Der Jahreswechsel verläuft entspannt zwischen Schlafen, Aufwachen, Dösen und dem Sprung in die Wellen morgens bei 23 Grad. Es ist das beste, was man seinem Körper tun kann – ein paar Schwimmrunden am Morgen, während die Sonne noch nicht aufgestanden ist und in der Ferne ein paar Pirogen ihrer Beute harren. Kaum jemand ist am Strand unterwegs, lediglich die ersten Spaziergänger, hin und wieder ein Jogger. Nass und zufrieden streife ich mein Kleid wieder über und laufe zurück zur Anlage. Stefan hat sich gerade erst aus dem Bett geschält.
Unseren ersten Kaffee des Tages trinken wir wieder bei dem extrem relaxten Typen, der sich Hamid ruft und bereits seit 6 Uhr morgens hier am Strand seinen Kaffee verkauft. Wie wir erfahren, arbeitet Hamid tagsüber im nahe gelegenem Supermarkt; der Kaffeeverkauf am Morgen scheint eine Art Zusatzverdienst zu sein.
Wieder sitzen wir da, plaudern und befinden sich in einem überaus leichtem Seins-Zustand. Diesmal ist von den Seeleuten mit ihren Fischernetzen nichts zu sehen. Frauen mit Obst und Waren auf dem Kopf laufen vorbei. Männer grüßen unseren Kaffeeverkäufer, grüßen auch uns. Hamid scheint hier Gott und die Welt zu kennen. Kinder turnen zwischen den abgestellten Pirogen herum, spielen Ball, ein Eselskarren fährt langsam zwischen ihnen hindurch bis zum Strand. Welch entspanntes Bild. Unser Kaffeeverkäufer hört seine Musik – diesmal ist es französischer Rap.
Überhaupt fiel mir schon gestern auf, wie herzlich die Menschen hier insgesamt miteinander umgehen. Jeder kennt jeden, man grüßt sich freundschaftlich, auch die Kinder sind davon nicht ausgenommen. Kopf an Kopf, die Hand aufs Herz, ein kurzes Drücken. Wie der Händler gestern, der mit seinen Holzschnitzereien vor dem Restaurant stand. Nilpferde und runde Damen aus Holz werden von beleibten Touristinnen beäugt. Weint er, weil er so wenig verkauft hat? Nein, er bettet. Wie jeden Abend.
Der Ziegenbock
Ich frage Hamid nach dem Ziegenbock. Noch so eine senegalesische Kuriosität, die uns gestern Fragen aufgeworfen hat. Leere, verlassene oder noch im Bau befindliche Hotel- und Resort Anlagen reihen sich an der Strandpromenade aneinander, so als sei mitten im Bau das Geld ausgegangen. Oder als seien diese bereits verlassen worden. Einige davon weisen noch Reste früherer Einrichtung auf wie Kunstschnitzereien oder Möbel. Nur dass die Häuser schon zerfallen und die Einrichtung niemand mitnimmt. Solche Gegenstände haben einen Wert, wenn man um sie handelt; sie haben den Wert, den der Händler ihnen gibt. Hier stehen sie einfach herum.
So wie dieser Ziegenbock, der angebunden im oberen Stockwerk eines Rohbautes hinter uns auf dem halbfertigen Balkon vor sich hin meeht und wie ein etwas verlorener Beelzebub aussieht. Das Tier ist angebunden, also muss es jemandem gehören. „Ja,“ sagt Hamid stolz, „das ist meiner. Willst du ihn sehen?“ Er steht auf und läuft voraus und ich folge, ohne zu überlegen, in den Hof und den Rohbau hinein, mich über mich selbst wundernd, wie schnell ich Vertrauen gefasst habe. Auch Stefan folgt schließlich in einiger Entfernung. Die Frage nach dem Ziegenbock löst eine Hausbesichtigung aus, denn Hamid zeigt uns den Rohbau. Es soll mal eine Hotelanlage geben, sagt er zu mir – in spätestens zwei Jahren sei sie fertig. Das Hotel gehört anscheinend Hamids Chef aus dem Markt, was aber schwierig zu eruieren ist, denn Hamid spricht von seinem „Bruder“. Auch was die zwei Jahre betrifft, bin ich skeptisch – das Gebäude befindet sich momentan im totalen Stillstand. Der Ziegenbock ist verängstigt und versucht, wegzurennen. Er gehört Hamid selbst. „Ja, das ist meiner.“ Sagt er ganz stolz.
