Am Vortag
„Ach, du kaufst Rosenseife?“ Stellt Marco fest, als er mich in einem Laden in der Altstadt von Dschidda mit einem Stapel an in Plastik eingewickelter Rosenseife am Tresen stehen sieht. „Dabei hatte ich erwähnen sollen, dass wir morgen in eine Rosenseifen-Manufaktur fahren…“
Der Laden, in dem ich gerade stehe, entspräche entfernt unserer Drogerien – wenn diese auch stapelweise Weihrauch, Gewürze und säckeweise Henna herumstehen hätten. Ich mag es, in solchen Läden herum zu stöbern, zeigen sie einem doch deutlicher als jedes Sightseeing, wie die hiesigen ticken, was sie einkaufen, wie sie sich pflegen und was ihnen wichtig ist. Geschäfte für örtlichen Lebensmittelbedarf gestatten tiefe Einblicke, die oft direkt in das Zuhause und in die Küchen, Schlaf- und Badezimmer der Menschen führen. Und erst der Geruch, eine Mischung aus Gewürzen, Weihrauch, schwerem Parfüm und Kosmetik.
Ich kaufe meine Rosenseife trotzdem, zudem noch mehrere Packungen Henna. Die Manufaktur wird teuer werden, so meine Einschätzung; außerdem kann ich mir im Notfall auch dort was mitnehmen.
Heute
Der heutige Tag ist eigentlich zu unserer Verfügung. Eigentlich. Denn wo im Reiseplan steht, je nach Laune lässt sich auch ein Ausflug nach Taif in die Berge organisieren, so ist eben jener Ausflug für unseren Reiseführer Marco bereits fester Teil des Programms. Marco hat Hummeln im Hintern. Es wäre gut, sagt er, so viel zu sehen wie möglich, wenn man sich denn bereits in diesem Land aufhält.
Insgeheim gebe ich ihm Recht. Ich fühle mich müde und erschöpft, erkältet und ermattet; der bereits Tage anhaltende Schlafmangel zerrt an meiner Widerstandsfähigkeit. Seit Tagen renne ich meinem persönlichen Empfinden nach den Geschehnissen emotional hinterher, vom Führen jeglicher Art an Aufzeichnungen oder Notizen brauchen wir gar nicht zu reden. Meine Aufnahmekapazitäten sind erschöpft und ich träume von nichts mehr als von einem Tag im Bett, doch was mich antreibt, ist eine Art Fieber. Ich will alles sehen, ich will alles mitbekommen, ich will nichts verpassen. Eine Reise ist nicht zur Erholung da; selten bin ich so gefordert wie dann, wenn ich mich, scheinbar getrieben von außen, von A nach B bewege.
Es wird kurz abgestimmt. „Wenn alle mitkommen nach Taif, brauchen wir für heute Nacht das Zimmer nicht mehr.“ Spekuliert Marco. Der grobe Plan ist, jetzt schon zusammen zu packen und am Abend lediglich unser Gepäck abzuholen.
Doch bei seiner obligatorischen Abstimmung hat er die Rechnung ohne meinen Stefan gemacht. Stefan fährt nirgendwo hin, Stefan bleibt in Dschidda. Wird an der Strandpromenade entlang flanieren und es langsam angehen lassen. Ich hatte mich sowieso schon gewundert, wie mein Liebster in seinem Zustand das Tempo dieser Reise mithalten kann, doch irgendwann ist auch bei ihm Schluss. Ein ruhiger Tag im sonnigen Dschidda würde ihm gut tun. Zähneknirschend muss Marco dem zustimmen und einen Zimmeraufenthalt verlängern.
Alle anderen von uns erklären sich bereit, nach Taif zu fahren. Und nicht nur die Rosenmanufaktur ist ein interessanter Punkt dieser Tour; was ich fast schon spannender finde, ist die Tatsache, dass wir uns auf das heilige Gelände rund um Mekka und Medina begeben, ein Bereich, der bis vor kurzem für Andersgläubige nicht begehbar/befahrbar war. Es ist uns zwar weiterhin nicht gestattet, nach Mekka selbst zu fahren, doch es besteht die Chance, von weitem den gewaltigen Uhrturm und die Umrisse der Stadt zu sehen; das ist mehr, als bis dato möglich war. Und um ehrlich zu sein, was hätte ich auch in Mekka selbst verloren. Dieser Ort soll Menschen vorbehalten bleiben, denen er mehr bedeutet als mir.
Als die Tour startet, steht die Sonne gerade erst auf. Ganz zart schmelzen die Hauskonturen der Stadt im ersten, fragilen Licht.
Wir fahren nach Mekka. Na gut, nicht ganz…
Dann verlassen wir die Stadt und gelangen auf die Schnellstraße, inmitten von Bergen aus scheinbar wahllos aufgeschüttetem Sand und Geröll.
