Afrika, Kanarische Inseln, Lanzarote

La Graciosa – Fluch der Karibik (?)

Caleta Pedro Barbara

Ich habe mich gefragt, was hinter diesem zweiten, geheimnisvollen Ort steckt. Schon bei der Ankunft der Fähre, als die kleinen Häuser weit östlich am Ufer sichtbar wurden. Nachdem ich den Fährhafen gesehen hatte, fragte ich mich im Stillem: wird es ähnlich? Wir erinnern uns an den „Charme eines Goldgräbernests“.

Und jetzt bin ich überrascht. Pedro Barbara ist bei weitem nicht so einsam, verlassen und zerfallend, wie es mir meine Vorstellungskraft suggerierte. War ich darauf gefasst, eine mehr oder weniger verwahrloste Ansammlung an Häusern zu sehen, so eröffnen sich meinem Blick nun gepflegte Häuser und Ferienanlagen, von Mäuerchen umrandete Gärten und eine Bucht mit schönem Promenadenufer. Eine niedrige Treppe führt ins Wasser. Nur wenige Menschen befinden sich bereits beim Baden oder am Ministrand.

Es scheint sich um einen Ferienort zu handeln, denn einzelne Jeeps bringen Ausflügler wieder zurück zur Bucht. Dieser Ort hier ist überraschend – und interessant. Ich merke ihn mir für später.

Mich indessen zieht es weiter entlang der Küste. Von hier aus sind die Hänge von La Famara wie durch einen ätherischen Dunstschleier sichtbar. Wie sehr kontrastiert ihr raues Gewand mit dem strahlend hellem Sand von La Graciosa. Bald werde ich mich in nordöstliche Richtung wenden und von Lanzarote wird vorerst nichts mehr zu sehen sein.

Eine einsame Möwe hockt auf einem Pfahl. Der Pfad vor mir zeichnet sich hell ab von der restlichen Umgebung. Wellen prallen gegen Steine, immer und immer wieder. Weiße Gischt schlägt im hohen Bogen nach oben. Das restliche Wasser – azurblau. So wie ich langsam Lanzarotes steile Hänge hinter mir lasse, so taucht etwas Neues vor mir aus dem Dunst empor: die schlanke Silhouette von Montana Clara.

Nicht immer führt der Weg entlang der Küste. Dann, etwas weiter im Landinneren, kann ich die Farben der kargen, wüstenähnlichen Landschaft bewundern. Wie dieses Lachsrot der Gewächse vor mir, das helle, goldene Gelb des Sandes. Die Dünen sind bewachsen mit dürrem Gestrüpp. Hätte es einmal geregnet, blühte vermutlich jetzt alles um mich herum.

 

Playa Lambra

Am östlichen Ende der Insel sehe ich auf der Karte einen lange, weißen Streifen. Was da stilisiert dargestellt wird, könnte einen weitreichenden Strandabschnitt oder Dünen bedeuten. Es ist letzteres.

Mit einem Mal verändert sich die Landschaft, wieder einmal. Der Sand wird mehr, seine Farben – wenn das irgendwie möglich ist – noch heller. Das Weiß vom Sand ist so gleißend, dass es mir beinahe die Augen verbrennt. Es ist wie in der Wüste. Die Wüste hat unterschiedliche Farbtöne… nein, es ist vielmehr wie in einem Traum und erinnert mich stark an den dritten Teil von Fluch der Karibik, dort, wo Jack Sparrow nebst seinem Schiff, der Black Perl, erwacht – am anderen Ende der Welt. Das Schiff ist da und der Protagonist ist unversehrt, doch um ihn herum ist nichts als Wüste, kilometerweißer Sand. Nirgends kann er hin, so beginnt der Protagonist, mit Steinen zu reden und an seinem Verstand zu zweifeln.

