinem Aufstieg ignoriere ich die Hitze. Ich bin hier, um was zu sehen. Mich über den „Wanderweg“ freuend würde ich wohl weiter gehen, doch der Weg endet in jemandes Behausung. Ein improvisiertes Gatter und aufgehängte Textilien weisen auf eine eingerichtete Naturhöhle hin. Verschämt trete ich den Rückzug an.

Die restliche Zeit verbringe ich mit meinen Leidensgenossen. Wir tauschen unsere Lebensrealitäten aus. Wer bist du, was machst du? Jetzt, nach zwei Tagen zusammen, fällt es mir auch leichter mit dem Smalltalk. Um halb zwei packen wir zusammen, die Wanderung beginnt. Kasia startet gut durch, ist schnell bei den ersten mit dabei. Doch die ersten zehn Minuten sind die schlimmsten. Die Hitze. Das Gewicht des notwendigen Wassers in meinem Rucksack. Die Steigung. Die Steine, die unter meinen Füßen nachgeben. Warum tue ich mir das an. In diesen Momenten habe ich keinen Blick mehr für die Schönheit der Insel. Ich wollte ja die Gegend unbedingt wandernd erkunden, obwohl die Option bestand, sich bequem von A nach B kutschieren zu lassen (kleiner Tipp einer klüger gewordenen Reisenden: macht es nicht. Wandernd sieht man mehr…). Ich erwäge ernsthaft die Möglichkeit, mich ab morgen mit dem Auto hinauf fahren zu lassen. Ober mit dem Kamel.

Es beginnt das Grauen…

Ganz vorne geht Gerti, eine emeritierte Ärztin. Sie ist eindeutig die fitteste von uns allen. Ralph überholt. Ralph, der Chirurg. Überhaupt sind fast alle Teilnehmer unserer Gruppe Ärzte oder Ärzte in Pension, dann haben wir ein Schweizer Pärchen, eine Österreicherin, und mich. Die Schweizer überholen mich, während ich mich kurzzeitig in den Schatten kauere; an die hänge ich mich dran. Jedes Fleckchen Schatten wird für ein kleines Päuschen genutzt. Ich weiß, wenn ich Ebba sehe, muss ich langsam weiter. Denn danach kommen nur noch Michael und Gerti 2, unsere Guide.

Wir erreichen unseren ursprünglich avisierten Platz, eine weitläufige Wiese übersät mit Kuhfladen, und warten auf die Nachzügler. Ich fühle mich überraschend gut, finde es fast schon schade, dass die Wanderung so kurz ausfiel. Gerade habe ich mich warm gelaufen. Die ersten Minuten sind die schlimmsten. Herz, Hitze, Kreislauf. Man zieht alle Optionen in Erwägung. Auto. Kamel. Doch dann wird es besser, die Atmung normalisiert sich. Das Herz beruhigt sich, die Muskeln nehmen ihren Dienste auf, so wie es von ihnen erwartet wird. Auf den letzten Metern überbrücke ich den Aufstieg, mich mit Evelyn unterhaltend, was mich ein wenig von den Strapazen ablenkt.

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Als Guide Gerti da ist, nutzen wir die Zeit, um uns zu beraten. Ein paar Sokotris kommen vorbei, sie und unsere einheimischen Guides kennen sich anscheinend, es wird sich freudig begrüßt. An einer niedrigen Mauer, die die Tiere auf der Wiese halten soll, rasten wir; dahinter öffnet sich die Landschaft. Traumhafte Bergkulissen ragen auf. Nach einer kurzen Abstimmung verwerfen wir diese erste, kuhfladige Option für einen Zeltplatz. Es geht weiter nach oben.

Evelyn entdeckt einen Chamäleon auf einem trockenem Ast. Es ist eine sensationelle Entdeckung, denn obwohl es hier welche geben soll, ist es in der Regel schwer, auf sie zu treffen. Das Chamäleon ist der unfreiwillige Star des Abends und wird sofort umringt. Ein Foto, noch ein Foto, noch ein Foto. Und jetzt, Chamäleonchen, möchtest du vielleicht lächeln? Guck in die Kamera… Das Tier möchte flüchten. „Schaut mal, es ist wütend, es wird schwarz.“ Immer wieder wechselt das Chamäleon seine Farbe. Hiergeblieben, deine Session ist noch nicht vorbei.

Objekt der Begierde
Hier geblieben!

Die besten Bilder sind im Kasten. Zugegeben, ich beneide in diesem Moment die Menschen mit ihren großen Kameras um den Hals. Sie sind unhandlich und sperrig und ich habe mich dagegen entschieden, doch dafür werden meine Mitreisenden die Bilder ihres Lebens haben. Als also die besten Bilder im Kasten sind, setzen wir unseren Weg durchs Gebüsch fort. Die Strecke ist steinig und leicht abschüssig und in dieser wilden, nur von Hirten bewohnten Welt gibt es so etwas wie Wege kaum. Den Weg muss sich jeder alleine suchen. Steine rutschen unter den Füßen. Große Steinbrocken liegen in der Landschaft verstreut. Schließlich sagt jemand: wir sind da. Doch noch können wir unsere Zelte nicht aufbauen, wir warten auf das Kamel. Dort sind die Zelte, der Schlafsack. Es ist kühl geworden, kühl und windig. Wind zerrt an der Kleidung. Die warme Jacke ist bei Zelten und Schlafsack auf dem Kamel.

