Die Königsstadt Patan, oder auch Lalitpur, liegt in unmittelbarer Nähe zum wuseligen Kathmandu. Nur der Bagmati Fluss trennt die beiden Städte voneinander und hindert sie daran, miteinander zu verschmelzen. Es ist nach Kathmandu und Pokhara die drittgrößte Stadt Nepals und bildet mit Kathmandu eine Doppelstadt – einmal den Fluss überquert, schon ist man da.
Tatsächlich glaube ich zunächst, schon am Vortag hier gewesen zu sein, so ähnlich ist die Umgebung.
Doch das stellt sich als Trugschluss heraus, denn der Durbar Square von Lalitpur soll der schönste der drei Königsstädte im Kathmandutal sein. Die Tempel beeindrucken mit ihrer detailreichen, filigranen Form. Am allerliebsten möchte ich hier sitzen bleiben und den Anblick Stück für Stück abspeichern.
Auch sind die Zerstörungen des Erdbebens von 2015 hier nicht so omnipräsent wie es in Kathmandu der Fall zu sein scheint – zumindest auf den ersten Blick, denn tatsächlich sind laut UNESCO die Hälfte der Tempel beschädigt. Doch auch hier und da wird erneuert und restauriert; überrascht sehe ich Westler, die im Schatten bunter, aufgespannter Schirme damit beschäftigt sind, die hölzernen Elemente neu zu streichen. „Das sind Volontärs.“ Erklärt mir Batsu, mein Guide.
Zu Fuß erkunden wir die Gegend. Den Fahrer haben wir, wie schon zuvor, in den wuseligen Gassen von Lalitpur gelassen; er wird sich die freie Zeit schon zu vertreiben wissen. Im Schatten der Tempel sitzen Menschen – Händler, vielleicht potentielle Guides. Doch wir halten uns nicht allzu lange auf.
Eilig führt mich Batsu von Tempel zu Tempel. Auch hier kann ich den Eindruck nicht loswerden, dass es sich um ein abzuspulendes Programm zu handeln scheint, das nichts mit dem Erkunden und Kennenlernen zu tun hat, das ich gerne hätte. Informationen und Erklärungen strömen auf mich ein, doch nehme ich mir die Zeit, stehen zu bleiben und zu fotografieren. Wozu bin ich sonst hier?
Der gesamte Bereich riecht irgendwie nach Holz. Und natürlich nach den omnipräsenten Räucherstäbchen. Hier lässt man die Hektik und den Verkehr draußen und genießt die plötzliche Stille. Taubenscharen, Zwitschern des Vogels. Der Innenhof des Königspalastes mit seinem Brunnen vermittelt eine Ruhe und Abgeschiedenheit.
Batsu führt mich zur Rückseite des Palastes. Hier befindet sich ein Wasserspeicher, der mit grünem, trübem Wasser gefüllt ist. Hier haben ihrer Zeit Könige gebadet –
eine steinerne Treppe führt hinunter ins Wasser, auf dem sich grüne Lotusblätter ausbreiten. Außer uns ist kaum jemand hier, still liegt der Bereich da in der Hitze des Tages.
Im Schatten der Hütten im hinteren Bereich der Anlage sind Handwerker damit beschäftigt, die uralten,
hölzernen Reliefs neu zu schnitzen. Daher also der subtile Holzgeruch. Als Vorlage dienen ihnen Bücher, die alte Fotografien enthalten. Uns beachten sie kaum und ich bleibe einige Augenblicke stehen, um die Kunst dieser Handarbeit zu bewundern. Ganze Geschichten entstehen vor meinen Augen unter den fähigen Händen der Schaffenden, Geschichten von Göttern und Mythen und Sagen, die die gesamte Glaubenswelt von Nepal bilden. Zeit dafür war genug, denn die Stadt Patan, ehemals Hauptstadt des gleichnamigen Königreiches, ist über 2300 Jahre alt.
Der Königspalast selbst ist heute ein Museum. Ein wenig verziehe ich das Gesicht, doch ein Besuch lohnt sich. „Sei vorsichtig!“ Mahnt Batsu und hält mir bei jedem der niedrigen Durchgänge die Hand vor, damit ich meinen Kopf nicht an den hölzernen Rahmen stoße. Im Inneren geht es über eine schmale Treppe nach oben. Hier wacht eine Museumsangestellte darüber, dass jeder Besucher auch brav vor dem Betreten der ehemaligen Königsgemächer seine Schuhe auszieht.
Batsu bietet an, unten auf mich zu warten und ich bin dankbar und erleichtert, endlich – zumindest für eine kurze Zeit – dem wachenden Augen und dem straffen Zeitplan meines Guides entkommen zu sein und mir so viel Zeit zu lassen wie ich möchte.
