Auf dem Weg zum Canyon Roadhouse
10 September 2017
Majestätische Berge weichen langsam auseinander, um den Blick auf weitere dahinterliegende Bergkuppen freizugeben. Sie sehen aus wie aufgeschütteter Abraum, mit einer festen Spitze versehen. Die Berghänge sind mit einer graugrünen Schicht überzogen. „Wie ein Tuch aus Damast sieht das aus.“ Sagt Stefan. „Mit Gold bedeckt.“
Unwirklich zeichnet sich das saftige Grün der angebauten Weinreben in der kargen, trockenen Landschaft ab. Die staubige Schotterpiste macht Stefan zu schaffen. Andere Fahrzeuge, falls einmal welche zu sehen sind, kündigen sich immer mit einer riesigen Staubwolke an.
Die regelmäßigen, geriffelten Dellen der sog. „Wellblechpiste“ nehme ich sogleich zum Anlass, um „I will always love you“ von Whitney Houston einzuüben, was Stefan jedoch nach ziemlich kurzer Zeit entschieden unterbindet. So geht es ohne musikalische Untermalung weiter die hoppelige Straße entlang.
Das Bergmassiv erstreckt sich zu unserer Linken. Und vor uns – nichts, soweit das Auge reicht, kilometerweit führt die Straße ins Nichts, ein trockenes, weißes, gleißendes, staubiges Nichts. Das einzige Auto, das uns überholt, zieht eine dichte, weiße Staubwolke wie einen Sandsturm hinter sich her.
Weites, flaches Land und gelb leuchtendes Gras – so habe ich die Landschaft in Erinnerung, als wir die Kalahari Anib Lodge hinter uns lassen. Am Rande von Mariental tanken wir noch einmal, dann geht es weiter die asphaltierte Straße entlang – doch wie werden wir ebendiese asphaltierte Fahrbahn noch vermissen! Doch noch ahnen wir nichts von dem, was auf uns zukommt und ich strecke den Kopf empor und schaue neugierig in der Gegend herum.
Dont give somebody love…
Während der Weiterfahrt hallen noch die Worte der resoluten Doreen in meinem Kopf nach, als ich die vielen Anhalter am Straßenrand stehen sehe. Doreen und Lorenz haben uns eindringlich eingeschärft, auf unsere Sicherheit zu achten und uns danach mit diesen speziellen Klicklauten verabschiedet, die der Sprache der Damara zueigen sind. Nachahmen konnte ich diese Laute nicht.
In der Nähe der Stadt Mariental sehen wir einige Anhalter stehen, doch halten wir nicht an – eine Familie, ein Mann, den ich seinen Gesichtzügen nach zum Volk der San (oder Bushmen) zuordnen würde, seht auf unserer Straßenseite und winkt uns heran. Kurz treffen sich unsere Blicke und ich bemerke einen vorwurfsvollen Ausdruck, als wir weiter fahren, doch… „Dont give somebody love.“ – Klingen mir immer noch Doreens Worte in den Ohren. So halten wir nicht an – für niemanden – vor allem wenn man bedenkt, dass wir unser gesamtes Reisebudget mit uns im Auto herumkutschieren.
Dafür halten wir an einem verlassenen Rastplatz am Straßenrand, wo es weit und breit, egal, wohin das Auge blickt, nichts weiter gibt außer flachem Land, uns und der Straße, die sich bis zur Horizontlinie zieht. Strohgelbes Gras und ein paar Büsche bedecken die Felder und ab und zu fährt ein Auto vorbei. Ansonsten ist es still und heiß, das Summen von Insekten bildet das einzige Geräusch. Hier sollen wir so langsam die unermesslichen Weiten Namibias kennenlernen, das Gefühl, wenn der Blick ungehindert wandern kann bis zu dem Punkt, wo sich Himmel und Erde verbinden und es nichts, ich meine, wirklich nichts gibt, worauf er hängen bleiben könnte.
Schon am Rande von Windhoek fielen mir die vielen gleichförmigen Häuser auf, und auch hier, nahe Mariental, gibt es sie: Sie bilden ganze Viertel und wirken, als hätte sie jemand aus einer einzigen Form gegossen.
Dann verlassen wir die asphaltierte B1 und fahren weiter auf der C12. Und hier lernen wir zum ersten Mal, was es bedeutet, sich eine längere Zeit über auf ungeteerten Schotterpisten zu bewegen.
Der Weg beginnt, durch Einöde zu verlaufen und obgleich wir bereits hinter Mariental dachten, wir fahren durch Nichts, so ist das hier noch eine Steigerung davon. Ein paar trockene Sträucher wachsen aus der verdorrten, sandigen Erde und unser Toyota RAV holpert auf der Schotterpiste fröhlich auf und ab.
Ab und zu jedoch tauchen in der Tristesse saftig grüne Flächen auf – Plantagen – die sich scharf von der übrigen Landschaft abgrenzen und sich so gar nicht in die übrige, erdig-graue Fläche einfügen wollen. Sprnkleranlangen bewässern die Felder. Wir kommen sogar an einem Weinrebenanbau vorbei, wo Weinstöcke aneinandergereiht in der Sonne gedeihen wie in der Pfalz. „Hier entsteht Grape.“ Verkündet ein Schild. Also nix da mit köstlichen Weinen.
