Im ersten Teil von Petra, die Felsenstadt entwickelt sich erst die Geschichte, die unsere Reise später noch prägen wird und die uns oft noch mit gemischten Gefühlen an Jordanien denken lassen wird. Jordanien wird dich umhauen. Vielleicht nicht sofort. Doch wie so oft sind es auch hier die Menschen, denen du begegnest, die dir den Atem rauben – in der einen oder der anderen Hinsicht.
Weit sind wir nicht gekommen. Nach dem Überqueren des Sik, des schmalen Felsenganges, der geradezu auf das Schatzhaus führt, begegneten wir den ersten Menschen, die diesen Ort temporär bewohnen, ihn… ja, inoffiziell beherrschen und ihn prägen: den „beduinischen“ Guides. Warum die Gänsefüßchen? Das klärt sich später.
Nach einem kurzen, teuren Ausflug zu einem Aussichtspunkt sind wir wieder zurück vor dem Schatzhaus. Noch einmal hinsehen, sich diesen Anblick einprägen, dann geht es auch schon weiter. Und es ist höchste Zeit, denn das Areal hat viel mehr zu bieten als nur das erste Gebäude – falls man einen in die Felsen gehauenen Raum so bezeichnen kann.
Es ist heiß und die Sonne knallt auf unsere Köpfe herunter. Nun lasse ich mir auch ein mitgebrachtes Tuch zum Turban binden. Links und rechts von uns sehen wir in Felsen gehauene Räume, Wohnungen, die den Menschen früher Schutz boten. Die Felsen selbst laden zum Klettern ein und nach dem kleinen Ausflug von vorhin bekomme ich Lust, ein wenig herumzukraxeln. Doch ich will keine Zeit verlieren.
Neben den Wohnhöhlen (wie haben die Menschen hier früher gelebt? Zusammen mit ihren Tieren?) finden sich seltsame Zeichen an den Wänden. Regelmäßig und absteigend wirken sie wie ein Code aus „Matrix“. Noch viel mehr Fragen kommen auf, je weiter wir gehen.
In den Toilettenräumen sitzt eine junge Jordanierin am Spiegel und schminkt sich. Ich versuche, nicht neugierig zu sein, doch sie spricht mich an. Ihre Augen sind dunkel umrandet, sie trägt eine traditionelle Kopfbedeckung, typisch für beduinische Frauen und lange Kleidung. Im gebrochenen Englisch fragt sie mich nach Parfüm. Habe ich nicht, will ich auch nicht kaufen. Nach einigem Hin und Her finde ich heraus: sie möchte sich kurz ein Deo ausborgen.
Ein feines Bohren in meinem Kopf macht sich bemerkbar, als wir weiter gehen.
Immer wieder reiten Jungs auf Kamelen an uns vorbei. Auch hier innerhalb von Petra kann man einen Ritt buchen – vermutlich sind es dieselben Anbieter, die wir bereits am Eingang gesehen haben.
Händler hatten ihre Waren entlang des Weges ausgebreitet und rufen uns zu. Teilweise sind da wunderschöne Sachen dabei, doch wir versuchen, unbeeindruckt weiter zu gehen. Nicht zu viel Enthusiasmus zu zeigen lernt man hier früh. So laufen wir auch weiter, als uns eine alte Frau hinterher ruft. „Kommt zu mir auf einen Tee!“
„Nein, danke!“ Ich lächle sie an. Und füge hinzu: „Vielleicht später.“ Sie lächelt zurück. „Versprochen?“
Nein, nicht versprochen. Und schon wieder ein Päuschen einlegen wollen wir nicht, doch die alte Dame hatte mich neugierig gemacht. Natürlich geht es bei dem Tee um den Handel; Business at usuall, doch mich interessiert das Drumherum. Vielleicht kann ich der alten Beduinin ein paar Fragen stellen, vielleicht erfahre ich mehr über die Kultur.
