Wer in Bukarest Auto fährt, braucht Nerven wie Drahtseile. Denn, wie ich bereits gestern erleben durfte, werden hier die Verkehrsregeln auf eine sehr kreative – und leidenschaftliche – Weise umgesetzt.
Nehmen wir zum Beispiel eine rote Ampel. Diese wird nicht, wie hier, etwa heilig gesprochen, nein – sie ist vielmehr eine Ansage und bedeutet soviel wie: Oh, rot… okay, ein paar Sekunden habe ich noch, bevor die anderen losfahren. Was auch erklären könnte, wieso die Kreuzungen in der Rushhour mit schöner Regelmäßigkeit vollgestopft sind. Es ist wie Tetris spielen, man schiebt sich immer in die freien Lücken und versucht, nach Möglichkeit all die anderen Steinchen nicht zu beschädigen.
Doch auch bei den Geschwindigkeiten richte man sich bitte nach den Einheimischen, denn die Tempolimits sind immer plus ein Drittel zu verstehen – außer es handle sich dabei um eine Tempo dreißig Zone, denn dann heißt es: Höchstgeschwindigkeit mal zwei. Das ganze aber nur, wenn die Policia nicht in der Nähe ist und natürlich – ohne Gewähr.
Doch in einem sind uns die Rumänen voraus: die Stadt Bukarest verfügt über ein elektrisch betriebenes Busnetz. Die Busse werden über elektrische Oberleitungen auf ihrer Route angetrieben – sehr progressiv.
Meine Angewohnheit, andere Fahrzeuge auch mal in freie Lücken hinein zu lassen, wird auf der einen Seite mit großer Dankbarkeit, auf der anderen Seite mit großem Unverständnis aufgenommen derer, die hinter mir fahren. Doch auch das Stehenbleiben an einem Stopp-Schild wird mitunter mit einem Hupkonzert begrüßt. Und da die ehemals weißen Linien auf der Fahrbahn bereits dermaßen abgerieben, dass sie praktisch nicht mehr zu sehen sind, fahre ich, vor allem in dreispurigen Kreiseln und anderen Knotenpunkten, größtenteils blind. Doch in Kreisverkehren wird immer mal hier und da ein bisschen gehupt, also halb so wild…
Zumindest wuseln hier keine Tuk Tuks und Mopeds herum wie auf Sri-Lanka. Eine Motorradszene in Rumänien ist vorhanden, wenn auch nicht so stark wie in Deutschland vertreten. Teilweise schießen neue Maschinen oder ganze Motorradgruppen an mir vorbei (zugegeben, zweiteres habe ich nur einmal gesehen) und auf Landstraßen werden die Autos ab und zu, wenn sonst kein Platz da ist, auch auf dem Standstreifen überholt.
Die Autobahnen sind gut ausgebaut und als ich die gelben Betonklötze von Bukarest endlich hinter mir lasse, komme ich sehr gut voran. Mein Ziel ist Schloss Bran, zu dem jedes Jahr Bussladungen an Touristen pilgern und welches dem Autor der Dracula Romane als Vorlage diente. Nicht viele sind auf der Autobahn unterwegs und diejenigen, die es sind, scheinen zu wissen, was sie tun. Und da das Tempolimit hier auf 130 km/H begrenz ist (Achtung! Auch hier lediglich nur ein Richtwert 🙂 …), ist das eh ein sehr entspanntes Fahren.
Zumindest, bis der Stau kurz vor Ploiesti kommt. Da bin ich nicht mehr auf der A3, sondern auf der A1, und es geht schleppend voran – ja, teilweise geht es gar nicht mehr voran und ich überlege, was passiert sein könnte – ein Unfall? Einige Fahrzeuge beginnen, mitten auf der Fahrbahn zu wenden.
Die goldene Kirche
Sie fällt mir sofort auf, denn das Dach, welches aus purem Gold gemacht zu sein scheint, von weitem schon in der Sonne glänzt, die Augen blendet und goldene Reflexe an die weißen Wände wirft. Zügig fahre ich ab und parke das Auto auf dem Kiesweg. Das Dach der Kirche spiegelt die Sonne in purem Goldglanz und wirft das Licht wieder ab wie ein Spiegel, noch nie zuvor habe ich so etwas gesehen. An dieser Stelle würde ich euch gerne etwas Background zu dieser Kirche einfügen, doch ich habe sie bei meinen Recherchen nicht mehr finden können. Ein armes Land, aber Kirchen mit goldenen Dächern ham se!
Doch ich bin nicht alleine, zwei oder drei Autos stehen noch da. Als ich mir die Kirche im Innern ansehen will und durch die offenen Türe spähe, findet dort gerade ein Gottesdienst statt. Zwei Menschen stehen direkt vor dem Altar und es wirkt wie eine kleine, geheime Hochzeitszeremonie, die da stattfindet. Ich ziehe mich zurück.
Das war noch vor dem Stau, in den ich nun hinein geraten bin.
Auch ich überlege, wieder umzukehren, halte jedoch geduldig weiter Stellung. Der Kilometeranzeige nach habe ich die hälfte des Weges bereits geschafft, und solche Staus lösen sich in der Regel nach kurzer Zeit von selbst wieder auf.
Doch dieser hier nicht. Als Folge brauche ich über eine Stunde für fünf Kilometer.
Was wohl passiert ist? Ich sehe, wie eine Polizeistreife mit Blaulicht an uns vorbei rast. Also doch ein Unfall… Mit Rettungsgasse ist hier nix zu wollen, zudem die Spuren auch viel zu schmal dafür wären, doch die Streife nimmt einfach die Gegenspur. Sieh zu, wie du klar kommst, Gegenverkehr!
