Tags darauf beschließe ich, auszuschlafen. Überhaupt wird der Schlaf inzwischen zu einem raren Gut, wie immer, wenn ich auf Reisen bin. Urlaub und ausruhen? Vergiss es. Ausruhen kann ich, wenn ich alt und grau bin. Und auch in dieser Hinsicht habe ich meine Zweifel…
Oh du Schöne…
Meine Freundin ist schon aufgestanden und wie jeden Morgen, runter zum Friseur um die Ecke. Die körpernahen Dienstleistungen sind hier so spottbillig, dass Haare glätten mindestens einmal am Tag drin sein muss.
Was meine Freundin dann aber für mich tut; sie lässt mir eine Tasse starken, türkischen Kaffee aufs Zimmer bringen, ehe sie geht. Ich bin so dankbar. Kaffee da, Fee weg – das ist genau das, was ich um diese Uhrzeit brauche.
Doch da, Fee hat Wifi. „Komm rüber.“ Schreibt sie. „Sie machen das mit Henna.“ Schon seit einiger Zeit habe ich den chemischen Färbemitteln abgeschworen. Nachdem mein langes, blondes Haar trocken und brüchig wurde und trotz der vielen Werbeversprechen nichts, aber auch gar nichts es geschafft hatte, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, habe ich all die Blondierung in die Ecke gepfeffert, das Haar ganz kurz geschnitten und verwende seitdem nur noch pflanzliche Farben. Meine Haare sind gesund und glänzen wie nie, und inzwischen haben sie wieder eine annehmbare Länge erreicht.
Doch entgegen meiner klischeehaften Annahmen fanden wir bisher keinen Friseur in Istanbul, der sich bereit erklärt hätte, diese matschige und überaus schmutzige Angelegenheit auf sich zu nehmen. Die Chemie hat auch hier Einzug erhalten.
Fünf Minuten später stehe ich nebst Fee im Friseursalon (ich verschweige tunlichst, dass ich ohne die gluckenhafte Fürsorge meiner Freundin drei Anläufe gebraucht habe, um von den vielen Eingängen den richtigen zu finden…). Weitere zehn Minuten später sitze ich vor dem großen Spiegel, mit kalter, brauner, nach Heu riechender Pampe auf meinem Kopf. „Unglaublich.“ Sagt die Friseurin, die mich betreut. „Da kann ich den Geruch von Henna nicht ausstehen, und nun sitze ich hier und mache… Henna.“
Sie führen den Laden zu zweit, die junge Frau, die mehr wie ein Mädchen wirkt, und der bärtige Mann. Sie hat im ersten Stock ihren Waxing Salon, während er sich unten dem Haareschneiden widmet und wahlweise Schere, Lockenstab oder Glätteisen schwingt. Die Trennung in Frauen- und Männerbereiche ist perfekt, so kann sich jede Kundin im oberen Stockwerk entspannt ihrer Körperpflege widmen. Und wie es aussieht, hat der bärtige Friseur einen rauen Humor, denn als er mir Kaffee serviert, sollte ich es besser nicht wagen, das beigelegte Stückchen Schokolade zu verschmähen. „Dann gibt’s Dresche.“ Oha.
Eminönü
Schick und gestylt verlassen wir das Studio. Schön fühlen wir beide uns, und das ist gut so, denn am heutigen Tag ist ein krönender Abschluss unserer Zeit in Istanbul vorgesehen. Ein Tag ganz für uns Mädchen. Wir packen ein paar Habseligkeiten zusammen und machen uns auf, Karaköy, den schönsten Streifen Istanbuls, zu erkunden.
Das Wetter verwöhnt uns heute nicht, anscheinend haben wir unseren Dispo an Sonnenstunden bereits aufgebraucht. Der obligatorische Bus bringt uns zum Busbahnhof in Eminönü, wo es just ein paar Trippelschritte über die Brücke bis nach Karaköy geht, vorbei an fischenden Männern, die ihren mittelprächtigen Fang in mittelprächtigen Wassereimern verstauen. Unzählige Angelruten hängen im Wasser und an der befahrenen Galata Brücke, inmitten vom Verkehrschaos, steht ein Mann mit einem Tablet auf dem Kopf und verkauft Simit, die Sesamkringel. Am Eminönü Platz tummeln sich die Menschen und wir nutzen die Gelegenheit, uns das Treiben in Ruhe anzusehen.
Hier am Eminönü Platz, inmitten der vielen Stände mit frisch gebratenem Fisch und Fressalien, bei dem dichtem Gedränge, werden besonders viele Taschendiebstähle verzeichnet. Man müsse sehr auf seine Sachen achten, hatten uns Polizisten erzählt. Das gleiche sagte uns auch eine ältere Frau auf der Busfahrt hierher, der sofort auffiel, dass mein Smartphone ein Stück aus der Tasche ragte. Im nachfolgenden Gespräch erzählte sie uns von ihrer Tochter und zeigte uns ganz stolz Bilder der Familie. In mir festigt sich der Eindruck, dass wir bislang eher auf freundliche Menschen treffen, die uns vor Dieben warnen, denn auf Diebe. Auch Stunden später, als meine Freundin und ich durch die Straßen von Karaköy steifen, machen mich mehrere Passanten darauf aufmerksam, dass ich vergessen hatte, mein Rucksack zu schließen.
