Canyon Matka nach Ohrid, Nordmazedonien – Google Maps
Am frühen Morgen schaut mir im Spiegel ein malträtiertes Gesicht entgegen. An diesen Anblick habe ich mich inzwischen gewöhnt. Da ich jetzt eine schicke Sonnenbrille besitze, schlüpfe ich in ein Kleidchen und setze die Gläser auf die Nase. Schon besser. Fast wieder normal.
Gefrühstückt wird unten, in einer Art Außenzelt. Noch friere ich erbärmlich, doch mit meiner luftigen Kleidung sollte ich für den heutigen Tag Recht behalten. Es wird warm werden in Ohrid, dem hübschen Küstenstädchen Nordmazedoniens. Mehr noch: Ohrid soll zu einem unserer Lieblingsorte dieser Reise werden.
Gemütlich schlendern wir zum Ohridsee. Im Gänsemarsch, wie man es von uns gewohnt ist. Unterwegs stolpern wir zu unserer Freude fast über einen roten, kleinen „Maluch“, einen alten, polnischen Fiat aus den Achtzigern. Du bist aber auch weit von Zuhause weg, oder? Die Autos wurden früher massenhaft für den polnischen Markt produziert und fanden, ihrer Einfachheit und ihres niedrigen Preises wegen, guten Absatz. Wer sich gerade einmal so ein Auto leisten konnte, der leistete sich einen Maluch. Und auch wenn so mancher schon Rost ansetzte und langsam auseinander fiel, so konnte der Besitzer dennoch stolz von sich behaupten, ein Auto sein eigen zu nennen.
Der Ohrid See
Über diesen See weiß uns Tomek wundersames zu erzählen. Und wundersames lese ich später auch nach. Dass der See zu den ältesten der Erde zählt, zum Beispiel: man geht heute von einem Alter von 1,36 Millionen Jahren aus. Und dass seine maximale Tiefe 266 Meter beträgt (sinkst du da auf den Grund, so findet dich keiner mehr – außer du hast die Güte, als aufgedunsene Wasserleiche wieder nach oben zu kommen…). Er wird vor allem von Quellen gespeist und ist Zentrum des UNESCO Natur- und Kulturerbes der Ohrid Region. Ein Teil des Sees gehört zu Albanien – schaut man vom Fuße des Sees zum Horizont, so kann man die albanische Küste sehen. Man hat hier Pfahlbauten aus der Jungsteinzeit gefunden, die auf etwa 6000 v.Chr. datiert sind, älter als die in der Alpenregion.
Die Bootsfahrt
Das Wasser des Ohridsees ist so klar und sauber, erzählt uns Tomek, dass man es trinken kann. Theoretisch. In der Praxis bevorzugen wir doch eher ein Gläschen Rakija, welches uns der alte, bärtige Bootsführer direkt aus einer verschraubten Plastikflasche eingießt. Er ist der erste, den wir zu dieser frühen Uhrzeit aufgabeln und auch der günstigste. Nicht, dass wir zuvor verglichen hätten; erst später werden wir feststellen, dass näher an der Uferpromenade die Preise höher sind. Aber sei es drum; spontan entscheiden wir uns für den Ausflug. Und es ist eine gute Entscheidung. Warm begrüßt mit einem Gläschen Rakija (wer wird denn schon morgens um zehn saufen wollen…?) nehmen wir auf den hölzernen Bänken platz. Der Motor startet und Wind weht uns um die Nase. Leicht schaukelnd und gemütlich tuckernd bewegt sich das Boot vom Ufer weg und die schöne Küste entlang. Weich gezeichnete Landschaft im Morgendunst, bläuliche, niedrige Bergketten, kleine, hübsche Häuser, die an den Hängen kleben. Kormorane recken sich auf Bojen und strecken ihr schwarzes Gefieder und ihre schlanken Hälse dem Sonnenlicht entgegen, während Möwen zusammengeknüllt und antriebslos auf vertäuten Booten sitzen. Das Wasser ist klar, so klar – wenn wir nach unten schauen, können wir jeden Stein sehen.
Ohrid. Weiße Häuser, ziegelsteinfarbene Dächer, dunkel umrandete Fenster, die uns anschauen. Wie gemalt sieht das kleine Städchen von Weitem aus, am blauen, mit Schäfchenwolken versetzten Himmel. Die Festungsmauern erheben sich über all dem; dort flattert, gut erkennbar, die rot-gelbe Flagge Nordmazedoniens. Steil fällt an mancher Stelle die Küste in den See ab, und Zypressen schießen Pfeilspitzen gleich in die Höhe. Es ist eines der perfekten Momente. Wir müssen nirgendwo hin, haben es nicht eilig. Mein Onkel balanciert ungelenk auf dem fahrendem Boot herum, um das beste Foto zu machen. Während ich recht sicher, als hätte ich nie etwas anderes getan, bis ganz nach vorne laufe und dort meine Poleposition einnehme. Auf bewegten Gegenständen wie schaukelnden Booten zu gehen habe ich inzwischen gelernt. Das macht Onkel Mut; mit ausgebreiteten Armen stellt er sich an den Bug, was Tomek zu einer nicht ganz ernst gemeinten Bemerkung über den „König der Welt“ veranlasst.
