Afrika, Senegal

Ndangane – Delta du Saloum

Die Katze an der Rezeption sieht aus wie ausgestopft. Ja, wirklich – im Wahrheit bin ich so sehr von dieser Tatsache überzeugt, dass mich selbst die Erklärung des Rezeptionisten nicht überzeugt. Vielleicht haben sie in Senegal ja seltsamen Innenraumschmuck, wer weiß das schon. Skeptisch betrachte ich das struppige Teil, das regungslos neben anderem Krimskrams mit leicht angefletschten Zähnen und geschlossenen Augen daliegt. Ich kann nicht anders. Bevor wir gehen, packe ich den lose hängenden, filzigen Schwanz. Der Schwanz kringelt sich, die „ausgestopfte“ Katze erwacht zum Leben. Beruhigt folge ich Stefan zum Cottage.

Die (nicht) ausgestopfte Katze

Der Ort Ndangane ist unsere Station für die nächsten Tage. Das Häuschen, in dem wir verbleiben, ist schön und ruhig, etwas abseits der Hauptgebäude (Cottages, muss man eigentlich sagen) gelegen, umgeben von Vogelgezwitscher, streunenden Katzen und viel Grün. Doch lange haben wir nicht, um diesen Ort zu genießen, denn Mamadou hatte noch an diesem Abend eine Pirogenfahrt über das Delta der Sale für uns organisiert. Zeit zum Ausruhen, so sagt er, werden wir morgen haben, am Neujahr, den 1 Januar. Denn heute ist Silvester, auch in Senegal – und am Neujahr hat das Reiseteam frei.

 

Pirogenfahrt durch Mangroven an der Sale

Das Wasser der Sale hat Negativströmung. Ich weiß zunächst nicht recht, was damit gemeint ist. Mamadou erklärt. Die Sale ist kein Fluss. Zumindest kein „echter“ denn sie entspringt dem Meer. Sie ist so etwas wie ein norwegischer Fjord, nur ohne eine vorangegangene Gletscheraktivität. Das Meerwasser frisst sich ins Land hinein, nicht linear, sondern als ein langer, adrig verzweigter Arm, Stück für Stück. Die salzhaltige Umgebung lässt dichte Mangrovenwälder entstehen, die ein Refugium für die vielen Vogelarten bilden, die wir am heutigen Abend beobachten werden.

Die Umgebung der Sale ist geprägt von stetigem Auf und Ab des Wassers, der schlammige, mit verhärteten Schritten bedeckte Boden trägt die Zeichen der Gezeiten. Weit, weit erstreckt sich die kahle Fläche, bis irgendwo vor uns die ersten Mangroven auftauchen; doch mit bloßen Füßen kämen wir wohl nicht an sie heran, ohne einzusinken. Der Schlamm gibt nach, ohne dass es mit dem bl0ßen Augen ersichtlich wäre. Wir wollen nicht zu Fuß zu den Mangroven, wir wollen ans Ufer. Die Sonne ist im Begriff, sich auf ihren allabendlichen Sinkflug vorzubereiten.

Das Boot schält sich aus dem silbrigen Glitzern des Wassers und kommt langsam an den Steg heran, an dem wir stehen. Der Fahrer hilft beim Einsteigen; unter einer Plane vor der kräftigen, gleißenden Sonne verborgen verteilen sich abgenutzte Sitze auf denen wir Platz nehmen. Unsere Piroge gleitet in Abstand an einem Fischerort vorbei, ehe wir uns in das Grün der Mangroven vertiefen. Hier am Ufer sind Menschen unterwegs, hier schaukeln Boote im Wasser. Die langen Pirogen sind ausnahmslos bunt bemalt, einigen ganz neu, bei vielen blättert die Farbe bereits ab. Ein solches Boot ist der ganze Stolz seines Besitzers, das Design trägt den Namen des Eigentümers und zeugt oft von seinen Interessen wie Fußball. Es gibt Pirogen mit dem Logo von Real Madrid oder dem Konterfei berühmter Spieler, auch die der deutschen Mannschaften sind dabei.

Weitere Hotelanlagen sind zu sehen, eine Touristin badet unbekümmert in dem salzigen Wasser. Das sei nicht gefährlich, versichert Mamadou; die Hotels hätten ausgewiesene Badebereiche und Krokodile gäbe es im salzigen Wasser keine. Ich habe da anderes gelesen und bevorzuge die Sicherheit des blau angemalten Hotelpools.

Die Piroge biegt auf das weite Wasser ab und hinein in den langen Arm der Sale. Wir sehen Kormorane, Ibisse, weiße Reiher. Pelikane ziehen elegant ihre Kreise, getragen von der Thermik. Anmutig schlank stehen die Reiher auf einer Erhöhung im Wasser, unbeweglich, als würde sie nichts um sie herum interessieren. Ein riesiger Baobab ragt aus den Mangroven, deren nackte Wurzeln sich wie Menschenhände in den Boden krallen, als hätten sie die Macht, aufzuwachen und den Standort zu wechseln, wenn sie nur wollten.

