Asien, Türkei

Die Menschen von Istanbul

November 2021

Der neue Tag erwacht…

Oder: er würde erwachen, wenn meine Freundin nicht noch schlafen würde. Ich schaue mir die gestrigen Bilder durch. Während es von mir nur wenige Aufnahmen gibt, hat Fee, die Selfie-Queen, uns bereits unzählige Male verewigt. Die Mädels bei der Einreise, die Mädels im Flieger, die Mädels im Hotel. Dafür habe ich – den Obstteller verewigt. Und warum auch nicht. Es war ein leckerer Obstteller.

Gestern im Hotel wartet ein romantisches Pärchenzimmer auf uns. Zu einem Herz gezwirbelte Handtücher und Potpourri schmücken das Bett, auf roten Herzchen stehen Sprüche für Liebende. Nicht dass wir ein Paar wären. Aber nett, dass man sich so viel Mühe macht. Doch eigentlich hatte Fee eine Wohnung mit zwei Zimmern bestellt. Die lange Message einer enttäuschten Kundin verlässt gestern ihr Handy.

Die Sonne strahlt aus aller Kraft, als hätte sie was nachzuholen. Der Sonntagsverkehr unten am Fenster rollt ganz langsam an, doch trotz der späten Stunde (13 Uhr Ortszeit) hat es niemand eilig; schließlich ist Sonntag. Denn anders als in anderen islamischen Ländern ist Sonntag in der Türkei der Ruhetag. Die Frau drüben am Fenster raucht wieder ihre Zigarette, und Wäsche flattert vor der Fensterbank. Die Sonne scheint vorwurfsvoll in unser Wohnzimmer, so als hätte sie sich gefragt, was ich denn noch im Bett mache. Und ich? Oh man. Ich bin so übernächtigt.

Um acht Uhr Ortszeit habe ich heute morgen die Augen zugemacht und nun fühle ich mich wie ausgewrungen. Der restliche Morgen und die dazugehörende Nacht waren dem Nachtleben von Istanbul gewidmet. Das Übernächtigte scheint sich zu manifestieren und so langsam zum festen Bestandteil dieses Urlaubs zu werden. Vermutlich werden wir die City nur noch in den Lichtern der Nacht erleben.

Es ist so vieles passiert an diesem langen, ersten Tag, dass ich nicht mal weiß, wo und an welcher Stelle ich beginnen soll. Am besten also chronologisch.

Die Bemühungen und geschickte Verhandlungstaktik meiner Freundin haben zufolge, dass uns die Hotelleitung nicht nur nicht rauswirft, wie es mir mein panisches Hirn weiß zu machen versucht, sondern wir bekommen ein neues, wesentlich größeres Zimmer zu unserer Verfügung. Mit einem großen Wohnbereich, zwei ausklappbaren Couchen, einem Schlafzimmer und einer Küchenzeile. Die verglaste Front ermöglicht einen Blick auf die Stadt. Der Besitzer entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten und trägt unsere Sachen höchstpersönlich in das neue Zimmer. Fee lässt uns gleich mal einen neuen Obstteller, türkischen Kaffee und ein leckeres Frühstück kommen. Das Frühstück kostet uns günstige €4,50 pro Person. Der Obstteller und der Kaffee sind gratis uns jederzeit nachbestellbar.

„Damit du das mal siehst.“ Sagt Fee. „So sieht ein typisches, türkisches Frühstück aus.“ Der Tisch biegt sich unter vielen kleinen und größeren Tellern mit Speisen, die da wären: ein Brotkorb, geschnittene Gurken und Tomaten, Sucuk (die türkische Knoblauchwurst), Ein Bratpfännchen mit einem Gericht aus Fleisch und Ei, diverse Sorten Käse, Oliven. Jeder einzelne Teller sorgfältig mit Frischhaltefolie abgedeckt – die Hygienemaßnahmen nehmen sie hier ernst, denke ich mir. Es kommen aber nicht, wie in Deutschland bekannt, zwei Extrateller für jede von uns. „Das machen wir anders.“ Sagt meine Freundin. „Wir essen direkt über dem Tisch und jeder nimmt sich von allem, was er möchte.“ Da mir diese Art zu essen ungewohnt erscheint, greife ich mir ein Stück Küchenrolle als Tellerersatz und halte mich daran fest.

