Asien, Türkei

Vor Erdogans Haus

Wir schreiben den 22 November des Jahres 2021, als meine Freundin Fee mich überrascht. Sie bringt mich mit dem Taxi auf dem Camlica Viewpoint, einen der vielen Hügel, die die Stadt Istanbul umgeben. Von hier aus genießen wir einen sonnigen Panoramablick an diesem wunderschönen, so gar nicht zum Monat November passenden Tag. Wir lachen, als eine Katze versucht, uns das Frühstück zu stehlen und wir halten den Atem an, als es Zeit ist fürs Gebet und sich der Ruf des Muezzin über die ganze Stadt ergießt wie eine Welle, welche sich auf dem Meer ausbreitet. Weitere Rufe stimmen mit ein bis hin zu einer vollkommenen Symphonie.

Dann ist es an der Zeit, sich wieder hinunter und in die Stadt zu begeben. Mit meiner Maps-me App rechne ich aus, dass es etwa sieben Kilometer bis zum Bootsanleger sind. Nachdem wir eine Zeit lang mehr oder weniger erfolglos versucht hatten, uns am öffentlichen Verkehr zu beteiligen (zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Istanbul Card noch nicht), laufen wir zu Fuß los.

Auf dem Hinweg, als wir noch im Taxi saßen und dabei waren, unseren Aussichtspunkt anzusteuern, machte uns der Taxifahrer auf eine Besonderheit aufmerksam. Wir überquerten gerade jenes Viertel, in dem der Präsident mitsamt seiner Familie residierte. „Er wohnt hier wie ein normaler Mensch neben seinen Nachbarn.“ Erklärte Fee. „Wie ein ganz normaler Mensch.“ Skeptisch blickte ich auf die vielen Sicherheitskräfte, von denen die Straßenzüge nur so wimmeln, und die recht nervös auf mich wirkten. Oder bilde ich mir das rückwirkend nur ein? So „normal“ scheint das alles jedenfalls nicht zu sein. Nach dem Putschversuch 2017 sind die Sicherheitsmaßnahmen messerscharf. Davon sollen wir uns noch überzeugen.

Nun sind wir auf dem Rückweg und nähern uns fußläufig dem besagten, fraglichen Viertel. Meine Maps-me App ist der Meinung, dass es richtig ist, geradeaus weiter und quer durch das Viertel zu gehen. So kämen wir auf direktem Wege zur Promenade. Hm, vielleicht hätte mir da schon dämmern sollen, dass das keine glanzvolle Idee ist, doch mit dem deutschen Selbstverständnis gehe ich davon aus, dass da, wo eine (öffentliche und nicht gesperrte) Straße entlang führt, ich diese auch gehen kann. Wo ein Weg ist, ist ein Weg oder so ähnlich.

Jedenfalls marschieren wir durch das Viertel und munter an den Wachposten vorbei. Ich gebe mir tunlichst Mühe, keinen der schwerbewaffneten und mit Funk ausgestatteten Männlein anzusehen, ja, ich tue gar so, als seien sie nicht da. Und vielleicht hätten sie uns weiter laufen lassen, denn zu diesem Zeitpunkt hält uns noch keiner auf. Doch dann verliert meine App die Richtung und wir kehren um und sind gerade im Begriff, in eine Seitengasse („Das muss der richtige Weg sein!“) einzubiegen. Nebenbei bleiben wir noch ein ums andere Mal stehen, damit ich meine App konsultieren kann. Jetzt sind die Sicherheitskräfte endgültig nervös. Und wie wir da so stehen und auf mein Handy starren, dabei ein wenig diskutieren, da hören wir hinter uns eine befehlsgewohnte Stimme laut rufen: „Hey!“

Ein Securitymann, der auf seinem gepanzerten Fahrzeug sitzt, ruft uns etwas zu. Er scheint verärgert zu sein. Wir legen die Ohren an und wackeln gehorsam zu dem Wachposten. Nach einem scharfen Wortwechsel (der Uniformierte…) und Erklärungsversuchen unsererseits (meine Freundin…) entspannt sich der Mann ein wenig. Er zeigt auf die Richtung, aus der wir soeben gekommen sind. Fee nimmt mich an der Hand und wir sehen zu, dass wir Land gewinnen.

Erst als wir uns wieder an der Hauptverkehrsstraße befinden, teilt mir meine Freundin mit, dass wir uns ein Taxi nehmen müssen. „Er hat gefragt, was wir hier machen. Wir dürfen nicht hier sein.“ Was wollt ihr hier, ihr habt hier nicht rumzustehen, das war der genaue Wortlaut des Wachpostens. Es ist müßig (und unklug), an dieser Stelle über die Zugangsberechtigung von öffentlichen Straßen zu diskutieren. Wie sich später herausstellt, standen wir unwissentlich genau vor Erdogans Privathaus. Wir bekamen die „wohlgemeinte Empfehlung“, uns zu empfehlen und uns am besten mit einem Taxi runter zur Hafenpromenade befördern zu lassen.

Tatsächlich hält auch bald eines an, welches wir sofort besteigen. Sogar der Preis ist nicht so teuer wie gedacht, doch das ist mir in dem Moment so egal; ich hätte mich auch mit einem Hubschrauber und tausend Euro Beförderungskosten von dort evakuieren lassen.