Wir kehren um und werden herzlich empfangen und hingesetzt; sofort brüht die alte Frau einen Tee für uns ein. Bereitwillig zeigt sie uns alle Waren, die sie im Angebot hat und natürlich ist alles „selbstgemacht“. Im Hintergrund sehe ich Steine und Metallperlen, die sie auffädelt, um daraus Halsketten und Armbänder herzustellen. Es ist kein hochwertiger, doch dem Augenschein nach traditioneller Schmuck, den sie auch selber trägt.
Wir werden nicht genötigt, etwas zu kaufen. In aller Ruhe trinken wir den Tee und lassen das Geschehen an uns vorbei ziehen. Ich liebe solch ruhigen Momente, derer man viel zu wenige hat in seiner Jagd nach immer neuen Sehenswürdigkeiten, Ausguckplätzen und Eindrücken. Einfach mal inne halten, einmal keinen Plan abarbeiten. So wie jetzt.
Ich lasse mir Kopftücher zeigen. Die Tücher sind mit gestickten Blumenmustern versehen und die alte Frau bindet sie mir sofort als Turban um den Kopf. Ich durchschaue ihre Taktik: was man bereits als „sein“ empfindet, das ist man eher geneigt zu kaufen. Doch eines durchschaue ich nicht – bei manchen Dingen wird man später schlauer.
Beim zweiten Tuch, welches sie mir umbindet (Fran und ich beobachten gespannt die Technik, um sie später selbst nachahmen zu können) versucht Fran krampfhaft, mir etwas zu sagen. Doch ausgerechnet hier stößt mein Englisch an seine Grenzen; schnell macht die alte Dame den Turban an meinem Kopf fertig und bestätigt uns nochmal, dass es sich um handmade Ware handelt.
Ich frage nach dem Preis. Während wir da saßen und unseren Tee tranken, beobachtete ich, wie sie der vorbeilaufenden Kundschaft einen Betrag von zwanzig Dinar nannte. Sie zögert, lächelt. „Fünfzehn Dinar.“ Ich verhandle nicht lange. „Ist schon okay.“ Sage ich zu der zweifelnd dreinschauenden Fran.
Auch meine Freundin findet hier mehr als ihr lieb ist. Fran lebt in Dublin, Irland und ist gerade dabei, ein eigenes Online Business aufzubauen. Das Unternehmen hat zum Ziel, Frauen in schwierigen Lebenslagen zu couchen und ihnen eine Richtung zu geben. Schaut bei ihr rein auf ihrer Website: Fran Romani Blog.
Um das Online-Business aufzubauen spart sie momentan, so viel sie kann, doch nun hatte sie ein paar Mitbringsel-Magnete gefunden. Dann entdeckt sie Schmuck, ein Armband und eine Halskette, und dass die Dame auch eine Kreditkartenzahlung anbietet, kommt erschwerend hinzu. „Nimm ruhig alles mit, was dir gefällt.“ Lockt die alte Frau. „Du kannst ja alles mit Visa bezahlen.“
Was viele nicht ahnen – was man aber in Betracht ziehen sollte, will man in Jordanien irgend etwas mit Visa bezahlen – die meisten Geschäfte sowie die meisten Händler schlagen die Visa-Gebühr (es sind um die drei Prozent) auf die Rechnung des Kunden drauf. So war es auch diesmal: die Überraschung kam dann, als Fran ihre Sachen bezahlen wollte. Statt der vereinbarten siebzehn Dinar für alles schlugen die Kleinigkeiten mit neunzehn Dinar zubuche – im Nachhinein auch seltsam, denn zwei Dinar sind keine drei Prozent von siebzehn… wie dem auch sei, Fran fühlte sich betrogen. An ihrer Stelle hätte ich die Ware einfach liegen lassen – ich hatte mein Tuch vorher schon in bar bezahlt.
Als wir weiter gehen, schlage ich ihr vor, das ganze als Erfahrung zu verbuchen.