Eine lustige Sache erlebe ich hier mit dem Wasser. Statt in Flaschen kommt es in kleinen, versiegelten Plastikbechern von vielleicht 20ml Volumen. Diese stehen kartonweise in jedem Stockwerk im Treppenhaus. Wer Wasser braucht, geht hin und bedient sich. Das Leitungswasser hingegen ist hier gechlort. Es ist nicht direkt giftig, aber auch nicht lecker.

„So viel Plastikmüll.“ Sage ich.
„Ja, das stimmt.“ Antwortet sie. Was will man machen, es ist eben wie es ist. Und wir sind Gäste.

„Hör mal, der Muezzin ruft.“ Sagt Fee und geht ans Fenster. Die Rufe zum Gebet ertönen aus mehreren Winkeln gleichzeitig und hallen durch die ganze Stadt. „Alle auf einmal.“ Sage ich. Jede Moschee erklingt mit einer melodischen Stimme. Fee erzählt mir ein wenig über die Menschen hier. Einerseits, sagt sie, sähe sie Armut. Die Menschen hätten nicht viel und verdienten einen Bruchteil von dem, was wir kennen. Das, und die Inflation sind Gründe, weshalb die Lebensmittel und der Lebensunterhalt wie Miete hier so günstig sind im Vergleich mit europäischen Standards. Teuer sind Fleisch und Alkohol; auf letzteres gäbe es rund 150 Prozent Steuern, wie uns ein Taxifahrer später erklärt. Was hingegen günstig ist, sind Kleidung und Treibstoff; ein Liter Diesel kostet 80 bis 90 Eurocent. Essen gehen ist günstig, wenn man nicht auf den Touristennepp hereinfällt. Doch die Menschen hier, sagt Fee; also, sie seien nicht arm. „Ich sehe so viele neue Autos fahren, Marken, die ich mir nie im Leben leisten könnte. Und die Türkei ist eines der Länder, wo das neueste I-Phon regelmäßig ausverkauft ist. Wie kommt das?“ Fragt sie mich – eine rhetorische Frage.

Doch die Türke sei auch eines der Länder, wo man dich nicht im Stich lässt. Sie versucht, es mir zu erklären. Das soziale Netz funktioniere stark und zuverlässig, so konnten anscheinend viele Folgen der hohen Inflation bislang abgefedert werden. Die Leute helfen sich gegenseitig.

„Selbst ohne Geld könntest du hier überleben.“ Sagt sie. „Die Leute helfen einander. Wenn du hingehst und sagst, dass du Hunger, aber kein Geld hast, wird dir jedes Restaurant oder Dönerladen etwas geben. Wahrscheinlich würden sie sogar zusammenlegen für ein Flugticket für dich, damit du nach Hause kommst.“

Ob die Selbstlosigkeit so weit gehen würde, da bin ich doch etwas skeptisch. Doch die Menschen sind hilfsbereit, das habe ich schon früh gemerkt. Egal, ob man nach dem Weg fragt, ob man nicht weiter weiß, egal ob im Bus oder auf der Straße – fremde Menschen investieren teilweise viel Zeit, um zu erklären und zu helfen, wo sich in Deutschland an dieser Stellen jeder um sich selbst kümmern würde.

Wir trödeln, bis wir endlich aus dem Hotel kommen. Fee hat noch etwas bezüglich der Reparatur ihres Smartphones zu klären. Ich hingegen bin nach dem üppigen Frühstück satt und energiegeladen und werde langsam ungeduldig.

Von einem größerem Platz aus, wo sich eine Moschee und das Kulturhaus von Gaziosmanpasa befindet, sind wir auf der Suche nach einem Bus, der uns nach Taksim Square bringt. Kannte ich Taksim bislang als einen traditionell angehauchtes Shisha Café im Zentrum von Mannheim, so erfahre ich nun, dass es sich um das Feierviertel von Istanbul handelt, die Partymeile schlechthin. Dieses Viertel will mir Fee heute zeigen. Die Mädels gehen aus, um eine gute Zeit zu haben.

Doch das Busfahren in der Türkei läuft nach eigenen Regeln. Zunächst braucht man die Istanbul Card, die sich, ähnlich wie Prepaid, mit einer beliebigen Menge an Guthaben aufladen lässt. Das Aufladen wird an einem der vielen Automaten getätigt. Anschließend wird die Karte beim Einstieg beim Busfahrer eingescannt – fertig.

Um jedoch in den Besitz einer Istanbul Card zu kommen, benötigt man einen HES-Code. Einen HES Code erhält jeder Einreisende zusammen mit seinem Anmeldeformular für die Türkei. Nur in Kombination mit diesem kann eine Istanbul Card aktiviert und verwendet werden.

Eine Bezahlung des Fahrpreises beim Busfahrer ist in Linienbussen nicht möglich, stattdessen gibt es Busse privater Unternehmen, die dich ohne viel Brimborium befördern. Sie sind kleiner und meist sofort zu erkennen. Hier kann direkt beim Fahrer bezahlt werden.

All dieses Wissen müssen wir uns freilich erst vor Ort erarbeiten. Ich stehe etwas ratlos daneben, während sich Fee von A nach B nach C durchfragt. Schließlich helfen uns ausgerechnet die Taxifahrer – zuerst dabei, an eine Istanbul Card zu kommen, dann dabei, sie zu aktivieren. Einer von ihnen verbringt geschlagene zwanzig Minuten damit, sich das Geschäft zu versauen und uns zu helfen, das Prinzip Istanbul Card zu überblicken. Wir sitzen in seiner Taxistation bei einem türkischen Kaffee, den er für uns aufgebrüht hatte. Solche Einladungen von Fremden zu einem Mokka sind hier an der Tagesordnung.

Den Besuch des Taksim Square verschieben wir allerdings auf eine andere Gelegenheit. Da uns die Zeit davon rennt, bleiben wir an diesem Nachmittag im Einzugsgebiet von ca. 6 km zu unserem Hotel. Es wird Verköstigungen geben, es wird leckeres geben, Märkte, Stände, Süßigkeiten und Kaffee. Und vor allem wird es kleine Kätzchen geben. Viele kleine Kätzchen. Verpasst die nächste Folge nicht 😉

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

10 Kommentare

  1. Ah, die neue Bude ist ja klasse! Auf den Sofas ließ es sich sicher trefflich lümmeln und das Frühstück genießen. A propos: wieviele Gäste kamen denn noch zu eurem üppigen Buffet 😇? Die Menge konntet ihr ja fast unmöglich alleine verputzen. Obwohl …

    Danke auch für die hilfreiche Aufklärung in Sachen Busfahren und Istanbul Card? Bekommt man das Formular mit diesem Code bei der Einreise? Sehr schön, dass ihr gleich am ersten Tag in den Genuss der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft der Türken gekommen seid. Davon habe ich schon so viel Gutes gehört. Freue mich schon auf die Fortsetzung!

    1. Den Code bekommt ihr bei der Einreise, ihr müsst euch registrieren und bekommt einen schriftlichen Wisch ausgestellt, den ihr ausgedruckt mitführt. Wie man die Karten aktiviert, da würde ich mich nochmal erkundigen. Bei meiner Karte hatte es nicht geklappt, so dass mir der Taxifahrer seine eigene (!) geschenkt hat…

      1. Danke für die Info! Dein Taxifahrer war ja wirklich zuvorkommend 👍.

        1. Ja das stimmt. Sehr menschlich. Und Kaffee gab es obendrein.

    2. Ach ja, und nein, das Frühstück haben wir nicht alleine verputzen können… die Reste davon blieben bis zur Abreise im Kühlschrank mit der guten Absicht, gegessen zu werden…

      1. Um dann ver- statt gegessen zu werden 😂!

  2. Fee says:

    Immer wieder gerne, diesmal mit mehr Ahnung 🙂

    1. Genau, wir bereiten uns vor 😉

  3. Tolles Blog Kasia 🙂

    1. Vielen Dank!

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.