Unsere zweite Campingfläche ist schön geschlossen, umringt von hohen Bergen. Kleine, mehr oder weniger ebene Grasflächen sind zwar spärlich in der Landschaft verteilt, aber vorhanden. Wir verteilen uns in der Landschaft. Ich suche mir einen Zeltplatz weiter abseits vom Trubel. Das Zelt wird so ausgerichtet, dass ich in etwa eben schlafen kann, denn nichts ist schlimmer, als die Nacht über um Gleichgewicht zu ringen. Die Zelte sind fix aufgebaut, es ist immer eine helfende Hand eines Guides zur Stelle, die ungefragt mit anpacken, wenn sie sehen, dass man Hilfe braucht.

Die Sonne sinkt, die Berge liegen still da. Der Gebetsgesang einer der Guides hallt von den Felswänden. In der Dämmerung kommen wir zusammen; auf einer großen, auf dem Boden ausgebreiteten Matte werden Reisegeschichten ausgetauscht. Unsere Guides haben bereits das Feuer entfacht und der Koch bereitet das Abendessen zu. Es gibt Pasta mit Thunfisch und Soße, und den obligatorischen Tee. Nach dem Essen bekommt eine jede ein Stückchen Schokolade anlässlich des Weltfrauentages. Es ist der 8 März.

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Die Funken des Feuers sprühen hoch. Wie Geistergestalten wirken die Sokotris im Schein des Feuers. „Wie hat er dich genannt?“ Fragt jemand Gertrud. Sokotris sprechen in der Regel etwas Arabisch, doch sie haben ihre eigene Sprache.

Mystische Gestalten
Lesestunde

Die Sonne ist hinter die Berge gefallen, Restlicht färbt den Himmel. Unzählige Sterne nutzen die Gunst der Stunde und zeigen sich uns in ihrer Klarheit, ehe der Mond aufgeht. Guide Gertrud liest uns im Feuerschein eine jemenitische Geschichte, es ist die Geschichte des Kaffees. Es ist kühl, wir haben uns gemütlich auf der Matte ausgestreckt und einer der Guides reicht mir eine seiner universellen Decken. Ich nehme das muffig riechende Ding dankbar an und lege es mir in den Rücken. So lässt es sich aushalten und mit den Blick zu den Sternen den ruhigen Worten Gertis lauschen. Doch wir sind schon bald müde. „Lesen wir morgen Abend weiter?“ Fragt Gerti und schließt das Buch. Mein Zelt wartet auf mich. Und meine abendlichen Reinigungsrituale: die Zähne werden im Gebüsch zwischen den Felsen geputzt, der Mund mit Flaschenwasser gespült. Für Privatsphäre sorgt eine durch den Regen geformte Vertiefung im Boden ein Stück weit vom Zelt entfernt. Das versprochene Waschwasser im Kanister ist irgendwie nicht angekommen.

Der Mond hängt tief und strahlt halogen über den Bergspitzen. Wind frischt auf, jagt weiße Wölkchen über die Berge. Die Wolken werden immer mehr, schleichen wie Geister zwischen Gebirgshängen, bleiben um mein Zelt herum kurz stehen. Die Zeltplane ist feucht. Das ausgehängte Handtuch hat keine Chance, zu trocknen.

Die Nacht ist lebendig. Grillen und sonstige Insekten sind jetzt wach. Es ist mehr von ihnen zu hören als am Tage. Seltsame Vogelstimmen, Geräusche, wie Schritte draußen vor dem Zelt. Doch das ist vermutlich nur der Wind, der an den Zeltwänden zerrt.

Hell wie eine Laterne

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Sehr beeindruckend! Hast du eine neue Bildergalerie eingesetzt? Das wirkt sehr professionell.

    1. Dankeschön. Ja, ich habe mich für die Diashow Funktion erwärmen lassen. Das spart einiges an Platz ein.

  2. Hallo Kasia, scheinbar wieder ein toller Trip. Jetzt bist du gerade erst in der Pfalz angekommen und schwärmst von der schönen Landschaft im Jemen. Du hast wieder einen tollen Bericht erstellt, der mich meinen lässt, dass ich mit euch gewandert sei. Die kleinen Videos/Diashows machen das ganze erlebbarer. Ich bin mal gespannt wie es weitergeht und bin gern wieder dabei (natürlich nur virtuell).
    Liebe Grüße, Harald

    1. Hallo Harald,

      vielen Dank, die Reise ist schon etwas länger her. Sokotra ist ausnahmslos schön, aber ich sag mal so: ferne Orte werden sich nie nach Zuhause anfühlen. Die Pfalz braucht sich nicht zu verstecken. Ansonsten, es wird zu Sokotra noch viel zu sehen und zu erleben geben und ich freue mich, dich dabei zu haben.

      Liebe Grüße

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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