Das Tor zur Mekka, oder besser: zum als heilig geltendem Bereich, trennte dieses Gebiet von allgemein zugänglichem Rest des Landes. Ja, wobei auch das stimmte bis dato nur bedingt, denkt man an das sich soeben ab 2019 geöffnete Königreich. Früher deuteten Schilder in je arabischer und englischer Sprache an, in welche Richtung sich je welche Glaubensrichtung zu begeben hatte. Muslime durften weiter und das Tor passieren, für Nichtmuslime hieß es: umfahren bitte. Diese Zeiten sind nun seit kurzem Vergangenheit, und es gibt sie nur noch in Souvenirläden als Kühlschrankmagnete zu kaufen. Doch es fühlt sich noch immer eigenartig an, die „Tore“ auf der Schnellstraße zu passieren.
„Stellt euch nicht zu viel vor.“ Sagt Wasim. Wir sollen nicht glauben, so meint er, dass hier alles, weil heilig, irgendwie anders aussehen würde. „Es ist genauso verdreckt, es liegt genauso Müll herum wie anderswo.“ Aha. Gut zu wissen.
Busparkplätze tauchen kurz zu unserer Linken auf, verschwinden jedoch schnell wieder hinter verwischtem Grün. Doch das, worauf wir da einen Blick werfen können, ist monströs. Diese Parkareale für Gläubige sind riesig. Bus um Bus um Bus reihen sie sich wie in der Sonne glänzendes Spielzeug. Der Pilgertourismus ist eine riesige Industrie, sie sorgt für Arbeitsplätze und Milliardenumsätze. So muss Infrastruktur geschaffen und erhalten werde mit allem, was dazu gehört: Hotels, Versorgung, Transport. Sogar der Barbier profitiert von Pilgerströmen, denn manch einer will sich ordentlich rasieren und sein Haar geschnitten wissen, bevor er ins Allerheiligste eintritt.
Das „Tor zur Mekka“ erinnert ein wenig an profane Schranken für die Autobahnmaut. Das zweite jedoch, welches wir passieren, ist schon ausgefeilter, der schmale Bogen über unseren Köpfen ist eine stilisierte Darstellung des Koran.
Die Makkah Clock
Kleinere Ortschaften und sonnenhelle Moscheen fliegen vorbei an verstaubten Autoscheiben, während ich mir die Nase platt drücke und versuche, so viel von der zugegeben eher unscheinbaren Gegend einzuverleiben. Doch es ist noch zu früh, um etwas zu sehen. Als uns Mekka in kilometerweiter Entfernung ins Blick kommt, passiert es in Form eines überdimensional großen Uhrturms, der aus der Umgebung heraussticht wie ein Riese und selbst die umgebende Landschaft überragt.
Das Traditionsunternehmen Perrot hatte für diesen Turm, aktuell mit 601m das zweithöchste Gebäude der Welt, die Uhr geliefert. Sie wirkt gewaltig und dies ist kein Wunder, denn es handelt sich hierbei um den größten Uhrturm der Welt. Allein das in 426m Höhe angebrachte Ziffernblatt hat einen Durchmesser von 43m. Interessantes Detail: Perrot, als Uhrenbauer mit herausragendem Ruf, insbesondere in asiatischen Ländern, wurde für den Bau der Makkah Clock von der deutschen Firma SL Rasch GmbH in Leinfelden-Echterdingen beauftragt. Die Welt ist klein, nicht wahr? Und Made In Germany tut es immer noch. Für Interessierte gibt es hier Einzelheiten zum Bau der Makkah Clock.
Wir sind fasziniert und hingerissen, es klicken die Fotoapparate. Ich kann es mir nicht nehmen, einer meiner türkischen Freundinnen einen Screenshot von dem Ort zu schicken, in dessen Nähe wir uns gerade befinden. „Ach, wie schön.“ Schreibt sie. „Dort wäre ich jetzt auch gerne.“
Wir halten an für eine kurze Pause, eine Gruppe Touristen, die am liebsten auf Felsen klettern würden für die Aussicht, einen besseren Ausblick zu erhalten. Der Uhrturm ist beeindruckend und wohl vorerst das einzige, was wir von der heiligen Stätte der Muslime sehen würden. Aber ganz ehrlich, macht das nicht den Reiz aus? Dass die zweite heilige Stadt Medina inzwischen für nichtmuslimische Besucher von außerhalb geöffnet wurde, weiß ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht.
Der Rest der Umgebung um die Uhr herum ist gänzlich unromantisch. Hotelkomplexe thronen da oder werden gerade neu in die Höhe gezogen. Zarte Fangarme der Baukräne wuchten an ihren Dächern herum.
Ein Stück weiter machen wir eine kurze Tankpause in einer autobahnnahen Raststätte. Ich bleibe nicht im Auto sitzen, denn ich bin neugierig. Die für unsere Breiten typischen Gläubigersouvenirs interessieren mich, doch wie ich feststelle, gibt es hier weniger davon als ich gedacht habe. Vielleicht sind Raststätten nicht der typische Ort für Gebetskettchen und Co.
