Asien, Saudi-Arabien

Kamel auf dem Teller

Was an diesem Tag noch geschah…

Was an diesem Tag noch geschah, werde ich euch am besten chronologisch präsentieren. Chronologisch ist gut, vor allem für die Verfasserin selbst – damit sie nicht den Überblick verliert. Wir steigen in den Bus, verlassen Hegra, steigen am Busbahnhof um in unser Privatvehikel und machen uns auf zum Camp – unter anderem, um von dort unsere bereits zusammengeschnürten Siebensachen abzuholen. Ich nutze die Gelegenheit, mir etwas leichteres anzuziehen, denn die Wüste ist eine Extreme per se. Bereits jetzt, nach der mörderischen (na gut, ich übertreibe, wir leben alle noch…) Kälte der Nacht ist mir heiß, sehr heiß. Die Wüste ist eine Bratpfanne. Wenn sie will.

Unterwegs zu unserem nächsten Ziel, der Stadt Tabuk im Nordosten des Landes, entdecken wir noch dies und jenes. Denn obwohl uns die Reiseleiter auf einen langen („Es wird eine sehr lange Fahrt!“) Trip einschwören, so sorgen sie am Ende doch dafür, dass uns die Busfahrt nicht langwierig erscheint. Im Gegenteil. Da finden sich Kamele am Straßenrand, die wir füttern und streicheln (und später auch verspeisen) dürfen, Wüstenschlösser im Sand, alte, verlassene Bahnhöfe, Spezialitäten wie die leckeren Dattel-Sesam-Kugeln to go und andere Besonderheiten (wusstet ihr, dass die AFD in Saudi Arabien eine eigene Sockenmarke lanciert?).

 

Kamele zum Streicheln

Die süßen Kamele tauchen auf wie aus dem Nichts. Die neugierigen Tiere suchen augenscheinlich den Kontakt zu uns, wollen wissen, wer wir sind und uns ein wenig beschnuppern, doch sie sind noch ein wenig scheu. Einer der Guides kommt mit Leckereien aus dem Bus gestürmt, damit wir wiederum die sanften Tiere von allen Seiten begutachten – und ablichten – können. Die Kamele tauen langsam auf. Das trockene Brot ist ja ganz lecker, und gegen die fünf Minuten Ruhm hat Kamel schließlich auch nichts einzuwenden – wer weiß, wann das wiederkommt.

Und sie ahnen nichts davon (davon ahnen wir zu diesem Zeitpunkt selbst noch nichts), dass wir nur wenige Stunden später eines ihrer Angehörigen laut schmatzend verspeisen werden. Denn hätten die Kamele das geahnt, dann würden sie wahrscheinlich nicht nur das trockene Brot, sondern unsere ausgestreckten Hände gleich mitessen…

„Herr Kamel, Her Kamel… nur ein Kommentar zu ihrem letzten Buch… Herr Kamel, bitte…!“

 

 

 

Von Mekka nach Damaskus – Old Hijaz Railway Station

Einer nach dem anderen zwängen wir uns durch die kaum ausreichend große Öffnung im Maschendrahtzaun, die der letzte, der rein geht, für die anderen geöffnet hält. Sorgsam schaue ich umher, den Blick vorsichtig die Schnellstraße entlang streifend, die kaum einen Steinwurf von uns entfernt verläuft. Doch kaum einer interessiert sich für uns. Ich bin im Laufe meiner Abenteuer bereits in die eine oder andere Situation hinein geschlittert, in der es nur hieß: folge deinen Guides. Also folge ich meinen Guides – solche halblegalen Aktivitäten werden schon ihre Richtigkeit haben.

Marco und ein paar andere schlendern weiter, denn man kann ja durch… nein, nicht durch den offiziellen Eingang hinein, denn der ist ja gesperrt. Aber durch einen weitaus größeres Loch im Zaun, welches aufrecht stehend, ohne sich zu bücken betreten werden kann. Alte Schlawiner. Kein Wunder, denn sie waren mit der ersten Gruppe bereits da.

Keine-Anleitung!