Das Canyon Roadhouse, in Reiseführern gelistet und auf Trip Advisor bewertet, gehört zu Namibias bekannteren Unterkünften, was es zum Teil der unmittelbaren Nähe zum Fish River Canyon, zum großen Teil jedoch der kultigen Einrichtung zu verdanken hat. Der Außenbereich ist mit alten Autowracks und ausrangierten Fahrzeugen aller Art gestaltet, die zum Teil im Boden eingegraben sind, zum Teil vor sich hin rosten. Die Reifen eines alten Traktors, der im Innenhof unter einem Baum steht, lösen sich bereits in ihre Einzelteile auf.
Das Gasthaus an sich ist im Stil der 50er Jahre eingerichtet, es stehen alte Tankstellen und ausrangierte Oldtimer im und um das Gebäude. Angebrachte Plaketten aus Blech tragen Namen bekannter Marken wie M.A.N., Chrylser und Ford. Betritt man das Gebäude, lacht einen gleich hinter der Eingangstür die Front eines alten Chevy Pick up an, dessen Ladefläche zur Rezeption umfunktioniert wurde. Zwei Damen empfangen uns hier: Nelda und Selma.
Auch im Inneren des Haupthauses stehen Karossen; um einen Oldtimer Krankenwagen sind Tische und Stühle drapiert. Eine Bar ist vollständig mit Plaketten beschlagen und an der Wand steht eine Destillerie-Apparatur. Mehr oder weniger sinnbehaftete Sprüche zieren manche Plaketten, wie etwa: „Eine Mahlzeit ohne Wein nennt man Frühstück“ oder: „Bei diesen Straßen – Klappe halten, Zähne zusammenbeißen!“
„Damit sie drinnen bleiben“, murrt Stefan.
In der Lodge angekommen habe ich zuerst das Bedürfnis, mir sofort den Wüstenstaub von der Haut zu waschen. Dufteten die Produkte in der Anib Lodge nach der Erde der Kalahari Wüste, so setzt man hier, inmitten von Trockenheit und Staub auf eine erfrischende Mischung aus Aloe und Wassermelone.
Unser Raum sieht sehr stylisch aus; das Bett hat die Form eines großen Cadillac und die beiden Nachttischlampen sind die Scheinwerfer.
Die Bungalows gruppieren sich um einen Innenhof und vor den Wohnräumen stehen Sitzgelegenheiten und kleine Tische. Auch hier stehen alte Autos, und ihre Scheinwerfer, mit kleinen Lampen ausgestattet, fungieren Abends als Beleuchtung in der Dunkelheit; das sieht schon cool aus.
Ich bestelle mir im Haupthaus eine Cola an der kultigen Bar und setze mich vor das Roadhouse an einen Tisch. Die Sonne glüht jetzt nicht mehr ganz so stark vom Himmel, es wird Abend. Weitere Besucher kommen an und bestaunen die alten Karosserien, die zwischen hoch aufragenden Köcherbäumen stehen. Ich schaue unauffällig den Angestellten bei ihrer Arbeit zu.
Später am Abend setzen wir uns dort beide hin und beobachten die staunenden Menschen, die, soeben angekommen, so wie wir zunächst die alten Autos fotografieren.
Was an diesem Abend am Himmel aufgeht, ist ein blutroter Mond.
Am nächsten Morgen…
Draußen vor den Fenstern des Frühstücksraumes sehen wir die Angestellten wuseln. Der lächelnde Kofferjunge war der einzige, der uns im Roadhouse angenehm im Gedächtnis geblieben ist, obwohl er meinen Koffer beim Schleifen über die Steine etwas ramponiert hatte.
Als wir morgens aufstehen, kümmert er sich gerade um die Pflanzen auf der Anlage.
„Good Morning!“ Sagt er. „How are you?“
„Fine! And how are you?“ Antworte ich, so wie ich es hierzulande gelernt habe.
„Fine! Thank you. And how are you?“
Die Stimmung zwischen den anderen Mitarbeitern ist jedoch anders, irgendwie gedrückter. Sei es, dass kaum jemand lächelt, sei es, weil die Kellnerin eine Bestellung vergisst und einen total verpeilten Eindruck macht; man glaubt, eine allgemeine Antriebslosigkeit zu spüren. Wir können nicht ausmachen, woran das genau liegt, doch der Unterschied zur Kalahari Anib Lodge, der ersten Lodge, in der wir auf unserer Reise verweilen, ist da. Dort hatte alles gestimmt – auch, oder vor allem, das Zwischenmenschliche.
Zwei Nächte bleiben wir im Canyon Roadhouse.
Start: Kalahari Anib Lodge, Mariental, Namibia
Ziel: Canyon Roadhouse
(S 27°31’27.667″E 17°48’50.819″)
Distanz: 400,5 km
Reisezeit: 3:56 Stunden