Deutschland, Europa

Des Polen Eigenheiten

„Hallo meine Liebe! Da bist du ja.“ Danusias Kopf ragt aus der Terrassentür heraus, sie lächelt. Dann schiebt sich ein Tablett voll mit Essen hinterher. „Ich habe eine Kleinigkeit gekocht, magst du probieren?“ Das Tablett schwebt zum metallenen Gartentisch, an dem ich sitze, und lässt sich dort nieder.

Mit „Kleinigkeit“ hat es meine Freundin ein wenig untertrieben, denn das Tablett, welches sie nun in der Hand trägt, biegt sich förmlich vor leckerem, selbstgekochten Essen. „Hier, ich habe noch was für Stefan!“ Ich winke mit Händen und Füßen ab, doch zwischen: Ach nein! und: „Das wäre ja nicht nötig gewesen!“ wissen wir doch beide, dass das Essen in kürzester Zeit verputzt werden wird.

Nach einer halben Stunde sehe ich wieder Danusias Kopf in der Terrassentür. „Ich habe Tiramisu gemacht. Magst du probieren?“ Ich weiß inzwischen, was mit „probieren“ gemeinst ist, doch füge mich meinem Schicksal. Der Tiramisu ist köstlich – und ich pappensatt.

Und wie wir da so sitzen und uns unterhalten, fallen mir ein paar Dinge auf, von denen ich dachte, dass sie mir nicht auffallen würden. Die Mentalitätsunterschiede zwischen Polen und Deutschen. Und zwar – und das ist etwas, was ich wirklich befremdlich finde – aus der Sicht einer Deutschen.

Aus meiner Sicht.

Wie komme ich als Deutschpolin dazu, ausgerechnet einen solchen Beitrag zu verfassen? Kommen einem doch die Gewohnheiten und kleine Marotten der eigenen Leute nicht unbedingt als erstes in den Sinn. Sie fallen einem nicht auf, wenn man genauso tickt. Erst im Kontrast, im Schein eines völligen Widerspruchs, einer anderen Mentalität und des daraus resultierenden Verhaltens beginnt man ganz bestimmte Verhaltensweisen zu erkennen, die einem früher gar nicht auffielen.

So ist es auch bei mir. Seit über vierundzwanzig Jahren lebe ich nun im Süden Deutschlands und bin sozusagen mit den Menschen hier zum Teil mental verschmolzen. Oft erwische ich mich dabei, dass das Deutsche, das Organisierte und Korrekte zum Standard wird, an dem ich die Kulturen der von mir besuchten Reiseländer unbewusst messe. Es ist nicht einmal das Polnische, das noch heraussticht, denn das ist schleichend, nach und nach irgendwo im Nirwana verschwunden. Aus Anpassung wurde Integration, dann Assimilation. Und das merkt man am ehesten dann, wenn man mit anderen Polen zusammen ist.

Was sind sie, die typisch polnischen Marotten? Und wieso bin ich imstande, sie als solche zu erkennen und zu benennen? Nun, vielleicht weil ich die Welt mit zum Teil deutschen Augen sehe. Das wurde mir bewusst, als ich, corona-bedingt, den gesamten Frühling mit meiner polnischen Freundin auf unserer Terrasse verbrachte.

Meine Freundin kocht zum Niederknien gut. Ihre Rouladen, Süppchen und Küchlein versüßten uns die Tage und boykottierten ständig meine Diät-Versuche. Ich brachte uns abends Wein mit und wir saßen lange da bei abendlichem Vogelgezwitscher, schwindendem Licht und dem einen oder anderen Gläschen.

Und mit der Zeit wurde der Wein zum Problem.

Nicht der Wein an sich. Der war lecker. Doch wohl die Tatsache, dass jedes Mal ich ihn mitbrachte. Etwas, worüber ich mir absolut keine Gedanken machte, denn schließlich nutzte ich regelmäßig Danusias privates „Sportstudio“, welches sie auf der Gartenterrasse aufgestellt hat, und ließ mich von ihr bekochen. Für mich war also alles tutti.

Doch meine polnische Freundin fühlte sich schlecht. Wegen dem Wein. Sie wollte sich revanchieren, kam aber aufgrund diverser, Corona-bedingter Beschränkungen bei keinem Winzer vorbei. Weine aus dem Supermarkt waren keine Lösung, da wir sie beide nicht wirklich vertrugen.

