Was ist meine größte Angst? Ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht…. vielleicht die, zu sterben, ohne alles getan zu haben, was ich noch tun wollte. Solche absonderlichen Dinge eben, nichts Konkretes.
Ich fürchte mich nicht davon, zu reisen oder in Schwierigkeiten zu geraten. Denn ich sehe das Ganze mit einer guten Portion Pragmatismus.
Wenn ich vor einer Reise zu einem für mich ungewöhnlichen Ziel stehe und wenn ich weiß, dass ich diese Reise alleine bewältigen werde, dann stellen sich gewisse Befürchtungen ein. Doch wovor?
Oft sind es keine konkreten Ängste, die sich da in unseren Gedanken breitmachen. Und das macht das noch etwas schwieriger. Denn eine konkrete Angst kann man lokalisieren, greifen, dingfest machen. Durch gute Vorbereitung. Durch Sicherheitsvorkehrungen. Durch das Vermeiden unsicherer Areale. Aber Ängsten, die sich nicht greifen lassen, die nicht plausibel zu erklären sind wie die Angst vor Spinnen oder vor Flüchtlingen, diesen Ängsten kommt man so einfach nicht bei. Und so passiert es, dass die Menschen dicht machen, keinen rationalen Argumenten mehr zugänglich sind. Vor ihnen steht ein großes, schwarzes Loch, das vermeintlich droht, sie zu verschlingen.
Und auch bei mir taucht es ab und zu auf. Dieses dumpfe Gefühl. Vor jeder weiten Reise alleine zu einem unbekannten Ziel. Dabei ist nicht mal gesagt, dass ich in Begleitung sicherer wäre als solo. Keineswegs. Und genau deshalb ist diese Angst nicht rational zu begründen, es geht nicht konkret darum, dass etwas passieren könnte, es geht um das undeutliche Gefühl des Verlorenseins. Des Umherirren, des Sich-nicht-zurecht-finden. Irren wir denn nicht oft in schlechten Träumen in der Dunkelheit umher und finden den Weg nicht?
Doch was ist das Interessante dabei?
Es ist die Tatsache, dass diese, meine Angst nur solange hält, bis ich mich auf den Weg gemacht habe, dass sie mich genau von der Wohnungstür bis zum Flughafen begleitet. Denn dann beginnt die eigentliche Reise. Und dann finde ich mich zurecht. Dann sind die Menschen, die mir begegnen, gar nicht so schlimm wie in den schlimmsten Befürchtungen. Und ich habe eine gute Zeit.
Genau das ist der Grund, warum ich sage, dass die Ängste oft nur in unseren Köpfen sitzen. Denn vor Ort angekommen stellen wir fest, dass es nichts zu fürchten gibt. Ja, nicht einmal damals in Jordanien, als uns die Soldaten an der syrischen Grenze aufgriffen, wo wir uns unerlaubterweise im militärischen Sperrgebiet befanden, nicht einmal da erreichte mich der Ernst der Lage so wirklich. Denn das, was alles hätte passieren können, das wird uns meist später erst bewusst. Und das lässt sich einfach mit dem Kopfkino begründen, welches mit voller Wucht losgeht, sobald wir erst die Zeit haben, nachzudenken. In der Situation selbst – da agieren wir einfach nur.
Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass gerade einen selbst etwas Schlimmes zustößt, oft verschwindend gering. Ja, ich weiß; die Welt ist kein freundlicher Ort und es geschehen Dinge, die wir uns lieber nicht ausmalen sollten. Doch wenn man sich nicht gerade in Kriegsgebiete und an die Front drängt, so kann man, glaube ich, ziemlich entspannt durchatmen. Ja, es kann alles mögliche passieren, ich kann gekidnappt werden oder einem Anschlag zum Opfer fallen. Ist ja nicht so, als sei das nicht gewesen. Doch wie wahrscheinlich ist es, selbst wenn ich mich genau am selben Tag am oder in der Nähe eines betroffenen Ortes befinde, dass ausgerechnet genau neben mir jemand steht, dem ein paar Schrauben fehlen? Nun, da ist es wohl nötiger, den Straßenverkehr zu fürchten, denn statistisch stirbt fast jeden Tag ein Mensch auf deutschen Straßen. Und habe ich Angst vorm Verkehr? Ich habe keine. Und niemand würde mir aufgrund von Sicherheitsbedenken vom Autofahren abraten.
Natürlich weiß ich auch, wie unwichtig Statistiken in Wirklichkeit sind. Sie nehmen Zahlen, überschlagen und berechnen einen Durchschnitt auf einen Zeitraum hin begrenzt. Doch wenn du es bist, den es trifft, dann sind dir die Zahlen egal. Es ist wie mit dem Lotto spielen: das eine fürchten wir, das andere sehnen wir herbei. Es braucht nur einen Ort und nur einen Moment. Was bringt dir die schönste Statistik, wenn du tot im Graben liegst? Oder was interessiert sie dich, wenn gerade du es bist, der die Million in seinen Händen hält?
Und einen Aspekt gibt es noch, der zusätzliche Ängste schürt: es ist das Gefühl der Machtlosigkeit.
Kommen wir zurück zum Straßenverkehr: Warum fürchten wir ihn nicht? Vielleicht, weil wir das Lenkrad selbst in den Händen halten, weil wir selbst an der Steuerung sitzen mit dem Gefühl, die Kontrolle zu haben. Kommt aber jemand auf die Idee, Weihnachtsmärkte in Kampfzonen zu verwandeln und etwas in die Luft zu jagen (als Beispiel) oder sein Fahrzeug irgendwo hinein zu steuern, dann können wir das in der Regel nicht vorhersehen, und auch unmöglich beeinflussen. Die Angst vor der eigenen Machtlosigkeit ist wohl die größte Angst.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb Menschen oft Gewaltopfer diffamieren. Nicht um der Opfer Willen, sondern um ihre eigenen Ängste aufzuarbeiten. Denn wenn jemandem eine Gewalttat angetan wird, dann kann sie theoretisch auch mir zustoßen. Machtlosigkeit, Angst nisten sich in meinem Kopf ein. Wie komme ich nun aus dieser blöden, hilflosen Lage? In dem ich die Situation analysiere und versuche, herauszufinden, warum es so kam wie es kam. Schnell finden sich dann vermeintliche Fehler, die die Opfer vermeintlich begangen haben und die man natürlich selbst nicht begehen würde, denn man selbst würde ja aufpassen, niemals abends alleine unterwegs sein und so weiter und so fort. Das Opfer hat sich also falsch verhalten, das ist wohl klar, und ich selbst würde an dieser Stelle alles besser machen. Das eigene, subjektive Sicherheitsgefühl ist somit wieder hergestellt.
Doch natürlich ist auch dieses Sicherheitsempfinden nicht rational zu begründen. Denn oft haben wir in Wirklichkeit gar nicht die Kontrolle über die Situation, obwohl wir glauben, sie zu haben. Ich kann mich absichern so gut ich will, wenn am helligten Tag mitten in der Fußgängerzone jemand der Meinung ist, mir eins über den Schädel zu braten, dann wird er genau das tun. Und nichts und niemand wird im Stande sein, das zu verhindern.
Hat denn Deutschland momentan nicht die höchste Terrorwarnstufe? Und haben einige Länder nicht Reisewarnungen für Deutschland ausgesprochen? Habe ich deshalb Angst, mich alleine in großen Städten zu bewegen? Nein. Mache ich mir Gedanken, wenn ein Auto auf einen Zebrastreifen zugeschossen kommt und abbremst? Nein. Denn es ist mein Alltag. Ich verschwende nicht einen Gedanken daran.
Vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage, wie Menschen in Kriesengebieten leben können. Es ist eben ihr Alltag. Sie denken einfach nicht darüber nach.
Und deshalb werde ich auch weiterhin reisen, deshalb werde ich auch weiterhin auf Weihnachtsmärkte gehen. Nicht, weil es mich nicht juckt. Nein; weil ich mich nicht in Watte einpacken und zu Hause bleiben kann. Was wäre es dann noch für ein Leben?