Die vermeintliche Stille draußen lässt mich etwas mutiger werden; zögerlich öffne ich die Schranktür einen Spalt breit und blinzle nach draußen. Zunächst schaue ich in ein leeres Zimmer, doch ein leises Knurren verrät mir: Er ist immer noch da.
Und da läuft er auch schon in mein Blickfeld hinein und am Schrank vorbei, in dem ich mich versteckt halte; eine goldene Mähne und ein heller, kraftvoll-geschmeidiger Körper – der Löwe.
In meinem Zimmer. Vor meinem Schrank.
Im Vorbeigehen wirft er mir einen prüfenden, abwartenden Blick zu und das ruhige, unheilvolle Murren aus seiner Kehle lässt mich wissen: Ich bin da. Ich warte auf dich.
Er muss sich irgendwie befreit haben. Gerade eben habe ich ihn noch in seinem Gehege gesehen. Doch war mir auch irgendwie klar, dass eine hüfthohe Vorrichtung in der Art eines Kinderlaufstalls nicht ausreichen kann, um einen ausgewachsenen, männlichen Löwen an der Fortbewegung zu hindern. Und es ist keiner im Haus. Ich bin allein.
Den ganzen Tag harre ich aus. Am Nachmittag kommt meine Mutter wieder nach Hause. Sie lächelt mich an, die Sonnenstrahlen fallen durch die Fenster in den Raum hinein und ergießen sich auf den Teppich. Sie nimmt den Löwen am Halsband und führt ihn fort – sperrt ihn wieder in seinen Bereich; in den Kinderlaufstall mit dem herumliegenden Spielzeug und den Stäben aus Holz.
Und der Klingelton meines Handys nimmt mich fort und in die Wirklichkeit zurück, in eine Wirklichkeit, in der es schon wieder sieben Uhr ist und ich aufstehen muss…
Die Aufregung kribbelt wieder wie seit jeher. Meine Fantasie beginnt zu erwachen, schlägt Purzelbäume, erstrahlt in sonnigen Farben und wilden Mustern. Wo geht es diesmal wieder hin? 🙂
Immer neue Kataloge flattern zu uns ins Haus. Reisekataloge. Bestellt von Stefan.
Auf den Hochglanzumschlägen – Bilder der ockerfarbenen, untergehenden Sonne, trockenes Gras, dunkelhäutige, schöne Menschen, die in die Kamera lächeln, exotische Tiere.
Wir sind in Afrika.
Wie kommt das?
Endlich habe ich es geschafft (oder lag es an der Reportage, die er neulich gesehen hatte?), meinen Liebsten für mein Traum-Reiseziel zu begeistern.
Von Afrika träume ich schon seit meiner Kindheit. Diverse Bücher habe ich damals meinem Onkel aus dem Regal heraus stibitzt; Bücher von Abenteuern und Entdeckungen, von mutigen Forschern, wilden Tieren und Gefahr. Die Abenteuer von Stas und Nel, zweier Kinder, die in der nordafrikanischen Wüste verschleppt werden und sich anschließend, ihren Entführern entkommen, allen Widrigkeiten zum Trotz alleine durch den afrikanischen Dschungel bin hin zur Atlantikküste durchschlagen, kennt in Polen jeder Erwachsener und jedes Kind. Das ist, was die Fantasie befeuert und Lust auf mehr macht.
Auf Abenteuer, genau nach dem Geschmack der couchverwöhnten Touristen so wie wir welche sind: Bitte einen Hauch von Gefahr, aber nicht zu viel, bitte alles individuell, aber doch gut durchorganisiert, bitte so, dass uns nichts passiert, aber dass wir uns zumindest einmal ausmalen können, was alles passieren könnte. Und dass wir die Schönheit Afrikas bestaunen können, ohne gefressen zu werden; dieses Einmalige, den Traum in Orange, Sand und Ocker, garniert mit dem Brüllen eines Löwen und einer großen, untergehenden roten Sonne.
Zauberhafter, gefährlicher, schwarzer Kontinent – der weiße Tourist ist für dich bereit.