Wir überqueren die Galata Brücke und tauchen auf der anderen Seite in das Gewusel von Karaköy ein.
Boote schaukeln auf dem Wasser, Möwen kreisen über allem und hoffen, etwas vom Tagesfang abzubekommen. Und über allem thront erhaben die Hagia Sophia. Ach verzeih, mein irritierter, Leser, denn meine Augen haben sich wieder einmal auf den übrig gebliebenen Bildern von Eminönü und in der Vergangenheit verirrt. Zurück, zurück und wieder auf die Brücke.
Besser gesagt, unter die Brücke, denn Fee und ich nehmen uns nun für alles ausgiebig Zeit. Zu viele Urlaubsbilder, meint ihr? Ach, ich hätte ohne den Fotobeweis so vieles, so viele schöne Momente übersprungen. Und manchmal stelle ich fest, dass das Gedächtnis trügerisch sein kann. So weiß ich heute nicht mehr, ob der Mann auf der Brücke wirklich Simit oder ein anderes Gebäck verkauft hat. Doch ist das wichtig? Nun stehen wir unter der Brücke und schauen den Männern oben beim Fischen zu. Ein ganzer, fadenscheiniger Vorgang aus Angelruten hängt im Wasser. Hin und wieder wird eine Rute nach oben gezogen; daran hängt frischer, zappelnder Fisch. Oder es wird eine abgesengt, bestückt mit einem bunten Köder. Manchmal senkt sich ein Eimer in die Fluten; für frischen Fang braucht man frisches Wasser. Er soll ja noch zappeln, wenn ihn der stolze Hobbyfischer von der Meeresenge wieder nach Hause bringt.
Da, ein Pelikan hat dem Fischer seinen Fang abspenstig gemacht. Da lässt sich nichts machen; die Angelrute pendelt wieder leer nach oben, um sich mit neuem Köder abermals in den Bosporus zu senken. Tröpfchen von Meerwasser benetzen unser Gesicht, während die Angelruten mit ihrem Inhalt so nah an uns vorbei schweben, dass einmal die Hand auszustrecken gereicht hätte, um sie zu berühren. Wir sind heute in aufgekratzter Stimmung und kichern vor uns hin. Nonchalant winken wir auf türkisch die Restaurant-Anwerber ab, die uns am liebsten in einen ihrer Lokale sitzen sehen würden. Hayır für „nein“ und Hayır teşekkürler für „nein, danke“, so viel habe ich inzwischen gelernt. Und hat es eventuell einer noch immer nicht verstanden, dann hilft auch ein saloppes yok.
Ein Ausflugsboot nähert sich der Brücke. Schwere, rußschwarze Rauchschwaden ziehen sich aus seinem Schornstein gen Himmel und mein kleines Herzlein schmerzt ein wenig ob der Umweltverschmutzung. Egal, ich weiß inzwischen, dass man diesbezüglich auf Reisen härter im Nehmen sein sollte. Weil man Dinge zu sehen bekommen wird, die einem die Old Good Germany mit all ihren Standards gewöhnte Seele schnell in tausend Stücke zerbrechen lassen.
Doch die spannende Frage ist die: wie schafft es das Boot unter der Brücke hindurch, ohne sich in den vielen Angelruten zu verheddern und sie mitzureißen? Wir harren gespannt der Dinge, die da kommen mögen. Doch unsere Sorge ist unberechtigt, denn die Fischer dösen nicht etwa beim Angeln vor sich hin. Die feinen Fäden gleiten rechtzeitig aus dem Wasser und schweben nach oben. Gerade soweit natürlich, dass das Schiff problemlos passieren kann. Und kaum zwei Sekunden später senken sie sich wieder ins Meer.
Wir bleiben noch ein wenig an der Brücke, um uns den auf der Gitarre klimpernden und traurig singenden Musiker anzuhören. Mal ehrlich, sagt Fee; so gut ist er nicht, doch ich hab Laune und will davon nichts hören. Und dann, ja – dann endlich tauchen wir in das stylische Karaköy ein.
Wie gut, dass sich deine Freundin so fürsorglich deiner angenommenen hat. Abwesenheit und starken Kaffee am frühen Morgen, und dann auch noch das ersehnte Henna auf dem Kopf! Das ist mal eine wahre Freundschaft 👍. Die Szene mit den Anglern oben auf der Brücke finde ich total schön. Da werde ich mich demnächst wohl auch einmal hinstellen und zuschauen, ob alle Fäden rechtzeitig nach oben gleiten, wenn das nächste Schiff kommt.
Die gleiten rechtzeitig nach oben, außer wenn da wirklich jemand am Fischeimer pennt… 😉 ja, meine Freundin ist die beste. Besonders am Morgen, wenn sie mir in Gestalt einer dampfenden Tasse Kaffee erscheint 😉
Wieviel habt ihr bei eurer Reise zugenommen? Ihr seid ja nur am Essen (und einkaufen).
Nicht nur. Wir gehen auch täglich bis zu 10-15 km zu Fuß durch die Stadt 😉