Der sandige Boden ist voller tiefer Gruben. Keines der Löcher ist abgesperrt. Wie leicht wäre es, versehentlich in eines davon zu treten, um dann auf Nimmerwiedersehen spurlos unter der Erde zu verschwinden. „Wonach haben sie hier gegraben?“ Will ich wissen. Die Legende vom vergrabenem Gold hält sich auch hier hartnäckig.

In Wahrheit ist an dieser alten Railway Station etwas anderes spannend als „nur“ die Legenden von vergrabenen Schätzen. Der Bahnhof wurde vor fast einem Jahrhundert erbaut. Die Eisenbahn sollte muslimische Pilger auf einer langen Strecke von Damaskus in Syrien über Konstantinopel bis nach Mekka/Medina befördern. Doch der Traum währte kurz, denn schon zwanzig Jahre später, während des zweiten Weltkriegs, wurden Teile der Strecke angegriffen und der Bahnhof in Schutt und Asche gelegt. Schließlich, um 1920, gab man die Bahnstrecke auf. Heute ist sie eine von Tabuks größten Touristenattraktionen und gehört zu UNESCO Welterbe. In Tabuk gibt es ein Museum, welches interessierten Besuchern die Geschichte dieser Eisenbahnstrecke erzählt.

 

Das Al-Muazzam Fort

Nach einer ausgiebigen, fotografischen Besichtigung und einigen Geschichten, die Wasim zum Besten gibt, verlassen wir das Gelände über ein weiteres Loch im Zaun. Der Ort scheint wirklich frequentiert zu sein, denn die Löcher im Maschendraht vermehren sich wie die Ratten auf einer Müllhalde. Wir lassen den alten Bahnhof hinter uns und begeben uns zum Al Muazzam Wüstenschloss, welches ebenfalls eine interessante Geschichte hinter sich hat. Das vermute ich zumindest. Denn während meiner intensiven Recherchen finde ich… nichts. Spärlich sind noch die Informationen über die unentdeckten Wüstenschätze Arabiens, rar gesät Wissenswertes aus dem so lange verschlossenen Königreich. Ach, hätte ich bloß Wasims Ausführungen etwas mehr Beachtung geschenkt.

Der große Wasserbasen vor den Mauern des Schlosses lud früher sicherlich zum Baden und flanieren ein. Auch heute ist trübes, grünes Wasser in dem Bassin, der kleine Teich ist mit Schilf bewachsen. Das in der prallen Sonne stehende Nass lädt heute zu gar nichts mehr ein, zaubert jedoch mit ein Bisschen Geschick schöne Spiegelungen der Burg für meine Aufnahmen.

Heute weiß ich nur, dass es sich dabei um ein osmanisches Bauwerk handelt und dass die Festung eine der Stationen der Old Hijaz Eisenbahn von Damaskus nach Mekka gewesen war. Heute ist die Burg nur noch eine Ruine. Mutig klettern einige von uns über die rutschigen Steintrümer auf die obere Ebene, um einen besseren Rundumblick zu haben. Stolz zeige ich Wasim ein paar in das Gestein geritzte Zeichnungen, die ich entdeckt habe. Blass und schwach sehen sie aus, doch sie haben lange überdauert. Sie zeigen Menschen, Tiere, Reiter. Und viel Undefinierbares, zumindest für mein Auge. Arabien ist eine Fundgrube, Geschichten zum Anfassen (noch) nicht unter Glas.

 

Frische Orangen

Während wir uns der Burg nähern, sind wir nicht gänzlich alleine. Andere Besucher schlendern hier herum, auch ein europäisches Paar ist mit von der Partie. Dann scheint das hier ein romantisch abgelegener Treffpunkt für Saudis zu sein, denn ein saudisches Ehe(?)paar hält mit dem Auto nahe der Burg an. Der Mann grüßt uns freundlich, dann sehen wir ihn in seinem Fahrzeug ein paar Worte mit seiner Frau wechseln. Kurze Zeit später kommt er mit einer Kiste Orangen heraus und verteilt diese unter den Teilnehmern unserer Gruppe. Einfach so, ohne große Gesten. Und wir fühlen uns willkommen, wie so oft in diesem schönen Land.

