Als wir Hamids Kaffeestand verlassen, da wartet er bereits auf uns. Wie ein Geist taucht er aus dem Schatten seines scheinbar leeren Standes auf, begrüßt uns und erkundigt sich nach unserem Wohlbefinden. „Ihr seid zum Tee gekommen?“ Fragt er und lädt uns ins Innere seiner Geschäftsbehausung auf Zeit ein. Ibrahim, der Targi mit der zurückhaltenden Art und den freundlichen, braunen Augen.
Seine Frau (von der ich nicht sicher bin, ob sie wirklich seine Frau ist oder eine weitere Verkäuferin, denn sie ist wesentlich älter und bleibt stets im Hintergrund) bereitet die Kanne vor. Silberne Teekanne auf silbernem Tablett, ein malerisches Bild. Wir nehmen Platz auf einer mit einer bunten Strohmatte ausgelegten Erhöhung und der Targi kramt frisch duftende, getrocknete Nana-Minze heraus. Langsam und zeremoniell bereitet er den köstlichen Tee vor. Durch mehrmaliges Umgießen wird der Tee gekühlt und der Zucker gelöst, dann gibt er uns je ein Glas des süßen Gebräus in die Hand. „Bei uns zuerst die Ladies.“ Sagt er und lächelt. „Denn die Ladies sind der Chief.“
Die Lage in Mali
Ibrahim erkundigt sich nach uns, nach unseren Berufen, unseren Familien in Deutschland und Polen und wie oft ich meine Familie sehe. Wir zeigen uns gegenseitig Bilder unserer Lieben. „Ich habe gleich gesehen, dass du aus Polen bist.“ Sagt er zu mir. Bevor nach dem Arabischem Frühling die Unruhen in Mali zunahmen, kämen viele Polen nach Mali, berichtet er. Doch jetzt sei das zu gefährlich im Land. „Niemand weiß so richtig, woher die Terroristen kommen.“ Sagt er. Die meisten seien wohl aus Libyen. „Als Gaddafi noch herrschte, gab es dort zwar eine Diktatur. Aber die Menschen hatten zu essen. Jetzt hätten sie nicht einmal mehr das, viele hätten sich radikalisiert und seien über die Grenze nach Mali gekommen. Zudem zieht sich Europa aus Mali zurück, Frankreich allen voran.
Stefan fragt nach Ibrahims Meinung. „Findest du es gut, dass französische Soldaten in Mali stationiert waren?“ Waren die Franzosen gut für Mali? Ja, sagt Ibrahim. Denn sie hätten differenziert und auf der Jagd nach Dschihadisten die zivile Bevölkerung weitgehend in Ruhe gelassen. „Die Wagner-Söldner fragen nicht, sie töten. Kommen in die Häuser, erschießen die Leute. Es war die Entscheidung der Mali-Regierung, mit den Wagner Leuten zusammen zu arbeiten.“ Konstatiert er und fügt hinzu: „Es war eine schlechte Entscheidung.“
Eindeutig ja, sagt er noch auf meine Nachfrage hin, ob es denn auch für ihn selbst gefährlich wäre, in Mali zu sein. Auch für ihn und für seine Familie sei es gefährlich. Ungeachtet der Gefahr für Leib und Leben plane er jedoch, kommende Woche nach Mali zu reisen. Er habe ein Projekt am Start, wie er erzählt. Zusammen mit Partnern unterstütze er Kinder, die in betroffenen Regionen durch den Terrorismus oder durch die Wagner ihr Heim und ihre Eltern verloren hätten. „Es geht darum, dass die Kinder ein Dach über dem Kopf haben, einen Ort, an dem sie bleiben können. Eine Frau, die für sie kocht.“ Dinge wie das Besuchen einer Schule seien vorerst unrealistisch, doch Essen und Schlafen, damit sei ihnen schon geholfen. Dafür sein ein großer Teil seines Erlöses da, erzählt er.