Schon jetzt ist klar, dass wir viel Zeit verloren hatten. Mein Kopf schmerzt immer mehr. Wir wandern weiter den sandigen Weg entlang und sehen zu, wie die Beduinen Steine für einen Dinar das Stück an Touristen verkaufen, genau solche Steine, wie sie hier überall im Sand herumliegen und man sie nur noch aufzuheben bräuchte. Doch wie es sich wohl überhaupt damit verhält, Steine aus Petra zu entfernen…?
Wir bewundern die Kamele, die uns entgegen schaukeln. Es ist schwierig, zwei Schritte zu tun, ohne dass einem ein Ritt auf den Tieren angeboten wird. Auf einer schattigen, steinernen Treppe abseits des Trubels finden wir ein bisschen Ruhe, breiten unser Essen aus, welches uns Djamal* in aller Fürsorge eingepackt hatte und machen uns ein Picknick.
Was haben wir nicht alles dabei. Fladenbrot, Obst und Käse. Ein kleiner Junge entdeckt uns beim Essen und setzt sich zu uns dazu. Er ist vielleicht vier Jahre alt. Zunächst versucht er, uns Postkarten zu verkaufen, doch Fran bietet ihm von unserem Essen an. Der Junge entdeckt die Käseecken für sich und schiebt sich eine nach der anderen in das kleine, verstaubte Gesicht. Dann, als wir keinen Käse mehr haben, steht er auf und verschwindet, einfach so.
Wir packen den Rest ein und gehen weiter. Wie weit kommen wir schlussendlich?
Das Gelände erstreckt sich auf über 20 km, und damit ist erstmal nur der Bereich gemeint, der bislang ausgegraben wurde. Beginnend am Eingangstor läuft man an Grabmonumenten, den sog. Geisterblöcken, vorbei und taucht ein in eine enge Felsschlucht, den Siq, der sich tief durch den Fels schlängelt. Läuft man weiter, taucht irgendwann wie unerwartet das Schatzhaus zwischen den Felsen auf, welches für die meisten Besucher der Inbegriff der Felsenstadt ist. Doch da gibt es noch viel mehr; über die Fassadenstraße gelangt man zum Opferplatz und zum Theater, dann weiter am Nymphaeum vorbei zum großen Tempel. Und da wir viel Zeit vertrödelt haben, ist das hier der Moment, an dem wir umkehren müssen.
So langsam wird es spät und Djamal* wollte um sechszehn Uhr draußen auf uns warten. Es ist bereits halb vier. Wohin ist die Zeit verschwunden?
Langsam schlendern wir zurück. Irgendwann sehen wir den kleinen Jungen wieder, mit dem Fran unser Picknicksessen geteilt hatte. Der Kleine hat einen Stein in der Hand, den er mir anbietet und ich erkläre ihm, dass wir keine Steine kaufen würden. Doch er lässt sich nicht abwimmeln; er spricht zwar kein Wort englisch, aber er versucht unbeirrt, den Stein in meine Hand zu drücken und redet beharrlich auf mich ein. „Er will Ihnen den Stein geben.“ Sagt eine Frau, die an einem der Stände sitzt. „Als Geschenk.“ Ich nehme den Stein und der Junge lächelt zufrieden. Doch die Geste kommt bei seinen älteren Geschwistern nicht gut an, denn der ältere Bruder fordert das Geschenk zurück, was beim jüngeren ein lautes Protestgeheul zufolge hat.
Er rennt mir hinterher und drückt mir einen anderen Stein in die Hand.
Für alle, die sich jetzt fragen: was denn für ein Stein? Ich habe ihn noch. Es ist ein ganz normaler Straßenstein aus Petra. Nichts Besonderes. Und doch was Besonderes in diesem Augenblick.
Ein anderer der Jungen, die hier überall herumwuseln, folgt uns auf einem Esel sitzend. Er ist vielleicht acht oder zehn Jahre alt, aber schon sehr gewieft. Die gesamte Zeit versucht er, uns zu etwas zu überreden, und erst nach und nach wird uns klar, was er meint.
An einigen Tagen in der Woche, immer montags, mittwochs und donnerstags, findet das Event „Petra by night“ statt und die Guides hatten sich anscheinend darauf spezialisiert, Touristen hoch oben in ihr Zelt zu lotsen. Bereits am Morgen, als wir Tarek zu der Felskante mit Blick auf das Schatzhaus folgten, wurden wir gefragt, ob wir Lust hätten, später dort zu bleiben. Gegen einen Tarif, versteht sich. Dieses „bleiben“ läuft an den offiziellen Öffnungszeiten vorbei und gestaltet sich so:
Das Areal der Felsenstadt schließt um 18 Uhr seine Tore – um die Zeit sollte jeder Besucher draußen sein. Allerdings ist das Gebiet so weitläufig und voller Felsen, Höhlen und Unebenheiten, dass sich die An- oder Anwesenheit von einzelnen Personen niemals exakt überprüfen lässt. Der Plan der Beduinen sieht vor, „ihre“ Besucher noch vor der Schlusszeit nach oben in ihr Zelt zu bringen, wo man laut ihnen zusammen Tee trinkt und es später am Abend ein Essen gibt. So überbrückt man die Zeit, in der die Felsenstadt offiziell geschlossen hat und die Vorbereitungen laufen. Später dann, wenn der Platz um das Schatzhaus herum mit vielen Kerzen erleuchtet ist und Petra um 21 Uhr erneut öffnet, können sich die Besucher das Spektakel von oben ansehen oder auch wieder nach unten gehen.
Der Vorteil für den Besucher: sie brauchen keinen Ticket für siebzehn Dinar, da die Tickets auf dem Areal und beim Ausgang nicht mehr kontrolliert werden. Der Vorteil für die Beduinen: ein im Vorfeld festgelegter Preis, den sie mit den Touristen ausgehandelt haben, wandert ohne Abzüge direkt in ihre Taschen. Optimalerweise bezahlt der Tourist bei den Beduinen etwas weniger als der offizielle Ticketpreis, und schon haben alle was davon.
Doch die Sache hat unter Umständen einen anderen, großen Haken; welcher das ist, darauf werde ich später noch eingehen.
So reitet im Augenblick der kleine Guide hinter uns her und redet mit der typischen Hartnäckigkeit eines Kindes auf uns ein. Bereits zu Anfang fiel mir auf, wie aufdringlich besonders die Kleinsten beim Verhandeln und Anpreisen ihrer Waren sein können, denn sie haben noch nicht gelernt, den Köder auszuwerfen, um dann einfach abzuwarten. Das beherrschen die älteren.
Obwohl der Vorschlag ganz interessant klingt, so sind wir einfach nur müde. Wir geben dem Jungen schließlich eine Absage und er reitet weiter.
Als wir das Schatzhaus erreichen, kurz vor dem Eingang zum Sik, spricht uns wieder jemand an. Er trägt einen schwarzen Turban, hat seine Augen ebenfalls mit schwarzem Kajal betont und sieht Tarek zum verwechseln ähnlich. So ähnlich, dass Fran ihn tatsächlich auch verwechselt. Das nicht ohne Grund, denn wie sich herausstellt, sind die beiden Brüder. Der Bruder bietet uns an, wie schon sein kleiner Kusin auf dem Esel zuvor, auf ein Abendessen oben am Ausblickspunkt zu bleiben, um das Spektakel Petra by night anschließend von dort oben zu sehen. Er und ein zweiter Beduine stehen vor uns und reden ohne Unterlass auf uns ein, versuchen, uns zu überzeugen und auch der zu bezahlende Preis fällt immer mehr.