Eventuell sollte ich erwähnen, dass ich auch hier noch nicht willens bin, (m)ein Kopftuch aufzuziehen. Vielleicht sollte ich das tun, andererseits ist es nicht vorgeschrieben. Meine langen Haare veranlassen einen jungen Araber an einer der Zapfsäulen dazu, mir etwas (vermutlich nicht ganz anständiges) aus dem Auto zuzuraunen, doch was macht man da als Dame von Welt? Genau, man geht erhobenen Hauptes weiter und ignoriert den Störenfried. Es ist übrigens das erste und einzige Mal, dass ich auf diese Weise ob meiner Haare belästigt werde, vermutlich dauert es eine Weile, bis sich die Menschen hier wirklich an Touristen gewöhnt haben. Und da ich von Saudis bisher nur Freundlichkeit und respektvolles Betragen erfahren habe und mir nichts schlechtes denken möchte, vermute ich, dass der junge Mann nicht von hier war. Man darf nicht vergessen, dass sich die ganze muslimische Welt in dieser Gegend einfindet, besonders in Zeiten der Hadsch.
Bei den Mengen an Rosenseife und Henna, die du da erstanden hast, wirst du wohl in absehbarer Zeit keinen Mangel daran erleiden, gell?
Ja, da ist er, der ewige innere Zwiespalt auf Reisen: Erschöpfung versus Erlebnishunger. Letzterer siegt meistens. Gut so! Schlafen kannste dann zuhause 😎. Aber in dem Zusammenhang verstehe ich auch deinen Stefan, dass er in dem konkreten Fall auf die Bremse getreten und auf seine Bedürfnisse gehört hat.
Das Zifferblatt des Uhrenturms hat 43 Meter Durchmesser? Das ist ja der Hammer! Es muss gigantisch sein, direkt vor diesem riesigen Turm zu stehen.
Leider war es uns nicht vergönnt, direkt unter dem Ziffernblatt zu stehen, aber auch aus der Ferne konnte man seine Ausmaße erahnen.
Die Rosenseife, ja also drei Stücke habe ich noch 🙂 die Henna ist leider schon aufgebraucht, was schade ist, denn das war die beste Henna, die ich bis dahin verwendet habe. Gerne hätte ich länger in den Läden gestöbert, doch das war… *hüstel* nicht vorgesehen…
Reisen sind in der Regel anstrengend und für mich nicht wirklich zur Erholung da. Den Urlaub, der danach kam, habe ich umso mehr genossen, da hatten wir uns einfach auf einer schönen Insel ausgebreitet 🙂
Hi Kasia,
ich bin gelinde gesagt etwas verwirrt…
Vor ein paar Tagen meldete mir meine WordPress App, dass Du einen neuen Beitrag mit dem beliebten Frage-Und Antworten Spiel veröffentlich hattest. „Na endlich mal was, wo ich was zu schreiben kann“ , dachte ich – nur um dann einen 404 Fehler – Seite nicht auffindbar zu bekommmen. Hast Du die Seite wieder gelöscht, weil es thematisch nicht mehr zu deinem Reiseblog passt oder gab es Copyright-Probleme wegen dem Inhalt? Ich meine grade das thema „KOCHEN“ ist ja eher für mich interessant als mir Bilder von Steinen anzuschauen, die schon etliche tausend Jahre irgendwo rumliegen und das wahrscheinlich auch so beibehalten wollen (Steine sind sehr unmotiviert was sportliche Tätigkeiten angeht – musst Du wissen). Denn wie Du sicher gemerkt hast, halte ich mich bei deinen Reise-Erlebnissen mit Kommentaren vornehm zurück. Apropos: ich bekomme beim schreiben und absenden immer eine Meldung: „doppelter Content entdeckt – es sieht aus, als wenn Du das schon mal geschrieben hast“…
CU
P.
Hallo Peter,
wer weiß, vielleicht werde ich demnächst einen neuen Beitrag schreiben: „Wie versenke ich meinen Blog – mit einem Klick.“ Langer Rede kurzer Sinn, die Website war über drei Stunden offline, weil ich mein WordPress downgraden wollte und nebenbei meinen Blog gecrasht hatte. Nach langen Stunden des Zitterns und des Bangens konnte die Website aus einem Backup der Datenbank wieder hergestellt werden.
Was den Fragebogen betrifft, ja, irgendwie habe ich gedacht, dass er nicht mehr zum Blog passen würde. Dank deiner Ermutigung jetzt weiß ich, dass solche Themen abseits des Hauptthemas Reisen auch gelesen werden 😉 Tatsächlich bin ich inzwischen vorsichtig geworden, was Fragebögen und Teilnahmen an diversen Aktionen und Blogparaden betrifft; es gab mal eine Zeit, da hatte ich mehrmals in der Woche gepostet und da war Diverses dabei… schließlich wuchs mir alles über den Kopf und ich drohte, den Fokus zu verlieren (das war die Halbjahrespause). Jetzt versuche ich mich auf das Reisen zu konzentrieren, eventuell wird es dennoch hin und wieder eine Abweichung wie einen Fragebogen geben 😉
Wegen dem „doppelt content“ werde ich mal schauen, danke für den Hinweis.
Lg Kasia