Jetzt am Abend wird es besonders viele Fische geben. Sie springen aus dem Wasser wie silbrige Pfeile, auf der Jagd nach Insekten, die in der Kühle des Abends besonders tief fliegen. Links und rechts von uns schießen diese kleinen, glitzernden Pfeilspitzen in die Höhe. Darauf haben die Vögel nur gelauert, sie lassen sich im Eifer des Gefechts ins Wasser fallen. Nur der Reiher ist cool – eine schnelle Bewegung seines schlanken Halses, schon ist die Beute in seinem Schnabel. Er hatte sich dabei kaum gerührt.

Salzwasser, Sonne. Warm. Nur das monotonne Tuckern des Bootes. Wir sind tief in dem verschlungenen Mangrovenwald, Blätter und Zweige reiben am Boot, schlagen gegen die Plane. Die Sonne steht tiefer, Mangroven werfen Spiegelungen auf die still stehende Wasserfläche. Nur dort, wo wir vorbei kommen, stört eine sanfte Welle das Bild. Es geht nicht mehr weiter, unser Weg ist zu eng. Der Motor tuckert lauter, eine Abgaswolke umhüllt uns kurz, als wir wenden, verteilt sich dann über dem Wasser.

Ich berühre das Wasser. Kühl, salzig. Berühre das trockene Holz der Piroge, die Farbe. Rau. Lasse wie verwundert die Hand über das bemalte Holz gleiten. Die Plane über mir. Stoff. Strecke die Hand aus und pflücke ein paar Mangrovenblätter. Ledrig, glatt. Dann lasse ich die Hand aus dem Boot hängen, meine Finger streifen über die Wasserfläche. Also ist es wahr. Kein Traum. Meine Finger möchten alles anfassen, wissen, dass es echt ist. Ich werde nicht aufwachen, zurück in Deutschland, und das alles hat nicht stattgefunden. Nein, es ist echt. Ich bin hier, und es ist echt.

 

Silvester in Senegal

Hunde spielen am Ufer. Es sind große Hunde, und sie sind zu zweit; der rote springt schwanzwedelnd auf die niedrige Mauer, auf der ich mich soeben niedergelassen habe. Er hat offensichtlich ein Date mit dem ebenfalls riesigen, schwarzen Hund. Vorsichtshalber verlasse ich die Mauer, die die beiden verliebten sofort in Beschlag nehmen. Doch die Sorge ist unbegründet, die Vierbeiner sind für Menschen ungefährlich. Sie haben mit der Zeit gelernt, Abstand zu halten.

Wir konzentrieren uns auf den Sonnenuntergang über Wasser. Mamadou hat sich vorerst verabschiedet, doch alleine sind wir dennoch nicht. Ein junger Senegalese mit den schon obligatorischen Kopfhörern sitzt da, in das vertieft, was immer er da hört. Mir ist unwohl dabei, mit der großen Kamera hier zu sein, doch schon gehen wollen wir auch nicht. Außerdem sind die Menschen hier auf sich konzentriert; die Jüngeren treffen sich, einzelne Sportler joggen an der Uferlinie entlang. Wir sind vermutlich ein üblicher Anblick, doch dies ist kein Ort für Nepper, so werden wir, bis auf einen Gruß hier und da, nicht angesprochen.

Der fahle, orangene Horizont ist von Schäferwolken garniert. Der Sonnenabschied ist nicht dramatisch wie sonst, sie erlöscht lange ehe sie die Wasserlinie erreicht. Wolken breiten sich aus, es ist, als würde der Glanz noch vor der Zeit in eine Decke sinken. Und dennoch sind noch Ausflügler unterwegs; das Boot, das uns abgesetzt hat, hat noch alle Hände voll zu tun. Touren beim Sonnenuntergang sind beliebt, wen wundert es.

Jetzt ist ein perfekter Zigarren-Moment. Leider habe ich keine Zigarre.

Im Hotel werden die ersten Tische für Gäste vorbereitet. Eine Silvesterparty ist geplant; wie uns befohlen, finden wir uns zur angegebenen Uhrzeit im Restaurant ein. Nicht einmal unser Guide ist da. So verbringe ich einige Zeit damit, auf der Liege mitten im Poolwasser zu entspannen und in den Himmel mit seinen blassen Wölkchen zu schauen. Langsam verschwindet das rotbraune Restlicht und die ersten Sterne tauchen auf. Ich habe viele Gläser und auf Tischen verstreute Blüten gesehen. Der Hotelbesitzer begrüßt Stefan und mich und stellt sich vor. Vor mir, auf einem geparkten Quad, schläft ein Hund. Hinter mir tummeln sich Hotelmitarbeiter, bereiten alles für die Party vor. Ich will nichts, nur hier liegen und genießen. Jahreswechsel am Pool im Senegal. Wir denken an Zuhause und ja, sind nicht unzufrieden mit unserer Entscheidung. Im Gegenteil. Wir fühlen uns wie die Elite. Warum auch nicht. Ein einziges Mal.