Wieder am Kaffeestand. Mein Versuch, eine der geschnitzten Figuren zu kaufen, trübt die Stimmung, denn Hamid nennt, wie zu erwarten war, einen exorbitanten Preis. Zudem ist die Figur schwer, sehr schwer. Vielleicht ist sie ihren Preis ja wert, vielleicht nicht. Mit einem Mal muss ich an meine Gewichtskapazitätsgrenzen beim Check in denken. So ein Flugzeug ist kein Truck und zwanzig Kilo sind, wenn eine Zehnkilo-Madonna im Koffer herumgondelt, schnell erreicht.
Wir verabreden uns für den Nachmittag. Stefan will Tabak kaufen und eventuell einiges von dem köstlichen Kaffee aus Mali erstehen. Mit der „Wohnungsbesichtigung“ ist viel Zeit vergangen, und wir schulden noch „meinem“ Targi einen Besuch.
Mali
Ibrahim erkennt uns, grüßt und lotst uns in seinen Shop. Wunderschön gearbeiteter Silberschmuck, für welchen die Tuareg berühmt sind. Kleine Silberdolche mit Symbolik, die mir der Mann mit sanften Augen und melodischer Stimme erklärt. „Hier, das ist die Karawane von Timbuktu nach… Und das sind die Sternenbilder… Dieses… (er nimmt ein paar Ohrringe in die Hand) gehörte der Königin von…“ Der Preis ist nicht zu hoch angesetzt, so handeln wir nicht lange und der Mini-Schmuckdolch geht in meinen Besitz über. Für den nächsten Morgen erhalten wir eine Einladung zum Tee. „Vom Herzen.“ Sagt der Targi. „Nicht wegen dem Handel.“
Es gibt viele Menschen aus Mali, die in Saly am Strand ihre Waren anbieten. Die unsichere Situation im Land und der fehlende Tourismus treiben sie über die Grenze. Zu gerne würde ich nach Mali reisen. „Zu gefährlich.“ Sagt Ibrahim. „Selbst für mich.“ Aber, so sagt er und die Hand geht wieder zum Herzen hin – irgendwann, wenn die Zeiten wieder sicher sind, dann sind wir herzlich willkommen.
Fang des Tages
Wieder schauen wir beim Einziehen der Fischernetze zu. Dieses Mal findet es auf der anderen Seite, in der Nähe unseres Hotels statt. Wieder ist es mühsame Arbeit und wieder einmal haben sich nur wenige Touristen, dafür Frauen und Kinder mit Eimern rundum versammelt. Die wenigen Touristen, die da sind, drängen mit der Kamera bis ganz nach vorne. Sie werden von den Menschen hier toleriert. Riesenhafte Milane kreisen erwartungsvoll über den Köpfen der Fischer. Jeder möchte etwas vom Fang des Tages haben, der auch diesmal spärlich ausfällt. Der silbern glänzende Fisch wird in Plastikeimer umgeladen. Er füllt am Ende zwei kleine Plastikeimer, und die sind nicht voll.
