Marmaris, Mai 2014
An einem der Boote sitzt ein braungebrannter Mann. Er spricht mich an. Er will nichts verkaufen. Wir unterhalten uns. Ob er mich auf einen Tee einladen dürfte?
Vor mir – das Rauschen des Meeres und die Schreie der Möwen. Betriebsamkeit auf den vielen Booten, die, mal größer, mal kleiner, hin und her schaukelnd auf dem Wasser vor Anker liegen. Vor ihnen sitzen sie; die Betreiber, die Planer, die Guides. Wenn du es denn willst. Trinken Tee. Rauchen Pfeife. Oder ihre Zigarette. Und warten, scheinbar entspannt, doch lauernd, auf den nächsten Besucher, den sie ansprechen können.
Hinter mir zieht sich die lebhafte Promenade mehrere Kilometer die Küste entlang. Fliegende Händler, Vertreiber von Tagesausflügen und Wellness-Angeboten… und ganz viele Urlauber. Was denkt ihr denn, wie voll hier die Stadt ist, wenn die Hauptsaison beginnt? – hatte einmal ein Lokalbesitzer zu uns gesagt.
Doch ich sitze hier auf einer kleinen Bank im Schatten, genau zwischen dem Hafen und der Promenade, auf einem Stück begrünter, parkähnlicher Fläche, die beides voneinander teilt. Kein einziges Mal bin ich bislang angesprochen worden. Von keinem Verkäufer, von keinem Vertreiber. Und das, obwohl ich alleine hier bin.
Als ich heute morgen im Zimmer sitze und auf mein Handy starre, völlig eingenommen von dem, was ich da lese, da erscheint Ninas Kopf im Türrahmen. „Kommst du mit in die Stadt?“
„Das geht jetzt nicht.“ Antworte ich zerstreut. „Ich komme nach…“ Der Kopf verschwindet und ich wende mich wieder dem Smartphone zu, dessen Bildschirm schon längst den flackernden Bildschirmschoner anzeigt, doch der mir eben noch eine Textnachricht von Stefan präsentierte. „Ich will dich sehen.“ Stand da bis eben drauf. „Ich nehme den nächsten Flug nach Marmaris. Ich komme zu dir.“ Ich fühle tausend Stromschläge, fühle, wie mir heiß und kalt wird. Stefan – hier?
Als ich irgendwann das Hotel verlasse, ist Nina längst im Gewühl der Promenadenstadt verschwunden. Ich denke an die Erfahrungen, die wir in den ersten Tagen in Marmaris gemacht hatten und befürchte nun, die Händler würden mich auffressen, wenn ich mich alleine auf die Straße traue.
Doch es geschieht nichts dergleichen. Im Gegenteil; es scheint sogar daran zu liegen, dass ich alleine unterwegs bin – wie dem auch sei, man hält gebührenden Abstand. Ich beobachte von meiner schattigen Position aus, dass vor allem Pärchen und Grüppchen angesprochen werden. Dass ich kein Freiwild zu sein scheine, beruhigt mich.
So schlendere ich, nun entspannter, durch die Stadt. Marmaris hat einen großen, überdachten Bazar, auf dem man alles mögliche kaufen kann – von Brot über Fleisch bis hin zu Obst, Gemüse, Kosmetik, Schmuck und schönen Kleidern. Und natürlich viele Souvenirs. Ich kaufe hier und da ein bisschen Schmuck ein, hier und da handele ich etwas. Doch mich interessiert noch etwas anderes, etwas, das ich aus Marokko schon kenne: Pulver für die Augen.
Und tatsächlich werde ich in einem großen, hellen Kosmetikladen fündig, der irgendwie mehr nach Apotheke aussieht. Die Verkäuferin öffnet eine Schublade; das Pulver gibt es hier in allen möglichen Farben. Ich kaufe zwei Fläschen. Und hier stelle ich zum ersten Mal fest: Handeln is nicht. Die Dame bedauert, doch sie hat fest vorgegebene Preise. Diskret legt sie mir ein Pröbchen mit in die Tüte.
Nach dem Gewirr und Gewusel des Bazars will ich wieder einen freien Kopf kriegen, laufe zurück zur Promenade. An einem der Boote sitzt ein braungebrannter Mann.
Er spricht mich an. Er will nichts verkaufen. Wir unterhalten uns. Ob er mich auf einen Tee einladen dürfte? Einen Moment später kommt er mit einem Tablett in der Hand wieder raus; ein Kännchen und zwei Gläser, die auf dem Tisch abgestellt werden.