Wir trinken den Tee aus und verabschieden uns. Inzwischen ist es zwölf, die Sonne brennt heiß von oben auf unsere Köpfe und das Frühstück in der Anlage wartet auf uns. Die Lektion in Demut ist an sich nicht neu; wir sind beide recht gut über die Lage in dem instabilen Land informiert. Doch es ist etwas anderes, Nachrichten zu empfangen, die mit dem Prädikat „weit weg“ versehen sind. Etwas anderes ist es jedoch, mit einem Menschen aus diesem „Weit-weg“ Land zu sprechen, seine Geschichte zu hören und zu wissen, dass dies sein Leben, seine Gefahr und seine Wirklichkeit sind. Nicht mehr abstrakt, nicht mehr „weit weg“.
„Burger-King of the beach“
Als wir ankommen, ist Hamid tatsächlich da und dabei, seine Sachen wieder aufzustellen. Die Mittagszeit ging für uns schnell vorbei mit dem Verarbeiten der vielen Eindrücke. Und um 17 Uhr sind wir mit Hamid verabredet, um ihn zu seinem Supermarket zu begleiten. Der Deal ist, dort ein wenig Tabak und Kaffee zu erstehen, die Rede war von rund 4 km Wegstrecke und einer Fahrt mit dem Taxi. Doch Stefan hat zunehmend Bauchschmerzen mit dem Arrangement, so befragen wir unseren neu erworbenen Freund aus Mali nach seiner Meinung. „Willkommen!“ Sagt dieser, als wir zum wiederholten Male bei ihm aufschlagen. Vom Regen in die Traufe, möchte man meinen, doch wir trauen dem Nomaden auf Anhieb. Der rät uns, vorsichtig zu sein. Also watscheln wir weiter durch den Sand in Richtung Kaffeestand mit dem festen Vorhaben, uns auf keine Taxifahrten mit Unbekannten einzulassen.
Als wir näher kommen, ist Hamid gerade dabei, alles aufzubauen. Er scheint überrascht, uns zu sehen, so als hätte er nicht damit gerechnet, dass wir tatsächlich auftauchen. Schnell holt er für uns zwei afrikanische Holzstühle, so dass wir zunächst wie die Könige vor seinem Stand sitzen und die Blicke sowohl der Einheimischen als auch der Touristen auf uns ziehen. „Enjoy!“ Ruft uns ein Touristenpärchen lachend zu. Zugleich ziehen wir die Aufmerksamkeit aller Händler vom Strand auf uns, was uns eine gekaufte Sonnenbrille sowie einiges an Obst-, Nuss-, Pediküre- und Chanel No.5 (made in Senegal) Angebote einbringt.
„Du bist der King of the beach.“ Sagt jemand zu Stefan. „Ja.“ Sagt dieser und lacht. „The Burger-King of the beach.“ Allgemeine Erheiterung folgt.
Hamid ist gesprächig. Der sonst eher verschlossener Senegalese mit den Dreadlocks hatte die lässige Kleidung gegen einen hellblauen Kaftan getauscht. Schnell kommen wir ins Persönliche und, sichtlich emotional, erzählt er uns von seiner Zeit beim senegalesischen Militär, an die er sich ungern erinnert und die einige Wunden hinterlassen zu haben scheint. Da sei er u.a. in Dakar stationiert gewesen. Wir können nicht alles verstehen, denn Hamids Englischkenntnisse erlauben es ihm nicht, sich so präzise auszudrücken, wie er es wohl möchte; der starke Akzent tut sein Übriges. Sichtbare Wunden hatte wohl die Zeit in Libyen hinterlassen, so er in der Hauptstadt überfallen wurde und an der Nase und am Bauch noch immer Narben trägt. „Meine Mutter lebt nicht mehr, mein Vater starb, bevor ich mich an ihn erinnern konnte.“ Erzählt er sichtlich bewegt. Er gehe seinen Weg, diesen habe ihm keiner gezeigt. Das Leben sei nicht einfach. Ich nicke verständnisvoll. Stefan hatte sich kurz vorher ausgeklinkt.