Der Eintritt ist frei und so will ich der Dame zumindest ein kleines Trinkgeld geben, doch sie schüttelt entschlossen den Kopf. „Es ist meine Arbeit, dir alles zu zeigen.“ Sagt sie und ich befürchte, sie beleidigt zu haben. Doch es ist gleichzeitig eine Mahnung an mich selbst, als Tourist nicht immer mit Geld um mich werfen zu wollen. Hier geht es nicht um die paar Rupien hin oder her; doch solche Gesten können im unpassenden Augenblick einen schalen Nachgang hinterlassen. „Die Menschen wollen schon Geld verdienen.“ Wird mir ein Nepalese später am Abend erklären. „Doch wir wollen es nicht umsonst geschenkt bekommen. Wir wollen etwas dafür tun.“
Oben eröffnet sich mir eine seltsame Welt. Es ist nicht mehr viel erhalten, hier eine Wandmalerei, dort eine. Doch das, was mich so fasziniert, sind die mit feinen Gitterläden verschlossenen Fenster, die einen Ausblick über den Durbar Square und die dahinter liegenden, geschäftigen Straßen gewähren. Vor jedem solcher Fenster befindet sich mit Samt gepolsterte, mit Kissen ausgelegte Sitzbank und ich stelle mir lebhaft vor, wie die nepalesischen Prinzessinnen vor langer Zeit hier saßen, vor neugierigen Blicken verborgen und die Welt dort unten vor ihren Füßen betrachteten; eine Welt, die zwar ihnen gehörte, die sie aber, wenn überhaupt, dann nur selten betreten durften.
Die luftdurchlässigen Fensterläden lassen sich sowohl zum Innenhof als auch zur Außenwelt hin öffnen. Kurz spiele ich Prinzessin und setze mich an eines der Fenster mit Blick zum Innenhof und dem die Mitte zierenden Brunnen, wo eine Gruppe westlicher Besucher damit beschäftigt ist, jedes Detail für die Nachwelt zu dokumentieren. Niemand schaut nach oben und schließt man die Fenster, kann man durch das Gitter heimlich das Treiben draußen beobachten. Als ich kurze Zeit später wieder hinunter schaue, ist der Innenhof leer.
Die Kunstvollen Elfenbeinfenster vom Königspalast in Patan haben eine Vorgeschichte, wie so ziemlich alles hier. Die meisten der Tempel und Paläste wurden im 17 Jahrhundert errichtet und architektonisch hatte sich seitdem nicht viel verändert. Doch zur Anfang des 18 Jahrhunderts begannen die Königreiche die ständige Rivalität, die zwischen ihnen herrschte, auf kreative Art und Weise miteinander auszutragen.
Hier ging es nicht nur um Stärke, hier ging es auch um Prestige und so konnten die Tempel und Paläste nicht schön und kunstvoll genug sein. Die besten Handwerker werden engagiert, verschnörkelte, komplizierte Ornamente entworfen und die seltensten und teuersten Materialien wie Glas, Gold und eben Elfenbein kommen zur Anwendung.
So lange sind die Zeiten der Könige in Nepal gar nicht her; noch im Jahr 2001 verübte Kronprinz Dipendra Bir Bikram Shah Dev ein Massaker an seinem Vater, dem König Birendra. Der Kronprinz erklärte sich zum absoluten Monarchen im Jahr 2005. Bis 2006 durfte er seine Macht genießen, doch die Dämmerung der Monarchie ließ sich durch nichts aufhalten. Nach einem Generalstreik wurde am 28 Dezember 2007 der König entmachtet; die politische Entscheidungshoheit hatte nun der
Ministerpräsident.
Auch hier ist dieser seltsame, warme Geruch allgegenwärtig, ein Geruch, den ich ohne es zu wissen dem Holz zuordne. Langsam und gemütlich streife ich durch die schattigen Gänge, lasse die Eile von mir abfallen und versetze mich, so gut es geht, in die vergangenen Zeiten hinein. Mit einer spitzbübischen
Freude denke ich an meinen Guide Batsu, der unten vermutlich schon ungeduldig mit den Hufen scharrt, um weiter zu gehen. Ich grinse, denn dies ist meine Zeit. Ich werde der ständigen Eile irgendwie Einhalt gebieten müssen, denke ich mir. Ich hätte mir schon gewünscht, hier im gesamten Bereich des Durbar Square mehr Zeit zum Schlendern zu haben.
Später kommt die Museumsdame zu mir herauf und führt mich ein bisschen herum. Umsonst meine Sorge, sie gekränkt zu haben, denn aus irgend einem Grund möchte sie ein Selfie mit mir. „Du bist so schön.“ Sagt sie und bringt mich damit in Verlegenheit. Klebrig und verschwitzt wie ich bin, fühle ich mich überhaupt nicht schön.
Doch ich habe Batsu scheinbar falsch eingeschätzt – geduldig wartet er auf mich und fragt, ob ich alles
gesehen habe. Wir verlassen den Königspalast und begeben uns zum Teil des Museums, wo sich die
Exponate der sakralen Kunst in einer Dauerausstellung befinden. Der Museumsbesuch ist mit dem Eintrittspreis zum Durbar Square abgegolten, doch das Ticket wird an jedem Eingang zu einer Ausstellung kontrolliert.
Was soll ich sagen. Ich kann mich für Museen im klassischen Sinne nicht begeistern. Konnte ich noch nie.
Unreflektiert laufe ich also durch die Gänge und Räume zwischen den unbezahlbaren Kunstschätzen, während Batsu nicht von meiner Seite weicht und mir jede einzelne Infotafel vorliest. Ich steh auf Geschichte. Ja, die Geschichte eines Landes, einer Monarchie ist spannend. Ich bin von der Welt der hinduistischen Götter begeistert. Von allem was dahinter steckt. Ich liebe es, die Hintergründe zu erforschen.
Doch was ich nicht mag, was ich nicht leiden kann, ist es, langsamen Schrittes durch Ausstellungsräume zu wandern und Infotafeln zu lesen. Boah…