Afrika, Kanarische Inseln, Lanzarote

La Graciosa – Playa de las Conchas

Als ich mich von der Küste fortbewege, wird das Rauschen leiser. Ich merkte lange Zeit nicht, wie anstrengend es inzwischen in meinen Ohren geworden war. Nun kann sich mein Gehör etwas ausruhen. Ein prüfender Blick auf die Uhr sagt mir, dass es schon fortgeschrittener Nachmittag ist – der Gedanke an die letzte, verpasste Fähre lässt mich schneller laufen. Hier im Inland gibt es fürs Erste nicht mehr ganz so viel Spektakuläres, das mich dazu anhielte, lange stehen zu bleiben. Und das ist gut so, denn so komme ich vielleicht schneller vorwärts.

Kleine Wölkchen jagen dem Sonnenschein nach. Das Licht in der Dünenlandschaft kommt und geht wie ein launenhaftes Mädchen. Da ist er wieder, der Kontrast zwischen Sand und Himmel, dieses überirdische Leuchten, das verschwindet, sobald ich die Kamera zücke. Durchgehend weht ein kühlendes Lüftchen, und die runden, nicht allzu hohen Vulkankegel neben mir kontrastieren mit dem Meer mit einem tiefen, rostrotem Farbton. Der ganze Boden um mich herum ist mit Eisenoxid bedeckt. Einer der verzweigten Wanderwege führt mich höher und höher, zwischen den rotbraunen Hügeln hindurch und auf die andere Seite der Küste. Ich nähere mich dem Abhang und vor meinen Augen materialisiert sich ein wahr gewordener, paradiesischer Traum.

Der Playa de las Conchas war schon bei meinem ersten Besuch der Insel ein erklärtes Ziel. Doch diesen an einem Tag zu Fuß zu erreichen erfordert ein gewisses Maß an Kondition. Und es erfordert Fokussierung. Für Nebensächliches wie das Bewundern der Landschaft bleibt dabei nicht viel Zeit. Doch ich habe jede Minute genossen und bereue keinen Augenblick, den ich mich von der Schönheit dieses Ortes aufhalten ließ. Auch wenn meine Zeit nun knapp wird, wie mir meine Tracking-App unmissverständlich klar macht. Will ich heute Abend von hier weg kommen, so muss ich demnächst die Beine in die Hand nehmen.

Will ich heute Abend von hier weg kommen? (Ja, Kasia, willst du – das Hotel in Asomada ist schon bezahlt…)

Immer näher rückt diese Traumerscheinung. Schließlich bin ich am Hang angelangt und gehe in die Hocke. Vor mir entdecke ich inmitten der blauen See etwas Neues: die aufragenden Berge der Isla de Alegranza. Von dieser Seite der Küste ist die kleine Schwesterinsel la Graciosas sichtbar. Der Strand breitet sich unter mir aus, gleichmäßig schlagen die Wellen und verteilen sich auf dem weißen Strand. Langgezogene Fußspuren im Sand bilden ein Muster und verraten mir, dass noch andere den Weg hierher gefunden haben, über die Mitte der Insel vermutlich.

Unten am Strand steht ein blaues, ausgedientes Boot und trägt zur malerischen Szenerie bei. Ein Mann und eine Frau nutzen den blickgeschützten Platz hinter dem Boot, um ihre Kleidung zu wechseln. Ich mache mich auf meinem Beobachtungsposten ein wenig kleiner.

Eine Weile genieße ich den Anblick von oben, ehe ich über einen steilen Pfad zwischen Stein und Fels hinunter steige, an trockener Vegetation vorbei. Nur kurz erlaube ich es mir, staunend stehen zu bleiben, denn zwischen dem rostroten Gestein entdecke ich so etwas wie einen kleinen Tempel. Ein helles Gesicht prangt im Stein, ein Ort, um kurz inne zu halten? Für Fragen bleibt keine Zeit und es gibt auch keinen, den ich fragen könnte. Die wenigen Besucher, die hier sind, verlassen nach und nach den Strand und als ich unten ankomme, bin ich alleine.

Ich höre die Uhr ticken. Ja, ich bin geflasht, denn dieser Ort hier sollte der Höhepunkt der gesamten, langen Wanderung werden. Dieser Strand wirkt wie aus einer völlig anderen Zeitzone herausgerissen und hierher versetzt, so unpassend im Vergleich zu der sonstigen Kargheit der vulkanischen Insel. Wie die Wellen kristallklar und türkisblau am Strand ankommen – das ist Schönheit in Perfektion. Ein bewegtes Gemälde. Der Sand schimmert beinahe rosa. Ein Ort zum Träumen. Und eigentlich hätte ich es mir verdient nach den Anstrengungen des Tages, mindestens eine Stunde hier zu verbringen. Oder zwei. Doch die Uhr tickt unaufhaltsam und ohne Erbarmen. Ich muss wieder weg. Alice muss aus dem Wunderland verschwinden.

