Europa, Polen

Das Bartschtal in Niederschlesien – Winzerei „De Sas“

August 2021

Jetzt nur nicht anhalten.

Resigniert und mit klopfendem Herzen registriere ich, wie das Auto auf dem erhöhten Sandboden des Waldweges aufsetzt. Wie sich die trockenen Zweige mit einem jämmerlichen Geräusch über den Lack ziehen. Für die Schönheit des abendlichen Waldes, in der tiefstehenden Sonne gebadet, habe ich keinen Blick übrig. Das ist jetzt alles egal. Wichtig ist nur eines: dass ich hier, am späten Abend und bei anbrechender Dunkelheit, nicht mitten im Wald stecken bleibe.

Wann hätte ich wenden und meinen Verstand bemühen sollen? War es der Moment, als sich der jugendliche Radfahrer mit kugelrunden Augen am Wegesrand klein machte und ich mich kurz danach auf einem Forstweg wiederfand? Denn ab diesem Moment war ein Stehenbleiben und Überlegen nicht möglich. Der wahlweise schlammige oder sandige Untergrund ließ mich kurz an Namibia denken und daran, wie wir damals im Sand stecken geblieben sind, einfach nur deshalb, weil Stefan vor einer unsicheren Stelle kurz gezögert hat. Also fahre ich weiter mit konstanter Geschwindigkeit, über kratergroße Löcher, und mein Auto schaukelt mich dabei auf und ab wie auf einem Kinderspielplatz. Mein Kopf hüpft fröhlich nach oben und nach unten, doch so fröhlich fühle ich mich nicht.

Jetzt nur nicht anhalten.

Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon verzweifelt neben meinem Fahrzeug stehen, welches sich in einer der schlammigen Riesenlöcher festgefahren hat. Ich würde warten müssen, bis mich am nächsten Morgen jemand entdeckt.

Doch irgendwann muss dieser elende Weg zu Ende sein? Denke ich und umfahre gezielt die größten, tiefsten und matschigsten Löcher. Nur nicht daran denken, was passiert, wenn die Achse bricht (kann sowas eigentlich brechen?). Oder der Unterboden abreißt (jaa, das ist möglich…). Erfahrungen in dieser Richtung habe ich schon einige. Aber ich habe auch daraus gelernt. Ich lenke das Auto über trockene, erhöhte Stellen.

Da! Dort vorne ist der Wald zu Ende. Ein alter Mann, der mit seinem Hund spazieren geht, dreht sich erschrocken um und geht schleunigst zur Seite. Ich grüße im Vorbeifahren und achte nicht weiter auf sein schockiertes Gesicht. Noch nie eine dumme Deutsche gesehen, die sich verfahren hat? Im Rückspiegel sehe ich, wie sich von irgendwoher seine Frau dazu gesellt und höre aufgeregtes Geschnatter. Doch es gibt Wichtigeres. Zum Beispiel, dass ich festen Boden untern den Füßen Rädern habe.

Im Navi sehe ich, dass es eine Option gegeben hätte. Parallel zu meinem Wald-Abenteuer führt eine asphaltierte Straße vorbei – ich hätte nicht durch den Wald fahren müssen. Doch mein Navi fand, das wäre lustig. Und ich habe nicht meinen Kopf bemüht.

Das Weingut ist schnell gefunden. Die Winnica de Sas ist inmitten des wunderschönen Bartschtals („Dolina Baryczy“) in Niederschlesien gelegen, circa eine halbe Stunde südöstlich von Breslau. Für jeden, der sich wundert, dass es hier in Polen ein Weingut gibt: diese Tatsache war mir auch neu. Doch ja, es gibt welche – und der Wein schmeckt exzellent. Zumindest wenn ich von der Winzerei der Sas sprechen kann.

Die familiengeführte Winzerei de Sas wurde im Jahr 2006 gegründet. Sie produziert ihre Weine auf natürliche Weise und lässt sie in sogenannten Kwerwi, tönernen Amphoren, reifen. Diese Herstellungsart wird heute hauptsächlich in Georgien angewendet. Sie wurde von nur wenigen Winzern außerhalb Georgiens übernommen. Die Weine werten unter Zugabe von natürlichen Hefen gefertigt und kommen ohne Sulfite aus. Der Kvervi Milvus wurde 2016 in einem internationalen Wettbewerb, dem Mundus Vini Biofach, ausgezeichnet. Die Anlage ist umgeben von einem Naturpark mit vielen Seen, dessen Tiere sich hin und wieder auf ein Hallo blicken lassen. Die Weine der Winzerei tragen lateinische Namen der Wasservogelarten, die hier im Bartschtal heimisch sind.

