April 2017
Stefan probiert seinen neuen Tankrucksack aus. Doch irgendwie will das Ding gar nicht sitzen… Währenddessen habe ich vor unserer Garage bereits Platz genommen und den Helm angelegt, während uns ein kleines Mädchen mit offenem Munde anstarrt und der Vater gütig lächelnd daneben steht. Sie beide, doch vor allem die Kleine, warten auf den großen Auftritt – darauf, dass wir mit viel Lärm und Getöse brummend von dannen fahren. Doch Stefan zupft immer noch an seiner Ausrüstung rum, während ich mir denke: Nu mach schon, das Kind will was sehen…
Und dann… ja, dann ist es endlich soweit. Wir starten fast schon synchron den Motor und surren gemütlich vom Hof. Ich hätte der Kleinen noch zum Abschied winken sollen, denke ich bedauernd.
Es ist verlängertes Wochenende: Es ist das Wochenende zum 1-ten Mai und trotz der späten Stunde (Haushalt hält auf – und so düsen wir erst nachmittags gegen zwei los…) sind die Autobahnen voll. Wir quetschen uns durch den dichten Verkehr: Es ist ein bisschen wie Tetris spielen – man sucht sich immer die freien Lücken raus und dann nichts wie hinein…!
Das Fahren mit dem vollgepackten Tankrucksack vor der Nase ist zunächst einmal eine Frage der Gewöhnung – „wie der Affe auf dem Schleifstein“, wie Stefan zu sagen pflegt. Ständig bilde ich mir ein, dass mich das Ding in Schräglage hindert und beide fahren wir entsprechend vorsichtiger. Doch nach mehreren Stunden Fahrt merken wir das angebliche Hindernis kaum noch und tanzen zufrieden Kurve um Kurve weiter.
Bei Bingen am Rhein verlassen wir die Autobahn und begeben uns die Landstraße am Rhein entlang – das romantische Obere Mittelrheintal lockt und macht seinem Titel alle Ehre, hier, wo es gefühlt mehr Burgen als Eigentumswohnungen gibt und fast an jeder Ecke etwas Tolles winkt; eine Kirche, aus dem Fels ragend, der Rest einer alten Stadtmauer und vor allem: Burgen, Burgen, Burgen…
Eine wunderschöne kleine Stadt ist Bacharach mit seinen Häusern, seiner Burg und der umgebenden, alten Festungsmauer. Begeistert drehe ich den Kopf nach allen Seiten. Hier möchte ich nochmal hin…
Bei Kaub kann ich dann nicht widerstehen und steuere mein Motorrad auf eine Haltebucht zu. Stefan, der voraus fährt, bekommt davon freilich zunächst nichts mit und ruckelt freudig weiter die Straße entlang. Na, er wird es bald merken, denke ich mir und zücke meine Kamera. Diese berühmte Zollburg, die sich auf einer kleinen Insel mitten im Rhein befindet, wollte ich schon immer mal aus der Nähe fotografieren.
Dann fahre ich weiter. Um die nächste Kurve wartet Stefan lässig an seine Maschine gelehnt und schüttelt grinsend den Kopf.
Wir kommen an Sankt Goar und dem Fels der Loreley vorbei und fahren weiter bis Boppard. Hier verlassen wir das Obere Mittelrheintal – über eine verschlungene, enge und kurvige Strecke geht es querfeldein in Richtung Mosel. Die Strecke ist eng und mit Serpentinen gesäumt und ab einem bestimmten Punkt haben wir eine sagenhafte Aussicht – das Moseltal liegt glitzernd in der Sonne vor uns ausgebreitet in seiner vollen Schönheit und Größe.
Wir verlassen die verschlungene Strecke und kommen bei Brodenbach wieder raus. Ab hier geht es schnurstracks gerade weiter, nur noch wenige langgezogene Kurven erfreuen unser Gemüt. Dafür erfreut uns etwas anderes, und das ist das Moseltal. Und der Gedanke ans Weingut, welches wir bald erreichen. Während einer unserer Pausen sitze ich oben auf einer dieser Maschinen, die zur Weinernte verwendet werden und spiele mit dem Gedanken, das Ding zu aktivieren und damit die Weinberge nach oben zu tuckern. Die Anleitung, wie man das Gefährt startet, steht direkt vor mir neben dem Schalthebel…
Inzwischen ist es Abend nach halb acht und die schräg stehende Sonne scheint uns gleißend direkt in die Augen. Ich sehe, wie Stefan vor mir an seinem verdunkelten Visier herumfummelt und weiß dennoch, dass es bei dieser Intensität der Sonnenstrahlung nicht wirklich viel bringt.
Als wir in Piesport ankommen, ist es weit nach acht.
Sehr spät kommen wir abends am Weingut in der kleinen Ortschaft Piesport an der Mosel an, unserem Bestimmungsort für die heutige Nacht. Etwas unsicher bleiben wir mit unseren Maschinen im Innenhof des Weinguts stehen – die extrem enge Straße erscheint uns kein besonders guter Parkplatz zu sein. Müde nehmen wir unsere Helme ab, als die Tür aufgeht und der Gutsherr in derselben erscheint. „Hier können Sie nicht stehen bleiben!“ Der harsche Ton lässt uns zusammenzucken. Ich frage: „Wo dann?“
„Sind Sie Übernachtungsgäste von uns?“ Ja freilich sind wir Übernachtungsgäste, sonst würden wir uns kaum hier platzieren…
„Ja, wir sind Übernachtungsgäste, wo können wir parken?“ Frage ich zurück in einer der Stimmung angepassten Tonlage. Stefan kam bislang nicht dazu, etwas zu sagen; der Worttausch erfolgt vorerst zwischen Gastgeber und mir. Ob draußen in der Nische noch was frei wäre, fragt dieser. Nein – da ist nichts – Stefan ist anscheinend froh, sich ins Gespräch einklinken zu können. Und ich bin froh, nichts weiter sagen zu müssen – nach ein paar Hundert Kilometern, die wir an diesen Tag zurück gelegt hatten, liegt meine Diplomatie irgendwo am Grund der Mosel versenkt.
Der Gastwirt verschwindet. Dafür kommt seine Frau heraus und schafft es, durch ihre fröhliche, milde Art die Atmosphäre zu entspannen und uns willkommener fühlen zu lassen. Wir bekommen einen Stehplatz in einer Garage zugewiesen und anschließend freie Zimmerauswahl. Doch Stefan schäumt immer noch.
„Einfach zu verschwinden, kein Guten Tag, kein gar nichts!“ Er meint damit den Gutsherrn; diesen haben wir an dem Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen. Doch mich hat die Gastgeberin bereits milde gestimmt und ich versuche, die Situation zu retten. „Gib ihnen noch eine Chance, sie gibt sich echt Mühe.“ Als wir oben die Türen abschließen, bin ich beeindruckt. Das Zimmer ist sehr hübsch, mit einer romantisch ländlichen Einrichtung und viel Raum darin. Ich fühle mich auf Anhieb wohl.
An diesem Abend machen wir nicht mehr viel – wir trauen uns runter ins Restaurant und bestellen eine Kleinigkeit. Stefan braucht Alkohol – der rote Wein (ein Cuvée aus Merlot und Spätburgunder) schmeckt ausgezeichnet und die Dame des Hauses schwirrt wie eine gute Fee um uns herum und sorgt dafür, dass es uns an nichts fehlt. Doch es scheint so, als wenn Stefan noch eine Weile umworben werden wolle, ehe er den unglücklichen Einstieg zu verzeihen bereit ist…
Hier nochmal alle drei Beiträge: