Die Inder
Oben auf dem Sarangkot fängt mich eine indische Großfamilie ab.
Diesen Ort zu erreichen war eine schweißtreibende Angelegenheit. Jetzt gehe ich die letzten Schritte hin zu meinem eigentlichen Ziel, der Paragliding-Startrampe, wo auf dem grünen Hang immerzu neue Gleitschirmflieger starten. Fasziniert betrachte ich sie – und lasse mich kurzzeitig von einem süßen, kleinen Zicklein ablenken. Das Zicklein ignoriert mich völlig, es ist zu beschäftigt damit, die heimische Pflanzenwelt anzuknabbern.
Kleiner Exkurs: woran erkennt man Inder? Zum einen, sie treten immer in Gruppen auf. In großen Gruppen.
Und zweitens: bist du ein Europäer, wollen sie alle ein Selfie mit dir.
Als die große indische Familie schnurstracks auf mich zukommt, beschleicht mich so eine leise Ahnung. Sie schauen mich interessiert an und im Vorbeigehen fragt mich einer der Männer scheinbar beiläufig: „Foto?“ Ich verstehe zunächst nicht, was er meint. Naiv denke ich, ich solle als Fotografin fungieren, und nicke zustimmend. Und besiegle damit mein Schicksal. Das Lächeln der Menschen wird noch breiter. Denn sie alle wollen ein Foto mit mir.
Und dann sind sie da, eine schnatternde, undefinierbar große, breit lächelnde Gruppe. Sie versammeln sich um mich, Männer, Frauen, Muttis, Vatis, Onkel Tanten… und bitten mich freundlich darum für ein Foto mit ihnen zu posieren. Dabei fühle ich mich in diesem Augenblick absolut nicht fotogen. Im Gegenteil, ich schwitze viel und atme schwer, habe ich doch gerade einen, Pardon; Berg erklommen (in Nepal, wo es von Achttausendern nur so wimmelt, zählt der Sarangkot eher als Bodenwelle…). Doch die Inder bleiben hartnäckig und ich kann den großen, vor Vorfreude glänzenden Augen nichts abschlagen.
Brav stelle ich mich hin, von Familienmitgliedern umringt, und lasse mich ablichten. Will dann weiter gehen. Doch halt, noch ein Foto, bitte. Und noch eines, diesmal mit wechselnder Besatzung. Immer wieder stellt sich jemand neues dazu, dann wird wieder von vorne fotografiert. Ich bin verlegen um einen Prominentenstatus, der sich nur an meinem Aussehen festmachen lässt. Äußere Merkmale, für die ich nichts kann. Ich fühle mich unbehaglich mit dieser VIP-Rolle, die ich niemals wollte, um die ich nicht gebeten habe und die mir, wie ich finde, nicht im Ansatz zusteht. Denn meine helle Haut ist Gottgegeben, und meine hellen Haare kommen aus der Tube.
Also gut, ich posiere. Fühle mich wie ein Star und werde entsprechend heiß gehandelt und von Foto zu Foto weiter gereicht. Sie entschuldigen und bedanken sich tausendmal, beides oft im selben Atemzug, doch entlassen bin ich damit noch lange nicht. Mindestens fünf- bis sechs Durchgänge sind vonnöten, bis schließlich jeder ein Bild hat mit der großen, weißen Frau und glücklich nach Hause fliegen kann. Die Gruppe gibt mich frei.
Nur eine wird vergessen. Und zwar ich. Im Wirrwarr der Aufregung, berauscht von meinen unerwarteten fünf Minuten Ruhm, besitze ich leider nicht die Geistesgegenwart, den Leuten mein eigenes Handy in die Hand zu drücken. So bleibt das Ganze nicht mehr als eine Geschichte, und an dieser Stelle bekommt ihr ein weiteres, süßes Zicklein zu sehen.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit verabschiedet sich die Großfamilie und verschwindet in ihrem Reisebus. Wahrscheinlich schnattern sie jetzt aufgeregt und betrachten abwechselnd Aufnahmen von der großen, blonden, verschwitzten Frau. Vermutlich werde ich zu Hause von Hand zur Hand wandern, betrachtet von Verwandten, Freunden und Nachbarn, um später einmal auf einem Facebook-Account oder in einem analogen Fotoalbum zu landen. „Paragliding waren wir zwar nicht, aber wir haben uns hier mit dieser Deutschen angefreundet…“ Ich grinse. Meine fünf Minuten Ruhm sind mir wohl zur Kopf gestiegen.