Das Silvesterdinner ist wohl durchdacht. Die Chefin begrüßt alle Gäste persönlich und stellt sicher, dass sie sich wohl fühlen. Es werden kleine Häppchen serviert, dazu gibt es Cocktails und ein Syrah. Für Unterhaltung sorgen Frauen aus einem Nachbardorf der Sererer, die auf einer improvisierten Bühne sitzen und zu singen beginnen. Der Rhythmus ist relativ einfach, und einfach Zuschauer zu sein reicht nicht aus. Ein jeder wird für die Tanzeinlagen auf die Bühne gezogen. So bleibt auch mein Stefan nicht verschont, der sich zu dieser späten Stunde erstaunlich gut hält. Niemand soll einfach nur Voyeur sein, jeder wird seines beitragen, so gut er kann. Es dauert nicht lange, bis wir mitten auf der Tanzfläche herumzappeln, ich in einem mir eigens dazu umgebundenem, klimperndem Tuch um die Hüften.

Und das funktioniert ganz gut, denn der Syrah fördert die Stimmung. So werden auch die Gäste immer lustiger. Nur Mamadou schaut sich das Ganze amüsiert an, er selbst hatte keinen Tropfen angerührt.

Vor…
…und hinter der Flasche

Irgendwann räumen die Frauen ihre Instrumente zusammen, lassen einen Klingelbeutel herumgehen und machen Platz für den nächsten Punkt des Abends: die Modenschau. Diese erfordert von uns nun nichts weiter als dazusitzen und den extrem schlanken Mädels beim Präsentieren wechselnder Outfits zuzusehen. Stefan würde mich am liebsten neu einkleiden („Dieses würde dir stehen!“), während ich überlege, was die Damen am Tag wohl (nicht) essen, um bei einer Drehbewegung fast mit der Luft zu verschmelzen. Der pure Neid, schon klar 😉

Modenschau in Senegal

Gekrönt wird der Abend von einem Feuerwerk am Strand um zwölf Uhr Ortszeit. Währenddessen liegt in Deutschland, das mit einer Stunde vorneweg ist, vermutlich schon alles in den Federn. Trotzdem wechseln wir schon mal Glückwünsche mit unseren Lieben in der Heimat, kann ja nie schaden. Auch die paar Selfies mit Neidfaktor nicht. Wer ist schon zu Silvester in Senegal. Letztes Jahr, erinnern wir uns lächelnd, war es Saudi Arabien und ein paar geschmuggelte Tropfen selbstgebrauten Alkohol, die versteckt und heimlich auf einem der Hotelzimmer konsumiert wurden und die Stärke eines Apfelsafts wohl nicht übertrafen.

Die geplante, große Party nach Mitternacht wird vom DJ selbst gesprengt. Den DJ macht der Besitzer, und er hat es sich wohl zur Aufgabe gemacht, alle mehr oder weniger (eher weniger) bekannte Lieblingssongs aus seiner Jugend aufzulegen. Und nein, da waren keine tanzbaren Klassiker dabei. Zunächst verlassen die tanzenden Models die Bühne – für sie ist Feierabend, und das Bisschen Feiern wurde ihnen nun auch verhagelt. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Ziemlich schnell gehen auch wir und eine allgemeine Müdigkeit macht sich breit. Mamadou schmunzelt. Es sei jedes Mal so, erzählt er – an jeder Silvesterparty vergrault der Chef irgendwann die Gäste. Vielleicht ist es auch seine Methode, zu sagen, geht endlich schlafen, wer weiß…

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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6 Kommentare

  1. Die Katze sieht ja wirklich etwas tot aus.
    Ich vermisse auf dem Tanzvideo dich und Stefan?!
    Und zum Thema „Das Baden ist hier völlig ungefährlich“: Ich würde da auch nur rein gehen, wenn der Guide selbst drin schwimmt.

    1. Es gibt tatsächlich Videos von mir und Stefan… *öhm* Die Katze sah sowas von tot aus. Als sie sich bewegte, war das wie eine Wiederauferstehung… 🙂 Ich bin nicht sicher, ob unser Guide überhaupt schwimmen kann…?

  2. Ach, das war dann ja mal ein richtig schön gechilltes Jahresende: auf einem Boot herumschippern, am Pool liegen, aufs Essen warten. Das hätte mir auch gefallen. Die Tanzeinlage ist großartig! Aber beim Mitmach-Part hätte ich mich wohl wahlweise in den Büschen oder unter dem langen Tischtuch versteckt 😶‍🌫️.

    1. Ja, das habe ich auch gedacht – dass ich mich in den Büschen verstecke. Aber sie ziehen dich nicht gleich auf die Bühne, sie warten schön ab, bis du dich in Sicherheit wiegst und angetrunken genug bist, um es dir zuzutrauen. Die Flasche Shiraz stand nicht nur zur Deko da 😉

  3. Ich werde die im Senegal fehlende Zigarre kompensieren, indem ich gleich nach dem Lesen dieses Artikels eine rauche und mir dazu den Sonnenuntergang an der Sale vorstelle. – Notfalls kann ich nachhelfen und an die Saale fahren. 😉

    1. Ich bin sicher, dass es an der Saale auch schön ist, leider kann ich dazu keine Tipps geben (obwohl sich Merseburg toll liest). Aber eine Zigarre macht (fast) jeden Ort zu einem schönen Ort 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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