Da wir am Vortag nur achthundertdreißig Meter vor dem Ziel umkehren und zurück zum Auto laufen, den Abend bei Wein und einem leckeren Abendessen ausklingen lassen, bleibt der Sonntag nur übrig, um uns das anzuschauen, weswegen wir eigentlich hier sind: das Rote Moor.
Rotes Moor
Bereits am frühen Vormittag ist der Parkplatz voll und Familien mit Hund und Kegel quälen sich den schmalen Holzsteg zwischen den Moorbirken entlang. Ein längerer Blick auf die Infotafeln im Infohäuschen macht uns klar, dass, obwohl der Rundweg ein schöner und die uns umgebende Natur durchaus interessant ist, wir das Hochmoor nicht wirklich werden erreichen können. Denn der Pfad, der uns über den langgezogenen Holzsteg führt, soll wohl nur so ein Gefühl vermitteln, als ob. Vermute ich jedenfalls, denn der Boden des Karpatenbirkenwaldes, durch den der Steg verläuft, ist fest.
Das Rote Moor ist nicht zu erreichen, der Rundweg durchquert den Karpatenwald, zum Naturschutzgebiet Rotes Moor gehörend. Der viel besungene Aussichtsturm zeigt dem Besucher nur den inzwischen zum Teil trocken gelegten Bereich. So viel Moorfläche wurde in der Vergangenheit trockengelegt, um später im großen Stil Torf abzubauen. Von rund vierzig Hektar Moorboden blieben nun gerade einmal fünf.
Seit 1979 ist das Gebiet Teil des UNESCO Biosphärenreservats Rhön, doch trotz des seitdem geltenden Schutzstatus ist es gar nicht so einfach, einmal verlorene Bereiche zu renaturieren. Die Bemühungen werden zusätzlich durch einen Jahrhundertsommer nach dem anderen torpediert, und durch Klimaveränderungen, die das Land klimatisch eher an heiße Mittelmeerzonen als an Zentraleuropa bringen. Das Hochmoor umfasst circa fünf Hektar, während die Schutzzone der Karpatenbirkenwälder, durch die wir gerade flanieren, ein Gebiet von über 59 Hektar belegt.
Die Sonne scheint heute hell vom Himmel und der Himmel strahlt blau, ein ungewöhnliches Wetter für Mitte November. Gerne hätte ich mir die Gegend in verwunschenem Nebel angesehen, doch es kommt nur selten so, wie man es gerne möchte. Meist habe ich das beste Wetter, wenn ich es gerade nicht gebrauchen kann. Im strahlenden Sonnenschein hat das Birkenwäldchen mit den silbrigen, schlanken Stämmen kaum etwas Verwunschenes an sich.
Nur die Spinnweben, die in der Sonne glänzen und sich im Wind bewegen. Sie lassen die Welt aussehen, als wäre sie komplett umwoben, ein seidiger Glanz zwischen den Zweigen der Bäume, zwischen den Bäumen, überall in der Luft. Zart bewegen sich die Fäden, während das Licht auf sie fällt. Die Sonne kriecht langsam über den Waldboden.
Schwarzes Moor
Gegen Nachmittag verabschiedet sich mein Stefan nach Hause. Währenddessen überlege ich, was man hier Spannendes in der Umgebung noch sehen bzw. erleben kann. Das Wetter ist fantastisch, ich bin in einer neuen Umgebung und mit viel Freizeit gesegnet und nach Hause kann ich noch immer. Also fahre ich los, in Richtung Südosten. Kurz geht mir der Besuch der Kirchenburg in Ostheim in der Rhön durch den Kopf, bis mich ein Schild umdrehen lässt. Das Schwarze Moor ist hier in der Nähe.
„In der Nähe“ bedeutet in diesem Fall eine Entfernung von etwa achtzehn Kilometern. Das Gold des Herbstes ergießt sich die Hänge hinunter und über die langgezogenen, sanften Hügel der Rhön. Goldenes Laub, goldene Blätter über meinem Kopf. Golden gesprenkeltes Gestrüpp auf noch immer grünen Wiesen. Dieses Grün so spät im Herbst ist für mein Auge etwas Ungewöhnliches; ich bin in der kalten Jahreszeit nichts als grau gewöhnt.
Sanft fährt der Wind durch goldene Birkenblätter, die Sonne blinzelt durch sie hindurch und kitzelt mein Gesicht. Der Herbst hat etwas so wunderschönes.
Der kleine Parkplatz Schwarzes Moor ist gestoppte voll. Langsam schieben sich die neu angekommene Fahrzeuge hintereinander her und aneinander vorbei, um doch noch irgendwo einen Stehplatz zu ergattern.
Das Schwarze Moor liegt auf der Langen Rhön nahe des Dreiländerdreiecks Thüringen, Bayern und Hessen. Es ist eines der größten Hochmoore und als solches über einen Holzbohlenpfad teilweise auch für Besucher begehbar.
Ich überquere die Schnellstraße und folge der Beschilderung, vorbei an einem interessant aussehendem, steinernen Tor, hinter dem eine schauerliche Geschichte steckt. So gehörte das eigentlich malerische Tor zum Reichsarbeitsdienstlager Hochrhön, einem Arbeitslager der Nazis, das zwischen 1934 und 1936 errichtet wurde. Hier wurden sowohl die eigenen Leute als auch Kriegsgefangene „beschäftigt“. Das Lager war, wie man sich in diesem Zusammenhang denken kann, nicht nur ein reines Arbeitslager, sondern diente auch der Vermittlung der Ideologien. So wurde statt von „Arbeitern“ von „Arbeitssoldaten“ gesprochen.