Dann kann ich mich endlich dem Geschehen vor mir widmen. Den auf Luftströmungen im Tal kreisenden Menschen. Paragliding war schon immer ein kleiner Traum, den ich mir mal erfüllen wollte. Ich weiß noch nicht, ob es meins sein wird. Aber ich will es einmal getan haben.
Lange bleibe ich nicht alleine stehen, denn schon nach kurzer Zeit gesellt sich jemand zu mir.
Die Russin
Der Mann gehört zu einer Agentur, die die Flüge anbietet. Er preist mir die Vorzüge des Paraglidings an. Ob ich es mal probieren möchte? „Es ist eine tolle Erfahrung, du wirst begeistert sein.“ Schwärmt er und ich spiele die Zögernde. Ich weiß es nicht, sage ich. Und ja, ich weiß es wirklich nicht, denn kaum ist das Träumchen zum Greifen nah, bekomme ich plötzlich weiche Knie. Auf einen Abgrund zuzurennen erscheint mir widernatürlich und abstrakt; so frage ich, um Zeit zu gewinnen, zunächst nach dem Preis. Um diesen nicht in die Höhe zu treiben, tue ich erstmal so, als müsse man mich überreden. Ich setze mich etwas abseits ins Gras und schaue mir alles in Ruhe an.
„Where are you from?“ Fragt der Mann und bestätigt nicht zum ersten Mal meinen Eindruck, dass in einigen Feriendestinationen dein Herkunftsland über die Preise entscheidet. Und Deutsche gelten als besonders wohlhabend, also flunkere ich. Gestatten: vor euch steht eine neugeborene Russin.
Doch die Russen scheinen mir einen schwierigeren Stand bei der einheimischen Bevölkerung zu haben. Kennt ihr dieses breite Grinsen, welches immerzu auf den Gesichtern auftaucht, wenn ihr sagt: „From Germany?“ Immer, wenn ich irgendwo sage: „I’m from Germany“, habe ich das Gefühl, mit offenen Armen empfangen zu werden. Also eines kann ich euch sagen, ein „from Russia“ fördert keine solche Reaktion zutage. Auch etwas, was ich ganz nebenbei dazulernen durfte.
Das Paragliding kostet siebentausend Nepal-Rupien für eine halbe Stunde Flug. Bilder und ein kurzes Video mit einer GoPro Cam sind inklusive. Und während der Mann dabei ist, die Möglichkeit einer Kartenzahlung zu klären, schaue ich den Fliegenden und ihren Piloten zu. Noch habe ich keine Zusage gegeben, doch schließlich ringe ich mich durch. „Ich mache es.“ Sage ich und der Vermittler grinst.
Habe ich erwähnt, dass ich ein kleiner Schisser bin? Ob beim Zahnarzt, vor einer Spritze oder sonstigen Adrenalin treibenden Angelegenheiten: die coole Miene ist nur Fassade, die zudem sehr leicht zerbröckelt. Und dann vergehe ich vor Angst und Selbstmitleid. Genauso auch jetzt. Es dauere noch eine Weile, bis ich dran käme, erklärt der Mann; warum nehme ich nicht solange dort unter dem schattigen Baum Platz?
Der schattige Baum sieht gut aus, bloß weg aus der Sonne. Ich spüre bereits, wie sich meine sonnenempfindliche Haut zu kräuseln beginnt wie Krepppapier, kurz bevor es in Flammen aufgeht. Mein Teint weist einen ungesunden, krebsigen Touch auf. Ich setze mich auf die niedrige Mauer zu anderen Wartenden dazu. Jetzt habe ich ausgiebig Zeit, das Geschehen zu betrachten und mir in die Hosen zu machen.
Die Landschaft. Der Ausblick. Wie klein Pokhara doch wirkt, und gleichzeitig… wie riesig, ausladend, ein grauer Moloch, ein Häusermeer. Außen umringt von grünen Bergen, pardon… Hügeln, denn die „richtigen“ Berge sind hinter Wolken verborgen. Von dieser Seite des Abhang aus kann ich den Phewa-See nicht sehen, doch ich werde später über ihm kreisen wie ein Falke.