Wir trinken. Wir reden. Er ist älter und in sein schwarzes Haar mischt sich bereits viel Grau. Keine Verkaufs- und keine Annäherungsversuche. Mein Fluchtreflex verschwindet wieder; es fühlt sich ungezwungen an. Der Tee wird lauwarm und das Boot schaukelt und quitscht leise im Wind. Er erzählt mir von seiner Jugend. Er ist über fünfzig, doch seine Arbeit hält ihn jung. Einen tollen Job habe er hier. Jeden Tag in der Sonne, auf dem Meer…. Das würde ihm reichen, was will man mehr. Früher, vor Jahren noch, da ist er gerne geschwommen. Jeden Tag im Wasser. Das war toll, ein tolles Leben. Wer ich bin, was ich hier mache? Deutschland? Der übliche Small Talk.
Der Tee ist ausgetrunken. Möchtest du es dir ansehen? Das Boot? Ich folge ihm ins Innere, bereit, über die Reling ins Wasser zu springen, falls irgend etwas nicht so laufen sollte. Doch er verschwindet irgendwo oben und lässt mich alleine durch die Räume streifen. Interessiert betrete ich das Ruderhaus, streife mit der Hand über das glatte, glänzend dunkle Holz.
Wir fahren morgen wieder raus, sagt er. Eine Küstenfahrt, wie ich sie von der King Cezar kenne. „Kommst du?“ Fragt er. Ich weiß nicht, sage ich, ich will schauen, was meine Freundin so vorhat.
Zwei Urlauber betreten das Boot; es ist ein deutsches Ehepaar, sie interessieren sich für die Fahrt morgen. Ob ich gehen soll, frage ich. „Nein, bleib hier.“ Sie reden über den Ablauf, die Route, den Preis. Zwanzig Euro würde der Spaß für jeden kosten; das Paar ist begeistert. Im Hotel hätte man ihnen die gleiche Tour für mehr Geld angeboten, sagt der Mann. Ich muss innerlich schmunzelt; noch vor zwei Minuten würde mich dieselbe Tour zehn Euro gekostet haben – falls ich zusage. „Kommst du?“ Fragt er mich, als die beiden wieder verschwunden waren. Ich sage ja, doch ich weiß es nicht. Ich treffe Nina ein Stück weiter bei den Booten; sie steht da und schaut aufs Wasser. „Will Stefan wirklich nach Marmaris kommen?“ „Ich weiß nicht; er hat das gesagt.“ Wir finden die Vorstellung amüsant, ihn an der Promenade plötzlich entgegen kommen zu sehen.
Am Abend spazieren wir abermals die lebhafte Promenade entlang. Trotz der späten Stunde ist immer noch viel los; ziellos schlendern wir umher. Wir passieren die Boote, die angebunden im Wasser schaukeln, kommen an der King Cezar vorbei. Sie liegt im Dunkeln, doch sie ist nicht verlassen wie es zunächst scheint; es ist noch jemand da, der Kapitän. Er erkennt uns und winkt uns herein. Ob wir Lust auf einen Tee hätten, einfach so. Wir folgen seiner Einladung und einen Moment später sitzen wir im Halbdunkel auf dem schaukelnden Boot, halten dampfende Teegläser in der Hand und schauen hinaus auf die Lichter der Stadt. Ein kühler Wind streicht vorbei und die Stimmen der Menschen sind hier nicht mehr als ein fernes Rauschen.
Ein Bootsjunge bekommt einen Geldschein in die Hand gedrückt und verschwindet flink im Gewusel der Stadt; mit Trauben und Melonenstückchen kehrt er nach einer Weile wieder zurück. Nina und ich lächeln uns an – der Abend ist perfekt. Smal talk, zwischendurch von einer wunderbaren Ruhe unterbrochen. Ich überlasse es größtenteils Nina, sich zu unterhalten; schaue hinaus aufs Wasser, denke an Stefan. Er wollte echt den nächsten Flieger besteigen? Im Ernst jetzt?
Irgendwann verabschieden wir uns, nicht ohne Danke zu sagen, und laufen weiter bis hin zu den Shisha Bars. Eine gemeinsam gerauchte Shisha krönt den Abend und bildet einen weiteren, schönen Abschluss.
Und – wen wundert es – wir entscheiden uns am nächsten Tag für eine weitere Fahrt mit der King Cezar.