Es geht nur sehr langsam voran. Einige Anwohnerinnen der Stadt, die wir passieren, haben ihre Chance gewittert und laufen mit Körbchen voller selbst gepflückter Beeren von Auto zu Auto, um sie an den Mann zu bringen. Auf einem Feld stehen grüne, aufgeschichtete Heuhaufen; die Bäuerin daneben stemmt die Hände in die Hüften und begutachtet diese kritisch. Ein Pferdekarren verschwindet zwischen den Bäumen. Ich schalte Musik an.
Je weiter wir uns in Richtung Norden bewegen, umso bergiger und grüner wird die Landschaft; während sie in Süden um Bukarest herum eher mediterran anmutet mit ihren pfeilförmigen Zypressen und den wogenden, goldenen Feldern, umso mehr saftig grüne Hügel tauchen vor mir auf. Es ist windig, denn während die Autobahnen in Deutschland an entscheidenden Stellen oft durch Bäume geschützt sind, fehlen diese hier und, obwohl das Auge sehr weit schweifen kann, zerrt der Wind während der Fahrt ungehemmt am Auto herum. In den Städten wie auch außerhalb – die allgegenwärtigen, überdimensional großen Reklametafeln.
Als ich in Breaza Cimpina ankomme, löst sich der Korken langsam auf. Einen Unfall hatte es nie gegeben, doch in den kleineren Ortschaften wird der Verkehr auf Hauptstraßen von der Polizei noch per Hand dirigiert. Energisch winkt uns der Beamte weiter.
Ich komme an schönen, bemalten Kirchen vorbei, an Häusern mit kunstvoll geschnitzten Fassaden. Doch nicht alles in Rumänien ist retro; auch sehr viele Neubauten, schicke Einfamilienhäuser mit Garten sind zu sehen, und sie sind nicht die Ausnahme, sondern – zumindest in der südlichen Gegend – eher die Regel. Märkte mit Krimskrams, Süßigkeiten und buntem Plastikspielzeug, Geschnitztem und geflochtenen Weidekörbchen ziehen in den Dörfern entlang der Straße an uns vorbei. Ein Fluss, unbegradigt und Wild; eine ruhende, alte Dampflok. Schroffe Berge, hoch aufragende Felsen, Wildnis um mich herum – kein Wunder, dass hier auch Braunbären leben sollen.
Und in diesem Moment plane ich bereits meine nächste, große Reise nach Rumänien.
Sinaia; ein touristischer Ort mit vielen Hotels. Wunderschön gelegen, keine Frage… „Sie wollen den Tourismus zu schnell. Eine Hotellandschaft nach der anderen wird billig hochgezogen – das will doch niemand sehen!“ Wird mir ein holländischer Reisender nach meiner Rückkehr erzählen.
Der Weg beginnt, steiler zu werden. Kurve um Kurve geht es nach oben, an bergigen Ausblicken vorbei. Grün bewachsene Gebirge, eine sich schlängelnde Straße und Preiselbeeren-Verkäuferinnen, die es sich in den Haltebuchten gemütlich gemacht haben. An ihren provisorisch aufgebauten Ständen versuchen sie, mit den selbst gepflückten Beeren ihr Glück zu machen. An einem der Stände fahre ich rechts ran.
Die Frau versteht kein Wort englisch, für mich gilt das gleiche mit rumänisch, doch das ist auch nicht zwingend notwendig. Auf meine Frage nach dem Preis verschwindet sie in ihrem Wagen und kommt mit Geldscheinen wieder raus; ein Schälchen kostet 15 Lei. Ich nehme zwei mit und verschlinge sie gleich im Auto. Sie sind ungewaschen, doch das ist mir einerlei. Seit heute morgen habe ich noch nichts in den Magen bekommen.
Im nächsten oder übernächsten Ort beginnt der Verkehr wieder zu stocken. Auch hier in den Orten – die unvermeidlichen Werbebanner. Alles scheint von Coca Cola gesponsert worden zu sein: von den Sonnenschirmen über das Dach der Imbissbude bis hin zu den Bushaltestellen und Abfalleimern am Straßenrand – auch die tragen den Coca Cola Schriftzug.
Da es sowieso nur noch schleichend voran geht, fahre ich rechts ran und stelle das Auto ab. In einem der Restaurants bestelle ich Polenta – die Dame von der Bedienung spricht sogar ein bisschen englisch. „Water? Mineral?“ Fragt sie mit einem harten Akzent.
So sitze ich da und kann die Leute bei ihrem Tun beobachten. Erstaunlicherweise sieht man viele neue Audi, Mercedes und BMW- Limousinen, doch auch einige Rostschüsseln röcheln beim Anfahren, als wollten sie ihren Geist aufgeben. Und es sind überdurchschnittlich viele Dacias zu sehen.
Der Duft von gegrilltem Fleisch steigt mir in die Nase und als das Essen kommt, kann ich den Holzkohlengrill im saftigen Fleisch beinahe noch schmecken. Die Pause war notwendig, denn ich bin bereits seit halb zehn unterwegs. Jetzt ist es Nachmittags um drei.
Von der A1, die direkt durch Brasov führt, fahre ich in westliche Richtung ab; es sind noch dreißig Kilometer bis zu meinem Ziel und mein Navi erzählt mir etwas von einer Stunde Fahrt. Serpentine schlängelt sich die Straße über die Berge und ich bewundere die mutigen, jedoch sinnlosen Überholmanöver der Einheimischen. Blitzartig reißen sie sich los, nur um wieder vor der nächsten Kurve hinter meinem Vordermann einzuscheren. Der eventuell auftauchende Gegenverkehr muss hier im Fall der Fälle blitzartig reagieren können.