(Oder wie ein kreischendes Kücken, je nachdem, wie ich mich anstelle…)
Wir sind in der Luft. Wir segeln…
„Sarangkot“, der Name bezeichnet nicht nur den Berg, sondern auch den Ort, in dem ich mich gerade befinde. Außer Paragliding gibt es hier auch andere Aktivitäten, die man machen oder Dinge, die man erleben kann. Ein hoch gelegener View Point lässt bei gutem Wetter das Annapurna-Massiv erkennen. Momentan jedoch ist es sinnlos, dort hinauf zu gehen; Wolken verfangen sich in den Spitzen der Berge und machen sie unsichtbar.
Einen Hinweis wert ist zudem noch die 1,8 Kilometer lange Zipline, die mit stellenweise über hundertvierzig Kilometern pro Stunde den Passagier wie ein Geschoss hinunter ins Tal befördert. Sie gehört zu den extremsten der Welt und wäre meine zweite Option gewesen.
Und natürlich das Paragliding, auf das ich mich gerade freue.
Doch zunächst sitze ich im Schatten des Baumes da und warte. Und versuche, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Ob ich am Ende wirklich fliegen werde? Wer weiß. Vielleicht werfe ich mich schreiend auf den Boden oder werde mich schlicht weigern, los zu rennen, direkt auf den Abgrund zu. Wer macht denn so etwas?
Um mich abzulenken, werfe ich einen Blick auf die umliegende Landschaft. Eine Frau erntet Gras mit einer Rundsichel. Die dicken Grasbüschel wirft sie in einen Korb auf ihrem Rücken. Ein Hirte treibt eine Herde Ziegen vor sich her. Ein paar Asiaten machen Selfies. Zwei Mädels gehen dabei so weit den Abhang runter, dass ich mir kurz Sorgen mache, sie würden im nächsten Moment im Abgrund verschwinden.
Dann kommt jemand auf mich zu, der sich als mein Pilot vorstellt. Ich bin jetzt dran. Professionell hilft er mir, das Geschirr anzuziehen. Ich stehe da, lasse mich anschnallen und frage mich, ob das eine gute Idee ist. Ich bekomme einen kleinen Helm auf den Kopf gesetzt, der mir recht lächerlich vorkommt. Sollte ich aus großer Höhe stürzen, würde er mir recht wenig nützen.
Die Wertsachen werden normalerweise in einen Rucksack gepackt und fliegen mit, doch meine Tasche sei zu schwer, erklärt mir der Pilot. Ich hole lediglich mein Smartphone und meinen Pass heraus. Tasche, Geldbörse und der ganze Rest wandern in die Hände eines Dritten und werden, wie mir zugesichert wird, mit dem Auto vom Berg gefahren. Das bereitet mir leichte Bauchschmerzen, doch ich bin zu abgelenkt, um mir ernsthaft Sorgen zu machen.
(Kleiner Spoiler: am Ende des Fluges erhalte ich all meine Wertsachen unversehrt zurück, und auch an Bargeld ist noch genauso viel drin wie vorher… Nicht zum ersten Mal habe ich mein Vertrauen dermaßen in fremde Hände gelegt, eines Tages wird mir diese grenzenlose Naivität mit Sicherheit das Genick brechen. Aber bis dahin kann ich allen zeigen: sieht her! Die Welt ist gar nicht so schleicht wie ihr glaubt.)
Denn was mir noch mehr Bauchschmerzen bereitet: gleich muss ich den verdammten Abhang runter! Meine Beine sind weich wie ausgespuckter Kaugummi. Am liebsten würde ich mich auf den Boden werfen und jammern. Doch dafür ist keine Zeit; kaum dass ich „verdrahtet“ bin, der Pilot hinter mir, schon beginnen wir zu rennen.
Nicht stehen bleiben, egal, was passiert.
Diese wichtige Lektion schwirrt mir noch im Kopf, ein Überbleibsel meines Paragliding-Kurses in Odenwald. Egal, wie befremdlich es sich anfühlt, auf einen Abgrund zuzurennen; um nicht zu stürzen und den Piloten nicht zum Sturz zu bringen, renn weiter. Für mich, die ich so etwas noch nie gemacht habe, ist die Vorstellung der nackte Horror.
