Asien, Saudi-Arabien

Dschidda, Stadt der Superlativen

Doch nicht nur die Altstadt ist spannend, auch wartet Dschidda mit ein paar Superlativen auf. Der Fernsehturm Dschidda ist mit 250 Metern der höchste des Landes, und das Haj Terminal Dach des internationalen King Abdulaziz Airport ist mit  40,5 Hektar Gesamtfläche die größte Dachkonstruktion der Welt. Und dann hätten wir noch die King Fahd’s Fontäne, die wir später im Laufe des Abends noch besuchen werden. Mit 312 Metern höhe ist sie derzeit die höchste der Welt.

Dschidda will beeindrucken, dabei hat Dschidda es nicht nötig, ebenso wenig wie den Jeddah Tower, der sich noch im Bau befindet und mit 1007 Metern den aktuell höchsten Turm der Welt, den Burj Khalifa in Dubai (828 Meter) irgendwann mal überragen soll.

Ja, und dann nennt Dschidda noch den höchsten Leuchtturm der Welt und den höchsten Fahnenmast der Welt. Gut zu wissen, oder?

Unser langer Spaziergang durch die Altstadt von Dschidda ist fürs erste beendet, und so bringt uns der Kleintransporter wieder durch die Straßen der Stadt. Wir quetschen uns auf die engen Sitze und ich schnäuze mein Taschentuch voll. Nein, Leute, immer noch kein COVID.

Statt weiterer Besichtigungen setzen sich nun die kommerziellen, touristischen Interessen durch: jemand will Postkarten kaufen. In einem Land wie Saudi Arabien bislang kein ganz einfaches, jedoch machbares Unterfangen. Schwieriger ist es nun, die dazu passenden Briefmarken zu erstehen. Wer an schicke Briefmarken mit Scheichs und Kamelen denkt, liegt falsch – die hiesige Version beinhaltet nicht mehr als einen QR-Code. Auch schient niemand hier eine Ahnung zu haben, was denn der Versand nach Deutschland kosten würde, weder die Postkartenverkäufer noch die Angestellten der Post selbst. Mit solchen Fällen gibt es hier einfach keine Erfahrungswerte, und solch seltsame Wünsche hatte auch noch niemand. Zudem ist der uns genannte Kostenpunkt nicht zu verachten, denn eine solche, ganz und gar unromantische, Kamel- und dattelpalmfreie Briefmarke würde in etwa um die umgerechnet zwanzig Euro kosten. Wir verzichten dankend.

Das Postamt schaue ich mir trotzdem gerne an. Nicht zuletzt wegen der interessanten Verbotsschilder. Eigentlich will ich ja im Wagen bleiben, doch als Marco den Kopf hinein steckt und ruft: „Hier ist es verboten, Mumien zu versenden. Da stellt sich die Frage: wie oft kam das schon vor?“ – da raffe ich doch noch meine weiten Röcke und springe aus dem Wagen.

Und tatsächlich. Mumien verschicken ist nicht erlaubt. Na welch Unannehmlichkeiten, was mach ich nun mit der ägyptischen Katzenmumie in meiner Handtasche?

Während ich wenige Augenblicke zuvor noch im Auto sitze und durch die verdunkelte, staubige Scheibe auf das Leben da draußen spähe, da gelingt es mir endlich, eine wahre Seltenheit vor die Linse zu bekommen: eine schwarz verschleierte, saudische Frau, wie sie sich mit flatternden Kleidern durch den sandigen Wind kämpft. Frauen im Ganzkörperschleier sind hier nicht selten, es ist jedoch eine Besonderheit, ein Foto von ihnen machen zu können, ohne das Wohlwollen der Menschen hier aufs Spiel zu setzen. Ich weiß nicht, wie oft wir stattdessen bereits fotografiert worden sind.

 

Dschiddas Fisch- und Meeresfrüchtemarkt

Es gibt keinen besseren Grund, aufzustehen, als auf einen Fischmarkt zu gehen. So behauptet zumindest Visit Saudi. Doch früh aufstehen muss hier von uns niemand, denn der Markt hat von morgens um fünf bis in die späten Abendstunden geöffnet. In den frühen Morgenstunden wird frischer Fang angeliefert und die geschäftige Atmosphäre nimmt einen mit. Aus dem ganzen Land kommen Käufer hierher. So ebenfalls Visit Saudi.