Und so, liebe Kinderlein, lernen wir, dass nicht immer da, wo eure schlaue App einen Weg vermutet, tatsächlich ein Weg entlang führt…

Fee erzählt dem Taxifahrer von unserem Erlebnis. Der Mann erweist sich als glühender Anhänger seines Präsidenten und ergeht sich in leidenschaftlichen Tiraden über die westlichen Medien. „Die sagen, wir seien arm.“ Wütet er. „Habt ihr hier Armut gesehen?“ Er wartet keine Antwort ab und poltert weiter. „Wir hätten hier eine Diktatur. Pah! Eine Diktatur. Was ist denn für dich eine Diktatur?“

So plötzlich aus meiner bequemen Randabseitsposition herausgerissen benenne ich das erste, was mir einfällt (bitte beliebig nach Gusto einfügen). Der Mann scheint zufrieden mit der Antwort zu sein, denn er kommt nicht mehr auf mich zurück. Bequeme Randabseitsposition, da bist du ja wieder.

Am Hafen angekommen lassen wir uns Zeit, um zu schlendern und uns zu entspannen. Mir sitzt Erdogans Haus noch immer im Magen. Da habe ich mir fest vorgenommen, mich in diesem Land von allem Ärger fernzuhalten, und dann gehe ich ausgerechnet dem Präsidenten eine Aufwartung machen. Ja, ich habe mich schon mit halben Bein in der Zelle gesehen. Entsprechend schwer ist noch der Stein, der mir im Magen liegt.

Fee findet die Promenade ganz toll. Für mich sieht sie aus wie tausend andere Promenaden der Welt. Duzende Menschen fischen hier in der milden Abendsonne, an eine Mauer gelehnt. Ein Fischer zeigt jemandem seinen Fang. Der Fisch fällt hinunter, Fee kreischt und springt weg, ich hebe das zuckende Tier auf und gebe es dem Mann zurück. Ich habe heute dem sprichwörtlichen Tod ins Auge gesehen. Da kann mich kaum ein kleiner Fisch ängstigen…

 

Nachtrag Wetter

Wir haben großes Glück. Am Tag unserer Rückkehr nach Deutschland braut sich über dem türkischen Himmel was zusammen. Am Sonntag Vormittag kommen wir zu Hause an. Am Abend schickt mir Fee eine weitergeleitete Whats App Nachricht, einen Bericht der türkischen Medien. Ein orkanartiges Unwetter lässt in Istanbul Dächer auf die Straßen stürzen und alles, was es greifen kann, durch die Gegend wirbeln. Der Flughafen ist zeitweise lahmgelegt, die Flüge verschoben. Ein Teil des Flughafendaches abgerissen.

Man, was hatten wir Glück.

Überhaupt war Istanbul für uns sozusagen eine „Beinahe“-Stadt. Beinahe in die Pfütze getreten. Beinahe den Bus verpasst. Beinahe kein Taxi bekommen. Beinahe in Probleme geraten. Beinahe den Flug nicht gekriegt. Doch Istanbul meinte es gut mit uns und am Ende des Tages fügte sich alles wieder zum Guten. So sollten Geschichten immer enden.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Die Berichte über eure Istanbulreise haben mir sehr gefallen. Die Beinhesituationen waren doch gar nicht so schlimm. Es hat doch immer alles geklappt. Der türkische Präsident ist wohl nicht so volksnah wie er sich nach außen hin gibt. Zum Glück ist euer kleiner Ausflug ohne Probleme geblieben. Obwohl, so wie ich dich kenne hättest du sicher einen Beitrag „Kasia im Türkenknast“ geschrieben. Das was dann gefährlich war, hättest du ja dann schwärzen können. Dann wäre aber wohl nicht mehr viel übriggeblieben.

    Es freut mich, dass ihr gesund und munter wieder in Deutschland gelandet seid.

    Liebe Grüße
    Harald

    Wie ich sehe ist der nächste Beitrag schon im Anmarsch. Ich bin gespannt.

    1. Vielen Dank! Ich freue mich, dass dir meine Beiträge gefallen 😉 Nun, ich habe vorsichtshalber abgewartet und die Episode für den Schluss aufgehoben. Und ja, auch einen Beitrag wie du ihn suggerierst hätte ich glatt geschrieben. Bin aber froh, dass ich das nun nicht muss 😉

      Sei gespannt auf Saudi Arabien 😉

      Lg Kasia

  2. Ui, da habt ihr euch ja wahrlich ins Auge des Hurrikans gewagt, wenn auch unwissentlich. War das die Stelle, vor der du mich schon gewarnt hattest, ohne genau ins Detail zu gehen? Na jedenfalls ist am Ende ja alles gut gegangen. Ihr hattet eine schöne und sicher auch etwas anstrengende (Schlafdefizit 😁) Zeit in Istanbul. Mit deinen Berichten hast du meine Vorfreude noch weiter gesteigert. Tausend Dank dafür! Und nun warte ich auf deine nächsten Abenteuer, die du hoffentlich hier mit uns teilen wirst.

    1. Liebe Elke, ja, genau das ist die Stelle, vor der ich gewarnt habe… Notiz an alle, die nach uns kommen: man sollte am des Präsidentenhaus nicht einfach vorbei spazieren, egal wie unschuldig die Beweggründe dafür sein mögen 😉
      Als nächstes bekommst du hier auf dem Blog „Kasia‘ und Stefans Geschichten aus 1001 Nacht“ – es geht nach Saudi Arabien!

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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