Es ist ein Gefühl, welches ich kaum beschreiben kann. Du kannst zwei Dinge tun in einer solchen Situation. Möglichkeit eins: du kannst panisch werden und jede Menge Scheiße bauen. Oder, Möglichkeit zwei, und für die entscheide ich mich immer, ob ich Motorrad fahre, im Dschungel von Chitwan vor einer Nashornmutter mit ihrem Jungen stehe, die zum Angriff ansetzt. Möglichkeit zwei ist sehr fatalistisch, aber wirksam. Du kannst akzeptieren, dass du eventuell hops gehen könntest, und, auf alles gefasst, einen kühlen Kopf bewahren. Du hast Menschen bei dir, denen du vertraust. Im Zweifel vertraust du dir selber. Und du weißt: wenn du in Panik gerätst, ist alles vorbei.
Wie Will Smith damals sagte: „Die Gefahr, die ist sehr real, doch die Angst ist eine Entscheidung.“ Ach, die lieben Filmzitate.
Der Pilot setzt an, zieht mit einem Ruck den Schirm hoch und sagt zu mir: Lauf. Und ich laufe.
Doch so viel muss ich von meiner Seite gar nicht mehr tun, denn schon nach wenigen Schritten merke ich, wie meine Füße nicht mehr den Boden berühren und uns nur noch die Luft trägt, und der große Schirm über uns. Ich bin in der Luft. Wir segeln.
Plötzlich fühlt sich alles sehr leicht an. Da ist nur noch die Luft und wir. Ich fühle mich ungebunden, schwerelos. Ab jetzt passiert alles wie in Zeitlupe. Die Landschaft zieht langsam unter uns vorbei. Wir gleiten. Kein wilder Wind, kein Herzschlag, kein Adrenalin. Dafür ist hier kein Platz, zumindest nicht für mich. Es ist eine ruhige Angelegenheit.
Und es ist gemütlicher, als man denkt. Ich sitze in meinem Sitzsack wie in einem Sessel hoch über den Bergen und alles verschiebt sich, der See, die Flüsse, das Grün. Dabei fühle ich mich so sicher wie auf meiner heimischen Couch. Ich könnte alles machen hier oben, trinken, essen, rauchen, mir einen Kaffee kochen. Der Gleitschirm ist stabil, ich fasse sehr schnell Vertrauen.
Und so wundert es mich nicht, dass der Pilot erst jetzt beginnt, die GoPro einzustellen. Ich lache in die Kamera, fühle mich gut.
Nach einigen Dutzend gemachter Fotos und einem kurzen Video denkt der Pilot wohl, ich könnte mich langweilen. Er beginnt, einige gewagte Kurven und Pirouetten in der Luft zu drehen. Und stößt dabei an meine Grenzen. Anfangs macht es noch Spaß, doch schnell merke ich, wie mir flau im Magen wird. Das Frühstück ist schon lange her; nichtsdestotrotz bin ich nach einer wiederholten Umdrehung grün im Gesicht. Ich werde seekrank.
Verzweifelt versuche ich, mich zu beruhigen und mit den Augen den Horizont zu fixieren. Der Schirm schaukelt, es ist wie Slalom fahren mit dem Motorrad, nur ohne Motorrad. Und in der Luft. Und bei all den Umdrehungen weiß ich nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Mein Gleichgewichtsorgan ist restlos überfordert und in meinem Magen verschiebt sich alles. Für meinen Piloten ist dies wahrscheinlich ein entspannter Spaziergang. Und auch wenn wir gleich danach nur noch ruhig durch die Luft gleiten, bin ich kurz davor, den Piloten zu bitten, den Flug abzubrechen. Bevor ich in einem großen, ausladenden Strahl auf die Köpfe der Leute unter uns kotze.
Doch soweit kommt es nicht. Irgendwann, die halbe Stunde ist noch lange nicht um, beginnt er, den Gleitschirm zur Landung auszurichten. „Wir müssen runter.“ Ruft er mir zu und zeigt auf die Wolkenfront, die über dem See aufzieht und sich vor uns aufbaut. „Schlechtes Wetter.“ Von den Bergen kommt ein Gewitter heran, dunkle, graue Schleier. Zu Pokhara hin leuchtet dagegen die Sonne hell auf die Häuser der Stadt.
Ich atme erleichtert auf. Wir steuern den Phewa-Lake an. „Wenn es hier beginnt zu regnen, landen wir.“ Sagt der Pilot. Das Gewitter kommt recht zügig. Ich nicke.