Dem Hafen von Dschidda fiel über Jahrhunderte die wichtige Aufgabe zu, Auffangstelle für Pilger aus aller Welt zu sein. Er war einmal der größte und wichtigste Hafen im Nahen Osten. Seit dem Bau eines (und später gleich dreier) Flughafens hat sich der Transport von Reisenden vom See- zu den Luftwegen hin verschoben. Doch noch immer ist er der zweitgrößte Hafen am Golf (welcher der größte ist, darüber lässt sich die touristische Webseite nicht aus).

Der weitläufige Fischmarkt ist in einer großen Halle untergebracht. Die azurblau getünchten Hallen haben sich über die Jahrhunderte kaum geändert. Über hundert Fischstände soll es hier geben. Wir verteilen uns zwischen Oktopoden auf Eis und regenbogenschillernden Fischhautschuppen.

Auch hier in der riesigen, luftigen Halle herrscht Maskenpflicht. Nicht nur in Deutschland werden Vorschriften mehr oder weniger sinnhaft umgesetzt. Ich trage eine lange, königsblaue Abaya und habe mir ein Tuch um den Kopf gewickelt. Manchen hiesigen Besuchern falle ich aufgrund meiner Kleidung so aus dem Rahmen, dass sie mich auf arabisch ansprechen, was ich bedauernd abwinken muss. Auf keinen Fall erkennt man in mir sofort die Zugehörigkeit zu der Gruppe westlicher Besucher, die sich hier zwischen den Ständen tummeln.

Der frische Fisch bietet ein gutes Fotomotiv, und auf Anfrage posieren auch die Händler gern. Lippfische, Barsche, Tunfische, Riesenkrabben und Calamari. Teilweise sind die Angebote auf englisch ausgeschrieben, und die Preise gelten kiloweise. Ich weiß nicht, wie viele touristische Gruppen sich hier schon hindurch geschoben haben, viele können es bisher nicht gewesen sein. Irgendwann wird es von ihnen nur so wimmeln und zwischen den regulären Ständen wird es gegrillte Fischsnacks to go und Magnete geben.

Zu diesem Zeitpunkt schlendern wir mehr oder minder interessiert an den Fischauslagen vorbei. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: der Meeresfang ist unter Umständen auch für uns, Touristen, interessant. Denn statt sich den eisgekühlten Barsch in die Handtasche zu klemmen, gibt es hier noch ganz andere Möglichkeiten. So bietet die Halle die Option, den Einkauf gleich vor Ort säubern und ausnehmen zu lassen. Das geschieht im hinteren Teil der weitläufigen Halle, wo Männer, meist dunkelhäutige Expats aus dem indo-asiatischen Raum, mit kleinen Messerchen flink zugange sind. Männer bringen den eingekauften Fisch hinein und holen ihn gesäubert wieder ab, während sich arabische Frauen in den oberen-hinteren Reihen halten. Es hat hier auch Vorteile, eine Frau zu sein, scherzt jemand. Auch ich bleibe kurz im oberen Bereich stehen; von hier aus habe ich einen guten Überblick auf das Tun unter mir.

Wer möchte, kann nun seinen gesäuberten und ausgenommenen Einkauf in ein nebenan gelegenes Restaurant bringen. Dort wird der Fisch auf Wunsch zubereitet; je nach Tageszeit notfalls auch bis zur Mittags- oder Abendessenszeit aufbewahrt. Fisch wird hier meist gegrillt. Freilich wissen wir zu dem Zeitpunkt nichts von dieser Möglichkeit; davon erfahre ich später während meiner Recherche. Doch ändern würde es nichts, denn unsere Guides haben bereits feste Pläne mit uns, was die Mahlzeiten und die zugehörenden Restaurants betrifft. Das Selbst-Einkaufen des Abendessens durch die Schützlinge ist nicht vorgesehen.