 

„It’s yours!“

Wir schlendern zurück zur Straße über lang gezogenes, flaches Gelände. Steine und Sandbrocken liegen hier verstreut herum, manchmal etwas Müll oder verrostete Metallstücke. Ich bücke mich und hebe eine Scherbe auf, die für mein laienhaftes Auge wie die zerbrochene Scherbe eines Gefäßes aussieht. Neugierig frage ich Wasim, was er davon hält. Ja, sagt er, das könnte etwas Historisches sein. Hier läge noch allerhand herum. Ob ich es wohl mitnehmen dürfte? Frage ich etwas naiv, obwohl ich die Antwort bereits kenne.

„It’s yours!“ Sagt Wasim. Alles, was ich finde, könnte ich mitnehmen – ob anschließend jemand von der Flughafenkontrolle Anstoß an der Entwendung antiker, steinerner Zeitzeugen nehmen würde, kann er mir auch nicht beantworten. It’s yours, wenn du dich nicht erwischen lässt; „ich verpfeife dich nicht“, sagt sein Blick. Nach einer eingehender Begutachtung werfe ich das kostbare Stück in weitem Bogen wieder in den Sand. Hobby-Archäologin zu spielen, das ist mir das Risiko nicht wert; soll das gute Teil im Zweifelsfalle für weitere tausend Jahre in der Erde verrotten.

 

Kamel auf dem Teller

Und es war wieder so viel, dass wir die Hälfte davon haben zurück gehen lassen. Außer dem Kamelfleisch, denn das aßen wir sorgfältig auf. Kamel (genauer gesagt: ein zartes Kamelbaby) als Gericht ist etwas Besonderes; nicht jeden Tag wird diese lokale Köstlichkeit aufgetischt. Mir schmeckt das zarte Fleisch ausgezeichnet und die Tatsache, diese schönen Tiere noch kurze Zeit vorher draußen in „freier Wildbahn“ gestreichelt zu haben bereitet mir keinerlei Probleme. Erst geknufft, dann im Magen – so dreht sich das Rad des Lebens, Sterbens und gegessen Werdens immer weiter.

Nur um den übrig gebliebenen Reis tut es mir vom Herzen leid. Wie schade drum. Locker, frisch und aromatisch, köstlich und unaufdringlich gewürzt – es ist ein perfekt gekochter Reis. Der beste Reis, den ich je in meinem Leben gegessen habe. So viel weggeworfenes Essen, das Rad der universellen Vollständigkeit bekommt Risse.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

4 Kommentare

  1. Die Marketingstrategie mit den AfD-Socken ist ja der Hammer 😇! Wesentlich besser noch gefallen mir natürlich die Dromedare. Sehr putzig! Gegessen hätte ich sie allerdings nicht 😅. Den alten Bahnhof finde ich sehr beeindruckend! Sowas fehlt bei Amtrak noch in der Sammlung 😁.

    1. Na ja, wir wussten ja noch nicht beim Streicheln, was uns später auf dem Teller erwartet 🙂 Aber auch wenn ich es gewusst hätte, hätte ich sie trotzdem gegessen. Kamele sind dort Nutztiere, wie bei uns Kühe oder so…

  2. Danke Kasia für diesen faszinierenden Bericht und die wunderschönen Fotos. Dank Ihnen können wir auch einen schönen ersten Eindruck von diesem Teil der Welt gewinnen. Es ist bemerkenswert, dass sich die Dromedare so für die Passanten interessieren. Vielleicht, weil sie wissen, dass es hin und wieder etwas Leckeres zu holen gibt. Aber dann… hinterher auf dem Teller zu liegen, ist nur ein skurriler Gedanke. 🙂

    1. Ich sag ja, wenn die Dromedare wüssten, was ihnen blüht, dann wären sie sicher nicht ganz so zutraulich 😅 Aber so ist es eben mit der Nahrungspyramide, erst wird man geschmust, dann wird man gegessen 😉🐪

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.