Salimata und der Eimer Obst
Am Hotel angekommen kaufen wir Obst von einem der Händlerinnen, die hier unterwegs sind. „Sehr schwer, der Eimer?“ Will ich in Zeichensprache von ihr wissen. Sie lacht, nimmt den kiloschweren, mit frischem Obst und Gemüse gefüllten Eimer von ihrem Kopf herunter und zeigt uns seinen Inhalt. Bananen, Papaya, Rettich… Das Mädchen muss einen starken Rücken haben, wie viele Frauen hier. Wir kaufen ihr etwas Obst ab und Stefan, ganz Gentleman, hilft ihr, den Eimer wieder auf den Kopf zu hieven. „Puh!“ Sagt er. Das Mädchen lacht und will unsere Namen wissen. Sie selbst heißt Salimata. Ein Handschlag noch, und Salimata geht weiter ihres Weges.
Die ganze Szene wird von ein paar auf Steinen sitzenden Jungs beobachtet und als ich zwei Bananen raushole, um sie zu essen, deutet einer der Jungs an, dass auch er gerne eine Banane hätte. Geh fort, denke ich und lache; ich habe für das Obst vermutlich einen schönen Touristenpreis bezahlt. Frag Salimata, ob sie euch was gibt…
Zeit fürs Frühstück und für das fabelhafte Omelette. Wir kommen mit einem älteren, belgischen Ehepaar ins Gespräch. Beide sind begeisterte Reisende: Afrika, Südamerika. Sie schwärmen von Guatemala. Wunderschöne Landschaften, Wasserfälle, Berge, Seen. „Doch in Guatemala City sollte man sich keinen Tag lang aufhalten.“ Sagt die Frau und macht die „Hand auf Kehle – Kehle durch“ Handbewegung. „Sonst ist man schnell ein toter Weißer…“
Schön, dass du dir auch an diesem Tag Zeit für Sozialstudien genommen hast, und wir nun in den Genuss deiner Ausführungen kommen dürfen. Gleich am frühen Morgen ins Meer hüpfen ist etwas ganz Wunderbares! Es macht wach und spendiert einen erfrischten Start in den Tag. Klar, der Kaffee muss hinterher natürlich trotzdem noch seinen Job erledigen. Doch mit einem Kaffeedealer wie Hamid ist das ja eine angenehme Angelegenheit. Klasse, dass die Ziegenbock-Frage gleich eine ganze Hausbesichtigung nach sich zog 😁. Eine solche Gelegenheit bietet sich auch nicht so oft. Ja, das Handeln, die Mondpreise, die „Gehörte einer Königin“-Geschichte: womöglich ist Story Telling ein Schulfach im Senegal 🤣?!? Wer weiß … Ich bin neugierig: haste die 10 Kilo-Figur doch noch erstanden, oder siegte die Panik vor dem Übergewicht des Koffers?
Also, der Gedanke hinter der hölzernen „Madonna“ war eher, den Kaffeeverkäufer zu unterstützen. Im Grunde brauche ich kein „Kunstwerk“ zu Hause, das knapp ne Tonne wiegt… und ja, der Preis war abschreckend. Wenn das mal klappt, hat Hamid ausgesorgt 😉
Storytelling finde ich an sich sehr schön. Bei Ibrahim gab es zu jedem Stück eine schöne Geschichte gratis dazu. Die „Königinnen-Ohrringe“ habe ich am Ende gekauft – ich habe sie noch nicht ausgepackt aus Angst, sie beim Tragen zu verlieren. Die Tuareg sind bekannt für geschmiedetes Silber, es ist ein schönes Andenken. Und leichter als „Madonna“ 😉
Faszinierend wie du uns die Welt im Senegal schilderst. Trotz der Schwierigkeiten in ihrem Leben scheinen die Leute zufrieden zu sein.
Liebe Grüße, Harald
Vielen Dank, Harald. Ich weiß nicht, ob sie zufrieden sind. Viele sind von der senegalesischen Küste aus 2015-2016 in Boote gestiegen und sich nach Europa aufgemacht. Generell ist Migration so etwas wie ein Erfolgsversprechen in Senegal. Später, als wir das Land bereits verlassen haben, gab es viele Proteste gegen die aktuelle Regierung. Die Menschen halten zusammen und das macht ihnen vieles leichter, denke ich.
Liebe Grüße