 

Die Promenade

Das mit der neuen Maskenpflicht im öffentlichen Raum ist so eine Sache. Eines muss man den Einheimischen lassen, diese Regel – wie vermutlich auch alle anderen – wird mit voller Hingabe durchexerziert. Und sie macht auch vor einem Spaziergang am Meer nicht halt. Jeder einer trägt gewissenhaft seinen Mundschutz, und auch unsereins wird von Passanten auf das Fehlen desselbigen aufmerksam gemacht. Ja, beim Aussteigen aus dem kühlen Bus in die Wärme des Tages müssen wir uns noch an das sofortige Anziehen einer Maske gewöhnen, und manch einem von uns passiert es schon mal, dass er es einfach vergisst. Gehorsam schiebe ich mir das schwarze Maulkörbchen über Mund und Nase und sehe mit dem Turban und meiner übergroßen Sonnenbrille wie eine exotische Ameise aus.

Nicht dass ich zu diesem Zeitpunkt etwas gegen sinnvolle COVID-Schutzmaßnahmen hätte. Aber hier draußen an der windigen Promenade, wo einem fast die Kleidchen vom Leib geweht werden, sehe ich die Mundschutzpflicht mit skeptischen Blick. Denn den Menschen, die hier mit ihren Familien flanieren – und das ist der zweite Faktor – zu nahe zu kommen, ist faktisch unmöglich. Zu stark ausgeprägt ist der Wunsch der Saudis nach Privatsphäre.

Achtung, Raubüberfall

Wir verstreuen uns auf dem langen Steg mit Blick aufs Meer und die moderne, von Türmen und gläsernen Wolkenkratzern geprägte Skyline der Stadt. Auf der anderen Seite ist der noch unfertige Jeddah-Tower zu sehen, der irgendwann Burj Khalifa in Dubai überragen soll. Hier sind Touristen unterwegs, doch meist aus den Emiraten, dem asiatischen Raum oder Saudis, die unzählige Stunden im Auto verbracht haben, um für ein paar Tage an der Promenade von Dschidda zu entspannen. Wie die junge, saudische Familie, die uns spontan zu sich auf die Picknickdecke auf einen Kardamomkaffee einlädt.

Bei solchen Dingen ist unsere Mitreisende Berit der Türöffner. Sie besitzt dieses einzigartige Talent, sich dort einzufinden, wo etwas Interessantes los ist, kommt mit ihrer Art unglaublich leicht mit Menschen in Kontakt, ohne laut zu sein oder sich aufzudrängen. So auch jetzt; ehe wir uns versehen, sitzen – oder kauern – wir bei der jungen Frau und ihrem Mann und kosten den köstlichen Kaffee aus Einwegbechern. Von der Frau mit den großen Augen – denn mehr ist von ihrem sicher wunderschönem Gesicht nicht zu sehen unter schwarzem Hijab – erfahren wir, dass die beiden mit ihren Kindern eigentlich aus dem Norden des Landes kommen. Unzählige Stunden im Auto für ein Picknick in warmen, sonnigen Südteil des Landes, das haben sie sich gegönnt. Und den Kardamomkaffee habe sie selbst gemacht, erklärt die Frau stolz. So etwas wird nicht schnöde eingekauft, das ist doch Ehrensache. Der Kaffee ist köstlicher als jeder, den wir bisher auf dieser Reise getrunken hatten.

Überhaupt scheint das Picknicken das liebste Hobby saudischer Familien zu sein. Die ganze Promenade ist voll von picknickenden Frauen mit ihren Männern. Überall, ob am Wasser oder auf grünem Rasen im Schatten hoher Palmen, sehen wir ausgebreitete Picknickdecken oder gleich ganze Teppiche, auf denen Picknickkörbe voller Essen ruhen. Saudi Arabien hat eine junge Gesellschaft: der Altersdurchschnitt der Bevölkerung liegt im Jahr 2021 bei ca. 29,8 Jahren. So sehen wir viele junge Menschen, nicht nur Familien, sondern auch Paare, in der Sonne entlang schlendern. Und manch ein saudisches Pärchen hält sich dabei an den Händen, nicht verschämt oder heimlich, sondern ganz offen und frei. Ich reibe mir die Augen und ein Teil des konservativen Bildes in meinem Kopf beginnt zu bröckeln.

