Diese ist eigentlich keine richtige Insel. Man überquert zwei Brücken, und, kommt man aus Richtung Altstadt, quert man auch ein kleines Inselchen (die Sandinsel genannt), aber der touristische Teil befindet sich dann wieder auf dem Festland.
Auf der ersten der beiden Brücken sehe ich ein paar Liebesschlösser, nur wenige, wirklich vereinzelt. Das wird sich hier nicht durchsetzen, denke ich optimistisch und erreiche dann die Brücke Nr 2. Schon von weiten leuchtet das Geländer der Tumski-Brücke denn so heißt sie tatsächlich, messing-golden in der Sonne und mir schwankt Böses. Ich gehe näher dran. „Ach du Scheiße.“ Das Geländer ist praktisch nicht mehr zu sehen. WER TUT DENN SO ETWAS?
Und während ich noch überlege, wie das kommt und wo die Menschen auf Anhieb gerade hier so viele Schlösser her kriegen, sehe ich auch schon die beiden Verkaufsstände am Rande der Brücke. Alle möglichen Größen und Farben gibt es hier zu kaufen und ich bin milde schockiert. Doch anscheinend werden die Schlösser in schöner Regelmäßigkeit wieder entfernt; das schlussfolgere ich der Frage eines Kindes: Mama, werden dann alle Schlösser entfernt oder nur die ältesten? Ja, eigentlich ist es die perfekte Geschäftsidee: Liebesschlösser verkaufen sich immer und der vermeintlich auf ewig aufgehängte Liebesschwur wird nach kürzester Zeit wieder eingeschmolzen.
Kleine Wägelchen, beladen mit Touristen, passieren die Brücke. Fleißig drehen sich die Köpfe in die angezeigten Richtungen, während der Guide jedes Gebäude und jeden Stein erklärt. Und da wird mir klar, dass mir nichts entgeht, aus dem einfachen Grund: weil ich so vieles gar nicht wissen will. Ich will teilweise tatsächlich einfach nur schauen und etwas gesehen haben; die Hintergrundinfos hole ich mir bei Bedarf dann hinterher. Oder auch nicht. Ich muss nicht die Geschichte einer jeden Kirche kennen, nur um sie schön zu finden. So viel Wissen kann der Kopf doch gar nicht fassen. Zumindest meiner nicht.
Kalte Windböen fahren mir über die Arme. Puh, was wird denn das? Der Himmel hat sich zugezogen und nur sehr selten ist ein bisschen Sonne zu sehen. Ich spaziere entlang der „Dominsel“ in Richtung Dom und Kloster, zähle Zwerge. Auch hier sind welche. Dann fängt es zu nieseln an. Malerisch sitzt eine Frau mit einer Blume im Haar, genauso unwirklich wie die männliche, grüne Elfe von heute morgen, und telefoniert. Als der Regen stärker wird, findet sie sich neben mir unter dem kleinen Vordach wieder.
Der Dom ist opulent, prunkvoll, wie das katholische Kirchen in Polen in der Regel so sind. Sie ist wunderschön, wirklich sehenswert, voller Gold, Fresken und Ikonen. Wenn ihr mal in der Nähe seid, verpasst sie nicht.
Ich bleibe längere Zeit drinnen sitzen, so wie die anderen Besucher auch. Einige sind auch hier, um zu beten. Wie schon erwähnt, herumgelaufen wird so gut wie gar nicht, obwohl es nicht verboten wäre. Keiner will stören, jeder hält sich dran.
Als ich wieder draußen bin, ist die Sonne wieder da. Der Regenschauer war ein kurzer Schauer, und schon ist er vorbei. Die Straßen und Pflastersteine glänzen nass. Ich habe den Dom gesehen und überlege, umzukehren, doch ich tue es nicht. Irgendwie ist es doch so, wenn man alles gesehen hatte, was man sehen wollte, wenn die ganze Anspannung, der gesamte Aktionismus von einem abfällt, erst dann lässt man los, ist frei und bereit, die wirklich interessanten Dinge zu entdecken.
Ich entdecke hinter der Kirche einen Buchhandel, der ausschließlich Ikonen, Schutzmedalien und sakrale Literatur vertreibt. Der Laden hat geschlossen, doch ich kann durch das Schaufenster hindurch meine Neugier stillen. Die einschlägige Literatur trägt Titel wie: „Liebe – der einzige Weg“, „Der Heilige Geist“, sowie auch: „Dämonen erkennen und vertreiben – worin unterscheidet sich eine Besessenheit von einer psychischen Krankheit.“ Ja, das meinen sie ganz ernsthaft, die Polen – immer häufiger werden hier auch Exorzismen in Auftrag gegeben; durchgeführt von der katholischen Kirche.
Ein Stück weiter sehe ich eine Reihe Bücher, die das Leben von Heiligen behandeln. „Die Menschen Gottes.“ Schutzmedalien des heiligen Christophorus schützen Reisende und Autofahrer vor Unglück und Schaden. Manche sind mit einem kleinen Gebet versehen. „Herr, beschütze vor Unglück, bewahre vor Schaden, lass sicher am Ziel ankommen und bewahre auch davor, anderen einen Schaden zuzufügen. Bewahre vor Unfall und davor, jemand anderen weh zu tun.“ So ein Medaillon, ein perfektes Geschenk für Reisende, brauche ich unbedingt als Reisende. Ach, wie schade, dass der Laden schon zu hat.
Eine Familie fotografiert ihren Kinder neben einem weiteren Zwerg. Eine Nonne schwebt schwarz und lautlos über den Hof. Die Sonne strahlt grell auf die Dächer der Kirche.
Auf der Tumski-Brücke steht eine Geigerin und spielt. Auf einem der Streben, genau über den vielen, glänzenden Schlössern und zwischen all den mit wasserfesten Edding aufgeschriebenen Liebesschwüren prangt dick und schwarz: Liebe den Hass. Auch gut.
Ich schlendere durch das abendliche Breslau.
Ja, und zu einer guten Shisha sage ich nicht nein, überhaupt ist es die erste, solche Bar, die ich in Polen sehe: die Shisha-Bar Africano. Leider kann man nicht draußen sitzen, so setze ich mich in das schummrig beleuchtete Innere. Ich bestelle ein Litovel, eine Art Honigbier, sehr mild und lecker. So gut jedoch das Bier schmeckt; die Shisha ist so la la. Soll wohl Kirsche sein, doch irgendwie schmeckt sie nach gar nichts – wäre das jetzt Melone, Erdbeere, Minze – der Geschmack wäre derselbe. Leicht dampfig und leicht muffig. Einzig nettes Detail ist das Mundteil, das sich zum Griff hin weitet und sich sehr kalt in der Hand anfühlt. Es ist mit Eis gefüllt.
Im Hostel gehe ich mit den Hühnern schlafen. Das Licht brennt noch in dem halb leeren Raum, die leeren Betten zeugen von denen, die aus- und feiern gegangen sind. Wenn ich morgen früh aufstehe, werden sie alle noch in ihren Betten liegen.