Dieses Schicksal bleibt mir glücklicherweise erspart. Anstatt von Steinen liegen hier unzählige weiße Muscheln im Sand, winzig klein und von ausgebleichtem Kalkweiß. Diese Muscheln sind es, die diesem Ort ein so unwirkliches Leuchten verleihen. Gleißend wie in der oben beschriebenen Sequenz des Sechsteilers ist hier der Sand. Er verbrennt mir die Augen. Und siehe da, auch meine Black Perl ist da – abgenutzt und mit zerbrochenem Boden liegt sie im Sand. Etwas kleiner, schwarz ist sie auch nicht und die Segel fehlen. Doch wie es in Tagträumen so ist, nicht alles reicht immer an das Original heran. Doch ich bin bereit, die nicht vorhandenen Segel zu setzen, mein Piratenkopftuch habe ich auch an. Ahoi!

Meine Black Pearl (?)

Unnötig zu erwähnen, dass ich komplett alleine bin, niemand also meine Freudesprünge beobachten kann. Mir ist klar, weshalb dieser Strand hier nicht sonderlich frequentiert ist – der Sand der Playa Lambra reicht nicht ganz bis ans Wasser heran. Das potentielle Badewasser ist umgeben von einer Lavasteinküste. Ich sitze da und streife mit meinen Augen über alles um mich herum. Streife über die Berge, die Vulkane, die vorgelagerten Inseln. Streife über den Sand. Dass dieser Ort, so unendlich schön, so wenig beachtet und so einsam vor sich hin existiert. Ob ich hier bin oder auch nicht, ob ihn jemand besucht oder auch nicht, ob ihm jemand Bewunderung für seine Grazie und seine Anmut zollt – es ist ihm egal. Solche Orte würden sehr gut auch ohne uns existieren. Ich sitze hier und ich weiß: es ist das Paradies.

Ein Blick auf die Uhr bringt mich beinahe sofort in die Wirklichkeit zurück. Wir haben schon 14 Uhr, ich muss weiter. Weit bin ich nicht gekommen, denn an jeder Ecke wartet etwas, das mich fesselt. Doch meine Zeit hier ist begrenzt, und die Fähre wartet nicht. Es ist wie in einem Märchen, wo du dich im Zauberland wiederfindest und dich dein bester Freund am Ärmel zupft und sagt: „Komm, weiter, du kannst hier nicht bleiben. Es ist gefährlich. Wir müssen weiter, sonst bleiben wir für immer hier.“
„Aber es ist so traumhaft schön.“ Sagst du. „Ich möchte für immer bleiben.“

Und als nächstes, meine Damen und Herren, fange ich an, mit Steinen zu reden.

 

El Castillo

Ich bin alleine. Ich laufe schon seit Stunden, und hier ist keine Menschenseele weit und breit. Dann, Schritt für Schritt, verlasse ich langsam das unwirkliche Areal. Noch immer ist es sandig, doch das Leuchten hat aufgehört. Es gibt wieder mehr Pflanzenwuchs und mein Wanderweg fügt sich mit einem der Fahrradwege zusammen. Hier kommt mir ein Pärchen entgegen, das eindeutig überlegt, wohin es fahren soll. Meter weiter ein kleiner Junge auf dem Rad – er ist von hier. Der Radweg ist mit Bolzen begrenzt und da ich mich nicht mehr alle fünf Sekunden wie eine Irre umschaue, um die Gegend mit den Augen zu verschlingen, kann ich etwas schneller laufen. Sowieso ist die Euphorie ein Stück weit verflogen, doch dafür kann La Graciosa nichts. Es ist das aktuelle Weltgeschehen, das mich nicht einmal an einem solchen Ort vergessen lässt, neue und ältere Schreckensmeldungen, die in meinem Kopf geistern und die mein Gedächtnis in den unpassendsten Augenblicken hervor holt.

Ich übertrete die Bolzen und gehe vor bis zur Küste. Hier möchte ich kurz ruhen, das Meer vor den Augen und schwarze Lava um mich herum. La Famara ist nicht mehr zu sehen, dafür tauchen die dunstigen Umrisse von Montana Clara auf, Lanzarotes kleiner, unbewohnter Schwesterinsel. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, was sich dort auf der Insel wohl befindet.