Nun, ich hatte irgendwo zu Anfang unserer Reise geschrieben, S.A. wäre eine männerdominierte Gesellschaft. Ja – und nein. In ländlichen Gegenden und kleinen Orte, in Wüstencamps oder im Norden des Landes hat sich dieses Bild bestätigt, doch auf Riad und Dschidda trifft das nicht zu. Junge Männer gehen mit ihren Frauen spazieren, kümmern sich um die Kinder oder schieben den Kinderwagen. Die Menschen wirken entspannt und glücklich. Dschidda ist wirklich anders.

Die Sonne senkt sich in die Meeresfluten. Das Meer ist heute ruhig, trotz des kräftigen, warmen Windes, der an der Kleidung zerrt. Wir sitzen zufrieden neben dem jungen Pärchen und schlürfen ihren leckeren Kaffee, während die Promenade in die Farben Gold und Orange eintaucht. Menschen, Palmen und Gegenstände werfen scharfe, schwarze Schatten auf die glatten Fließen. Dunkel zeichnen sich die eigentlich weißen, leichten Sonnensegel vom Himmel ab, die tagsüber für mehr Schutz vor zu starker Sonne sorgen.

Die Atmosphäre bekommt jedoch einen feinen Riss, als Stefan nach einem gemeinsamen Foto fragt. Das Pärchen reagiert zurückhaltend, möchte aber höflich bleiben. So nimmt der junge Mann Stefans Kamera und macht ein Foto von ihm und mir, während sich seine Frau im selben Moment in den hinteren Bereich der Picknickdecke zurückzieht und irgendwas zu kramen beginnt. Wir verabschieden uns, bedanken uns für den Kaffee und gehen weiter. Das verständliche Bedürfnis, jeden schönen Moment in Pixeln festhalten zu wollen, ist nicht immer eine gute Idee.

 

King Fahd’s Fontäne

Als es dunkel ist und nur noch ein schwacher Schein den Himmel erleuchtet, absolvieren wir den letzten Teil unseres touristischen Programms: den Besuch der King Fahd’s Fontäne, mit 312 Metern der derzeit höchsten der Welt. Das Wasser wird mit einer Geschwindigkeit von bis zu 375 km/h in die Höhe geschossen und die Austrittsmenge an Wasser ist 625 Liter pro Sekunde. Die sich in der Luft befindliche Wassermenge entspricht vom Gewicht etwa 16 Tonnen. Die Fontäne wurde zu Ehren vom ehemaligen saudischen König Fahd erbaut und 1985 in Betrieb genommen.

Eine Besonderheit ist, dass hierfür Meereswasser verwendet wird. Das stellt spezielle Anforderungen an die Wartung des Wasserspiels im Bezug auf Korrosion und die Reinigung der Anlage, da sich Ablagerungen aus dem Meer vermehrt ansiedeln können.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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2 Kommentare

  1. Wie wunderbar! Diese Stadt hat es mir schon alleine durch deine Berichte angetan. Das Foto von dir mit der riesigen Sonnenbrille, in der sich die Szenerie spiegelt, ist übrigens mega 👍. Und ja, unser Bedürfnis, schöne Momente auch in Fotos festzuhalten, stößt nicht in allen Kulturen auf Gegenliebe.

    1. Das mit den Fotos ist so eine Sache: nicht nur wir waren neugierig auf die Menschen, sie waren es auch auf uns. Daraus haben sich jede Menge witzige Situationen ergeben. Zum Beispiel steht Stefan an einem Morgen draußen vor dem Hotel und raucht. Kommen ein paar Schulmädels vorbei, kichern und schießen ein Foto mit dem Handy, so „beiläufig“ wie möglich aus der Hüfte heraus. Mein Stefan wirft sich da natürlich in Pose; nach einem kurzen Erstaunen „klickten“ da endgültig alle Handykameras 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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