Um 1945 wurde das „Dr. Helmuth Lager“ aufgelöst und bis auf die Fundamente abgetragen, wie mich die Infotafel informiert. Ein ähnliches Schicksal ereilte ebenfalls weitere Arbeitslager der Nazis, die oft im Eiltempo abgebaut wurden, in dem hektischen Versuch, Spuren zu verwischen. Auch von diesem hier vor mir ist nur noch das Tor übrig geblieben, an dem gerade eine junge Mutter fröhliche Schnappschüsse ihrer Sprösslinge macht, ohne die Infotafel auch nur eines Blickes zu würdigen.
Der Rundweg
Über einen Bohlensteg werden Besucher auf einem rund zwei Kilometer langen Rundweg durch das Schwarze Moor geleitet. Zahlreiche Schautafeln erläutern dem Neugierigen Einzelheiten zu den gerade begangenen Biotopen. Wie zuvor, so leiten mich auch hier die Wege zunächst durch birkenbewachsene Wälder, vorbei an dichten Büschen blutrot leuchtender Vogelbeeren. Doch nach und nach verändert sich die Pflanzenwelt um mich herum, die Birken werden weniger, der Boden stattdessen immer nasser. Links von mir leuchtet im Moor kräftig blau ein Wasserauge.
Im Rahmen des Naturschutzes versucht man, ein weiteres Abfließen und Austrocknen des Moores zu verhindert, indem an strategisch wichtigen Stellen hölzerne Stauanlagen platziert werden. Langsam soll das Moor neu bewässert und so wieder renaturiert werden; stellenweise soll es schon gelungen sein, ein Neuwachstum des Moorbodens anzuregen.
Schließlich, nach einem anregenden Spaziergang über den schmalen Steg, an einigen anderen Besuchern vorbei, finde ich mich mitten im Hochmoor wieder. Einzelne, verknotete Bäume ragen aus dem nassen, mit Pflanzenteppichen bewachsenen Boden. Eindrucksvoll erklärt ein Info-Kissen (hattet ihr sowas schon?), wie sich auf der Wasseroberfläche Gräser und andere Nass liebende Pflanzen zu dichten Teppichen verweben, die den Eindruck eines festen Bodens vermitteln. Doch verlässt man den ausgewiesenen Weg und begibt sich unvorsichtiger Weise auf einen solchen, so gibt der „feste“ Boden nach und der unglücksselige Wanderer findet sich zwischen den verschlungenen Wurzeln der Pflanzen und Gräser wieder. Der Boden ist zum Schwimmen zu dicht, doch auch zu nachgiebig, um wieder hinaus zu gelangen. Ob so die eine oder andere gut erhaltene Moorleiche zustande kam?
Wie zur Bestätigung leuchten tiefschwarze Wasseraugen zwischen den wuchernden, runden Grasflecken. Wie wäre es wohl, eine solche Umgebung bei Nebel und Tristesse zu besuchen? Doch heute strahlt der Himmel und eine gruselige Stimmung will sich irgendwie nicht einstellen. Vielleicht komme ich in Dezember wieder.
Der Rückweg nach Mannheim führt mich der Sonne entgegen. Grell bricht sich ihr roter Schein an der Frontscheibe, so dass ich stellenweise kaum etwas sehen kann. Obwohl routiniert, sind diese Momente, in denen plötzlich alles verschwindet und ich nur noch Helligkeit erkennen kann, etwas beängstigend. Dafür werde ich mit einem orangen-goldenen Himmel belohnt, als ich mich meinem Ziel nähere. Ein letztes Mal leuchtet die Sonnenkugel blutrot auf, färbt Felder und Häuser kräftig Pink, ehe sie verschwindet. Als ich von der A67 in Richtung Neckarau abbiege, strahlt das Kohlekraftwerk am rosaroten Hintergrund. Unermüdlich pusten seine Türme graue Qualmwolken in die Luft, tausend kleine Lichtlein blinken auf und ab. Das Kraftwerk hat sich in die Landschaft gefügt, und taucht es vor mir auf, auf einem langen Rückweg von einer langen Reise, so weiß ich, dass ich bald wieder zu Hause bin.
Diese Moorlandschaft ist toll! Und bei diesem sonnigen Wetterchen hat die Szenerie doch auch was, auch wenn das Mystische dann auf der Strecke bleibt.
Irgendwann erwische ich das Moor im Nebel, das habe ich mir fest vorgenommen 😉
Hallo Kasia,
Moore haben etwas besonderes an sich. Leider ist es oft so, dass Besucher in Massen ankommen und sich auf den schmalen Holzbohlenwegen gegenseitig behindern. Wir haben die Möglichkeit auch unter der Woche solche Besuche zu machen und die nutzen wir auch. Schöne Bilder hast du mitgebracht. Besonders die Herbstbilder mit den bunten Farben gefallen mir.
Liebe Grüße
Harald
Es muss toll sein, in der Nähe von einem Moor zu wohnen. Von mir aus gesehen ist es ein weiter Weg, trotzdem lohnt es sich. Eine schöne Gegend.
Wirklich schöne Herbstimpressionen und was für warme Farben. Wir können es jetzt in diesen kalten grauen Tagen verwenden.
Frohe Feiertage Kasia.
Diese farbenfrohe Jahreszeit ist für mich die schönste. Danach sieht alles sehr grau aus😉