Die Küste bildet an dieser Stelle eine kleine, runde Bucht. Weiße Wellenkäme, als würden Seepferdchen darauf reiten. Ein heller Streifen Sand umrundet diese Bucht, eine Sandzunge schiebt sich ins Meer. Zum Baden ist diese Stelle ungeeignet, Zu steinig, der Wellengang zu stark. Doch mir ist sowieso nicht nach Baden. Ich raste kurz, gerade so, um den beschleunigten Puls zu beruhigen. Weiter geht es, zurück zum Radweg, nur um sich danach wieder der felsigen Bucht zu nähern.

Denn ein Stück weiter ragt nur noch steil nach oben schießende, nackte Basaltsäulen ins Meer. So etwas zieht mich magisch an. Ich springe von Stein zu Stein, mache ein paar Aufnahmen von der schäumenden Gischt, nur um festzustellen, dass es sowieso nichts bringt. Den Ort und die Stimmung kann ich nicht einfangen, egal wie sehr ich es will.

Eine Sehenswürdigkeit hält der Weg für mich bereit. Es ist eine fast perfekt runde, steinerne Naturbrücke, die entstand, als Lava in Richtung Meer strömte. Unter dem Fels bildete sich ein Tunnel. Langsam nähere ich mich der Felskante; es geht ein Stück weit runter, doch noch bin ich nicht gefährlich nahe am Abgrund. Hier sind Spuren im Sand, Spuren der Menschen, die vor mir hier waren. Unter mir rauscht Wasser. Schaue ich nach unten, so sehe ich den Tunnel, in den sich wieder und wieder Meerwasser zu bohren versucht. Überdeckt wird er von Felsen, die mehrere Brücken bilden. Die Naturbrücke, die irrtümlicher Weise El Castillo genannt wird, ist nur die schönste davon.

La Graciosa ist eine einsame Insel. Ja, es gibt auch so etwas wie Tourismus, auch im Landesinneren. Doch dieser beschränkt sich auf einzelne Radfahrer, todesmutige Wanderer, eine oder zwei Touren im Geländewagen und dieses Pärchen, das unter Anleitung ihres örtlichen Guides auf dem Bogen der Steinbrücke für Urlaubsbilder posiert. Das ist das Signal für mich, weiter zu gehen. Die beiden werden kaum die Insel umrunden; nach diesem Sightseeingpunkt kehren sie zurück. Oder fahren weiter zum nächsten.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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9 Kommentare

  1. Das scheint ja wirklich noch ein ruhiger, menschenleerer Ort zu sein. Also, jetzt wo du weg bist, natürlich.
    Gut, dass du nicht mit den Steinen gesprochen hast, das wäre kein gutes Zeichen…

    1. Woher willst du das wissen, vielleicht habe ich es ja…? Das würde ich hier natürlich niemals zugeben 😉

  2. Ich weiß, ich wiederhole mich: diese Insel ist ein Traum! Ich werde im nächsten Winter auf deinen Spuren wandeln und freue mich jetzt schon so sehr darauf.

    1. „Auf deinen Spuren wandeln“, ach wie schön das doch klingt… Inspiriert von „Kasia’s Memoiren“ wandelte Elke auf La Graciosa, den Spuren der großen Entdeckerin und Welteneroberin Kasia folgend… I love it 😉

      1. So sieht’s aus 😄!

        1. Hah, der Ruhm, der Ruhm, der steigt mir zu Kopf… 😉

          1. 😂😂😂

  3. Vielen Dank für diese schönen Orte, weit weg von Menschenmassen. Es muss Glückseligkeit sein, sich für ein paar Stunden wirklich allein auf dieser Welt zu fühlen.

    1. Es ist unbeschreiblich, ich war überrascht, dass solche Orte wirklich existieren.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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