So entstand zwischen uns ein Ungleichgewicht; eines, welches sie sich in erster Linie selbst eingeredet hatte. Bei jedem neuen Treffen auf der heimischen Terrasse, wenn wieder Weinchen die Runde machte, fühlte sie sich unwohl und ließ keine Gelegenheit aus, mir das mitzuteilen. Die kleinen und großen Naschereien aus Danusias Küche wurden immer mehr. Was ihr schlechtes Gewissen wegen dem Wein nicht im Ansatz milderte; auch mein gutes Zureden tat es nicht. Schließlich fand sie eine Lösung und ließ sich von Stefan bei der nächstbietenden Gelegenheit ein paar Flaschen mitbringen, die sie dann bezahlte. Das alles, damit sie abends auch mal eine Flasche auf den Tisch stellen konnte. Dass ich mit meinen unzureichenden Kochkünsten wohl nie etwas auch nur annähernd leckeres wie sie servierte, schien sie dabei nicht wirklich zu bekümmern.

Ich muss sagen, ich war mit einer solchen Lösung nicht wirklich einverstanden. Ich ließ mich nur darauf ein, weil ich wusste, dass sie es für ihre Seelenruhe brauchte. Nachdem Stefan Danusia ihren Wein holte, war danach auch tatsächlich Ruhe im Schiff und von keinem schlechtem Gewissen mehr die Rede.

Ihr ahnt es schon. Vieles davon, was da passierte, war kulturell bedingt. Die meisten Polen haben den sehr starken Drang, sich für etwas, das sie für einen Gefallen halten, revanchieren zu wollen. Dass ich die Gesellschaft meiner Freundin genoss und endlich mal jemanden hatte, mit dem sich bei langen Gesprächen ein Gläschen vertilgen ließ, ließ sie nicht als Argument gelten. Nein, ein Pole muss sich revanchieren, und es wird dabei sehr genau darauf geachtet, in welchem (monetären) Umfang man selbst etwas beisteuert. Dieser kritische Blick gilt gar nicht mal so sehr dem Gegenüber, sondern eher sich selbst.

Bei uns in Polen sind ein „sich zeigen“ und „Eindruck machen“ wichtige Aspekte. Man möchte sich unter Freunden großzügig und gastfreundlich zeigen und schon auf gar keinen Fall als Schnorrer gelten. Dabei machen sich viele Menschen mehr Gedanken darüber, ob sie auch genug beigetragen haben, als es wohl hierzulande der Fall wäre. Hier bringt jeder eine Kleinigkeit mit zur Party, und der Drops ist gelutscht. Wird man hingegen in Polen eingeladen, revanchiert man sich, und das möglichst zeitnah und möglichst im gleichen Umfang. Ist das nicht möglich, fühlt sich der Pole schlecht. So entsteht das Gefühl, „etwas schuldig“ zu sein. Ich denke, das Schlimmste, was einem Polen widerfahren kann, wäre es, sich nachsagen zu lassen, er wäre ein Schnorrer und ein Geizkragen. Das lässt niemand so einfach auf sich sitzen. So biegen sich die Tische und der Wodka fließt in Strömen (nein, das ist kein schlichtes Klischee, ich wünschte, es wäre so 🙂 ), und alles ist natürlich selbstgekocht. Natürlich.

So wurden Danusias Köstlichkeiten, die sie mir runter brachte, immer köstlicher und die Portionen immer größer. Und natürlich „wehrte“ ich mich öffentlichkeitswirksam dagegen, nur um danach sowieso alles zu vertilgen. Wie in diesem Fall nehmen solche Einladungen oft immer größere Ausmaße an. Doch seit letzter Woche Dienstag ist meine Freundin weg. Ihre Zeit hier in Deutschland, die sich durch Corona und infolge dessen geschlossene Grenzen von sechs Wochen auf drei Monate ausgedehnt hatte, ging zu Ende und nach zwei Monaten erst würde ich sie wiedersehen.

Danusia, komm wieder zurück, wir kippen ein Lämpchen Wein zusammen…!

Wer etwas mehr über die Polen und ihre Gewohnheiten erfahren möchte, dem kann ich das Buch von Steffen Möller wärmstens ans Herz legen: Viva Polonia! Steffen ist einer, der sich in das Land und die Menschen verliebt hat und seinen Lebensmittelpunkt nach Polen verlegte. Seitdem beobachtet er die kleinen und größeren, liebenswerten Marotten meiner Leute mit einem amüsierten und einen staunenden Auge. Die wichtigsten davon hat er in seinem Buch zusammengefasst. 

Kasia

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