Ich lasse die Wälder und die schroffen Berge hinter mir; es folgen Weiden und schnuckelige, kleine Dörfer, die ein bisschen noch so aussehen wie vor 100 Jahren. Zwei Pferde traben die Straße rauf. Sie ziehen die mit Holz beladenen Karren hinter sich, das die Besitzer vermutlich selbst im Wald gesammelt hatten. Pferde weiden abseits der Straße und ein junges Fohlen tanzt auf seinen dünnen Beinchen um seine Mutter herum.
Das Schloss in Bran ist wirklich beeindruckend. Schaurig-schön klebt es auf einem Felsen oberhalb der Stadt, festgekrallt wie ein Adler in den Rücken seiner Beute. Es diente dem Autor Bram Stoker als Vorlage für sein berühmtes Werk Dracula – das ist auch der Grund, weshalb jedes Jahr Busse an Touristen in die kleine Stadt gekarrt werden. Der historische Vlad Tepes hat hier nie gelebt: einmal jedoch soll er auf dem Schloss übernachtet haben, doch auch das ist nur eine Legende. Das echte Domizil des Fürsten steht in der Walachei; es ist die Burg Poneari. Doch im 15 Jahrhundert griff Fürst Tepes die Stadt Brasov an, legte Feuer, pfählte die Bewohner und festigte so seinen Ruf als grausamer Herrscher. 1908 machte Bram Stoker ihn mit seinem Roman Dracula zur Legende.
Das Schloss Bran liegt in Transsilvanien, ca. 30 km von Brasov entfernt. Erbaut wurde die Burg im 14 Jahrhundert und hat seitdem häufig den Besitzer gewechselt. 2016 stand es angeblich laut diversen Presseberichten für 59 Millionen Euro zum Verkauf: die Besitzer dementierten jedoch die Gerüchte.
Im 16 Jahrhundert kaufte die Stadt Brasov das Schloss und schenkte es Anfang des 20 Jahrhunderts der rumänischen Königin Maria. 1956, zu Zeiten des Kommunismus, nahm der Staat das Bauwerk in Besitz und erst 2006 übergab man der Familie Habsburg, den Nachfahren der Königin, ihr Eigentum zurück.
In Bran selbst scheint eine Kirmes statt zu finden, es ist jede Menge los im Ort und die Stände verkaufen Souvenirs, kleine Dracula-Anhänger, Tassen und jede Menge Krim Krams. Ein Gruselkabinett verbreitet ein kitschiges Dracula-Gelächter und im Innern leuchten arrangierte Plastikskelette im Dämmerlicht auf. Ich erstehe kichernd (ja, ich finde das alles irgendwie schon sehr lustig…) zwei gehäkelte Vampir-Schlüsselanhänger. „Ich habe sie selbst gemacht.“ Beteuert die Verkäuferin und häckelt demonstrativ an einem weiteren herum. Schon gut, meine Liebe, ich will ja gar nicht den Preis drücken!
Und während sich Massen an Menschen durch den Haupteingang ins Innere der Schlossanlage drücken, finde ich selbst den Trubel an den Verkaufsständen viel interessanter. Ich schwebe von Stand zu Stand, unterhalte mich mit den Verkäufern und lasse mir die richtige Aussprache der wichtigsten Begriffe wie „bitte“ und „danke“ beibringen. Probiere einen starken, türkischen Kaffee: „wenn Sie ihn probiert haben, werden Sie ihn niemals mehr vergessen“, steht da auf deutsch, rumänisch und englisch – warum nicht, denke ich mir und schaue zu, wie mir der groß gewachsene Mann ein Kännchen aufbrüht.
Mit dem fertigen Becher schwebe ich weiter, bis kurz darauf ein Stand mit frisch gepressten Säften meine Aufmerksamkeit gewinnt, also bleibe ich auch hier stehen für eine vor meinen Augen frisch gepresstes Fläschchen Granatapfelsaft mit Minze. Doch schon bin ich wieder abgelenkt, denn ein bärtiger, älterer Mann in Tracht läuft vorbei. Der Saftverkäufer („…die Granatäpfel sind aus Peru, sehr, sehr gut…“) ruft den Mann lautstark zu uns und entreißt ihn somit einer rumänischen Dame, mit der er sich bis eben noch angeregt unterhalten hatte. „Ja, klar können wir ein Foto machen.“ Sagt der Rumäne. „Oder noch besser ein Selfie?“
Beim Selfie tut er so, als gäbe er mir einen Kuss auf die Wange. Woher ich käme, will er wissen. Aus Deutschland? Ah, deshalb die blauen Augen, sagt er.
„Ich…“ Er zeigt auf seine Brust. „Original Rumäne.“
Ob ich Single bin?
Warum willst du das denn wissen, Großväterchen?
Interessanterweise – obwohl ich kein rumänisch spreche und er so gut wie kein englisch, reicht das wenige aus, um uns zu verstehen. Seine englischen Brocken ergänzt er mit rumänisch und ich nicke, mache ein aufmerksames Gesicht und tue so, als würde ich lauschen.
Im hinteren Bereich des Geländes befindet sich ein Museumsdorf: Häuser, wie sie damals vor ein paar hundert Jahren hier gebaut wurden. Der Bereich ist mit einem Band abgesperrt, doch plötzlich ist Großväterchen wieder da und lotst mich durch die Schranke. Ich könne ruhig meinen Rundgang machen und auch fotografieren, sagt er. Also gehe ich durch das Dorf und lasse mich in eine andere Zeit versetzen. Auch andere Besucher sind trotz der Absperrung hier.
Wieder auf der Kirmes, die anscheinend so etwas wie ein dauerhafter Ramschmarkt für Touristen ist, spiele ich kurz mit dem Gedanken, das Schloss doch noch zu besichtigen. Die Menschenmenge, die sich an mir vorbeischiebt; Reisegruppen, Guides mit Fähnchen und eine chinesischen Reisegruppe (wie klassisch!) bringen mich jedoch dazu, die Idee schnell wieder zu verwerfen. Um ein Folklore-Oberteilchen und ein Kilo roter Kirschen reicher verlasse ich die Veranstaltung und gehe zurück zum Auto.
Es hatte geregnet und die gewundene Straße dampft nun golden vor sich hin. Auch die Stute und das Fohlen sind noch da.
Für den Weg zurück brauche ich erstaunlicherweise nur die Hälfte der Zeit.