Asien, Nepal

Wie jeder in Thamel dein Freund sein möchte

Heute morgen – erstmal ausschlafen. Gemütlich frühstücken auf der Terrasse vom Avalon Hostel mit Blick auf Kathmandu, auf den beginnenden Tag. Nach dem Frühstück nochmal ins Bett legen und ein bisschen gammeln. Schließlich habe ich Urlaub. Muss die Zeit genießen. Schon bald genug wird mich die Millionenstadt verschlucken.

Jitu habe ich blockiert. Jitu war mein Guide der ersten Tage gewesen. Wir drehten uns im Kreis, die Professionalität ad absurdum geführt durch fehl platzierte Vertraulichkeiten. Nein, ich will keinen Flug über den Everest. Nicht bei Regen. Nein, auch nicht, wenn der Everest über dem Wolkenniveau thront. Und am Ende hatte eine fremde Person meine Handynummer, der ich sie niemals gegeben hatte. Ich blockiere sie beide.

Gegen eins laufe ich los. Gemütlich. Mit Sonnenbrille und Mundschutz bewaffnet. Hätte ich damals nur geahnt, dass der mir so exotisch erscheinende Zusatz anno Corona zum unverzichtbaren Accessoire wird…

Einmal raus aus dem Hostel, werde ich für lange Zeit im Chaos von Kathmandu stecken bleiben. Das weiß ich.

Zum Mittag gönne ich mir als allererstes die Mo-Mos der Everest Mo-Mos Kantine. Es wird das letzte Mal sein, dass ich sie hier esse. Auch das ahne ich schmerzlich. Anschließend den leckeren Lassi von der Lassi-Bude um die Ecke, an jener großen Kreuzung, wo die Stadt täglich tausend Verkehrsinfarkte stirbt.

Ich wandere langsam in Richtung Thamel. Besser gesagt, in Richtung Durbar Square, denn ich will die berühmte Freak Street besuchen.

Es ist heute ruhiger in den Gassen der Stadt. Falls man von ruhiger überhaupt sprechen kann. Ich lasse mir Zeit. Bin mutiger mit dem Fotografieren geworden. Versuche dennoch, keine Bilder von Menschen zu machen, und wenn, dann frage ich sie vorher. Oder sie laufen mir ins Bild. Was gar nicht so selten passiert.

Mit dem Einkaufen bin ich dafür umso zurückhaltender, denn ich will mich nicht wieder wie der kleine, dumme Tourist fühlen, der sich übers Ohr hauen ließ. Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken. Oder bin überreizt. Vielleicht muss ich einfach nur nach Hause.

Ich ignoriere alle Rufe in meine Richtung. Hallo Madame. Schauen Sie mal. Hier, mein Shop. Zwei oder drei Mal sprechen mich irgendwelche jungen Männer an. Jeder von ihnen will Student sein, jeder von ihnen will sein Englisch perfektionieren. Jeder von ihnen möchte nur ein Gespräch. Und jeder von ihnen weicht erst auf meine nachdrückliche Bitte hin von meiner Seite.

Der erste ist Inder. Er will mir gleich mal den Durbar Square zeigen. „Ich bin kein Guide.“ Sagt er. „Ich will kein Geld von dir. Ich will nur eine Unterhaltung.“

Bereits gestern, auf dem Asan-Nachtmarkt war es das gleiche Spiel. Auch da hatte sich jemand an meine Fersen geheftet. Er sagte: „Ich will dein Freund sein. Wenn du einen Freund brauchst, sag es mir nur.“ Nun, ich bin mit einem gesunden Misstrauen gesegnet. Ein unbekannter Mann, der mein Freund sein möchte, nein, danke.

Ich schickte den gestrigen „Freund“ weg, ebenso wie den heutigen. Und auch den darauf folgenden, der auch – welch Überraschung – mein Freund sein möchte, kein Guide ist und nichts verkauft. Ich habe viel zu oft die Erfahrung gemacht, dass diese scheinbar unverbindlichen Gespräche irgendwann doch in ein Verkaufsgespräch münden. Auf die eine oder andere Weise.

Und selbst wenn nicht, dann enden sie damit, dass du jemanden an der Backe hast, der nicht von deiner Seite weicht, der den Tag und den Abend mit dir verbringen will und eventuell die folgenden Tage auch noch. Ich habe leider zu oft festgestellt, dass es in diesem Land recht schwierig ist, auf ein normales Gespräch zu hoffen, ohne dass jemand irgend einen Hintergedanken dir gegenüber hegt.

So wie es bei Jitu auch der Fall war. Natürlich, er ist Guide, er muss Geld verdienen. Doch ich mag es nicht, wenn Grenzen überschritten werden.

Und genauso auch jetzt. Jeder, der dich in Thamel anspricht, hat sich selbst bereits seine eigene Rechnung geschrieben. Ich möchte kein Teil dieser Rechnung sein.

Allerdings soll irgend ein Fest heute am Durbar Square beginnen. „Ich kann es dir zeigen.“ Sagt der Inder, der mein Freund sein möchte. „Ich bin kein Guide.“ Nein, vielen Dank. Ich schicke ihn fort.

Ich fotografiere die Details, die mir an dieser Straße auffallen. Die verstaubten, hölzernen Masken, die überall hängen. Die Gemäuer, die heruntergekommenen, zerfallenden, einst sicher prunkvollen, wunderschönen Schnitzereien der Häuser. Häuser, in denen sich nun schäbige Läden und Cafes angesiedelt haben.

Nur kurz passe ich nicht auf; in Gedanken versunken mache ich eine Bewegung und spüre einen Schlag gegen mein Bein. Mein Schuh fliegt fort. Und hinter mir hält ein Roller mit einem erschrockenem Fahrer an. Fahrer und Beifahrerin schauen schockiert zu mir zurück. „I’m sorry! I’m sorry!“ Ruft der Fahrer. Ich checke mich kurz ab. Alles noch da, selbst der Flip-Flop ist noch ganz. Wahrscheinlich werde ich nur einen kleinen, blauen Fleck haben. „Alles in Ordnung!“ Rufe ich. „Ich bin okay!“

Ich laufe weiter. Ich bin soeben von einem Roller angefahren worden.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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