Ohrid, die Altstadt
Viel zu schnell endet die Fahrt. Gemütlich laufen wir los, den Ort zu erschließen. Zunächst schlendern wir entlang der Promenade, wo sich stolz steinerne Statuen erheben. Vielleicht haben die Mazedonier einen Faible für ihre Heiligen. Da hätten wir den heiligen Klement, den heiligen Methodius, den heiligen Kyrill, den heiligen Naum (habe ich jemanden vergessen?). Tische und Stühle der vielen Restaurants stehen direkt am Wasser, so dass der Gast nicht nur mit Blick auf den See, sondern mit Blick auf die kleinen Fische vor seinen Füßen dinieren kann. Da schaukelt ein blaues Boot sachte auf den Wellen. Die perfekte Harmonie. Eine Weile warten wir auf Jacob, währenddessen mein Onkel an einem sonnigen Platz versucht ist, uns mit dem Wasser aus dem Brunnen nass zu machen. „Mach Kasia nass.“ Sagt Gosia immer wieder und zeigt auf mich, doch ich sitze zu weit weg.
Dann erkunden wir einstimmig die kleinen, engen Gassen der Altstadt, wo sich Geschäfte, Restaurants und Wein- sowie Rakijahändler den knappen Platz teilen. Kopfsteinpflaster und blumengesäumte Mauern. Blumentöpfe auf den Fenstern, auf dem Boden, und – was ich im Nachgang lustig finde – auf den Pflanzenbögen, die sich über dem Weg spannen. Überall blüht es, überall ist es grün. Sogar blühende Handtaschen gibt es, aus denen rote Geranien ranken. Die Souvenirshops bieten nicht nur Schmuck und Kühlschrankmagnete an, nein; auch Heiligenbilder und Ikonen haben ihren Platz gefunden. Mazedonier lieben ihre Heiligen, dieses Eindrucks kann ich mich beim besten Willen nicht erwehren.
Entlang der Küste verläuft ein langer Steg. Dorthin verlagern wir jetzt unseren Spaziergang. Das Wasser unter unseren Füßen ist so klar, dass jedes einzelne Steinchen, jeder kleiner, pfeilschnelle Fisch zu sehen ist.
Im Schatten hängender Trauerweiden liegen umgedrehte Boote im Kies; Reste von Farbe sind auf den Kieselsteinchen am Strand erkennbar und es riecht nach Farbe. Onkel wartet geduldig, während Gosia die Steinchen fotografiert. Es gibt so viel zu sehen, und doch scheint der Ort zu schlafen. Wäsche flattert auf einer Wäscheleine, ein glänzender, weißer Käfer wartet auf seine nächste Fahrt. An Hauswänden räkeln sich Katzen in der Sonne.
St. Sophia Kirche
Über die Kirche stolpern wir quasi während unserer Erkundungstour. Also hereinspaziert, warum auch nicht. Natürlich außer Tomek, der Kirchen meidet wie der Teufel das Weihwasser; doch diesmal bleibt uns auch Jacob fern. Schade, die beiden verpassen was. Die Kirche aus dem 11 Jahrhundert ist voller verblasster, halb abblätterte Ikonen; die Malereien erstrecken sich über das gesamte Kirchenschiff. Ach, und was wäre so eine Kirche wohl ohne die vielen, mit Blattgold veredelten Gemälde, Darstellungen der Engel und Heiligen aus dem orthodoxen Christentum. Zwei Drittel der Bevölkerung Mazedoniens bekennt sich zur Mazedonisch-orthodoxen Kirche.
Nicht ganz so edel, aber ebenso interessant sind die kleinen Bildchen, die zum Verkauf stehen. Bei diesen wurde sinnvollerweise auf Blattgold verzichtet; dennoch versetzen sie jeden Gläubigen in Verzückung. Aber im Ernst; es ist ein besonderes Erlebnis, einen Ort zu betreten, der Jahrhunderte überstanden hat. Bilder laufen vor dem inneren Auge ab. Was ist hier wohl alles geschehen, wessen Füße betraten den Boden?
Unsere Füße verlassen die Kirche. Es ist alles angesehen und wegfotografiert, wir haben fertig. Wo sind Jacob und Tomek?
Ich habe mal wieder viel über den Balkan dazugelernt. Toller Beitrag über einen der hintersten Winkel der Welt. Zumindest erscheint es einem von hier so. Wenn man dann dort ist erlebt man das sicher anders.
Der Balkan wird gerne vergessen. Ich denke, es würde dir in Ohrid gefallen. Eine tolle Stadt – nur von der Touristenmeile muss man sich fernhalten 😉
Ich bin mir sicher, dass ich mich dort sehr wohl fühlen würde.
Wie schön, dass ihr das hübsche Örtchen mit der tollen Lage am See in Ruhe und ohne Zeitdruck anschauen konntet. Ich hoffe, ihr habt die beiden abtrünnigen Kirchenallergiker noch irgendwo einfangen können 😅.
Als hättest du es geahnt; das Einfangen von verloren gegangenen Leuten wird eine große Rolle spielen in unserer nächsten Folge: „Kasias Abenteuer um die Welt“ 😉
Vielen Dank, dass Sie uns Ohrid und seinen See vorgestellt haben. Ich wusste nicht, dass dies einer der ältesten Seen der Welt ist. Vielen Dank für alle Informationen und natürlich für die schönen Bilder und Videos der kleinen Fische.
Schönes Wochenende Kasia.
Der See ist sehr klar zum Tauchen, aber auch Ohrid ist ein Juwel, das besucht werden will 😉