Hamids unerwartete Redseligkeit liegt vermutlich auch daran, dass er, im Gegensatz zu heute morgen, ziemlich stoned aussieht. Das Augenweiß ist gerötet und die Pupillen weit. „Du sagtest, das seien die friedlichsten Menschen überhaupt.“ Zische ich Stefan mit freundlicher Maske auf dem Gesicht zu und meine damit Cannabis-Konsumenten im Allgemeinen. „Ich nehme dich beim Wort.“
Trotzdem verabschieden wir uns ziemlich schnell, denn so richtig wohl fühle ich mich von Anfang an nicht. Zudem weiß ich nicht, was ich sagen könnte und bin von den Lebensgeschichten der Menschen um mich herum überfordert. Da denkst du, jemand verhipstert am Strand sein Leben, dabei hatte dieser Mensch Traumata durchlebt, die wir uns nicht mal vorstellen können. Auch ist Hamid, wie wir herausfinden, viel älter, als wir zunächst denken. Hatten wir ihn der Dreadlocks, der Rapmusik und des Auftretens wegen auf höchstens Ende zwanzig geschätzt, so legt uns die Wirklichkeit locker nochmal zwanzig Jahre drauf. Hamid ist 45.
Unser Abendessen verbringen wir in einem neu entdeckten Lieblings-Fischrestaurant. Direkt am Strand, unter einfachen Planen, auf einfachen Plastikstühlen. Es gibt meistens Fisch des Tages. Neben uns – eine mehr oder weniger ausgediente Piroge im Sand. Die „Hauskatze“ bekräftigt durch aggressives Fauchen ihr vermeintliches Recht auf einen Anteil vom Essen. Einmal kurz mit Wasser beträufelt sucht sie sich schnell andere „Opfer“.
Während wir auf das Essen warten, beobachten wir ein junges Pärchen. Sie – Senegalesin, jung, groß und sehr hübsch. Er – vielleicht Ende zwanzig, Anfang dreißig, schmächtig und schüchtern, der typische Nerd von nebenan, der dir deinen Computer programmiert. Er wirkt sehr verliebt. Sie weniger. Das zeigt sich in den Momenten, in denen sie glaubt, er sehe nicht hin. Der Gesichtsausdruck des Mädchens verrät Langeweile, und dass sie gerne überall anders wäre, nur nicht hier.
Nach dem Abendessen bekommen wir – einmal wieder – Tee serviert. Der Tee ist süß und schmeckt nach Eisbonbon. Ganz schön viel Tee für heute, Stefan sagt etwas von einem „Zuckerschock“.
Der Sonnenuntergang heute ist zweigeteilt; ein sauberer Schnitt am Himmel zwischen hell und dunkel, zwischen Rot und Blau. Den Rest des Abends verbringen wir beim Bierchen und afrikanischer Musik, garniert mit Wellenrauschen. Morgen ist Abreise.
Volles Verständnis, dass einem die schwierigen Lebensgeschichten der Leute ab einem bestimmten Punkt auch überfordern können. Dann muss/kann man es gut sein lassen und sich wieder den heiteren, leichten, schönen Dingen des Lebens hingeben: essen, trinken, den Moment genießen. Erst recht an eurem letzten Abend dieser Reise.
Wir waren erstaunt, welche Geheimnisse und (seelische und körperliche) Verletzungen die Menschen hinter ihrer fröhlichen Fassade mit sich herumtragen, von denen man bei der ersten Begegnung kaum etwas ahnt. Deshalb bin ich immer ganz vorsichtig damit zu sagen: „Sie lächeln, also sind sie glücklich, also muss es ihnen ja gut gehen.“ Das kann manchmal täuschen. Ja, manchmal wird es zu viel, aber vor allem deshalb, weil man ab einem bestimmten Punkt nicht mehr weiß, wie man reagieren oder sich verhalten soll. Der Abschied von Senegal war schwierig (die kommende Folge wird die letzte sein).
Vielen Dank, Kasia, dass du wieder einmal einen schönen und faszinierenden Bericht gemacht hast.
Grüße, Rudy
Hallo Rudy, ich hoffe, du hast deinen Urlaub genossen. Freue mich schon auf neue Beiträge auf deinem Blog. Lg Kasia