Als ich vor den Toren stehe, sind selbige verschlossen. Eine blonde Frau läuft auf dem Hof herum und ignoriert mich völlig. Ich steige aus dem Auto und muss mich anlehnen, denn nach der langen Fahrt von achthundert Kilometern und dem letzten, abenteuerlichen Streckenabschnitt durch den Wald bin ich fertig. Ich kann nichts dafür, doch ich zittere. Ans Auto gelehnt versuche ich, mit zittrigen Händen die Nummer ins Handy zu tippen, die an einer Tafel zu lesen ist. „Bitte anrufen“. Eine Klingel ist nirgends zu sehen.

Als auf mehrmaliges Klingeln niemand rangeht und die blonde Frau weiter demonstrativ an mir vorbei schaut, freunde ich mich langsam wieder mit dem Gedanken an, weiter Richtung Warschau fahren zu müssen. Doch ein älterer Mann erbarmt sich meiner. „Sie wollen zu uns?“ Fragt er. Und fügt dann hinzu: „Warten Sie, ich hole jemanden. Ich bin hier auch Gast.“

Dann nähert sich die Frau, die ich soeben im Innenhof gesehen habe. Ich erkläre, dass ich wegen eines Zimmers hier bin. „Nein, daraus wird nix.“ Sagt sie entschlossen. „Wir sind leider ausgebucht.“ Dann geht ihr ein Licht an: „Ach, warten Sie… haben wir miteinander geschrieben? Ich habe erst spät in der Nacht mit Ihnen gerechnet…“

Ich bin erleichtert. Sieht gut aus mit der Schlafmöglichkeit. Die Besitzerin erklärt: „Wissen Sie, ich lasse hier nicht jeden rein. Das ist sicherer.“

Mein von mir gemietetes Zimmer befindet sich in einem Häuschen. Das Häuschen besteht noch aus einem geräumigen Wohnzimmer, welches zwar einen Kamin, dafür aber keinen Fernseher sein eigen nennt (was ich irgendwie sympathisch finde), und wo zwei große Sessel zum relaxen einladen. Einladend ist auch der temperierte Weinschrank, der die feinsten Weinsorten der Winzer hier beinhaltet. „Die lassen mich mit einem ganzen Weinschrank alleine!“ Schreibe ich Stefan und öffne gleich eine Flasche.

Die hier produzierten Weine beinhalten keine Sulfite und sind rein natürlichen Ursprungs, ohne Zusätze hergestellt. Sie sind nicht gefiltert, enthalten auch keine künstlichen Mittel zum Klären. Und das spiegelt der Geschmack wieder. Mein „Kveri Botaurus“ ist ein sehr runder, eleganter roter. Habe ich erwähnt, dass sich die Bezeichnungen der Weine an den vielen Wasservogelarten der Region anlehnen? So ist der „Kveri Botaurus“ eine kleine, flinke Vogelart, die am Gewässern lebt.

Die Tatsache, dass der Wein eine Zeit lang in tönernen Gefäßen reift, verleiht ihm eine leicht erdige Note. Dies ist eine aus Georgien stammende Form der Reifung.

Aus einem Glas werden zwei.

Draußen kommt eine alte Hauskatze auf mich zu und lässt sich streicheln. Mein Rundgang durch das Gelände offenbart eine Grillstelle, einen Weinkeller und jede Menge Liegen. Vor „meinem“ kleinen Häuschen sind Weinreben gepflanzt, die „Winzerei der Meister“. Musiker und Kunstschaffende, die sich hier schon mal aufgehalten und übernachtet haben, pflanzen als Andenken jeweils einen Rebstock an. Dieser wird mit dem Namen des Künstlers versehen. Die Reben sind schon ganz schön viele geworden….

Das Anwesen ist von Birken umgeben, die weiß durch die Fensterscheiben schimmern, und von irgendwoher dringt das abendliche Geschrei der Wasservögel. Ich habe das ganze Haus für mich alleine, inklusive Sauna. Ein Blick auf die Preise lässt mich aufschrecken. Kurz darauf stehe ich wieder bei der Besitzerin auf der Matte.

„Ähm, tschuldigung… kann es sein, dass ich das ganze Haus gemietet habe?“

Ja, sagt sie. „Sie sind dort alleine, es gab momentan keine weiteren Interessenten.“ Als sie meine immer größer werdenden Augen sieht, sagt sie schnell: „Keine Sorge, Sie bezahlen nur das eine Zimmer.“ Sie wirkt leicht amüsiert. Ich wirke sicher leicht beruhigt.

Den Rest des Abends verbringe ich mit Wein und einem Buch. Die Hauskatze ist nicht mehr zu sehen.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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2 Kommentare

  1. Eine abenteuerliche Fahrt, aber schließlich am Ziel angekommen …. und was für ein ! 🙂
    Danke für die Erklärungen zum Wein, der dort angebaut (und getrunken) wird.
    An Platz mangelt es Ihnen also bestimmt nicht…. ha ha ha.

    1. Ja, es war ein interessanter Ort. Das Bartschtal ist eine wunderschöne Wasserlandschaft, ich werde in den nächsten Folgen etwas mehr darüber schreiben. Platz für den Wein haben sie genug, wobei das doch etwas untypisch ist für die Gegend 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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