Fran und ich bitten um Bedenkzeit. Während wir überlegen, gehen wir langsam mit den anderen den Sik entlang zum Ausgang; die Männer in einigem Abstand hinter uns. Die Idee klingt einerseits verlockend, mit anderen Besuchern zusammen von ganz oben das Event anzusehen. „Nur fünfzehn Dinar für euch beide.“ Ruft uns einer der Jungs hinterher. Und es gibt tatsächlich diesen einen Moment, als wir zögern und fast schon stehen bleiben. Doch Djamal* wartet und wir sind schon spät dran.
„Dann ruft euren Fahrer an und sagt, dass ihr nicht kommt.“ Rät einer der Männer, die uns inzwischen wieder eingeholt haben. Mir gefällt die Idee nicht, und auch Fran hat Zweifel. Die beiden wollen unbedingt, dass wir mit ihnen kommen; sie wollen es zu sehr, und anscheinend ist es nicht der schnelle Verdienst, denn der Preis scheint keine Rolle zu spielen. Doch wenn es den Männern nicht ums Geld geht, worum geht es dann?
Ich bin müde und erledigt, will einfach nur eine Pause. Ich will Petra verlassen, will das alles hinter mir lassen, die Verkaufstaktiken, den Stress, und auch mein Kopf schmerzt immer mehr. Ich berate mich mit Fran. „Mir gefällt nicht, wie sie mich ansehen.“ Sagt sie leise zu mir. „Die Blicke sind seltsam. Als wäre ich ein Stück Fleisch.“ Das ist mir wiederum nicht aufgefallen, doch wir sind uns schnell einig. Wir wollen lieber nochmal kommen und etwas mehr bezahlen, wollen aber auch, dass das alles geordnet abläuft.
Noch eine ganze Weile laufen uns die jungen Männer nach und versuchen, unsere Meinung zu ändern. „Es ist nur gut für euch.“ Sagt der eine, der sich als Tareks Bruder vorgestellt hat. „Ihr seid hier, um etwas zu erleben, ihr werdet so ein Erlebnis nie wieder vergessen.“
Irgendwann geben sie auf. Wir nähern uns dem Ausgang; die Männer bleiben zurück. Eine junge Beduinin spricht uns an.
Sie ist jung, wunderschön und in ihren langen, feinen Kleidern wirkt sie wie eine Prinzessin. Ihr Tuch, welches sie sich um den Kopf gewickelt hat und ihre restliche Kleidung passen perfekt zusammen und die Farbe – ein Graugrün – betont ihre dunkel geschminkten Augen. Die elegante Handtasche gibt den letzten Schliff. Eine weitere junge Frau begleitet sie; von ihr sehen wir nur die dunkel umrandeten, lächelnden Augen.
Die Frau, die uns anspricht, stellt sich als Muntja vor.
Muntja hat einen Verkaufsstand auf dem Areal von Petra, wie sie uns erzählt. Nach ein paar gewechselten Worten hege ich die leise Vermutung, dass sie die Nachhut der jungen Männer ist, die sie geschickt hatten, um uns noch einmal zu „bearbeiten“. Doch irgendwann sagt sie mitten in meine Zweifel hinein: „Ich habe mitbekommen, wie ihr euch mit diesen Männern unterhalten habt. Gut, dass ihr nicht mit ihnen mitgegangen seid, das sind keine guten Leute.“
Mehr sagt sie dazu nicht, doch das Gesagte reicht, um unser eigenartiges Gefühl von eben zu bestätigen. Sie wechselt schnell das Thema und spricht mich auf das Tuch auf meinem Kopf an, welches ich bei der alten Frau am Vormittag gekauft habe.
„Trägt man solche Kopftücher so?“ Will Fran wissen und zeigt auf meinen Turban. Muntja lächelt. „Als Mann – ja, und auch als Touristin kannst du es so anziehen. Komm, ich zeige dir, wie man es wie eine Lady trägt.“ Sie wickelt mein Tuch auf und dabei entdeckt sie, worauf mich Fran bereits vor dem Kauf so energisch hinzuweisen versucht hatte: zwei große, schwarz umrandete Brandlöcher. Fran hatte sie gesehen, im Gegensatz zu mir, und sagte: It has a roof. Blöderweise sagte mir der Begriff roof überhaupt nichts und die alte Frau wickelte die Ränder der Tücher schnell wieder zusammen, eifrig versichernd, dass das alles reine Handarbeit ist. Die Schäden entdeckte ich erst jetzt.
„Wieviel hast du bezahlt?“ Fragt mich Muntja, während ich noch entsetzt auf mein neu erworbenes Stück schaue. Sie will wissen, bei wem ich das Tuch gekauft hatte und als ich von der alten Frau erzähle, trübt sich ihr Gesicht. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, zurück zu gehen und der Alten die Höhle heiß zu machen, doch der Stand befindet sich nun ein paar Kilometer hinter uns und wir sind spät dran. Die Menschen sind dabei, das Gelände zu verlassen und die Frau hätte einen ganzen Clan zur Unterstützung an ihrer Seite. Der Gedanke an die freundliche, alte Beduinin, die mich so verarscht hat, macht mich fuchsteufelswild und mein schlauer Rat an Fran, das ganze doch als Erfahrung zu betrachten, will bei mir selber nicht so recht funktionieren.
Muntja bietet mir an, mir ein neues Tuch zu kaufen. „Solche Tücher kosten normalerweise nie mehr als fünf Dinar.“ Sagt sie. „Aber als Touristin bekommst du sie nicht zu dem Preis. Am Ausgang vom Sik hat ein Bekannter von mir einen Stand; gib mir fünf Dinar und ich werde versuchen, dir ein neues Tuch für den Betrag zu kaufen. Du brauchst dir nur noch auszusuchen, welche Farbe und welches Muster du haben willst.“
Kann der Tag wohl noch seltsamer werden? Ich hole meinen Geldbeutel raus und drücke einer wildfremden Frau fünf Dinar in die Hand. Was solls, das macht den Bock jetzt auch nicht mehr fett. Außerdem… habe ich nicht unbedingt das Gefühl, dass sie nun mit meinen fünf Dinar lossprintet, um über alle Berge zu kommen.
Wir erreichen den Stand. Der Händler mustert mich misstrauisch, während Muntja unbeeindruckt mit ihm handelt. Sie erzählt ihm, das Tuch wäre ein Geschenk für mich und dass ich manchmal mit den beiden unterwegs sei. Währenddessen versuche ich, möglichst unbeteiligt zu schauen. Nicht, dass ich den arabischen Dialog verstehen würde, aber Muntja hatte mir im Vorfeld ihren Plan erklärt.
Mit einem neuen, intaktem Tuch verlassen wir den Stand. Wie die junge Beduinin vermutet hatte, hatte sich der Mann auf weniger als fünf Dinar nicht herunter handeln lassen. Ich weiß nicht, warum sie das für mich gemacht hat. Vielleicht wollte sie nicht, dass der schlechte Eindruck, den die alte Frau hinterlassen hatte, auf alle Beduinen abfärbt. Nicht alle von uns sind so. Wir können auch anders.
Und im Großen und Ganzen, wenn ich so darüber nachdenke, müsste ich selbst der alten Händlerin dankbar sein, denn sie hatte mich eine sehr wichtige Lektion gelernt: vertraue nicht. Und sie war ein verdammt guter Lehrer. Doch noch eines habe ich ihr zu verdanken: hätte sie mir das kaputte Tuch nicht verkauft, hätte ich nie erfahren, dass die Menschen auch anders sein können. Uneigennützig, hilfsbereit. Entschlossen, einen schlechten Eindruck in einen guten umzuwandeln, ein schlechtes Erlebnis ungeschehen zu machen. So wie Muntja. „Welcome in Jordan!“ Sagt sie noch am Schluss, als wir uns verabschieden. Ehe sie geht, bedeckt sie ihr Gesicht. Als sich die beiden Frauen von uns entfernen, sind nur noch ihre Augen zu sehen.
*Namen geändert