Die Chinesin im See
Wir werden langsamer, verlieren an Höhe. Ich sehe einen großen Platz, auf dem ein Kreis eingezeichnet ist. Den müssen wir, wenn möglich, treffen.
Und schon flirren mir Geschichten im Kopf herum von Menschen, die sich bei einer solchen Landung die Beine gebrochen haben. Landen will gelernt sein; ich ermahne mich, während wir aufkommen, die Beine abzuknicken und mich möglichst sanft abrollen zu lassen.
Gleichzeitig frage ich mich, wie punktgenau der Pilot seinen Gleitschirm ausrichten kann. Landen wir auf einer Kuhwiese? Auf einem Hausdach? Im fremden Vorgarten? Im See?
Meine Sorgen sind gar nicht so abwegig; denn einem der Tandems unter uns passiert letzteres. Der Pilot landet mit seinem Schützling im Phewa-See. Der große Schirm liegt unter uns ausgebreitet im Wasser und sowohl Pilot als auch sein Fluggast plantschen hilflos inmitten von Stoff und Schnüren. Dann zieht das Bild unter uns hinweg, wir fliegen wieder über Land. Es läuft auf eine Landung auf einer Wiese hinaus.
Mit der Weide liege ich nicht ganz falsch. Wir sinken immer tiefer; fast habe ich Angst, dass wir das Strohdach eines der Häuser mit unseren Füßen streifen. Doch wir steuern daran vorbei und landen stattdessen im Vorgarten.
Wir landen recht sanft. Mein gemütlicher „Privatsessel“ plumpst ins hohe Gras und ich richte mich schnellstmöglich auf. Mein Pilot schnallt mich los. Dann klettern wir über einen Zaun, und gehen zum eingezeichneten Landeplatz. Er heißt mich, in einem nahe gelegenen Cafe zu warten, wo bereits andere Schützlinge sitzen. Ich lasse mich in einen weichen, ausrangierten Sessel sinken und versuche, die anhaltende Übelkeit in meinem Magen unter Kontrolle zu bringen. Piloten packen ihre Sachen zusammen. Nach und nach werden die wartenden Kunden abgeholt. Auch meine Tasche und meine Wertsachen tauchen wieder auf.
Nun bin ich auf festen Boden, doch noch immer will mich flaue Gefühl nicht verlassen. Schon so lange wollte ich Paragliding ausprobieren. Immerzu war ich voller Bewunderung für diese sanft da oben gleitenden Menschen, die sich einfach wie ein Vogel durch die Luft tragen ließen. Doch voller Bedauern habe ich jetzt die Gewissheit, dass dies nie das Meine sein wird.
Dann taucht mein Pilot wieder auf. Wir warten auf unser Taxi, das uns zur Pokhara Lakeside bringen soll. Eine chinesische Touristin mit teilweise schon trockenen Klamotten und nassen Haaren wird, gestützt von anderen, hinausgeführt. Sie ist blass wie der Tod selbst, sieht elend aus, zittert und kann kaum gehen. Vermutlich war sie diejenige, die mit ihrem Piloten mitten im Phewa-See landete.
Während wir warten, schaue ich mich um und nehme die Idylle in mich auf. Eine kleine Katze schläft auf einem Dachsims. Von den Bergen kommt eine Frau einen schmalen Pfad hinunter, die grüne Zweige in einen Korb auf ihrem Rücken geladen hat. Den großen, schweren Korb hat sie, wie es hier üblich ist, mit einem Riemen auf ihrer Stirn befestigt. Eine heilige Kuh trottet mitten auf dem Weg herum und voller Erstaunen sehe ich, wie ein alter Mann mit einem gezielten Schlag mit dem Stock in die Seite des Tieres die Kuh vom Weg vertreibt. Niemand wundert sich, niemand empört sich. Nur ich bleibe etwas irritiert mit der Erkenntnis zurück, dass die „heiligen Kühe“ wohl doch nicht so heilig sind.
[…] Maggiore schweben Gleitschirmflieger glücklich am Himmel entlang und ich muss an meinen ersten Gleitschirmflug in Pokhara, Nepal denken. Wie gern würde ich diese Erfahrung wiederholen und noch lieber würde ich sie meinem Stefan […]