Und das tue ich auch, schnellen Schrittes und nicht, ohne mich dabei an die tausend Mal umzusehen. Als der Playa de Conchas schließlich nicht mehr zu sehen ist, lege ich den Turbo ein. Ja, Leute, ich kann das. Wie Speedy Gonzales eile ich die breite Straße entlang, eine Staubwolke hinter mir ziehend. Überhole den Mann und die Frau, die gemächlich vor sich hin marschieren. Stelle fest, dass die Frau auch ein Mann ist.

Auf meinem Weg mache ich nur Platz für Geländefahrzeuge, die jetzt zur späten Stunde zum Playa unterwegs sind. Vermutlich holen sie auf Wunsch ihre Besucher ab. Man schaut mich, wie mir scheint, recht verwundert an, doch das ist nicht von Belang – der Turbo wird erst wieder abgestellt, wenn ich den Fährhafen erreicht habe.

Das gute an der kleinen La Graciosa ist, dass man den Fährhafen immer über einen sich kreuzenden Pfad über die Mitte der Insel erreichen kann. Soll es mal schnell gehen, ist jederzeit eine Abkürzung möglich. Schon kommen die weißen Häuser der Ortschaft in mein Blickfeld. Sie strahlen wie immer.

Besonderheiten fallen mir ins Auge, trotz der gebotenen Eile. Ich hatte beim letzten Besuch bereits die Gärten gesehen, die Menschen auf der Insel angelegt haben. Am Wegesrand stehen große Säcke mit abgebautem, feinem Vulkankies zur Behandlung der Gärten. Auf dem Boden angebracht hilft der Vulkankies, die Pflanzen vor Austrocknung zu schützen und Feuchtigkeit aus der Luft zu binden.

Die Häuser an der Caleto del Sebo werden immer größer, auch la Famara ist wieder im Blick. Verlaufen unmöglich. Ich habe mich beeilt und würde vermutlich noch vor der Zeit am Hafen sein.

Und da wartet er auf mich, stiller und ruhiger als bei Tage – der Ort del Sebo. Diesmal halte ich mich nicht damit auf, noch Fisch essen zu gehen, denn der Kellner neigt dazu, sich Zeit zu lassen. Zeit, die ich nicht habe. Stattdessen treibe ich mich noch ein wenig am Hafen herum, zusammen mit einigen anderen, Sonnenbrand leidenden Urlaubern. Im flachen, klaren Wasser des Hafens tummeln sich unzählige kleine Fische. Es gibt sogar ein Tauchzentrum auf der Insel, man würde sich nicht langweilen, für Aktivitäten ist gesorgt. Unnötig zu erwähnen, dass ich meine gesamte Zeit hier wohl wandernd verbringen würde.

Als die Fähre ablegt und gen Lanzarote abdriftet, vorbei an la Famara, da fällt mir nicht zum ersten Mal die charakteristische Form des Gebirges auf. Wie ein ruhender Drache sieht sie aus. Ein riesiger Drache. Langsam fahren wir vorbei am Rumpf, Gliedmaßen, Kopf. Ich betrachte erstaunt die Formation und frage mich nicht zum ersten Mal, ob wohl noch jemand das sieht. Leise müssen wir sein, möcht ich rufen, doch das in der Sonne dösendes Ungetüm hört uns nicht. Die Sonne geht unter, strahlt warm und gelb auf die Felsen hinab.

So kommen wir unbehelligt am Fährhafen von Orzola an, wo Stefan bereits auf mich wartet, von weitem gut erkennbar in seiner roten Jacke. Mein kleiner, roter Punkt hält sein Smartphone in die Höhe und fotografiert die ankommende Fähre, in der ich sitze.

Das Licht lässt den Hafen noch einmal in einem unwirklichen Gelbgold erstrahlen. Da ich Hunger habe wie ein Bär, setzen wir uns in eines der am Wasser gelegenen Lokale. Es gibt Meeresfrüchte, und beim Betrachten der Bilder denkt daran, was man sagt: „Hinter jeder Essensbilder postenden Frau steht ein Mann, dem es einfach nicht erlaubt wird, satt zu werden…“

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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6 Kommentare

  1. Gigantisch! Schön, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast. Damit hast du für uns die Messlatte ziemlich hoch gelegt. 😃

    1. Die schwierigen Wege sind oft die, die sich am meisten lohnen. Vielleicht, weil der Körper bei Anstrengung Dopamin ausschüttet, ich weiß es nicht. Der Belohnungseffekt ist höher. Dazu kommt die Tatsache, dass man zu Fuß an Plätze kommt, die man motorisiert oft nicht erreicht. Es war es auf jeden Fall wert.

  2. Oh Kasia, was für eine schöne Fortsetzung deines Tages auf La Graciosa! Und als einziger Störfaktor der Zeitdruck im Nacken. Beim nächsten Mal wird das anders sein, nicht wahr 😎?!?

    1. Leider geht die La Graciosa Geschichte für dieses Mal zu Ende, aber das Ganze ruft quasi nach einer Wiederholung 😉

    2. Warst du an diesem Strand?

      1. Nee, bis dahin hatte ich es nicht geschafft. Aber beim nächsten Mal!

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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